Krieg in der Ukraine, eine bedeutende Etappe der Eskalation auf dem Weg zum Dritten Weltkrieg

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Texte des Parteitages von Lutte Ouvrière im Dezember 2022
Dezember 2022

Der folgende Text wurde auf dem Parteitag von Lutte Ouvrière im Dezember 2022 verabschiedet und in der zweimonatlichen Zeitschrift Lutte de Classe (Nr.228, Dezember 2022/Januar 2023) veröffentlicht.

 

Einen seiner letzten Texte verfasste Trotzki im Mai 1940, kurz vor seiner Ermordung durch einen Schergen Stalins, als der Zweite Weltkrieg bereits begonnen hatte. Er trägt den Titel Manifest der Vierten Internationale zum imperialistischen Krieg und zur Weltrevolution.

Trotzki, aus der Sowjetunion vertrieben und isoliert, wandte sich mit folgenden Worten direkt an die Arbeiter: „Der jetzige Krieg – der zweite imperialistische Krieg – ist kein unvorhergesehenes Ereignis; er erwächst nicht aus dem Willen des einen oder anderen Diktators. Er war lange vorausgesagt. Er Ieitet seinen Ursprung unerbittlich ab aus den Widersprüchen der internationalen kapitalistischen Interessen. Im Gegensatz zu den offiziellen Geschichten, die konstruiert wurden, um die Leute zu betäuben, ist der Hauptgrund des Krieges sowie aller anderen gesellschaftlichen Übel – Arbeitslosigkeit, die hohen Lebenshaltungskosten, Faschismus, koloniale Unterdrückung – das Privateigentum an den Produktionsmitteln zusammen mit dem bürgerlichen Staat, der auf dieser Grundlage beruht.

Solange das kapitalistische System und sein altersschwaches Stadium, der Imperialismus, nicht zerstört sind, ist der Friedenszustand nur eine Zwischenperiode zwischen zwei Weltkriegen.

Die revolutionäre kommunistische Strömung, so schwach sie in den letzten Jahrzehnten auch gewesen sein mag, hat die Vorstellung, dass der Kapitalismus den Weltfrieden bringen könnte, stets als Illusion angeprangert.

Selbst die sogenannten Friedenszeiten hatten keine andere Bedeutung, als dass es keinen Weltkrieg gab, der direkt oder indirekt den ganzen Planeten betraf. Letztlich hat es an verschiedenen Orten der Welt immer Krieg gegeben. Kriege, die von den imperialistischen Mächten geführt werden, um Völker weiter kolonial zu versklaven oder wirtschaftlich auszuplündern. Regionale Kriege mit direkter oder indirekter Beteiligung der imperialistischen Mächte. Lokale, nationale oder ethnische Kriege, die von den Großmächten bewaffnet oder eingefädelt wurden, in der Zeit des Kalten Krieges zwischen den beiden Blöcken usw.

Vor einem Jahrhundert schien die siegreiche proletarische Revolution in Russland dem Einhalt gebieten zu können, was unter der imperialistischen Herrschaft als unausweichliches Schicksal erschien. Sie verstand sich als erster Schritt auf dem Weg zur Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation der Menschheit durch den Umsturz des Kapitalismus, das heißt durch die Abschaffung „des Privateigentums an Produktionsmitteln und des auf diesen Grundlagen beruhenden bürgerlichen Staats“.

Diese erste große Schlacht zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat um die Führung der Gesellschaft hat nicht zu einem allgemeinen Klassenkrieg geführt, in der einzigen Arena, in der die Arbeiterklasse ihn gewinnen kann: der internationalen Arena.

