Die internationale Lage 2021: Pandemie, wirtschaftliches Chaos, bewaffnete Auseinandersetzungen, Kriegsgefahr (aus Lutte de Classe von Dezember 2021)

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Die internationale Lage 2021: Pandemie, wirtschaftliches Chaos, bewaffnete Auseinandersetzungen, Kriegsgefahr
Dezember 2021

 

 

Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2021 verabschiedet

 

Die internationale Lage 2021 (Teil 1):

Pandemie, wirtschaftliches Chaos, bewaffnete Auseinandersetzungen, Kriegsgefahr

 

Der Kapitalismus und sein Umgang mit der Pandemie

Das Chaos der krisengeschüttelten kapitalistischen Wirtschaft spiegelt sich in den internationalen Beziehungen wider und beherrscht diese.

Die Pandemie und die Art und Weise, wie die Regierungen mit ihr umgehen, veranschaulichen die immer schärfer werdenden Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.

Einerseits vernetzt die Entwicklung des Kapitalismus die Volkswirtschaften und Völker zu einem Ganzen, was die Notwendigkeit mit sich bringt, die Gesellschaft in internationalem Maßstab neu zu organisieren. Und sie bietet der Menschheit die Mittel hierzu. Andererseits kommt es sowohl in der Realität als auch im Bewusstsein zu einem nationalen Rückzug.

Auf der einen Seite haben die Fortschritte in Wissenschaft und Technik es ermöglicht, schnell Mittel zur Bekämpfung des Coronavirus zu finden; auf der anderen Seite werden diese Mittel einem Teil der Menschheit de facto verweigert.

Einerseits ist ein halbes Dutzend Pharmakonzerne in der Lage, Impfstoffe herzustellen und international zu vertreiben; andererseits verringert ihre Fähigkeit, in diesem Maßstab zu planen, ihren Wettbewerb in keiner Weise und macht ihn nicht weniger hart. Das Privateigentum an Produktionsmitteln und die Existenz von Nationalstaaten machen es zusammen unmöglich, den Impfstoff „zum Gemeingut der gesamten Menschheit“ zu machen.

Die Pandemie und das Gefühl einer gemeinsamen Bedrohung boten den Regierungen der entwickelten Länder - denjenigen, die über ein Gesundheitssystem verfügen - die Gelegenheit, eine gesamtgesellschaftliche Disziplin unter staatlicher Autorität durchzusetzen. Die Regierungen haben diese Gelegenheit in unterschiedlichem Maße ergriffen. Doch der kollektive Charakter der Bedrohung, die scheinbar alle Menschen gemeinsam traf, änderte nichts an der Klassennatur des Staates, der nach wie vor das Instrument der Bourgeoisie ist. Jeder staatliche Zwang der Bevölkerung zum Gehorsam jedoch, selbst wenn er teilweise auf Zustimmung der Bevölkerung stößt, dient grundsätzlich den Interessen der herrschenden Klasse.

Auch mit der Begründung, die Verbreitung des Virus eindämmen zu müssen, haben die Staaten die nationalen Barrieren zwischen den Völkern verstärkt. Die einen taten dies in der „weichen“ Form, indem sie das Reisen von einem Land zum anderen verboten oder zumindest erschwerten. Andere machten den Kampf gegen das Virus zu einem weiteren Vorwand unter vielen gemacht, um den Stacheldraht gegen die Migranten an ihren Landesgrenzen zu rechtfertigen.

Gibt es ein besseres Beispiel für die Widersprüche der Globalisierung unter der Ägide des Kapitalismus als die Behauptung, man könne die Pandemie durch nationale Isolation aufhalten – während dies für sie gleichzeitig unmöglich ist? Der „Krieg gegen das Virus“ selber hat nationalistisches, egoistisches Verhalten entfesselt (Impfstoffvorräte, die zum Nachteil eines anderen Landes entwendet werden, Impfstoffe, die von den einen hergestellt und von den anderen nicht anerkannt werden usw.). Vor allem aber hat er die Kluft zwischen den entwickelten, imperialistischen Ländern und den armen Ländern, in denen nur die herrschenden Schichten Zugang zu Impfstoffen haben (meist durch Reisen in die entwickelteren Länder), noch weiter vergrößert.

