Die internationale Lage 2021 - Zweiter Teil (aus Lutte de Classe von Dezember 2021)

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Die internationale Lage 2021 (Zweiter Teil)
Dezember 2021

Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2021 verabschiedet

 

DIE INTERNATIONALE LAGE - 2. Teil

 

USA

Nachdem die Wirtschaft im Jahr 2020 zusammengebrochen war, preisen die Politiker, allen voran die Regierung der Demokraten, nun die Erholung der letzten Monate. Die offizielle Arbeitslosenquote ist wieder auf 4,8% zurückgegangen, was immer noch ganz offiziell 7,7 Millionen Arbeitslose bedeutet. Vor allem aber ist diese Zahl (die im Februar 2020 bei 3,5% lag) unvollständig, da ein bedeutender Teil der Arbeitenden nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt ist. Ein zuverlässigerer Indikator ist die Erwerbsquote, d. h. das Verhältnis zwischen der Zahl der Erwerbstätigen und der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter. Nach 67% Anfang der 2000er Jahre, 63,3% vor der Coronakrise, liegt sie nun bei 61,6% - ein historisch niedriger Wert. Etwa 40 Millionen Menschen haben sich aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen und melden sich gar nicht mehr arbeitslos, weil sie sowieso keinen Anspruch auf Sozialleistungen hätten, und werden daher in den Statistiken nicht mehr erfasst. Tatsächlich würde die Arbeitslosigkeit also eher bei 25% liegen. Die Arbeitslosenunterstützung, die auf dem Höhepunkt der Pandemie eingeführt wurde, wird schrittweise abgebaut, so dass die Arbeitslosen gezwungen sind, die schlechtesten Jobs anzunehmen. Und dennoch gibt es fünf Millionen Arbeitsplätze weniger im Land als vor dem Covid; dabei handelt es sich vor allem um Frauen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgestiegen sind, um zu Hause alte Eltern oder Kinder zu pflegen.

Im Gegensatz dazu sind die Aktienkurse längst wieder genauso in Form wie vor der Pandemie. Im Februar 2020 erreichte der Dow-Jones-Index 29.000 Punkte, jetzt liegt er bei über 35.000 Punkten. Die Vermögen der Kapitalisten sind mit der Pandemie explosionsartig in die Höhe geschnellt. Das Gesamtvermögen der Milliardäre ist um 70% gestiegen. 745 Milliardäre besitzen heute mehr als 3 Billionen Dollar, zwei Drittel mehr als das Gesamtvermögen der 165 Millionen Menschen, die die ärmste Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Das Vermögen von Jeff Bezos (Amazon) ist in zwei Jahren um 70% gestiegen, das von Mark Zuckerberg (Facebook) um 115% und das von Elon Musk (Tesla, Space X) um 750%. An einem einzigen Tag, dem 25. Oktober, stieg Musks Vermögen um 25 Milliarden Dollar. In den zwei Jahren Pandemie haben 90 Millionen Amerikaner ihren Arbeitsplatz verloren, 45 Millionen sind an dem Virus erkrankt und 738.000 gestorben. Die Lebenserwartung ist um anderthalb Jahre gesunken, ein Rückgang, der sicherlich in erster Linie auf Covid zurückzuführen ist, der aber die Arbeitnehmer, die Beschäftigten im Gesundheitswesen und generell die ärmsten Menschen am stärksten getroffen hat. Wie so oft verkörpern die Vereinigten Staaten den Kapitalismus in seiner chemisch reinsten Form, mit Opulenz obszönster Art auf der einen und der grausamsten Ausbeutung auf der anderen Seite.

Die Präsidentschaftswahlen vom 3. November 2020 endeten nach wochenlangen Auseinandersetzungen mit einem Sieg Bidens. Die Wahlenthaltung war geringer als sonst. Zweifellos ist es dem Kandidaten der Demokraten, der nicht einmal das Image eines Reformers hatte, sondern eher das eines alten Barons der Politik, der ebenso glatt wie loyal mit der Bourgeoisie ist, gelungen, Kapital aus dem Hass zu schlagen, den Trump in einem ganzen Teil der Wählerschaft geweckt hat. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass dieser die Basis nicht verloren hat, die es ihm 2016 ermöglichte, die führenden Persönlichkeiten der Republikaner an den Rand zu drängen und dann die Wahl gegen Hillary Clinton zu gewinnen. 2020 holte er 74 Millionen Stimmen, 11 Millionen mehr als vier Jahre zuvor. Auch wenn wir nur ein schlechtes Bild von den vorherrschenden Meinungen in der amerikanischen Arbeiterklasse haben, so ist doch sicher, dass sich ein Teil von ihnen weiterhin in Trump oder zumindest in den protektionistischen und fremdenfeindlichen Ideen, die er vertritt, wiedererkennt. Er hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen.

