Niger: Die Spirale des Krieges

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Lutte de Classe Nr. 234 (September 2023)
September 2023

Am 26. Juli wurde der Präsident von Niger, Mohamed Bazoum, durch einen Militärputsch gestürzt. Der Chef der Präsidentengarde, General Tiani trat umgeben von der gesamten Armeeführung im Fernsehen auf und verkündete, dass er nun die Macht übernommen habe. Seitdem regiert diese Junta das Land. Am darauffolgenden Sonntag gingen Tausende Demonstranten in der Hauptstadt Niamey auf die Straße, um die Junta zu unterstützen. Sie riefen „Nieder mit Frankreich“ und „Es lebe Russland“ und versuchten, in die französische Botschaft einzudringen.

Nach Mali im Jahr 2021 und Burkina Faso im Jahr 2022 ist dies das dritte Mal, dass sich ein solches Szenario in der Sahelzone ereignet. Doch dieses Mal weigerte sich die Ecowas (die regionale Organisation, in der die westafrikanischen Staaten zusammengeschlossen sind) die neue Macht anzuerkennen, womit sie sich zum Sprachrohr und Handlanger der Großmächte Frankreich und USA machten. Der derzeitige Ecowas-Vorsitzende, der nigerianische Staatschef Bola Tinubu, kündigte an, dass unverzüglich radikale Wirtschaftssanktionen gegen Niger verhängt würden – solange, bis der von der Junta gefangen gehaltene Präsident Bazoum wieder in sein Amt eingesetzt werde. Die Ecowas stellte sogar ein Ultimatum und drohte der Junta mit einer militärischen Intervention, sollte sie dem nicht nachkommen.

Nur einen Monat später nahmen die imperialistischen Mächte und ihre Ecowas-Verbündeten eine gegenteilige Haltung ein, was ihre wahren Motive erhellt. Am Mittwoch, dem 30. August, fand in Gabun ein Staatsstreich statt. Präsident Ali Bongo, diesem eisernen Vertreter der französischen Interessen auf dem afrikanischen Kontinent, wurde gestürzt. Doch diesmal beeilte sich der neue starke Mann, der Kommandant der Präsidentengarde Oligui Nguema zu erklären: „Die inneren und äußeren Verpflichtungen des Landes werden eingehalten.“ Die imperialistischen Mächte, allen voran Frankreich, waren sich also sicher, dass ihre Interessen weiter vertreten würden. Daher beschränkten sie sich auf eine platonische Verurteilung – ein Beweis dafür, dass es bei ihrer Haltung gegenüber Niger nicht um die Verteidigung einer angeblichen Demokratie geht.

Sechzig Jahre Plünderung durch den französischen Imperialismus

Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass die Wut der Demonstranten auf Frankreich mehr als berechtigt ist. Erst wurde Niger jahrzehntelang von Frankreich als Kolonie ausgebeutet. Und auch anschließend wurde das unabhängige Niger weiterhin die gesamte Zeit schamlos vom französischen Imperialismus ausgeplündert. Dieser ließ einzig ein paar Krümel für die kleine Schicht der örtlichen Aristokratie übrig, deren Rolle darin bestand, Frankreichs Geschäfte zu erleichtern. Diese Geschichte hat das Land mit den anderen französischen Kolonien gemein.

Im Niger trägt diese Plünderung den Namen des Rohstoffs Uran und des Konzerns, der ihn unter verschiedenen Namen abgebaut hat: Cogéma, dann Areva und heute Orano.