Gerade die wissenschaftlichen und technischen Fortschritte der Menschheit, ihre wachsende Fähigkeit, die Schäden zu ermessen, die die kapitalistische Wirtschaft, ihr Profitstreben und ihre Anarchie der Natur zufügen – gerade dies hat dazu geführt, dass sich die öffentliche Meinung der Umweltprobleme bewusst geworden ist. Es wird immer deutlicher, dass die wichtigsten dieser Probleme - von der globalen Erderwärmung bis zum Rückgang der Artenvielfalt - eine internationale Zusammenarbeit erfordern.

Selbst Naturkatastrophen erinnern die Menschheit daran, dass sie eine, unteilbare Menschheit ist und sogar Teil eines noch größeren Ganzen, nämlich der Gemeinschaft der Lebewesen. Über die menschliche Gesellschaft hinaus wird das Leben an sich durch die räuberische Form der wirtschaftlichen Organisation bedroht.

Doch während sich dieses Bewusstsein herausbildet, führt es konkret nur zu internationalen Konferenzen, die ebenso geschwätzig wie fruchtlos sind. Auch hier stellen Privateigentum und Nationalstaaten unüberwindbare Hindernisse für die Zusammenführung aller vom menschlichen Genie entwickelten Mittel dar. Sie machen es unmöglich, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, die den gemeinschaftlichen Bedürfnissen der Menschheit entsprechen.

Selbst diejenigen unter den Umweltschützern, die sich aufrichtig um die Zukunft unseres Planeten sorgen (im Unterschied zu denen, die sich nur ein grünes Etikett aufkleben, weil es ihren politischen Ambitionen dient), werden durch die Untätigkeit der Staaten entmutigt, und so beschränken sie sich am Ende darauf, an das Gewissen des Einzelnen zu appellieren. Auch dies ist letztlich eine Art, sich der notwendigen Entwicklung eines kollektiven Bewusstseins entgegenzustellen, das heißt der Bewusstwerdung der Notwendigkeit, dass die Grundlage der kapitalistischen Wirtschaft zerstört werden muss: das Privateigentum an den Produktionsmitteln und das Streben nach Profit.

Da der Kapitalismus nicht in der Lage ist, Lösungen für die Probleme der Gesellschaft zu finden, weil diese alle zwangsläufig sein fundamentales Glaubensbekenntnis – das Profitstreben – in Frage stellen würden, steigert der kriselnde Kapitalismus die Fehler seiner Gesellschaftsordnung bis ins Absurde: das Jeder-gegen-Jeden der Individuen und der Völker, das Entstehen aggressivster Formen des Nationalismus, das Gesetz des Dschungels. Was insbesondere die Herrschaft der Mächtigsten über die Schwächsten, der imperialistischen Bourgeoisie über alle Völker der Welt bedeutet.

Komplizen gegen die Völker, die gleichzeitig miteinander konkurrieren

Während die imperialistischen Mächte bei der Unterwerfung der Völker unter ihre Herrschaft Komplizen sind, sind sie ansonsten gleichzeitig Rivalen. Die jüngste U-Boot-Affäre zwischen Frankreich und Australien, genauer gesagt zwischen dem französischen Imperialismus und dem US-Imperialismus, war ein beredtes Beispiel dafür. Sie zeigt auch, dass die Beziehungen zwischen den imperialistischen Mächten auf ihrem Kräfteverhältnis untereinander beruhen, weshalb der zweitrangige französische Imperialismus sich auf symbolische Proteste beschränken muss. Die französische Regierung beklagt sich dabei nicht nur über die Stornierung eines Kaufvertrags für U-Boote im Wert von dutzenden Milliarden Euro. Mehr noch beklagt sie sich über die brutale Ankündigung eines neuen Bündnisses zwischen den USA, Australien und Großbritannien im Pazifik, das unter dem Akronym Aukus firmiert. Frankreich behauptet, mit seinen Übersee-Gebieten (Französisch-Polynesien, Neukaledonien, Wallis und Futuna) eine wichtige Rolle in den indopazifischen Angelegenheiten zu spielen. Mit der Ankündigung des neuen Bündnisses wollten die USA Frankreich zu verstehen geben, dass es nur ein Vasall ist, den die USA auch ignorieren können.