Der Sturm auf das Kapitol, den Sitz des Kongresses, am 6. Januar 2021 in Washington durch einige tausend aufgeheizte Aktivisten gegen die Wahlergebnisse, war zwar kein Putschversuch, aber doch eine Mahnung, nicht zu vergessen, dass es in den Vereinigten Staaten eine durchaus lebendige rechtsextreme Strömung gibt, die nicht nur am Rand der Gesellschaft existiert, sondern sich auf den bis dahin amtierenden Präsidenten stützen konnte. Diese rechtsextreme Strömung setzt Gewalt ein, und einige ihrer Aktivisten hatten sogar geplant, die Gouverneurin von Michigan zu entführen. Sie hat sich auch den Widerstand gegen Ausgangssperren, Ladenschließungen, Masken und Impfstoffe zunutze gemacht. Vorläufig wollen weder die Großbourgeoisie noch die oberen Etagen des Staatsapparats auf diese, dem Rassismus, Verschwörungstheorien oder dem Faschismus verschriebene Bewegung zurückgreifen. Aber diese Kräfte bereiten sich vor, stehen in Reserve und drängen die amerikanische Politik nach rechts. Mit anderen Worten: Bidens Sieg ist kein Zeichen für eine Verschiebung der amerikanischen Meinung nach links.

Nach seinen vagen Versprechungen setzt sich nun die Kontinuität mit Trump durch. Bidens Konjunkturpakete werden nach und nach von allem befreit, was den arbeitenden Menschen zugute kam (Unterstützung für Familien, Krankenversicherung, kostenlose Hochschulbildung). Die Unternehmenssteuern werden nicht auf den Stand vor Trump zurückgeführt werden. Das Versprechen eines bundesweiten Mindestlohns von 15 Dollar pro Stunde wird nicht eingehalten, und die Inflation, die jetzt offiziell bei über 5% liegt, nagt Tag für Tag an der Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung. Die Gewalttaten der Polizei, insbesondere die Ermordung von Schwarzen, gehen ungestraft weiter. Das Recht der Frauen auf Abtreibung wird immer stärker bedroht, wie die Maßnahmen in Texas gegen das Recht auf Abtreibung zeigen. Migranten werden von der Regierung Biden ebenso schlecht behandelt wie von der Regierung Trump, wie die jüngste Abschiebung Tausender Haitianer gezeigt hat. Der linke Flügel der Demokratischen Partei (Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez ...), der für Biden geworben und behauptet hat, ihn nach links zu ziehen, steht mit leeren Händen da. Auf solche Schaumschläger können die Arbeitenden nicht bauen.

In den letzten Wochen wurde in den Medien ungewöhnlich oft über Streiks berichtet. Beim Landmaschinenhersteller John Deere streiken 10.000 Beschäftigte in 14 Fabriken und Lagern für ihre Löhne; es handelt sich um den größten Streik bei einem Privatunternehmen seit dem Streik bei General Motors im Jahr 2019. Bei Kellogg's streiken 1.400 Beschäftigte in vier Werken, wo Frühstücksflocken hergestellt werden. 2.000 Krankenhausmitarbeiter streiken in Buffalo, um gegen Personalmangel und Arbeitsbedingungen zu protestieren. Das Ausmaß dieser Streiks sollte nicht überbewertet werden, sie sind weniger zahlreich als 2018 oder 2019. Sie finden zu einer Zeit statt, in der die Arbeitsverträge neu verhandelt werden, und betreffen bisher nur einen sehr kleinen Teil der Arbeiterklasse. Aber die Tatsache, dass Arbeitende sich weigern, die Aktionäre übertrieben zu bereichern, während ihr eigener Lebensstandard unter den Angriffen der Bosse sinkt, ist erfreulich. In diesem Land, in dem es angeblich keinen Klassenkampf mehr gibt, besteht die einzige Perspektive für die amerikanischen Arbeiter darin, zu eben diesem Klassenkampf zurückzufinden.

                                                                                                                                             

                                                                                                                                                              China

Die Gesundheitskrise in Verbindung mit der Wirtschaftskrise hat die chinesische Wirtschaft schwer getroffen. Wir wissen weder viel über die sozialen Auswirkungen der Krise noch darüber, wie sie sich auf die verschiedenen sozialen Schichten ausgewirkt hat, geschweige denn darüber, wie diese darauf reagieren.