Der erste Arbeiterstaat war nur in den ersten Jahren seiner Existenz ein Instrument der proletarischen Weltrevolution. Dann stand er allein da und die Bürokratie entstand. In seinen wenigen revolutionären Jahren gab der noch in den Kinderschuhen steckende Arbeiterstaat eine Vorstellung und einen Vorgeschmack davon, wie die Umgestaltung der Gesellschaft auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene aussehen könnte. Er legte den Grundstein für eine Wirtschaft, in der die großen Produktionsmittel nicht mehr in privater Hand waren; in der die Arbeiterklasse an der Macht sich in die Lage versetzte, die Produktion neu zu organisieren, und zwar nicht dem blinden Markt und dem Wettbewerb um privaten Profit gehorchend, sondern bewusst, mit dem Ziel, die Bedürfnisse mittels Planung der Produktion zu befriedigen. Das internationale Proletariat kann stolz auf diesen ersten Versuch sein, auf das, was es getan hat, als es der Bourgeoisie die Macht entriss und der Welt die Gültigkeit der sozialistischen Perspektive zeigte, und zwar nicht nur in der Theorie, sondern auf einem Sechstel des Erdballs.

Dem Elan der Revolution für die soziale Emanzipation der unterdrückten Klassen gelang es, die vielfältigen Bestandteile des „Gefängnisses der Völker“, das das zaristische Russland gewesen war, in einem Schmelztiegel zu vereinen. Dieser Elan schuf die Voraussetzungen für die Entstehung der Sowjetunion, der konkrete Ausdruck für die Vereinigung gleichberechtigter Völker. Und eben dieser Elan gab den Impuls für die großartige Transformation der Volkswirtschaft der Sowjetunion und ermöglichte es ihr nicht nur zu überleben, sondern sich auch in rasantem Tempo zu industrialisieren, während die viel weiter entwickelten imperialistischen Länder in der Krise von 1929 versanken.

Die Bürokratie entstand mit dem Abebben dieses revolutionären Elans. Sie beschleunigte den Rückgang der revolutionären Aktion der Massen und wurde dabei zu einem immer entscheidenderen Faktor. Und sie wurde sich dabei ihrer Partikularinteressen, die den Interessen der Arbeiterklasse diametral entgegenstanden, immer bewusster.

Das gleiche Abebben des revolutionären Elans und die konterrevolutionäre Strömung, die die Sowjetmacht in eine berüchtigte Diktatur über das Proletariat verwandelte, riss zusammen mit allen anderen Rechten auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Sowjetunion mit sich fort. Putin hat die Dinge klar zusammengefasst, als er sich bei der Intervention in der Ukraine auf die Politik Stalins berief und sie der Politik Lenins gegenüberstellte.

Der Arbeiterstaat entartete, was sich politisch im Stalinismus ausdrückte. Die herrschende Bürokratie erstickte seitdem jeden revolutionären Impuls. Und sie tat dies nicht nur in der Sowjetunion, sondern überall auf der Welt, wobei sie das Vertrauen ausnutzte, das die Oktoberrevolution gewonnen hatte. Die sowjetische Bürokratie wurde schnell zu einem Garanten der imperialistischen Weltordnung, während sie gleichzeitig versuchte, ihre Interessen als besondere Kaste zu wahren.

Die Entartung des Arbeiterstaats war kein Schicksal, sondern eine Phase intensiven Klassenkampfes. Vor dem Hintergrund der Rückschläge, die die Arbeiterklasse international erlebte, standen sich das Beste, was die proletarische Revolution in der Sowjetunion bewahrt hatte, und die aufstrebende Bürokratie gegenüber.

Es war ein Kampf auf Leben und Tod, im materiellen Sinne des Wortes. Je fester die Bürokratie den sowjetischen Staat und die ehemalige bolschewistische Partei in der Hand hatte, desto bewusster entschied sie sich für die physische Vernichtung all derer, die sich in die revolutionäre Kontinuität der Oktoberrevolution stellten.

Die Linksopposition, die sich um die Person Trotzkis sammelte, war eine echte revolutionäre kommunistische Partei. Sie war es durch den Reichtum ihrer gemeinsamen Erfahrungen und der individuellen politischen Erfahrung ihrer Aktivisten, die sie in der Revolution und im siegreichen Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie gesammelt hatten sowie in den enormen, noch tastenden Bemühungen, eine neue Gesellschaftsorganisation aufzubauen.