Als Niger am 3. August 1960 unabhängig wurde, war sein Schicksal von de Gaulle und seinem Afrika-Berater Foccart besiegelt worden – unter denselben Bedingungen wie das aller afrikanischen Kolonien südlich der Sahara. Es bekam eine Flagge, eine Nationalhymne, einen Präsident, kurzum alles, was man sich unter Unabhängigkeit vorstellt. Aber in Wirklichkeit blieb es Frankreich vollkommen unterworfen. De Gaulle hatte aus den siegreichen Kämpfe des indochinesischen und algerischen Volkes gegen Frankreich gelernt. Er beschloss, die Unabhängigkeit der ehemaligen afrikanischen Kolonien selber zu organisieren, und zwar so, dass der französische Imperialismus weiterhin seine Macht dort blieb. Die damals unterzeichneten Verteidigungsabkommen legten fest, dass „die strategischen Rohstoffe vorrangig der Französischen Republik zur Verfügung stehen müssen“. Im Falle Nigers war dies das Uran, das einige Jahre zuvor entdeckt worden war. Im Falle Gabuns war es das Erdöl. In der Aïr-Region im Niger, nahe der algerischen Grenze, waren in Arlit, Akouta und Imouraren Bergwerke eröffnet worden. Die ersten beiden versorgten 60 Jahre lang die französischen Atomkraftwerke zu Preisen, die weit unter dem Marktpreis lagen. Um sie zu betreiben, hatte Areva beschlossen, gemeinsam mit dem nigrischen Staat Tochtergesellschaften zu gründen. Dies ist eine gängige Praxis bei der Ausbeutung von Rohstoffen. In Niger wie auch anderswo kam das Geld aus den staatlichen Anteilen in Wahrheit allerdings nie dem Staatshaushalt zugute, sondern floss auf die Bankkonten der zivilen und militärischen Machthaber des Landes.

Heute, nachdem die Reserven der beiden größten Minen erschöpft sind, hat Orano seine Zulieferer auf mehr Länder ausgeweitet. Mittlerweile holt der Konzern sein Uran aus Kasachstan und Kanada, auch wenn Niger noch immer Uran an Orano liefert. Die Mine in Arlit ist am Ende ihrer Betriebszeit. Sie wird Niger nur eine abscheulich hohe Krebsrate in der Bergbauregion hinterlassen. Das Uran in Niger war nämlich auch deshalb so rentabel, weil es fast gar keine Vorschriften zur nuklearen Sicherheit gab, ebenso wenig wie es Regeln für die Höhe der Löhne gab. Die Mine bei Akouta wurde bereits geschlossen. Und was das riesige Bergwerk in Imouraren betrifft, so ist der Abbau hier bis 2028 zeitweilig eingestellt (die Mine ist „unter Kokon“, wie sie es zynischerweise nennen). Derzeit testet Orano ein neues Abbauverfahren. Ob der Abbau danach wieder aufgenommen wird, hängt davon ab, wie dieser Test ausgeht und vor allem, ob der Uranpreis zu diesem Zeitpunkt als ausreichend rentabel hierfür erachtet wird.

Trotz seines Reichtums an Bodenschätzen ist Niger auch heute noch eines der ärmsten Länder der Welt.

Seit 2011 wird die Regierung in Niger aus Zivilisten gebildet, zunächst unter dem Vorsitz von Mahamadou Issoufou und ab 2021 von Mohamed Bazoum, der heute ein Gefangener der Junta ist. Für Macron war Issoufou „ein Vorzeige-Beispiel für die Demokratie“. Klar, denn für den französischen Präsidenten wird die Demokratie vor allem an der Fähigkeit gemessen wird, die Interessen der Großkonzerne zu verteidigen, und dafür besaß Issoufou in der Tat alle Eigenschaften. Bevor er in die Politik ging, war er nach einer Karriere als Direktor für Bergbau und Industrie im nigrischen Bergbauministerium zunächst Betriebsleiter und dann technischer Direktor von Somaïr, der Areva-Tochter, die die Mine in Arlit verwaltet. Sein Sohn war bis zum Staatsstreich Bazoums Minister für Erdöl und Energie.

Ein Vorbild für die Demokratie? Am 15. März 2020 ließ er die Armee eine Demonstration niederschlagen, die einen Skandal um überhöhte Rechnungen im Verteidigungsministerium anprangerte. Bei der Niederschlagung kamen drei Menschen ums Leben und die Organisatoren wurden zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Im Jahr 2021, als Mohamed Bazoum zum Wahlsieger erklärt wurde, wurden 470 der Demonstranten verhaftet, die auf das Ergebnis in Frage stellte und auf die Straße gingen.