Die Informationen aus China sind spärlich, aber im Zuge des drohenden Konkurses des Immobilienriesen Evergrande, fällt ein wenig Licht auf die Realität, die sich dahinter verbirgt. Zahlreiche Baustellen sind der Immobilienspekulation zum Opfer gefallen und wurden geschlossen, manchmal handelt es sich dabei um ganze Städte, die sich in Geisterstädte verwandeln, bevor sie überhaupt eine Chance hatten zu existieren. Man kann sich die Zahl der Entlassungen in der Bauindustrie, das Ausmaß der daraus resultierenden Arbeitslosigkeit und der Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse vorstellen. Die Höhe der Verluste geben auch eine kleine Vorstellung von der Bereicherung im Zuge der Immobilienspekulation.

Reine Vorstellungskraft genügt jedoch nicht, um ein Bild davon zu bekommen, was die Arbeiter dieses Landes empfinden, wenn sie die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen mit den Milliarden vergleichen, um die es für die Bourgeoisie und die verschiedenen Kreise an der Spitze der Macht geht.

Zwar kann die Diktatur mögliche Reaktionen der Arbeiterklasse unterdrücken und vor allem verhindern, dass diese bekannt werden, aber eine soziale Explosion, sollte eine solche stattfinden, wird sie nicht verhindern können.

Die westliche bürgerliche Presse macht viel Aufhebens um die autoritäre Entwicklung des chinesischen Regimes. Sie stützt ihre Behauptungen auf Tatsachen, die sogar von außen sichtbar sind, wie die Unterdrückung der uighurischen oder tibetischen Bevölkerung und die zunehmende Macht von Xi Jinping, der praktisch zum Präsidenten Chinas auf Lebenszeit geworden ist.

Auf sozialer Ebene betreffen die am häufigsten genannten Beispiele jedoch die Reaktionen der Staatsmacht gegen große Unternehmen, die mehr oder weniger mit dem Staat verbunden sind, und gegen ihre Leiter, egal ob es sich dabei um Würdenträger des Staates oder sogar der so genannten Kommunistischen Partei handelt oder ob sie sich emanzipiert haben und waschechte Bourgeois geworden sind. Wir erwähnen hier nur die Machtkämpfe mit Alibaba, dem chinesischen Äquivalent zu Amazon, mit Jack Ma, seinem Vorsitzenden, oder Guo Guangchang, dem „chinesischen Warren Buffet“, Chef von Fosun.

Mehrere andere „Neureiche“ sind gefallen, einige verschwanden für eine Weile, andere wurden zum Schweigen gebracht. Ein gewisser Dun Dawu, Leiter eines Agrarkonglomerats, verurteilt zu 18 Jahren Gefängnis. Ein anderer, Laï Xiamin, Chef des Finanzkonglomerats China Huarong, zum Tode verurteilt.

Die Art und Weise, wie die Behörden gegen ihre eigenen Würdenträger vorgehen, von denen jeder so autoritär und korrupt ist wie der andere, sei hier nur am Rande erwähnt. Anschuldigungen von Amtsmissbrauch, Veruntreuung oder sogar Sexskandalen können von der politischen Macht in ihrem Kampf mit den Neureichen umso leichter eingesetzt werden, da sie glaubwürdig sind.

Die westliche Bourgeoisie und ihre Sprachrohre kennen jedoch die ihren, und sie verdächtigen eine Macht umso leichter des Autoritarismus, wenn sie die Reichsten angreift.

Was die einfache Bevölkerung betrifft, so war das Regime in all seinen Wandlungen von Mao über Deng Xiaoping bis Xi Jinping immer mehr als autoritär, nämlich diktatorisch.

Angesichts der Krise reagiert die chinesische Führung im Grunde wie die Führer der Großmächte, einschließlich der Imperialisten, indem sie den Etatismus stärkt. Allerdings sind dem Etatismus in den alten Industriemächten viel engere Grenzen gesetzt als in China.

In den großen imperialistischen Ländern wird der Interventionismus des Staates durch die Tatsache begrenzt, dass er sich mit einer alten, gut etablierten, soliden Bourgeoisie konfrontiert sieht, die es gewohnt ist, den Staat zu ihren Diensten zu haben und die über die Mittel verfügt, dies durchzusetzen. Das ist in China nicht der Fall. Die Generationen von Deng Xiaoping und Xi Jinping profitieren von Maos Erbe, genauer gesagt von dem Bauernaufstand, der ihn an die Macht brachte, indem er es ihm ermöglichte, einen mächtigen Staatsapparat zu schaffen, der sich dem tagtäglichen Druck seitens der nationalen Bourgeoisie von Anfang an entziehen und den imperialistischen Versuchen, ihn zu unterwerfen, jahrzehntelang widerstehen konnte.

