Die Krise der kapitalistischen Wirtschaft (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Dezember 2012)

Εκτύπωση
Die Krise der kapitalistischen Wirtschaft
Dezember 2012

(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2012 angenommen)

1. Die aktuelle Finanzkrise, die 2008 mit dem Bankrott der Bank Lehmann Brothers begann, ist die letzte in einer ganzen Reihe von Finanz- bzw. Börsenkrisen, die seit den 1980ern in einem Rhythmus von durchschnittlich drei Jahren aufeinander folgten. Sie ist allerdings die schwerwiegendste von ihnen. Und auch wenn sich ihre Form und ihr Schwerpunkt verändert haben, so ist sie doch auch nach vier Jahren nicht überwunden. Sie lastet auf der produktiven Wirtschaft, die nach einem kurzen Aufschwung im Jahr 2010 - der jedoch nicht ausreichte, um die Arbeitslosigkeit zu verringern - sich seit August 2011 auf eine Rezession zubewegt. Die offiziellen internationalen Organisationen der Bourgeoisie, wie die Welthandelsorganisation (WTO), haben angefangen, die kommende Periode als "Große Rezession" zu bezeichnen - in Anlehnung an die Große Depression, die dem Börsencrash von 1929 folgte.

Die produktive Wirtschaft hat sich das ganze Jahr 2012 über weiter verlangsamt. Die Zahl der Arbeitslosen steigt weiter. Es gibt kein Anzeichen einer Umkehrung dieser Tendenz. Das bedeutet, dass die Wirtschaft noch nicht ihren niedrigsten Punkt dieser "Großen Depression" des 21. Jahrhunderts erreicht hat. Mit anderen Worten: Das Schlimmste steht uns noch bevor.

2. Umso mehr, da über der Wirtschaft weiterhin das Damoklesschwert einer x-ten brutaleren Verschärfung der Finanzkrise schwebt, in deren Mittelpunkt diesmal Europa steht.

Wir haben schon oft über die Ursachen und über das Ausmaß der Finanzialisierung der Wirtschaft geschrieben: Sie ist gewissermaßen die Antwort des großen Kapitals darauf, dass sich die Ausdehnung des Marktes seit Anfang der 1970er Jahre verlangsamt. Seitdem wechseln sich Zeiten der Stagnation oder leichten Wachstums mit Zeiten deutlichen Rückgangs ab.

Das überragende Gewicht der Finanz im Verhältnis zur produktiven Wirtschaft ist sicherlich nichts Neues in der kapitalistischen Wirtschaft. Bereits Lenin erachtete die Herrschaft des Finanzkapitals über die gesamte Wirtschaft als eines der wesentlichen Merkmale des Imperialismus.

Unter dem Begriff "Finanzialisierung" verstehen wir heute üblicherweise eine bestimmte Entwicklung: Das Großkapital, das einem gesättigtem Absatzmarkt gegenüber steht, schraubt die Investitionen in die Produktion zurück und steckt stattdessen einen wachsenden Teil des Gewinns in Finanzanlagen. Im Laufe der Zeit führte dies zu einem krebsartigen Wachstum der "Finanzindustrie", bei der unaufhörlich neue "Finanzprodukte" erfunden und vermehrt werden, die ihrerseits immer ausgefeilter und spekulativer werden.

3. Ein Ausdruck des Wendepunktes der kapitalistischen Wirtschaft von einer Periode des Aufschwungs - einem Wirtschaftsboom - hin zur Krise ist das Sinken der Profitrate. Dies ist auch der Aspekt, der das Bürgertum am meisten beschäftigt. Seit diesem Wendepunkt ungefähr zu Beginn der 1970er Jahr hat das Großkapital eine Politik begonnen, die darauf abzielt, die Profitrate durch eine Verschärfung der Ausbeutung wieder anzuheben. Mit anderen Worten: die Kapitaleinkünfte auf Kosten der Lohnsumme zu steigern. Das Großkapital hat dies erreicht, indem es Krieg gegen die Arbeiterklasse führt, indem es die Löhne einfriert, die Arbeitshetze verschärft, indem es die Angst vor der Arbeitslosigkeit ausnutzt, indem es Bereiche des Öffentlichen Dienstes angreift, die für die ganze Bevölkerung lebensnotwendig sind (Gesundheit, Bildung, Öffentlicher Nahverkehr, etc.), indem sie sozialen Ausgaben zusammenspart.