Die demokratische Verkleidung verhüllt kaum ein sehr reales System der Korruption, das von der Bevölkerung spöttisch als PAC-System (parents, amis, connaissances – Verwandte, Freunde, Bekannte) bezeichnet wird. Der Sekretär des nigrischen Gewerkschaftsbundes prangert die prunkvollen Häuser an, „die sich Beamte mit Staatsgeldern haben bauen lassen“. „Sie haben so viel Geld, dass sie diese Villen bauen, ohne darin zu wohnen“, fügt er hinzu. Das Viertel, in dem diese Villen stehen, hat den Spitznamen „Wer hat nicht gestohlen?“.

Es ist dieses Regime, das Macron verteidigt und das die nigrische Bevölkerung anprangert. Sie tut dies, indem sie die Junta auf der Straße unterstützt und dadurch zum Ausdruck gebracht haben, dass sie sich durch den Sturz Bazoums gerächt fühlen. Nichts wäre jedoch falscher, als zu glauben, dass diejenigen, die Bazoum gestürzt haben, deswegen Freunde der Arbeiter und der Jugend wären. General Tiani und alle Offiziere, die sich um ihn geschart haben – die Chefs der Armee, der Polizei und der Gendarmerie – waren an allen Gewalttaten der letzten Jahre beteiligt. Sie haben sich in alle Korruptionsskandale verstrickt und wollen dies auch weiterhin tun. Sie wollen nicht einmal, dass die Menschen im Niger auch nur ansatzweise von den geringen Reichtümern ihres Landes profitieren können. Sie werden höchstens die Männer aus Bazoums Clan verjagen, um ihre eigenen Leute an ihre Stelle zu setzen. Und sie werden gnadenlos gegen diejenigen vorgehen, die sie daran hindern oder dies auch nur anprangern wollen. Für die nigrischen Arbeiter und die Jugend des Landes sind sie Todfeinde.

Der US-Imperialismus angesichts des Schiffbruchs der Françafrique

Niger ist kein Einzelfall. Korruption, Unterdrückung und Ausplünderung durch den Imperialismus sind das Los aller ehemaligen französischen Kolonien. Dies wurde als „Françafrique“ bezeichnet. Die französischen Präsidenten von Mitterrand bis Macron haben immer wieder das Ende der „Françafrique“ angekündigt, ohne dass sich irgendetwas geändert hätte. Dieses System bestand 60 Jahre lang. Doch seit 2016 sind es afrikanische Regierungen, die ihm ein Ende setzen wollen und sich dafür an andere Beschützer wenden.

2016 verließ die französische Armee die Zentralafrikanische Republik, wo sie angesichts der Rebellen, die den größten Teil des Landes unter Kontrolle hatten, nicht mehr weiterkam. Vergeblich hatte Präsident Touadéra, der immerhin der Mann Frankreichs im Land war, darum gebeten, dass sie bleiben. Die französische Regierung weigerte sich sogar, ihm moderne Kleinwaffen zu schicken. Touadéra wandte sich daraufhin an die russischen Wagner-Söldner, die seither für seinen Schutz sorgen. Der französische Imperialismus war von nun an eine Persona non grata in der Zentralafrikanischen Republik.

Im Mai 2021 gaben die französischen Truppen Mali auf. Die Militärjunta unter der Führung von Assimi Goïta, die die Macht übernommen hatte, ließ ihnen keine andere Wahl, als ihre Militärbasen zu verlassen und sich nach Niger zurückzuziehen. Während sich in der Hauptstadt Bamako die anti-französischen Demonstrationen häuften, traf auch dort die Wagner-Miliz ein.

Im Januar 2023 folgte Burkina Faso. Und nun Niger, das letzte Land in der Sahelzone, in das sich die französischen Truppen hatten zurückziehen können. Das sind eine Menge Verluste in kurzer Zeit.