Im Laufe der Zeit hat das chinesische Regime, das sich dabei weiterhin als kommunistisch bezeichnet, dem ungezügelten Kapitalismus freien Lauf gelassen. Eine neue Bourgeoisie, die der alten Bourgeoisie vor Maos Zeit oder dem Staatsapparat oder sogar den oberen Rängen der so genannten Kommunistischen Partei entsprungen ist, hat sich dies zunutze gemacht, um Geschäfte zu machen und sich zu bereichern.

Aber der chinesische Staat hat immer genug Macht behalten, um „seine“ Bourgeois weitgehend zu kontrollieren, zumindest genug, um sie daran zu hindern, den Staatsapparat selbst zu zerstören. Die Verhärtung des Regimes ist Teil dieses Kampfes innerhalb der herrschenden Klasse.

Als Negativbeispiel diente der chinesischen Führung der Präzedenzfall der ehemaligen Sowjetunion, zumindest der Jelzin-Periode. Jelzins Politik, die in der UdSSR auf die Perestroika folgte, und die darin bestand, die Bürokraten dazu zu ermutigen, reich zu werden, und die Reichen dazu, zu einer Bourgeoisie zu werden, hat zum Zerfall der Sowjetunion und zur Schwächung des Staates geführt. Erst Putin und sein Bestreben, den „vertikalen Staat“ wiederherzustellen, haben diese Entwicklung gestoppt.

Die chinesische Regierung fördert zwar den Wettlauf um die Bereicherung, will aber nicht, dass diese Bereicherung zu einer Schwächung des Zentralstaates führt. Die Erinnerung an ein von Kriegsherren gespaltenes China, das damit der Gnade konkurrierender imperialistischer Mächte ausgeliefert war, liegt noch nicht lange genug zurück, als dass die derzeitige Führung eine moderne Version dieser Situation wünschen könnte. Welchen Erfolg wird sie dabeihaben?

Die Gefahr ist umso größer, als die chinesische Regierung in ihrem Wettlauf um die Teilhabe an der kapitalistischen Welt, ihren Märkten und ihren Institutionen dem Imperialismus ständig neue Waffen liefert, die dieser gegen sie wenden kann.

In einem Artikel in Le Monde diplomatique (November 2021) wird beschrieben, wie [die Regierung] „die auf den begrenzten Patriotismus und den unbegrenzten Appetit internationaler Konzerne setzt, Hindernisse beseitigte, die den Zugang zu bestimmten Marktsegmenten des inländischen Kapitals blockierten, und großen US-Konzernen Lizenzen für den Betrieb von hundertprozentigen oder mehrheitlich in ihrem Besitz befindlichen Tochtergesellschaften auf spezialisierten Märkten (Vermögensverwaltung, Prämien, Anleiheemissionen, Versicherungen, Ratings usw.) erteilte.“ So mächtige Finanzkonzerne wie Goldman Sachs, BlackRock, JPMorgan Chase, Citibank und noch einige mehr von der Sorte haben davon profitiert. So sehr, dass die amerikanische Zeitschrift Global Times schrieb: „China öffnet sich, während die USA sich abschotten.“

In demselben Artikel heißt es, dass aufgrund dieser Lizenzen, die den großen amerikanischen Konzernen erteilt wurden, „während der Präsidentschaft von Donald Trump insgesamt 620 Milliarden US-Dollar nach China geflossen sind. Dazu kommen Dutzende von Börsengängen chinesischer Unternehmen an US-Börsen. Ende 2019 hielten US-Investoren mindestens 813 Milliarden Dollar in chinesischen Aktien und Anleihen, gegenüber 368 Milliarden Dollar im Jahr 2016. Heute läge diese Summe bei einer Billion.“

In diesem Artikel wird immer noch zu Recht festgestellt, dass „Chinas Aufstieg durch eine kontrollierte Integration in den Weltmarkt ermöglicht wurde.“

Für die Vergangenheit ist das zweifellos der Fall. Das ist aber keine Garantie für die Zukunft. China befindet sich im Wettlauf um die Integration in den kapitalistischen Weltmarkt. Aber dieser Markt wird vom Imperialismus beherrscht, allen voran vom amerikanischen. Die Finanzmacht des amerikanischen Imperialismus, die sich mit einer chinesischen nationalen Bourgeoisie verbündet, die im Moment mehr oder weniger unter Kontrolle steht, stellt ein außerordentlich starkes Gärungsmittel dar, das den Zerfall beschleunigen kann. Die Bildung regionaler Baronien innerhalb des Staatsapparates könnten erste Anzeichen dafür sein.