In Frankreich ist der Anteil der Löhne am Sozialprodukt innerhalb von sechs Jahren, zwischen 1982 und 1988, von 73,2% auf 63,4% gesunken.

Die kapitalistische Klasse hat zu Beginn der 1990er Jahre die Profitrate wieder erreicht, die sie vor Beginn der Krise hatte. Diese Profitrate wurde nicht erreicht auf Grund einer neuen Dynamik, einer erneuten Vergrößerung des Absatzmarktes, die zu neuen Investitionen in die Produktion geführt hätte. Und vor allem hat selbst diese Wiederherstellung der Profitrate auf Vorkrisenniveau nicht zu einem Aufschwung mit Investitionen in die Produktion geführt, nicht zu neuen Arbeitsplätzen, nicht zu einem neuen Produktionszyklus. Die wiederhergestellte Profitrate war nicht der Beginn eines neuen Zyklus in der kapitalistischen Wirtschaft. Stattdessen haben die hohen Profite erneut die Finanzsphäre aufgebläht.

4. Die Mechanismen dieser Finanzialisierung der Wirtschaft sind seitdem immer komplexer geworden- seit ungefähr 1982, einem Jahr mit großer wirtschaftlicher Rezession. Um die starke Inflation zu der Zeit zu bremsen, haben die Staaten in großem Maße Schulden gemacht statt die Notenpresse einzusetzen - ohne letzteres jedoch jemals aufzugeben. Mit anderen Worten: Statt die Haushaltsdefizite dadurch auszugleichen, dass man zusätzliches Geld druckt, haben es sich die Staaten von den Banken und allgemeiner vom internationalen Finanzmarkt geliehen. Es entwickelte sich so eine wirtschaftliche Funktionsweise, die in immer größerem Maß vom Kredit abhängig war und somit auch vom Anwachsen der Schulden. Die Staaten sind dabei auf ihre Kosten gekommen. Die Ausgabe von Staatsanleihen - Schatzbriefe, Obligationen und staatliche Schuldverschreibungen verschiedenster Art - haben ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Haushaltsdefizite auszugleichen. Gleichzeitig war es ein großes Geschenk an die Banken, den Vermittlern zwischen den Staaten und dem Großkapital, das auf der Suche nach profitablen Anlagen ist.

Beispielhaft illustrieren die Zahlen der US-Staatsverschuldung diese Entwicklung. Es handelt sich dabei nur um die Schulden des Föderalstaates; die der Bundesstaaten und der Kommunen sind nicht mit einbezogen. 1963 betrug die Staatsverschuldung der USA 305 Milliarden Dollar und 370 Milliarden Dollar im Jahr 1970. kurz vor der internationalen Währungskrise und der Ölkrise, die den Beginn der langen schleichenden Krise einläutete, aus der die kapitalistische Wirtschaft nie herausgekommen ist. Diese Verschuldung war 1980 auf 907 Milliarden Dollar angestiegen, 1990 auf 3.233 Milliarden, im Jahr 2000 auf 5.674 Milliarden und erreichte 2008, zu Beginn der aktuellen Finanzkrise, 10.024 Milliarden Dollar! Ende 2010, nach der massiven Intervention des Staates zur Rettung des Bankensystems, hatte die amerikanische Staatsverschuldung 15.154 Milliarden Dollar erreicht, so viel wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten (nach den Zahlen der Zeitung Le Monde).

Die Privatverschuldung in den USA hat die gleiche Entwicklung erlebt.

Diese Entwicklung war in allen imperialistischen Staaten dieselbe. In Frankreich ist die öffentliche Schuld innerhalb von zwanzig Jahren von 22% auf 84% des Bruttoinlandsprodukts angestiegen.

5. Seit drei Jahrzehnten also und in immer größeren Maß sind die Staaten, um ihre Raten zu bezahlen, gezwungen, auf dem Kapitalmarkt Kapital aufzunehmen, indem sie alle Arten von Schuldverschreibungen, Obligationen oder Schatzbriefe ausgeben - natürlich mit der Verpflichtung, ihre Schuld zum vereinbarten Datum zurückzuzahlen und ihren Gläubigern jedes Jahr Zinsen zu zahlen.