Die gleichen widersprüchlichen „Ich liebe dich – ich dich auch nicht“-Beziehungen bestehen zwischen dem US-amerikanischen und dem französischen Imperialismus in Afrika, wo sie insbesondere in den Ländern des ehemaligen französischen Kolonialreichs Verbündete und dennoch Rivalen sind. Auf der einen Seite sind sie Verbündete: Ihre Beziehungen beruhen darauf, dass die USA es gutheißen, dass Frankreich hier mit seiner Militärpräsenz die Rolle des Gendarmen übernimmt – wobei Frankreich allerdings auf die Unterstützung der USA angewiesen ist, nicht zuletzt auf deren logistische Unterstützung, um seine Truppen entsenden zu können. Auf der anderen Seite sind die beiden Imperialismen dort gleichzeitig Rivalen um Rohstoffe sowie um bestehende und zukünftige Absatzmärkte.

Ein Dokumentarfilm auf Arte spricht von einer zweiten Teilung Afrikas und spielt damit auf die erste an, die in Berlin (1884-1885) stattfand und den Kontinent zwischen den europäischen Imperialismen aufteilte. Wie bei der ersten Teilung geht es nicht nur darum, bereits geförderte Ressourcen - Uran, Öl, Eisen, seltene Erden etc. – in die Hand zu bekommen, sondern auch darum, ein Gebiet zu besetzen, um Rivalen den Zugang zu ihm zu erschweren.

Allgemeiner gesagt: Wenn es auf dem afrikanischen Kontinent immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen, zu Kriegen zwischen Ethnien oder zwischen Staaten gekommen ist, so ist dies nicht das Wiederaufleben einer fernen Vergangenheit oder eine Rückkehr zu den Stammeskriegen früherer Zeiten. Dahinter stecken direkt oder indirekt die Rivalitäten zwischen Konzernen und Imperialismen und die Machenschaften ihrer Geheimdienste. All das wird von Geheimnissen verschleiert, in erster Linie von Geschäftsgeheimnissen, die dem Kapitalismus so wertvoll sind. Die öffentliche Meinung und selbst die sogenannten informierten Kreise der Bourgeoisie kennen nur die Spitze des Eisbergs, wenn überhaupt.

Die belgische Tageszeitung Le Soir beschrieb am 24. August, wie die ruandische Armee kürzlich in Mosambik gegen bewaffnete dschihadistische Gruppen vorging, um angeblich die Ordnung dort wiederherzustellen. Was hat Ruanda in Mosambik verloren, obwohl die beiden Länder keine gemeinsame Grenze haben? Ein Teil der Antwort ist, dass die Tutsi nach dem Völkermord an ihrer Volksgruppe durch die Hutu die Macht zurückeroberten und sich eine effiziente Armee zulegten, effizienter jedenfalls als die meisten Armeen des Kontinents, deren militärische Erfahrung sich auf die Unterdrückung ihrer eigenen Völker beschränkt. Die Angriffe der dschihadistischen Gruppen wie auch der anschließende Einmarsch der ruandischen Armee folgten auf die Entdeckung eines riesigen Gasfeldes in Mosambik, bei dem der italienische Konzern Eni und der US-Konzern Anadarco den französischen Konzern Total zu verdrängen versuchen.

Welche Rolle spielten die jeweiligen Konzerne in dem Konflikt? Das wissen nur diejenigen, die in die Sache eingeweiht sind. Aber Total hat sicherlich keine Lust, die hohen Investitionen für die Förderung und Verflüssigung von Gas in einem Kriegsgebiet zu tätigen.

Europäische Imperialismen, mehr Rivalen als vereint

Was diese Ansammlung zweitrangiger Imperialismen angeht, die den ursprünglichen Kern der Europäischen Union bilden, so veranschaulicht die Geschichte ihres Zusammenlebens sowohl die Notwendigkeit einer Vereinigung, um wirtschaftlich zu überleben, als auch die Unmöglichkeit, dies vollständig zu tun.