Der Maoismus vertrat zu keinem Zeitpunkt die Interessen des Proletariats oder der proletarischen Revolution. Er verkörperte die nationale Revolution - d. h. die Interessen der Bourgeoisie -, die mit der Unterstützung der Bauernschaft durchgeführt wurde. Aber es gelang ihm trotz aller Widrigkeiten, einen chinesischen Nationalstaat aufrechtzuerhalten, der der politischen Herrschaft des Imperialismus widerstehen konnte. Mao war in der Lage, die militärische Bedrohung in den Griff zu bekommen. Aber das Eindringen des Imperialismus, selbst in der friedlichen Form von Kapitalinvestitionen, kann die Errungenschaften des nationalen Befreiungskriegs, dessen Symbol Mao und der Maoismus waren, zunichte machen.

Die Zukunft Chinas entscheidet sich in Wirklichkeit im Klassenkampf zwischen dem chinesischen Proletariat und der Bourgeoisie, sowohl der nationalen als auch der imperialistischen. Die Gesetze des Klassenkampfes sind mächtiger als der Wille der chinesischen Führung. Wenn die imperialistische Bourgeoisie weiterhin die Welt beherrscht, ist nicht gesagt, dass die Errungenschaften der chinesischen nationalen Revolution von 1948-49, und vor allem die Befreiung des Landes von der direkten politischen Herrschaft des Imperialismus sowie die Einheit des Landes, bewahrt werden können. Im Moment ist kein Eingreifen des chinesischen Proletariats auf dem politischen Terrain sichtbar und fehlt vielleicht ganz. Aber dies ist die einzige Alternative zu der Zukunft, die der Imperialismus für China bereithält.

 

Die ehemalige UdSSR

Wie sieht es dreißig Jahre nach der Implosion der Sowjetunion im Dezember 1991, die durch Machtkämpfe an der Spitze der poststalinistischen Bürokratie, den wirtschaftlichen Zusammenbruch und ein immenses soziopolitisches Chaos verursacht wurde, in den Staaten, die aus dem Zerfall der UdSSR hervorgegangen sind, aus?

Mit Ausnahme der baltischen Republiken (Estland, Lettland, Litauen), drei kleine Länder, die dem Schicksal der übrigen UdSSR nur dadurch entgangen sind, dass sie als arme und entfernte Verwandte der imperialistischen Großmächte in die Europäische Union integriert wurden, ist die überwiegende Mehrheit der am Ende der UdSSR entstandenen Staaten nach wie vor von chronischer Instabilität geprägt. Den Hintergrund bilden gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rückschritt, explodierende Armut und die Errichtung autoritärer, wenn nicht gar offen diktatorischer Regimes, Garanten für die Raubwirtschaft - von der natürlich ihre jeweiligen Führer profitieren, aber letztlich noch mehr die großen kapitalistischen Konzerne, die die Weltwirtschaft beherrschen.

In der Ukraine, Moldawien, Armenien, Georgien, Aserbaidschan und im ehemaligen sowjetischen Zentralasien äußert sich diese Instabilität vor allem in der Dauerhaftigkeit von teils latenten, teils offenen Konflikten zwischen Nachbarstaaten und innerhalb der einzelnen Staaten, in denen antagonistische Kräfte wirken - mit dem verschärften Chauvinismus der Vertreter von Regimes, die als unabhängige Entitäten auf die internationale Bühne getreten sind, und dem Separatismus von nationalen Minderheiten, die von der Zentralmacht unterdrückt werden.

Russland, das mächtigste und am weitesten entwickelte Land der ehemaligen UdSSR, hat das Chaos des ersten postsowjetischen Jahrzehnts nur überwunden, indem es die „vertikale Macht“, die Putin so sehr am Herzen liegt, wiederhergestellt hat, und dies indem der Kreml die Kaste, die den Staat leitet, wieder an die Kandare genommen hat. Die großen russischen Staatsapparate waren nämlich zu der Überzeugung gelangt, dass dies eine wesentliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Ordnung ist, die ihre Bereicherung, ihre Stellung und ihre Privilegien sowie die der aus ihren Reihen hervorgegangenen Bourgeoisie sicherstellt.