Lange Zeit verfügte die französische Führung über ausreichende Verbindungen zu den Staatsapparaten und Armeen dieser Länder. Sie konnte auf die Hilfe der Nachbarstaaten zurückgreifen, die in Krisenfällen schnell vermitteln konnten. Ibrahim Boubacar Keïta zum Beispiel übernahm 2013 die Führung in Mali, nachdem die Dschihadisten im Norden des Landes die Macht übernommen hatten. In Burkina Faso wurde Roch Marc Christian Kaboré 2015 zum Präsidenten gewählt, ein Jahr nachdem eine Volksbewegung den Diktator Blaise Compaoré, die verhasste Seele Frankreichs in der Region gestürzt hatte. Die Übergänge waren sorgfältig von Paris gesteuert worden, das noch über die entsprechenden Mittel verfügte. Doch nun ist die Mechanik, die über ein halbes Jahrhundert lang so gut funktioniert hatte, aus den Fugen geraten. Das Militär, das die einzige wirkliche Macht darstellt, stützt sich lieber auf die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung, vor allem der Jugend, um die alten Herren zu stürzen und sich selbst an die Spitze dieser Länder zu setzen.

Dieses Gefühl von Empörung und Auflehnung gegen die ehemalige Kolonialmacht, die sich das Militär zu Nutze macht, kommt in allen ehemaligen französischen Kolonien stark zum Ausdruck. In den vom dschihadistischen Terror heimgesuchten Ländern Mali und Burkina Faso wurde der Bevölkerung schnell klar, dass die französische Armee nicht da war, um sie zu verteidigen. Sie konnten sehen, dass diese mit aller Macht korrupte Regime unterstützte und die Übergriffe der örtlichen Armeen verschwieg. Dass sie sich mitschuldig machte bei der Politik, die darin bestand, Selbstverteidigungs-Milizen auf ethnischer Basis aufzubauen und so blutige Auseinandersetzungen mit heraufbeschwor. Und dass auch zahlreiche Zivilisten Opfer der Barkhane-Männer wurden.

Aber auch in Ländern, die bislang weniger im Visier der Dschihadisten sind, wie in der Elfenbeinküste oder dem Senegal, kommt diese antifranzösische Stimmung stark zum Ausdruck. Dies gilt beispielsweise für die Anhänger des inhaftierten Oppositionspolitikers Ousmane Sonko im Senegal. Als es 2021 anlässlich seiner ersten Verhaftung zu Demonstrationen kam, wurden Geschäfte mit den Firmenschildern von französischen Firmen wie Total, Orange, Eiffage und Auchan geplündert. Und wie sollte es auch anders sein, wenn das Leben für die Bevölkerung immer schwerer wird, wenn die Preise explodieren, man sich keine Wohnung mehr leisten kann – und es offensichtlich ist, dass die wahren Herrscher dieser Wirtschaft die großen internationalen und vor allem französischen Konzerne sind?

Im Senegal verlieren die Fischer ihren bisherigen Lebensunterhalt, weil ihre Küsten, die einst zu den fischreichsten der Welt gehörten, von riesigen Trawlern leergefischt wurden, die von internationalen Abkommen profitieren. Und wenn sie sich, ihres Lebensunterhalts beraubt, für die Auswanderung entscheiden, stoßen sie auf Hindernisse, die ihnen von denselben europäischen Großmächten in den Weg gelegt werden, die sie vorher ruiniert haben. Manche lassen bei dem Versuch auszuwandern ihr Leben. Die Führer dieser Länder haben also allen Grund zu befürchten, dass die Epidemie der anti-französischen Staatsstreiche nicht mit Niger enden wird.