Die politischen Führer der imperialistischen EU-Staaten träumen davon, welche wirtschaftliche Macht sie vereint innehätten, angesichts ihrer Bevölkerung, ihres Marktes und der Stärke ihrer Industrien. Ihr Traum stößt jedoch ständig auf die Realität des Wettbewerbs zwischen ihren Kapitalisten.

Die Wirtschaftskrise und ihr Auf und Ab in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen stellen das mühsam erarbeitete Gleichgewicht zwischen den rivalisierenden Mächten der Europäischen Union immer wieder in Frage. So wird zum Beispiel die komplizierte Vereinbarung zwischen diesen Ländern im Energiebereich, in der die Gewichtung von Kohle, Kernkraft, Wasserkraft, Windkraft und Solarenergie aufgeteilt wurde, durch die von den Ölkonzernen gewollte drastische Erhöhung der Gas- und Ölpreise in Frage gestellt.

Die siebenundzwanzig Länder der Europäischen Union sind gespalten. Frankreich und Spanien bilden eine Art gemeinsame Front mit dem Ziel, das europäische Strompreissystem zu reformieren, in dem - wie es in einem Medienbericht heißt – „die teuerste Technologie (Gas) den Großhandelspreis für Strom bestimmt“. Diese Position wird von Griechenland, Tschechien und Rumänien geteilt, aber von Deutschland, den Niederlanden und mehreren nördlichen EU-Ländern bekämpft, da diese „es vorziehen, dass der Markt sich selbst reguliert“.

Die Europäische Union ist also in zwei Lager gespalten, je nach ihren Energiequellen oder einfach ihren Bündnissen.

Der Krieg zwischen französischen und englischen Fischern um Jersey mag lächerlich erscheinen. Für ihre Existenz ist sie es nicht. Und vor allem ist die Entsendung eines britischen Kriegsschiffs zu den Fischgründen (auch wenn es nur darum geht, die Muskeln spielen zu lassen), bezeichnend für das angespannte Klima zwischen zwei der wichtigsten imperialistischen Mächte Europas. Dies gilt umso mehr, als der Brexit eine Reihe weiterer Folgen mit sich brachte. Einige davon, wie die Folgen für Nordirland, das aufgrund seiner Verbindungen zur Republik Irland mit einem Bein in der Europäischen Union und mit dem anderen in dem vom Brexit betroffenen Vereinigten Königreich steht, kommen der Quadratur eines Kreises gleich. Andere, wie die Meinungsverschiedenheiten darüber, wer im Ärmelkanal den Gendarmen spielen soll, um illegale Migration zu verhindern, werden mit dem Leben, bzw. Tod von Migranten ausgetragen.

Was hinter den Debatten steht, die die europäischen Institutionen spalten

Die Europäische Union hat die Unterschiede zwischen dem westlichen Teil mit seinen imperialistischen Ländern und dem ärmeren östlichen Teil nicht beseitigt. Im Gegenteil, sie hat sie sogar noch verschärft. Die deutschen, französischen, niederländischen Konzerne usw. beherrschen die Wirtschaft dieser Länder und konkurrieren dort mit den US-amerikanischen, britischen und asiatischen Konzernen. Die Herrschaft dieser Konzerne, die die Völker deutlich zu spüren bekommen, bieten einem ganzen Teil der politischen Kaste die Möglichkeit, die nationalistische Karte zu spielen, indem sie sich den europäischen Institutionen widersetzen. Wobei sie wie in Polen oder Ungarn einen guten Schuss weiterer reaktionärer und chauvinistischer Ideen hinzufügen. Die juristischen und politischen Auseinandersetzungen zwischen Polen und der EU über die Frage, ob nationale Souveränität oder EU-Recht Vorrang hätten, haben ihre Wurzeln in diesen Herrschaftsverhältnissen.

In Ungarn kann Orban umso effektiver eine migrantenfeindliche Demagogie betreiben, die er als Beweis für seine Durchsetzung der nationalen Souveränität darstellt – als angebliche Achse seines Protests gegen die „Brüsseler Bürokratie“ – als diese Demagogie von der politischen Kaste in Europa weitgehend geteilt wird. Was den Stacheldraht betrifft, mit dem er 2015 die Grenze zu Serbien abriegelte, so ahmt Polen diesen bereits durch den Bau einer Mauer an der Grenze zwischen Polen und Belarus nach. Und vergessen wir nicht, dass die von Spanien um Melilla errichtete Mauer viel früher (1996) als die von Orban errichtete Mauer entstand und dass die großen Staaten des sogenannten zivilisierten Westeuropas das Mittelmeer und den Ärmelkanal in tödliche „Barrieren“ verwandelt haben, um ihre „Festung Europa“ zu bewahren.