Das hat Russland einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung beschert, bis die Auswirkungen der globalen Finanzkrise von 2008 und die anschließende Verschärfung der allgemeinen Krise der kapitalistischen Wirtschaft das untergruben, was zum zentralen Pfeiler der Wirtschaft und der Bereicherung der Bürokratie in Russland geworden war: der Export seiner Rohstoffe, in erster Linie Energieressourcen.

Um die Schrumpfung ihrer Einnahmen und damit die regelmäßige Einnahmequelle, die Millionen von Bürokraten nährt, zu bewältigen, hat sich die Regierung gegen die Bevölkerung gewandt. Sie hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen (u. a. eine drastische Senkung des Renteneintrittsalters), die dazu geführt haben, dass heute fast 20 Millionen Russen (jeder siebte) unterhalb der Armutsgrenze leben, und die realen Arbeitseinkommen seit 2013 um 10% gesunken sind.

Daraus erklärt sich die ablehnende Stimmung gegen die Regierung, die zwar abgesehen von den Demonstrationen im Jahr 2018 gegen die Angriffe der Regierung auf die Renten, im Allgemeinen passiv bleibt, aber zunimmt.

Das Misstrauen der Arbeiterklasse gegenüber dem Staat und allem was von ihm ausgeht, zeigt sich in der sehr niedrigen Impfquote (30%), trotz einer Rekordzahl von Todesfällen in Europa und trotz der Sanktionen (in der Regel Entlassung), die gegen widerspenstige Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor, aber auch in verschiedenen Wirtschaftszweigen in privater Hand, wie der Automobilindustrie, verhängt werden.

Die Parlamentswahlen im September spiegelten diese Missbilligung gegenüber der Regierung auf ihre Weise wider. Zwar hat der Kreml mittels seiner üblichen Manöver und Fälschungen der Wahlergebnisse die Wahl letztlich gewonnen, aber er kann dies kaum als Unterstützung seiner Politik durch die Bevölkerung darstellen, denn die Wahlenthaltung war, selbst nach offiziellen Angaben, massiver als bei früheren Wahlen, insbesondere in der Arbeiterklasse, soweit wir das beurteilen können.

Des Weiteren behält die Kremlpartei Einiges Russland zwar die absolute Mehrheit in der Duma, hat aber 20 Sitze verloren, hauptsächlich an die Kommunistische Partei (KPRF). In Ermangelung von etwas Besserem haben die oft jungen Wähler der einfachen Bevölkerung ihre Stimme der KPRF gegeben, um ihre Ablehnung gegen die Regierung zum Ausdruck zu bringen, auch wenn diese Partei als Opposition seiner Majestät am Regime beteiligt ist. Anders als bei früheren Wahlen profitierte die „liberale“ prowestliche Opposition, die durch Alexei Nawalny verkörpert wird, diesmal nicht von der von ihr propagierten „intelligenten Wahlstimme“ („alles außer Putin“).

Nawalny wurde vor Kurzem vom Europäischen Parlament mit dem Sacharow-Preis 2021 ausgezeichnet. Mit diesem Preis wird ein bekannter Gegner ausgezeichnet, den die Behörden nach einem Versuch, ihn zu vergiften, ins Gefängnis geworfen haben, weil er mit seiner Anprangerung der Schandtaten des Regimes große Teile des kleinen und mittleren Bürgertums hinters sich vereint. Nicht erst seit gestern haben die führenden Politiker und Medien der kapitalistischen Welt diesen Anwalt, der sich als Verkünder eines von der Vormundschaft der Bürokraten befreiten Kapitalismus präsentiert, logischerweise zum Oppositionsführer Nummer Eins gegen Putin erkoren. Und die Tatsache, dass er seine politische Karriere mit monarchistischen, ultranationalistischen und fremdenfeindlichen Ideen begann, stört seine westlichen Lobredner offenbar nicht.

Hingegen macht dies die Strömung, die sich in Nawalny wiedererkennt, ungeachtet des körperlichen Muts desselben, zu einem entschiedenen Gegner der Arbeitenden und ihrer Klasseninteressen. Auch wenn der eine wegen des anderen im Gefängnis sitzt, das haben er und Putin mitsamt seinem Regime gemeinsam. Ein Punkt, über den die revolutionären Kommunisten in Russland die Arbeiter aufklären müssen, und dies umso mehr, als zu hoffen ist, dass die bisher passive soziale Unzufriedenheit aktiv werden wird.