Der Zusammenbruch der „Françafrique“ hinterlässt in der Sahelzone ein Vakuum, und dieses Vakuum wird derzeit von Wagners russischen Söldnern ausgefüllt. Dies ist natürlich ein Problem für die USA. Die US-Führung hat keinen Grund, sich von ihren französischen Verbündeten, die gleichzeitig ihre Rivalen sind, mit in den Abgrund reißen zu lassen. Dies zeigt sich auch an ihrer etwas unterschiedlichen Haltungen in Niger. Paris drängt auf eine schnellstmögliche militärische Intervention der Ecowas, da es alles zu verlieren hat, wenn die Junta an der Macht bleibt. Die USA hingegen sprechen sich für Verhandlungen aus. Sie haben im nigrischen Agadez einen Stützpunkt mit 1.000 Soldaten, der ideal gelegen ist, um mit ihren Drohnen einen ganzen Teil Afrikas zu überwachen. Eine US-Diplomatin, Victoria Nuland, reiste nach Niamey, um mit dem Stabschef der Junta zu sprechen, der übrigens in den USA ausgebildet wurde. Bisher hat das regierende nigrische Militär nicht den Abzug der US-Truppen gefordert, auch wenn es in Agadez zu feindseligen Demonstrationen gekommen ist. Wenn sich die Dinge regeln würden, selbst um den Preis der Vertreibung der französischen Militärs, würden die USA darin wahrscheinlich nur Gutes sehen. Sie sind jedenfalls zu allem bereit, um die Ankunft von Wagner-Söldnern zu verhindern. In der Zentralafrikanischen Republik boten die USA im Dezember 2022 Präsident Touadéra politische und sicherheitspolitische Unterstützung an, wenn er sich im Gegenzug dazu verpflichtete, mit Wagner zu brechen und nur mit offiziellen Armeen zu arbeiten, in diesem Fall mit der ruandischen Armee, die ohnehin bereits stark im Land vertreten ist.

Heute, nach dem Tod von Prigogine und Wagners Generalsstab, ist die Zukunft dieser Söldnergruppe ungewiss. Aber zu den „guten Dingen“, die Putin Prigogine zu verdanken hat, gehört natürlich die Entwicklung des russischen Einflusses in vielen Ländern Afrikas. Und die USA sind entschlossen, diesem Einfluss ein Ende zu bereiten. Der aktuelle Konflikt in Niger steht in engem Zusammenhang damit. Er ist ein weiterer Krieg, zusätzlich zu dem, den die USA und die imperialistischen Länder – mittels der ukrainischen Soldaten – in der Ukraine gegen Russland führen.

Elend und Krieg für die Bevölkerung

Am Tag nach dem Putsch in Niger reagierte die Ecowas ungewöhnlich schnell. Ihr Vorsitzender, der nigerianische Staatschef Bola Tinubu, verurteilte den Putsch nicht nur, was üblich ist, sondern setzte auch Wirtschaftssanktionen gegen Niger in Kraft, darunter die Schließung der Grenzen und die Aussetzung von Finanztransaktionen. Ecowas drohte mit einer militärischen Intervention und ergriff Maßnahmen, damit diese auch in die Tat umgesetzt werden konnte.

Es ist heute unmöglich zu sagen, ob dieser Krieg, der eine weitere Katastrophe für Afrika darstellen würde, jemals ausbrechen wird. Die Elfenbeinküste, Benin, Senegal und in erster Linie Nigeria würden die Truppen stellen. Der Präsident der Elfenbeinküste, Alassane Ouattara, erwies sich als besonders kriegslüstern, als er am 10. August nach seiner Rückkehr von einem Ecowas-Treffen eine schnelle Intervention forderte. Er selbst verdankt seinen Aufstieg zum Präsidenten 2011 nur dem Eingreifen der französischen Armee. Und vielleicht denkt er sich, dass die Situation in Niger die Armee der Elfenbeinküste, die 2017 gemeutert hatte, auf Ideen bringen könnte.

Auf der anderen Seite haben Mali und Burkina Faso erklärt, dass sie jede Militäroperation gegen Niger als Kriegserklärung auch gegen sie betrachten würden, und die nigrische Militärjunta hat ihnen die Erlaubnis erteilt, auf ihrem Territorium militärisch zu intervenieren. Generalstabssitzungen, die das Vorgehen der verschiedenen Ecowas-Armeen koordinieren sollen, folgten aufeinander, ebenso wie Vermittlungsversuche. Der Tschad hat sich gegen jegliche militärische Intervention ausgesprochen. Sein Präsident, Mahamat Idriss Déby, spielt heute die Rolle des Vermittlers – er, dessen einziges Verdienst in Sachen Demokratie darin besteht, dass er der Sohn seines Vaters ist und von Emmanuel Macron inthronisiert wurde. Algerien interveniert ebenfalls, um eine militärische Intervention zu verhindern, die seine Grenzen zu Niger destabilisieren würde. Und diese Aussicht auf Destabilisierung beunruhigt auch in Europa insbesondere Italien, da Niger von der Europäischen Union finanziert wird, um mitten in der Wüste Migranten aus ganz Afrika auf ihrem Weg zu den Mittelmeerküsten aufzuhalten.