So ist der Kreis geschlossen. Die Schulden selber vergrößern die Schulden. In die Taschen der Gläubiger - Banken, Anlagefonds, Versicherungsgesellschaften - gelangt ein wachsender Geldfluss. Die Zinsen, die dem Finanzsystem gezahlt werden, machen einen wachsenden Teil des Haushaltes aller Staaten aus.

Die Verschuldung der Unternehmen erzeugt denselben Mechanismus. Mit einem Unterschied jedoch: In der Beziehung zwischen Unternehmen und Finanzsystem sichert dieser Mechanismus die Verteilung des Mehrwerts zwischen dem industriellen und dem Finanzkapital, also innerhalb des Großkapitals. Müssen wir daran erinnern, dass die Anlagefonds, die Banken nicht oder nicht nur ihr eigenes Geld verleihen, sondern auch das zur Verfügung stehende Kapital der Industrie- und Handelsunternehmen?

Bei der öffentlichen Schuld jedoch ist es der Staat, der kraft seiner Hoheitsrechte den Bürgern in die Tasche greift, insbesondere der arbeitenden Bevölkerung, um das Finanzkapital zu ernähren. Dieser Raub über den Staat ist eine immer unabdingbare Ergänzung zu dem Mehrwert, der aus der Ausbeutung gewonnen wird.

6. Um diesen Raub und darüber hinaus ihre Sparpolitik zu rechtfertigen, führen alle Regierungen die Höhe der Staatsschulden an und natürlich die Pflicht jedes Bürgers, seinen Teil dazu beizutragen, um nicht "unseren Kindern und Enkelkindern" die Pflicht zu hinterlassen, die Schulden zurückzuzahlen.

Die Papageien an der Spitze des Staates, die diese Sprüche immer und immer wiederholen, reden über die privaten Schulden weniger. Diese stellen sie nicht ständig als Bedrohung für die Weltwirtschaft an den Pranger. Dabei ist die Summe dieser privaten Schulden - hauptsächlich die Schulden der Unternehmen, Banken und der reichen Klasse - drei Mal so groß wie die der öffentlichen Schulden.

Laut dem Komitee zur Abschaffung der Schulden der Dritten Welt (CADTM), das den letzten Bericht des McKinsey Global Institute zitiert, "beträgt die Summe der privaten Schulden im Weltmaßstab 117.000 Milliarden Dollar, also drei Mal so viel wie die Gesamtheit der öffentlichen Schulden, die ein Volumen von 41.000 Milliarden Dollar erreicht haben."

Diese privaten Schulden, die das Risiko einer Kettenreaktion an Insolvenzen in sich tragen, sind mindestens ebenso bedrohlich für die Weltwirtschaft wie die öffentliche Schuld des einen oder anderen Staates. Man erinnere sich an die Folgen der Pleite der Bank Lehmann Brothers!

7. In unserem Kongresstext von 2008, der der Krise der kapitalistischen Wirtschaft einige Wochen nach dem Bankrott der Bank Lehmann Brothers gewidmet ist, haben wir die verschiedenen Erklärungen diskutiert, die für die Ursachen der sich ankündigenden schweren Bankenkrise gegeben worden waren, und dazu geschrieben:

"Seit der brutalen Verschärfung der Finanzkrise am 15. September 2008, als die Bank Lehman Brothers, eine der Säulen der Wall Street Konkurs anmeldete, machen Wirtschaftswissenschaftler, die vor allem dazu begabt sind, die Vergangenheit vorauszusagen, bunt durcheinander die Deregulierung, die Dereglementierung, den Liberalismus, die Globalisierung und die nicht vorhandene Kontrolle über das Finanzsystem als Gründe für die Krise verantwortlich. Das alles hat sicher seine Rolle gespielt und erklärt den einen oder anderen Aspekt der Verkettung, die zu der heutigen Finanzkrise geführt hat und der Form, die sie angenommen hat. Aber es ist nicht ihre grundlegende Ursache: Die kapitalistische Wirtschaft kann nicht ohne Krisen funktionieren. "Solange der Kapitalismus nicht durch eine proletarische Revolution gebrochen werden wird, wird er immer dieselben Perioden von Aufstieg und Abstieg, wird er immer dieselben Zyklen erleben." (Der Wechsel zwischen) "den Krisen und den Besserungen sind dem Kapitalismus vom Tag seiner Geburt an eigen; sie werden ihn bis zu seinem Grab begleiten", schrieb Trotzki als Kommentar zur Krise 1920 - 1921. Und er fügte hinzu: "In Perioden schneller kapitalistischer Entwicklung sind die Krisen ihrem Wesen nach kurz und oberflächlich", "in Zeiten des kapitalistischen Niedergangs ziehen sich die Krisen in die Länge und die Hochkonjunktur ist kurz, oberflächlich und basiert auf der Spekulation."