 

Maghreb, Naher und Mittlerer Osten

Vom Nahen und Mittleren Osten bis zum Maghreb verschlimmern die Wirtschaftskrise und die Folgen von Pandemien und oft auch von Kriegen die Situation in den meisten Ländern weiter und verlangen den Menschen einen immer höheren Preis ab.

In Tunesien, dem Land, das als das einzige präsentiert wird, in dem der „Arabische Frühling“ von 2011 mit der Errichtung eines demokratischen Regimes endete, hat der Präsident Kais Saied die Verfassung - im Prinzip vorübergehend -außerkraftgesetzt und begründet diese Initiative mit der Notwendigkeit, die Blockade der Institutionen zu beenden, für die er die islamistische Partei Ennahda verantwortlich macht. Zehn Jahre nach dem Ende des Regimes von Ben Ali sind die damals laut gewordenen, sozialen Bestrebungen völlig enttäuscht worden, und Kais Saied versucht auf diese Weise, sich als Retter zu präsentieren, der der Unbeweglichkeit des Systems ein Ende setzen und das Land aus der Sackgasse herausführen könnte. Seine Initiative scheint zunächst auf Zustimmung in der Bevölkerung zu stoßen, markiert aber dennoch einen Schritt hin zu einem autoritäreren Regime.

Es sei daran erinnert, dass in Ägypten, dem zweiten Land, das 2011 vom „Arabischen Frühling“ betroffen war, der Militärputsch vom Juni 2013, durch den der gewählte Präsident Morsi, ein Mitglied der Muslimbruderschaft, abgesetzt wurde, ebenfalls breite Unterstützung in der Bevölkerung gefunden hat, insbesondere bei linken Parteien. Doch wenn General El Sissi zunächst die Proteste der Mursi-Anhänger blutig niederschlug, wandte er sich anschließend gegen andere Oppositionelle und gegen die Arbeiter, und errichtete eine Diktatur, die der von Mubarak, die durch die Demonstrationen Anfang 2011 beendet werden konnte, in nichts nachsteht. In Tunesien könnte die Entscheidung von Kais Saied der Beginn einer ähnlichen Entwicklung sein.

In Algerien sind die Massenmobilisierungen der Hirak-Bewegung, die im Februar 2019 aus Protest gegen die fünfte Präsidentschaftskandidatur von Bouteflika ins Leben gerufen wurde, verebbt und wurden 2021 nicht wieder aufgenommen. Nach einer schwierigen Wahl Ende 2020 hat der neue Präsident Abdelmadjid Tebboune damit begonnen, die Ordnung wieder herzustellen. Es gab bereits Verhaftungen und Verurteilungen von Oppositionellen aber auch Freilassungen von politischen Würdenträgern und Geschäftsleuten, die als Antwort auf die Forderungen der Straße verhaftet worden waren. Die soziale Unzufriedenheit ist jedoch nach wie vor spürbar, insbesondere in der Arbeiterklasse, die nun einen hohen Preis für den wirtschaftlichen Abschwung und die steigende Inflation zahlt.

In Algerien, Tunesien und Ägypten ist der militärische oder zivile Bonapartismus die Antwort der herrschenden Klassen auf die Krise und ihre Unfähigkeit, die Hoffnung der Massen, dem Elend zu entkommen, zu erfüllen. In Marokko erfüllt die Monarchie die gleiche Rolle.

Im Libanon nimmt die Wirtschaftskrise dramatische Formen an. Die Folgen der Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 haben den Generalbankrott noch beschleunigt. Die herrschenden Klassen haben ihr Kapital außerhalb des Landes untergebracht und damit den Verfall der Währung und die Verarmung der großen Mehrheit der Bevölkerung beschleunigt. Davon betroffen ist auch das Kleinbürgertum, das bisher einen für die Region relativ hohen Lebensstandard genoss und nun mit sehr beschränkten Mitteln überleben muss. Die demagogischen Appelle von Macron, der die mit dem Imperialismus vollkommen verbundene, politische Klasse des Libanons dazu aufrief, „sich zu reformieren“, haben erwartungsgemäß nur dazu geführt, dass eine Regierung eingesetzt wurde, die bereit ist, die Ausschweifungen ihrer Vorgänger fortzusetzen. Die internationalen Gelder, die unter dem Vorwand „Hilfe für den Libanon“ freigegeben wurden, werden nichts anderes bewirken, als es derselben herrschenden Klasse zu ermöglichen, sich weiter zu bereichern, ohne die Bedürfnisse der Bevölkerung auch nur im Geringsten zu berücksichtigen