In diesem europäischen Osten mit seinen seit Jahrhunderten verflochtenen Völkern führt der übersteigerte Nationalismus der Regierungen zu einer verstärkten Unterdrückung nationaler Minderheiten. Die einen wurden durch die Verträge von Versailles oder Jalta zu Minderheiten gemacht, die anderen durch den Zerfall Jugoslawiens bzw. der Sowjetunion (Russen in der Ukraine oder im Baltikum, Ungarn in Rumänien, der Slowakei und Serbien, Rumänen und Ungarn in der Ukraine usw.). Diese Unterdrückung beschränkt sich im Wesentlichen auf alle möglichen Arten von Diskriminierung, insbesondere im schulischen Bereich oder bei dem Recht, die eigene Sprache als Amtssprache nutzen zu können. In manchen Fällen, insbesondere bei den Roma, kann die Unterdrückung jedoch auch sehr brutale Formen annehmen.

In dieser Region bedeutet die Vermehrung von Staaten in der Regel keine Befreiung für die Minderheiten, sondern eine Verschärfung ihrer Unterdrückung. Das Auseinanderbrechen Jugoslawiens in Schrecken und Blut hat auf schlimme Weise deutlich gemacht, wie notwendig hier eine föderale Staatsform ist mit gleichen Rechten für alle Völker, die dort leben. Eine Idee, die lange Zeit von der Arbeiterbewegung verteidigt wurde.

Die Unterdrückung von nationalen, ethnischen oder religiösen Minderheiten ist eines der grundlegenden Merkmale der vom Imperialismus beherrschten Welt. Sie kann sich in Krisenzeiten nur verschärfen.

Während sie in einer Reihe von Ländern die Minderheiten zur Emigration veranlasst (z. B. die Rohingya in Myanmar), führt sie in anderen Ländern letztlich zu einer Revolte gegen den Zentralstaat, wie in Äthiopien. Dies ist ein starker Destabilisierungsfaktor in vielen Teilen der Welt.

Destabilisierung und zerfallende Staaten

Diese Destabilisierung äußert sich ständig in einer hohen Zahl lokaler und regionaler Konflikte, in denen sich die Völker und Gemeinschaften aufreiben. Diese lokalen Konflikte führen direkt oder indirekt zum Eingreifen regionaler Mächte (Türkei, Iran, Saudi-Arabien...), die, selbst wenn sie nicht von vornherein von imperialistischen Mächten manipuliert werden, früher oder später zu deren Werkzeugen werden.

Die Wirtschaftskrise ist eine direkte Ursache für den fortschreitenden Zerfall des libanesischen Staates. Sie verschärft viele andere Kräfte des Zerfalls (darunter den dortigen institutionalisierten Konfessionalismus), die ursprünglich aufgrund der Rivalitäten zwischen dem französischen und dem britischen Imperialismus geschaffen wurden.

Diese ethnischen oder religiösen Faktoren des Zerfalls gibt es in Haiti nicht. Dort zerfällt der Staatsapparat zugunsten bewaffneter Banden, inmitten von Korruption und grenzenlosem Elend der Volksmassen. An die Stelle der offiziellen bewaffneten Bande des haitianischen Staates, also seinem Staatapparat und seiner Polizei, treten Stück für Stück private bewaffnete Banden, die von Raubzügen, Entführungen und Erpressungen leben. Und dieses ganze Drama findet nur einen Steinwurf entfernt von Florida statt – einer der Regionen, wo die Bourgeoisie der größten imperialistischen Weltmacht ihren Reichtum mit am offensichtlichsten zur Schau stellt...