Die Entstehung des Imperialismus vor mehr als einem Jahrhundert, mit seinen Konzernen, die mit ihren Krakenarmen den gesamten Planeten umschlingen und die im Laufe der Zeit immer komplexer werdende wirtschaftliche Aktivität haben die Periodizität der wirtschaftlichen Zyklen zufallsbedingter gemacht, haben die Modalitäten des Auslösens der Krisen vervielfältigt und haben die Schäden, die sie anrichten, verschlimmert, aber es hat die Krisen nicht weniger unausweichlich gemacht. Die Krisen sind wesentliche Phasen der kapitalistischen Reproduktion. Über eben diese Krisen stellt die Marktwirtschaft, die durch die blinde Konkurrenz betrieben wird, das Gleichgewicht zwischen der Produktion und dem zahlungsfähigen Konsum wieder her, zwischen den verschiedenen Wirtschaftssektoren, insbesondere zwischen dem der Produktionsmittel und denen der Konsumgüter, zwischen den verschiedenen Unternehmen, die die aufeinander folgenden Phasen des Produktionsprozesses verwirklichen. Die Krisen sind der Ausdruck des Sinkens der Profitrate, das aus der Sättigung der Märkte folgt. Sie sind es, die durch das Zerstören eines Teils des produktiven Kapitals, durch das Beseitigen nicht rentabler Unternehmen die Voraussetzungen für den Beginn eines neuen Zyklus schaffen, in welchem die Profitrate wieder anfängt zu steigen, wieder investiert und eingestellt wird."

Ein Effekt dieser Finanzialisierung ist jedoch, dass er die regulierende Rolle der Krisen verändert und dämpft.

8. Jedes Mal wenn die Produktion davon bedroht ist, in eine Rezession abzugleiten, werden für die Wirtschaft als Medizin die Schleusen des Kredits geöffnet, wird die Menge an umlaufendem Geld, an Schuldverschreibungen und Krediten erhöht. Von Rettung zu Rettung ist die Wirtschaft bei dieser Hypertrophie der Finanz angelangt, aus der die Wirtschaft es nicht schafft herauszukommen.

Wir haben immer betont, dass das Kapital vom kapitalistischen Standpunkt aus betrachtet immer Kapital ist, ob es nun die Form des Finanzkapitals annimmt oder die Form industriellen Kapitals. Die großen Kapitalgruppen haben ganz natürlich sowohl Finanzgeschäfte wie produktive Tätigkeiten. Um ein aktuelles Beispiel zu nehmen: Die produktiven Aktivitäten von PSA (Peugeot Citroen) und seine Finanzaktivitäten sind eng verbunden. Nicht nur, weil der Verkauf der hergestellten Autos von PSA von den Krediten abhängt, die von der Peugeot-Bank vergeben werden. Sondern auch, weil der Schwarm an Finanzgesellschaften um den PSA-Konzern sowie die Holding, die sich um das Privatvermögen der Familie Peugeot kümmert, sich nicht darauf beschränken, die den Kunden gewährten Kredite zu verwalten: Sie verwalten auch die Milliarden an Liquiditäten, die ihnen zur Verfügung stehen und haben finanzielle Beteiligungen an einer Reihe von großen Unternehmen. In manchen Zeiten können PSA diese Finanzaktivitäten mehr Geld einbringen als der Verkauf von Autos (nebenbei kann der PSA-Konzern mit einer Reihe von Buchhaltungstricks nach Belieben die Herkunft seiner Gewinne verschleiern, kann sie aus der Produktionssphäre in die Finanzsphäre verschieben und umgekehrt, wie es ihm gerade passt).