Die Bevölkerung als Opfer

Doch allein die Wirtschaftssanktionen sind ein Drama für die Bevölkerung. Niger ist ein Binnenstaat, der keinen Zugang zum Meer hat und dessen Versorgung vollständig von seinen Nachbarn abhängig ist. Es ist ein armes Land, ein Land der Hungersnöte, das zu einem großen Teil aus Wüste besteht und das sich in keiner Weise selbst versorgen kann. Viele Waren gelangen nach Niger über den Hafen von Cotonou in Benin. Doch dessen Grenze sind nun geschlossen. Die Lebensmittel, die auf dem Markt in der Hauptstadt Niamey verkauft werden, stammen größtenteils aus Nigeria, dessen Grenze nur wenige hundert Kilometer entfernt ist. Die Spediteure, die diese Lebensmittel früher transportiert haben, sitzen nun an der Grenze fest oder müssen lange Umwege fahren, um die Überwachung durch die nigerianische Armee zu umgehen. Die Preise für diese Waren, die ohnehin bereits ständig stiegen, explodieren dementsprechend und einige Produkte sind völlig verschwunden. Auch der Strom stammt zu 70 % aus Nigeria und kommt nun nicht mehr an. Bereits vor den Sanktionen kam es aufgrund des maroden Netzes des nigerianischen Unternehmens häufig zu Stromausfällen. Doch nun funktioniert es gar nicht mehr. Der einzige Ausweg sind Generatoren, sofern man Zugang zu ihnen hat und über den nötigen Treibstoff verfügt, um sie zu betreiben. Auch Medikamente werden nicht mehr ins Land gelassen, was in einem Land, in dem es praktisch keine Krankenhausinfrastruktur gibt und in dem viele Kinder aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung im Kindesalter sterben, dramatisch ist. Und das ist nur die Situation in der Hauptstadt. In den Dörfern ist es noch schlimmer.

Hinzu kommt, dass Niger Zehntausende Flüchtlingen beherbergt, die vor der dschihadistischen Gewalt in Mali und Nigeria geflohen sind. Diese Situation wirkt sich auf die Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenzen aus. Sowohl in Nigeria als auch in Niger verkünden die Einwohner „Wir sind ein Volk“ und ihre Trennung ist tatsächlich nur auf die Kolonialverträge zurückzuführen, die Nigeria zu einer englischen Kolonie und Niger zu französischem Territorium machten. Viele nigerianische Bauern entlang der Grenze leben vom Handel mit Niger, und oft wohnt ein Teil ihrer Familie in Niamey.

Schon jetzt treffen die Auswirkungen des Staatsstreichs in Niger und die Reaktion der Ecowas und hinter ihr der imperialistischen Großmächte die gesamte Bevölkerung auf dramatische Weise. Dies ist nicht nur die Folge der Entscheidungen einer Handvoll Generäle in Niger oder der kriegerischen Absichten ihrer Ecowas-Kollegen, sondern ist Teil des gesamten Räderwerks, das mit dem Krieg in der Ukraine in Gang gesetzt wurde. Afrika war bereits von den steigenden Lebensmittelpreisen betroffen, die einen immer größeren Teil der Bevölkerung in die Armut treiben, und diese Situation verschärft sich nun noch weiter. Heute droht ihm ein neuer Krieg, während ein großer Teil des Kontinents bereits unter dem Terror bewaffneter Banden, Dschihadisten oder anderer Gruppierungen lebt, wenn nicht sogar ein echter Krieg wie im Sudan herrscht. Das ist alles, was der Kapitalismus dem ärmsten Kontinent der Welt zu bieten hat, den er jahrhundertelang ausgeplündert hat und immer noch ausplündert, um die Aktionäre seiner Großkonzerne reicher zu machen.

10. September 2023