Vom Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan über den Krieg im Jemen bis hin zu den gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Kriegen, die den Nahen Osten und Afrika zerreißen, stürzen lokale und regionale Konflikte einen ganzen Teil der Menschheit in Leid, Zerstörung und Tod. Diese Konflikte sind unvermeidliche Auswirkungen der imperialistischen Herrschaft über die Welt. Der Imperialismus kann mit ihnen leben. Mehr noch, er nutzt sie zur Sicherung seiner Herrschaft. Seine Konzerne profitieren von ihnen, indem sie Waffen und Munition an die herrschenden Schichten dieser Länder verkaufen. Die Korruption des lokalen politischen Personals erleichtert es den Konzernen, die Reichtümer dieser Länder in die Hände zu bekommen. Und die beherrschten Völker gegeneinander aufzuhetzen, ermöglicht es den imperialistischen Mächten, ihre Herrschaft zu festigen.

Die imperialistische Welt als Ganzes ist ein Pulverfass. Und sie ist es noch mehr in Krisenzeiten, in denen sich die bestehenden Spannungen verschärfen. Obendrein entstehen unweigerlich neue Spannungen dort, wo die unterdrückten Massen zusätzlich in noch größeres Elend getrieben werden. Man braucht sich nur anzusehen, was im Sudan passiert, während dieser Text verfasst wird.

Niemand kann vorhersagen, welcher Funke das Feuer entfachen wird. Die imperialistische Bourgeoisie rechnet nicht nur ständig damit, sie bereitet sich auch darauf vor.

Trotz des Zerfalls des Hauptfeindes Sowjetunion, der den Führern des Imperialismus als Vorwand für das ständige Wettrüsten diente, hat dieses nie aufgehört. Wie SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) berichtet, „befindet sich der internationale Waffenhandel auf dem höchsten Stand seit Ende des Kalten Krieges“. Und die imperialistischen Mächte haben auch nicht aufgehört, Bündnisse und Militärpakte zu schmieden im Hinblick auf einen künftigen Flächenbrand, den sie alle für unvermeidlich halten.

Die britische Wochenzeitung The Economist, die im Courrier International vom 24. Juni 2021 zitiert wird, widmet einen Artikel der „größten europäischen Militärmacht Frankreich, [die] sich auf die Möglichkeit eines Konflikts von hoher Intensität vorbereitet, eines Konfliktes Staat gegen Staat“. Er zitiert den Generalstabschef der Streitkräfte, Thierry Burkhard: „Wir müssen uns unbedingt auf eine gefährlichere Welt vorbereiten“. Dies erfordert das, was er als „Stählung“ des Heeres definiert. [...] Und er freut sich: „Der Verteidigungshaushalt für 2019-2025 wurde deutlich erhöht und wird am Ende dieses Zeitraums 50 Milliarden Euro pro Jahr betragen, ein Anstieg um 46 Prozent gegenüber 2018“. Er fügte hinzu: „Zwischen 2010 und 2025 wird sich die Ausrüstung der Armee mehr verändert haben als in den vierzig Jahren zwischen 1970 und 2010.“

Der Artikel führt weiter aus: „Das Gespenst eines Konflikts von hoher Intensität ist im französischen militärischen Denken inzwischen so weit verbreitet, dass das Szenario über ein eigenes Akronym verfügt: HEM, oder Hypothesis of Major Engagement. Die Gegner werden nicht benannt, aber die Analysten sprechen nicht nur von Russland, sondern auch von der Türkei oder einem nordafrikanischen Land.“

Dasselbe gilt natürlich in viel größerem Maßstab für die USA. Die Kriege in Mali für Frankreich oder in Afghanistan für die USA waren in gewisser Weise nur Übungen für die imperialistischen Länder. Unter dem Einfluss der USA, der mächtigsten imperialistischen Macht, konzentrieren sich sowohl militärische als auch diplomatische Kreise auf eine Konfrontation mit China – eine Haltung, die die Medien in weiten Teilen der Welt übernommen haben.

Eine Konfrontation zwischen zwei der mächtigsten Staaten der Welt wäre der Beginn eines Weltkriegs.

Das Chinesische Meer in Südostasien mit seinen Inseln, um deren Herrschaft man sich streitet (allen voran bei Taiwan), mit seinen Meerengen und seinen großen Handelsrouten sind zu einem Brennpunkt der Welt geworden. Der Ort, an dem sich zwei der mächtigsten Armeen der Welt gegenüberstehen.