Mit der fortschreitenden Öffnung der Archive der stalinistischen Bürokratie wird immer deutlicher, dass die Linksopposition nicht nur aus Trotzki und einigen hundert Aktivisten und guten Kadern bestand, die mehr oder weniger lange den Gefängnissen, Gerichtsverfahren und Konzentrationslagern trotzen konnten, bevor die meisten von ihnen ermordet wurden. Sie waren die Kader einer echten Partei, die über die Mittel und die Kompetenz verfügte, die internationale Arbeiterbewegung wiederzubeleben und ihr zu helfen, ihren revolutionären Weg wieder aufzunehmen.

Diese Partei – die einzige, die diese Bezeichnung in der Geschichte des Trotzkismus verdient – wurden von der siegreichen Bürokratie vernichtet, wodurch zugleich die politische und menschliche Kontinuität mit der Oktoberrevolution von 1917 unterbrochen wurde. Von allen Verbrechen Stalins an der revolutionären Arbeiterbewegung ist diese Vernichtung das schlimmste und fasst sie alle zusammen. Und sie ist es, die Stalin mit Hitler vergleichbar macht.

Unter der Leitung ihrer politischen Führer, die einander nach Stalins Tod ablösten, ist die Bürokratie auch weiterhin immer ein konservatives, bewahrendes Element der imperialistischen Weltordnung geblieben. Die Bürokratie begann diese Rolle zu spielen mit dem Verrat an den Revolutionen, die sie vorgab zu führen oder zu unterstützen (China 1927, Spanien 1936-1938) und ganz zu schweigen vom Verrat an allen Arbeiterkämpfen durch die Volksfront-Politik. Sie setzte ihr Werk fort, indem sie jede Möglichkeit für die Arbeiterklasse in Europa erstickte, sich am Ende des Zweiten Weltkriegs zu erheben und die Weltordnung zu erschüttern, wie sie es 1917-1919 getan hatte. Und spielte ihre Rolle weiter, als sie 1953 bis 1956 in ihrem damaligen Einflussbereich, in Ostberlin, Poznań und Budapest, militärisch intervenierte und die Arbeiterkämpfe niederschlug.

Jahrzehntelang trug die Bürokratie zur Verteidigung der imperialistischen Weltordnung bei, während sie gleichzeitig ein Fremdkörper in ihr blieb und dem westlichen Imperialismus sogar den Zugriff auf die osteuropäischen Länder nahm, die in sogenannte Volksdemokratien verwandelt wurden. Unter Gorbatschow und vor allem Jelzin kündigte die Bürokratie ihren Wunsch an, sich in die Reihen der internationalen Großbourgeoisie (und ihres kapitalistischen Marktes) einzureihen.

Die Jelzin-Ära mit dem katastrophalen Zusammenbruch der russischen Wirtschaft und dem Zerfall der Sowjetunion in einander mehr oder weniger feindlich gesinnte Staaten hat gezeigt, dass die imperialistischen Großmächte keineswegs die Absicht hatten, sich einen übermächtigen Rivalen zu schaffen. Sie wollten Russland als Komplizen – zu Stalins Zeiten war es das bereits – aber sie wollten es als Untergebenen, auf den man herabblickt.

Sie akzeptierten Russland als ein Land, dessen Stellung dem Brasiliens, Indiens oder sogar dem Kongo unter Mobutu nahe kommt – allerdings mit der Stärke, die Russland durch die Größe seines Territoriums und seiner Bevölkerungszahl, der Vielfalt seiner natürlichen Rohstoffe und vor allem aufgrund einer Reihe von wirtschaftlichen Merkmalen hat, die auf den Impuls der proletarischen Revolution zurückgehen.

Putins Machtantritt war die Reaktion der Bürokratie des russischen Staates, dem unter Jelzin der Zerfall drohte. Die imperialistischen Mächte, deren grundlegende Ziele von Jelzins unterwürfiger Haltung so gut verstanden und bedient wurden, übten fortwährend Druck auf Russland aus. Die von Putin propagierte „Wiederherstellung der Machtvertikale“ fand in der herrschenden Schicht Russlands offensichtlich breite Zustimmung, auch wenn eine Reihe von Oligarchen, die vom Machtverfall unter Jelzin profitiert hatten, dafür zahlen mussten.

Die Krise der Weltwirtschaft, der russisch-ukrainische Krieg und die westlichen Sanktionen wirken sich nicht nur auf die Menschen in der ehemaligen UdSSR aus, sondern auch auf die Machtverhältnisse innerhalb der Machtstrukturen in Russland.