In der Türkei wütet weiter die Wirtschaftskrise, was zu einem rapiden Rückgang des Lebensstandards der Bevölkerung führt. Erdogans Regime hält sich nur mittels Repression und permanenten Säuberungen bis hinein in den Staatsapparat an der Macht. Noch ernster ist die Krise im Iran, wo die von den USA verhängten Sanktionen die generelleren Ursachen noch verschärfen. In Ländern, die durch Kriege dauerhaft zerstört wurden, wie Syrien, Irak und Libyen, gibt es keine Anzeichen für eine echte Stabilisierung oder den Beginn eines echten Wiederaufbaus. Im Jemen schließlich geht der von Saudi-Arabien geführte und von den imperialistischen Mächten unterstützte Krieg gegen die Huthi-Rebellen weiter, und die Folgen für die Bevölkerung werden bereits jetzt als eine der schlimmsten humanitären Katastrophen bezeichnet.

In Israel, wo rechte und rechtsextreme Regierungen alles darangesetzt haben, die Menschen vergessen zu lassen, dass es ein palästinensisches Problem gibt, ist eben jenes im Mai erneut mit Jugenddemonstrationen explodiert, denen sich auch israelische Araber anschlossen. Die Koalition, die an die Stelle von Netanjahu getreten ist, hat es dem Vorsitzenden einer rechtsextremen Partei, Nafiahi Bennett, ermöglicht, den Posten des Premierministers zu besetzen. Die Fortsetzung der Siedlungspolitik und das Erstarken der nationalistischen und rassistischen extremen Rechten bedroht nicht nur die Palästinenser, sondern die gesamte israelische Gesellschaft. Die Hamas ihrerseits beabsichtigte mit dem Beschuss Israels, die Wut der Palästinenser zu instrumentalisieren und sich als deren einziger wahrer Vertreter präsentieren. Es liegt ebenso sehr im Interesse der israelischen Bevölkerung, diese doppelte Sackgasse zu durchbrechen, wie im Interesse der Palästinenser. Das bedeutet, mit der Politik der Kolonisierung zu brechen, mit einer Politik, die Israel zum bevorzugten Instrument der Politik des Imperialismus gemacht hat, und die Rechte der Palästinenser voll anzuerkennen.

Der Abzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan hat den Weg frei für die Wiedereinsetzung der Taliban an der Macht frei gemacht, und zwar unter dramatischen Bedingungen für den Teil der Bevölkerung, insbesondere in Kabul, für den die westliche Präsenz bessere Lebensbedingungen und die Anerkennung bestimmter Rechte, insbesondere für Frauen, bedeutete. Das war jedoch nur das allgemein sichtbare Schaufenster, der größte Teil des Landes leidet weiterhin unter Rückständigkeit und Elend, das durch die Zerstörungen der aufeinanderfolgenden Kriege noch verschlimmert wurde. Entgegen der Rhetorik, die zu ihrer Rechtfertigung verwendet wird, war die Absicht hinter der militärischen Intervention des Westens nie die Herbeiführung eines sozialen Wandels oder gar Demokratie und Frieden. Nach den Anschlägen vom September 2001 mussten die Vereinigten Staaten zeigen, dass die führende Macht der Welt einen solchen Angriff nicht unbeantwortet lassen würde. Nach zwanzig Jahren westlicher Militärpräsenz reiht sich Afghanistan in die bereits lange Liste von Ländern ein, die durch imperialistische Interventionen zerstört, ins Elend gestürzt und der Willkür unterworfen wurden. Die USA und die westlichen Mächte können mit der reaktionären politischen Macht, die sich dort etabliert hat, genauso gut leben wie mit den fundamentalistischen islamischen Regimen in Saudi-Arabien oder den Emiraten. Und es waren ja die westlichen Geheimdienste, die die Entwicklung islamistischer Gruppen in Afghanistan gefördert haben, ursprünglich um den sowjetischen Einfluss entgegenzuwirken, bis Führer wie Bin Laden sich dann gegen sie wandten. Im Grunde ist es die imperialistische Herrschaft, die nicht nur für das allgemeine Elend, sondern auch für den Erhalt von reaktionären politischen Kräften verantwortlich ist. Die imperialistischen Mächte mussten die zwar Taliban bekämpfen, aber dennoch sind die Taliban weitgehend das Ergebnis ihrer Interventionen.

Für die Völker der Region sind der Kampf gegen die bestehenden politischen Mächte in ihren verschiedenen, mehr oder weniger reaktionären Versionen und der Kampf gegen den Imperialismus und seine Herrschaft ein und dasselbe.

29. Oktober 2021