Die Presse prangert fast einstimmig „Chinas Aggressivität“ an, obwohl es die US-amerikanischen Kriegsschiffe sind, die vor Chinas Toren stehen und nicht umgekehrt. China ist nicht nur von den US-Streitkräften eingekreist, sondern auch von einer Koalition imperialistischer Mächte (Japan, Australien, Großbritannien), die mehr oder weniger von den benachbarten Philippinen oder Indien unterstützt wird.

Seit einiger Zeit häufen sich Artikel und Bücher, die ausgehend von der Schlagzeile der Financial Times „Wir sind in einen Kalten Krieg 2.0 eingetreten“ von einer „Eskalation“ sprechen.

In einem kürzlich erschienenen Buch fragt sich Jean-Pierre Cabestan, Forschungsleiter des CNRS im Bereich Strategie: „China morgen: Krieg oder Frieden?“ (Gallimard, 2021). Das Buch gibt natürlich keine Antwort auf diese Frage. Es liefert jedoch zahlreiche Denkanstöße. Die einen unterstützen die Idee, dass der auf wirtschaftlicher, diplomatischer und zunehmend auch militärischer Ebene eingeleitete Wettbewerb zwischen den beiden Mächten unweigerlich zu einem Krieg führt. Die anderen verweisen auf die Tatsache, dass die Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion nicht zu einem Dritten Weltkrieg geführt hat und es daher noch weniger Gründe gibt, warum dies zwischen den USA und China der Fall sein sollte, deren Volkswirtschaften so stark miteinander verflochten sind, dass ein Konflikt undenkbar wäre.

Überlassen wir es den Salonstrategen, Hypothesen zu entwickeln, deren einzige Verbindung zur Realität darin besteht, dass sie Papier verkaufen...

Trotz der immer stärkeren wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den USA und China, trotz der industriellen, kommerziellen und vor allem finanziellen Verflechtung der USA und Chinas – in der die Wirtschaftsmacht der USA gegenüber dem untergeordneten China immer noch dominant ist – ist ein Krieg möglich.

Die starken wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Großbritannien und Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkriegs, gepaart mit den familiären Verbindungen zwischen den beiden herrschenden Dynastien, verhinderten nicht, dass der Krieg ausbrach und sich um den Gegensatz zwischen diesen beiden imperialistischen Mächten herum kristallisierte.

Und in den Beziehungen zwischen den USA und China ist sicherlich nicht China, das sich in der Defensive befindet, sondern der Imperialismus der kriegstreibende Faktor. Der Krieg wird ausbrechen, wenn der US-Imperialismus ein Interesse daran hat oder die Notwendigkeit dazu sieht.

Im Gegensatz zum Ersten und vor allem zum Zweiten Weltkrieg ist keine Verkettung erkennbar, die vorhersagt, wie und wann der Krieg ausbrechen kann. Aber die imperialistischen Bourgeoisien wissen, dass er unvermeidlich ist, und ihre Generalstäbe und Diplomaten bereiten sich darauf vor. Zu dieser Vorbereitung leisten die Medien bereits ihren Beitrag, und zwar indem sie die öffentliche Meinung auf diese Eventualität vorbereiten.

Die Vorbereitung der öffentlichen Meinung ist ein wichtiger Aspekt der militärisch-strategischen Vorbereitung, die ansonsten stattfindet in den geheimen Treffen der Generalstäbe oder versteckt hinter der scheinbar harmlosen Sprache der Diplomaten, die Bündnisse schmieden.

Der bereits zitierte Artikel des Economist über die Art und Weise, wie sich der französische Generalstab auf den Krieg vorbereitet, berichtet von „Arbeitsgruppen, die die Fähigkeit des Landes analysieren sollen, einen hochintensiven Konflikt zu bewältigen“. Und er fügt hinzu: „Diese Arbeitsgruppen untersuchen sowohl das Risiko von Munitionsknappheit als auch den Widerstand in der Gesellschaft, einschließlich der Frage, ob die Bürger „bereit sind, ein Niveau von Verlusten zu akzeptieren, das wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben“, wie ein Mitglied dieser Arbeitsgruppen erklärt.“ Hinter diesem Zynismus verbirgt sich die kalte Entschlossenheit der militärischen Diener der Bourgeoisie.