„Moskau, die Kriegspartei beschlagnahmt die gesamte Macht“, lautete die Schlagzeile von Le Figaro vom 12. August. In dem Artikel ging es um die Stärkung der Macht jener Schicht der Bürokratie, deren Macht darauf beruht, dass sie „die hoheitliche Gewalt“, sprich das Herzstück des Staatsapparats in ihren Händen hält – im Gegensatz zur hohen Wirtschaftsbürokratie, sprich den Oligarchen. Sie sind die „Silowiki“, wie die Russen die Mitglieder im Kern des Staatsapparats nennen, die Männer der Unterdrückungsorgane Armee, Polizei, Geheimdienst und vor allem des FSB (früher KGB), aus dem Putin stammt und dessen Galionsfigur er immer noch ist.

Diese beiden Schichten sind eng miteinander verflochten, ebenso wie ihre Interessen im materiellen Sinne des Wortes. Die Oligarchen sind als mehr oder weniger separate Einheit entstanden und haben die Kontrolle über die Unternehmen und die Steuerung des wirtschaftlichen Räderwerks übernommen, wobei sie von den Bürokraten des Unterdrückungsapparats geschützt wurden. Sie sind von den Gipfeln des Staatsapparats abhängig und sogar vom „Wohlwollen“ des politischen Chefs der Bürokratie, in diesem Fall von Putin. Umgekehrt ist aber auch die Staatsmacht im hoheitlichen Sinne von jenen abhängig, die es den Bürokraten in ihrer Gesamtheit ermöglichen, den durch die Ausbeutung freigesetzten Mehrwert anzuzapfen. Diese funktionale Aufteilung spiegelt sich in einer Vielzahl von kollektiven und individuellen Beziehungen wider.

Die Oligarchen sind zwar mit ihrem Vermögen, ihren Privatjachten und -flugzeugen, ihren Ambitionen und ihrem ausschweifenden Lebensstil in die höchsten Gefilde der kapitalistischen Klasse vorgedrungen. Durch ihre Abhängigkeit von der Staatsbürokratie unterscheiden sie sich jedoch von der etablierten Großbourgeoisie der imperialistischen Mächte. Der grundlegende Widerspruch, der die bürokratisierte UdSSR zwischen dem ursprünglichen revolutionären Elan und ihrer entarteten Antithese kennzeichnete, ist bis heute bestehen geblieben. Es bedurfte des mächtigen Geists der proletarischen Revolution, um den Zarismus, den Landadel und die Bourgeoisie zu vernichten. Doch als der revolutionäre Geist erloschen war, stabilisierte sich die Situation für einige Jahrzehnte unter der eisernen Faust eines bürokratischen Monsters, das in der Geschichte beispiellos ist. Eine ferne Erinnerung daran sind Konzerne wie Gazprom oder Rosatom, die dieser Bürokratie – der miteinander verwobenen Staats- und Oligarchenmacht – die Mittel an die Hand geben, um den imperialistischen Mächten die Stirn zu bieten.

Der Krieg in der Ukraine mischt die Karten neu: sowohl in Bezug auf die Abhängigkeit der russischen Oligarchen von Putin also auch in Bezug auf die Bande, die zur imperialistischen Großbourgeoisie geknüpft wurden. Er sorgt damit für schwankende Kräfteverhältnisse innerhalb der russischen Macht.

Zum Krieg in der Ukraine Stellung zu nehmen und dabei die Macht des Imperialismus über die Welt außer Acht zu lassen, bedeutet, sich auf die Seite der imperialistischen Mächte zu stellen. Seitens politischer Strömungen, die sich auf den Marxismus berufen, bedeutet dies die Abkehr von diesen Ideen.

Die Rechtfertigungen derjenigen, die sich offen oder scheinheilig auf die Seite der imperialistischen Mächte stellen, sind denen ihrer Vorfahren oder Vorgänger vor oder während des Zweiten Weltkriegs erstaunlich ähnlich.

 

Die Verteidigung der Demokratie?

Putin ist ein Diktator der schlimmsten Sorte, nämlich der Art Stalins, auf den er sich in Ablehnung Lenins beruft. Aber das Argument ist miserabel, wenn man bedenkt, wie viele Diktaturen vom Imperialismus, der großen amerikanischen „Demokratie“ in der Welt bewaffnet wurden und werden.

 

Das Selbstbestimmungsrecht der ukrainischen Nation?

Als die Habsburger Monarchie Serbien angriff - der Auslöser des Ersten Weltkriegs -, konnte man Solidarität mit einer kleinen, armen Nation empfinden, deren Überleben bedroht war. Doch das Recht Serbiens auf nationale Existenz trat in den Augen der damaligen Revolutionäre in den Hintergrund, da diese Frage sich im Rahmen einer Konfrontation zwischen imperialistischen Lagern stellte.

 

Betreibt Putin eine imperialistische Politik?

Im allgemeinen Sinne des Wortes, wie es seit Jahrhunderten, seit der Politik des antiken Roms gebraucht wird, ist dies unbestreitbar richtig. Doch das Beharren auf der Wiederholung des Begriffs soll vor allem verschleiern, dass der heutige Imperialismus in erster Linie ein bestimmtes Stadium des Kapitalismus ist und dass seine Kriegspolitik nur durch die Zerstörung seiner kapitalistischen Wurzeln beendet werden kann.

 

Putin hat doch den Krieg angefangen?

Das ist ein klägliches Argument und läuft auf das Gleiche hinaus wie der Schlag des Dey von Algier mit der Fliegenklatsche, um die Eroberung Algeriens durch Frankreich zu rechtfertigen.

Für revolutionäre Kommunisten muss die einzig mögliche Haltung von der Idee geleitet sein, die Karl Liebknecht zur Zeit des Ersten Weltkriegs formulierte: „Der Hauptfeind steht im eigenem eigenen Land“.

Für russische kommunistische Aktivisten bedeutet dies, sich gegen den von Putin geführten Krieg zu stellen und sein räuberisches Regime im Auftrag der Bürokratie und der milliardenschweren Oligarchen zu stürzen.

Verbrüderung; sich an die ukrainischen Arbeiter zu wenden im Namen ihrer gemeinsamen Interessen mit denen der russischen Arbeiter und sich dabei auf die Politik der Bolschewiki zu berufen, das Recht der Ukraine auf Unabhängigkeit zu respektieren, wenn die Arbeitenden dies wünschen.

Die gleiche Politik für die ukrainischen Kommunisten: es ablehnen, sich am Burgfrieden, an der nationalen Einheit zu beteiligen und sich für den Umsturz des bestehenden Regimes einsetzen, das sich auf bürokratische Cliquen und Oligarchen der gleichen Art stützt wie die, die von den mobil gemachten russischen Arbeitern in der Armee verlangen, für sie ihr Leben zu opfern.

Frankreich befindet sich nicht direkt im Krieg in der Ukraine, zumindest noch nicht. Trotz der erklärten Weigerung, sich an den kriegerischen Auseinandersetzungen zu beteiligen, liefert Frankreich dem ukrainischen Staat Waffen für den Krieg, wie sie ihn auch mit zukünftigen militärischen Kadern versorgt, indem es sich zunehmend an deren Ausbildung beteiligt. Indem das imperialistische Frankreich seinen heuchlerischen Halbkriegszustand auf weitere Bereiche ausweitet, beteiligt es sich immer stärker am Krieg. Ob Frankreich dies unter dem Befehl des US-Imperialismus tut oder zur Wahrung der Interessen seiner eigenen kapitalistischen Konzerne, ist dabei zweitrangig. Selbst die französischen Unternehmen, die sich aus Russland zurückgezogen haben, haben darauf geachtet, sich Möglichkeiten für eine Rückkehr zu schaffen.

Die Arbeiterklasse in Frankreich steht schon jetzt vor denselben Entscheidungen wie ihre Schwestern in Russland oder der Ukraine. Das ist nicht unser Krieg! Keine gemeinsame Sache mit unserer Bourgeoisie und ihrem Staat!

Den Krieg bekämpfen, nicht als Pazifist, sondern im Namen der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse.