Für die Menschen in Syrien, Jemen, Somalia oder Sudan, wie überhaupt für die Menschen in einer Vielzahl von Ländern in Afrika und Asien, ist der Krieg bereits da. Und niemand kann sicher sein, dass diese noch lokalen oder regionalen Kriege sich nicht morgen als Etappen einer künftigen weltweiten Konfrontation erweisen werden. So wie es, lange vor dem 1. September 1939, der von Italien ab 1935 in Äthiopien geführte Krieg oder die japanische Invasion der Mandschurei (1931) und dann Chinas (1937) Etappen des Zweiten Weltkriegs waren.

Der Krieg ist die Existenzweise des Imperialismus

Für eine revolutionäre kommunistische Organisation kann der Kampf gegen den Imperialismus heute im Wesentlichen nur in einer Propaganda- und Aufklärungsarbeit gegenüber den Arbeitern und Aktivisten bestehen. Wir müssen erklären, dass die Herrschaft der imperialistischen Bourgeoisie, die bereits hinter einer Vielzahl von lokalen und regionalen Kriegen steht, weit über die tägliche Ausbeutung hinaus die Drohung eines Dritten Weltkriegs in sich trägt. Nur der Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie kann dem Imperialismus ein Ende setzen und eine Katastrophe abwenden, die die gesamte Menschheit in einem nicht gekannten Ausmaß zu treffen droht, selbst im Vergleich zum Ersten und Zweiten Weltkrieg mit 18 Millionen bzw. 50 Millionen Toten.

Neben der Propaganda ist es aber auch wichtig, in den alltäglichen Diskussionen den Gegenpol zur Bourgeoisie, ihren Politikern und Medien zu bilden, indem man nicht nur Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit, sondern auch Patriotismus bekämpft, d.h. jede Vorstellung von Klassenzusammenarbeit und angeblich gleichen Interessen zwischen ausbeutender und ausgebeuteter Klasse. Es kann keinerlei gemeinsame Interessen geben zwischen denen, die eine Katastrophe für die Menschheit vorbereiten, und denen, die ihre Opfer sein werden! Den Internationalismus aufzugeben ist das wichtigste Anzeichen für den Verrat an der Arbeiterklasse.

Im Übergangsprogramm von 1938, ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, der in Wirklichkeit bereits begonnen hatte, schrieb Trotzki: „In der Kriegsfrage wird das Volk schlimmer als in jeder anderen Frage von der Bourgeoisie und ihren Agenten mit Hilfe von Abstraktionen, Leerformeln und pathetischen Phrasen irregeführt. „Neutralität“, „Nationale Verteidigung“, „Kampf gegen den Faschismus“ usw. Alle diese Formeln enthalten letztlich nichts anderes, als dass die Entscheidung über Krieg und Frieden – d. h. das Schicksal der Völker – in den Händen der Imperialisten, ihrer Regierungen, ihrer Diplomatie, ihrer Generalstäbe mit all ihren Intrigen und Anschlägen gegen die Völker zu bleiben habe.“

Einige dieser „pathetischen Sätze“ scheinen nicht mehr aktuell zu sein. Andere werden vielleicht recycelt. Die intellektuellen Diener der Bourgeoisie werden neue erfinden, die ebenso irreführend sind. Wenn die Bedrohung durch die Ausweitung des Krieges konkrete Formen annimmt, wird das Proletariat unweigerlich überrascht und getäuscht und hinter seine Herrschenden getrieben werden, so wie es beim Ausbruch des Ersten und Zweiten Weltkriegs der Fall war. Einige Nachrichten aus den USA berichten bereits über Beispiele für eine zunehmende anti-chinesische Aggressivität.

Die Zukunft des Proletariats und der Menschheit wird davon abhängen, wie schnell die Arbeiterklasse ihr Klassenbewusstsein und das Bewusstsein von ihrer Rolle bei der Umgestaltung der Gesellschaft wiedergewinnt. Wenn der Krieg erst einmal begonnen hat, kann dieses Klassenbewusstsein nur in Lenins Ausspruch „Den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg verwandeln“ zum Ausdruck kommen.