Auch ohne sich offen im Krieg zu befinden, bereiten unsere Bourgeoisie, ihre Politiker und ihre (Des-)Informationsorgane die Bevölkerung moralisch und menschlich auf den Krieg vor, indem sie eine anti-russische Stimmung erzeugen.

Sie haben dabei mehr Schwierigkeiten mit einem Teil der Bevölkerung mit maghrebinischem oder afrikanischem Migrationshintergrund, deren USA-kritische Reflexe einige dazu verleiten, Putin zu rechtfertigen. Hinter diesen Reaktionen verbirgt sich jedoch in der Regel eine Form von Konservatismus in Bezug auf die Regierungen ihrer Herkunftsländer. Dass ihre Regierungen Putin unterstützen, macht sie nicht besser. Mit ihnen ist es wichtig, über die Klasseninteressen der Arbeiter zu sprechen.

Niemand kann heute vorhersagen, wie lange der gegenwärtige Krieg in der Ukraine dauern wird und wie und wann er in einen allgemeinen Krieg münden wird.

Aber jede Form von Kollaboration, jede Form von nationaler Einheit mit der Bourgeoisie, ihren Politikern, ihrem Generalstab, auch in der Rolle des Verteidigers der Ukraine und ihrer Souveränität, sind anzuprangern.

Es ist kaum nötig, auf die erbärmliche Erklärung des Exekutivbüros der IV. Internationale zur Invasion der Ukraine zurückzukommen, die gleich zu Beginn des Krieges, am 1. März 2022 veröffentlicht wurde. Der Kern dieser Aussage ist in diesem Satz auf den Punkt gebracht: „Angesichts des Krieges in der Ukraine ist es die Verantwortung aller Aktivist*innen in den Arbeiter- und sozialen Bewegungen, derjenigen, die gegen den Krieg mobilisiert haben, den Widerstand der unterdrückten ukrainischen Nation zu unterstützen. Um diesen Krieg zu beenden, muss Putins Regime sanktioniert und die Ukraine beim Widerstand gegen die Aggression unterstützt werden.“ Und als Tüpfelchen auf dem i: „Solidarität und Unterstützung für den bewaffneten und unbewaffneten Widerstand des ukrainischen Volkes. Waffenlieferungen auf Ersuchen des ukrainischen Volkes im Kampf gegen die russische Invasion seines Territoriums. Dies ist eine elementare Solidarität mit den Opfern der Aggression eines viel mächtigeren Gegners.

Erwähnenswert ist auch diese Perle aus einer Analyse, deren Verfasser sich für Marxisten halten: „Der US-Imperialismus macht sich nur die Flucht nach vorn des neuen Kreml-Zaren zunutze.

Das bedarf keiner weiteren Kommentare. Nur, dass es eine politische Kontinuität gibt, die mit trotzkistischen Ideen rein gar nichts zu tun hat, zwischen diesen Leuten und ihren Vorfahren, die am Tag nach Hitlers Überfall auf Frankreich Aufrufe zur Union mit der „französisch denkenden“ Bourgeoisie für die Gründung eines „Komitees der nationalen Wachsamkeit“ herausgaben.

Als Abschluss können Trotzkis Worte aus dem Manifest der IV. Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution dienen: „Wir vergessen keinen Augenblick, dass dieser Krieg nicht unser Krieg ist. (…) Unabhängig vom Verlauf des Krieges erfüllen wir unsere fundamentale Aufgabe: Wir erklären den Arbeitern die Unvereinbarkeit zwischen ihren Interessen und den Interessen des blutrünstigen Kapitalismus; wir mobilisieren die Werktätigen gegen den Imperialismus; wir propagieren die Einheit der Arbeiter in allen kriegführenden und neutralen Ländern; wir verlangen die Verbrüderung der Arbeiter und Soldaten innerhalb eines jeden Landes und der Soldaten mit den Soldaten der gegenüberliegenden Seite der Kampffront; wir mobilisieren die Frauen und die Jugend gegen den Krieg; wir setzen die konstante, beharrliche, unermüdliche Vorbereitung auf die Revolution fort – in den Fabriken, in den Dörfern, in den Kasernen, an der Front und in der Marine.

 

17.Oktober 2022