Aber wenn diese Unterscheidung im kontinuierlichen Ablauf des Kapitalismus auch nicht möglich ist und keinen Sinn hat: Die Bedeutung der Finanzialisierung im weltwirtschaftlichen Maßstab besteht darin, dass die Finanz, die keinen Mehrwert produziert, einen wachsenden Teil aus der gemeinsamen Kasse globalen Mehrwerts beansprucht, der durch die Ausbeutung gewonnenen wird. Die Finanzialisierung drückt den wachsenden Parasitismus der Finanz aus und treibt ihn voran.

9. Am Beginn der heutigen Finanzkrise steht die Immobilienblase der Subprimes, die sich in den 2000er Jahren gebildet hat, die 2007 platzte und 2008 mit dem Bankrott der Bank Lehmann Brothers zu einem drohenden Bankencrash wurde.

Erinnern wir uns an den Mechanismus, durch den das Bankensystem 2008 von einem Zusammenbruch wurde. Denn was damals ganz knapp verhindert wurde, entwickelt sich gerade auf anderem Wege wieder: Es entwickelt sich derselbe Mechanismus zwischen Banken, die zu viele Schuldverschreibungen von Staaten mit Zahlungsschwierigkeiten besitzen könnten. Damals wusste jede Bank, dass alle Banken in ihren Reserven eine große Anzahl an faulen Wertpapieren hatten, die mit dem amerikanischen Immobilienmarkt zusammenhingen und wertlos geworden waren. Das Misstrauen der Banken untereinander drohte die Interbankenmärkte zum Erliegen zu bringen, das heißt die unendliche Vielzahl an täglichen Geschäften zwischen den Banken, die den Blutkreislauf der kapitalistischen Wirtschaft ausmachen.

Um die Thrombose zu verhindern sind die Staaten quasi sofort als Gläubiger der großen Banken eingesprungen und haben die faulen und unsicheren Wertpapiere aufgekauft. Durch das schnelle Eingreifen der Staaten und die hunderte Milliarden an Dollar und Euro, die dem Bankensystem zur Verfügung gestellt wurden, konnte der weltweite Bankencrash verhindert werden.

10. Diese Entscheidung bedeutete ein Anschwellen der Geldmenge, das heißt eine inflationistische Politik. Dies war also eine Veränderung im Vergleich zur Wende der 1980er Jahre: Damals hatten die Staaten den Rückgriff auf die Notenpresse zurückgefahren zugunsten von Krediten an den internationalen Finanzmärkten. Seit dem Alarm von 2008 gehen alle Staaten, die in der Lage dazu sind, beide Wege. Aber nicht auf die gleiche Art und nicht mit den gleichen Konsequenzen.

11. Die Folge war eine neue Verschärfung der Staatsverschuldung sowie ein wachsendes Misstrauen in die Fähigkeit der Staaten, ihre Schulden zurück zu zahlen. Die Krise der öffentlichen Schulden ist an die Stelle der Bankenkrise getreten. Oder besser gesagt, sie hat sich zu letzterer hinzugesellt. In der Folge zeigte sich, dass dies der Anfang eines Teufelskreises war: Das Misstrauen gegenüber den Staaten mauserte sich seinerseits zu einem Misstrauen ihren Banken.

12. Als Folge der Notrettung des Bankensystems verlagerte sich auch der Schwerpunkt der Finanzkrise von den Vereinigten Staaten, wo sie begonnen hatte, nach Europa, oder genauer gesagt in die Eurozone. Ein Widerspruch nagt an der Eurozone seit ihrer Einrichtung: Es gibt zwar eine einzige, gemeinsame Währung, aber statt an einen einzelnen Staat ist sie an siebzehn Staaten mit teilweise unterschiedlichen und widersprüchlichen Interessen gekoppelt. Die ganze Sprengkraft dieser Eigentümlichkeit hat sich erst gezeigt, als die derzeitige Finanzkrise begonnen hat. Aber ihre Wurzeln liegen viel tiefer.

Die Existenz einer gemeinsamen Währung hat die Unterschiede zwischen den reichen Ökonomien, also grob gesagt den imperialistischen Ländern der EU, und den ärmeren Ländern nicht beseitigt.

Zunächst hat die Einrichtung der Eurozone eine Zeit lang dazu geführt, dass die Banken Kapital aus den reichen Ländern in die ärmeren Länder verschoben haben. Man sprach damals viel darüber, welche Vorteile es für Länder wie Spanien, Portugal oder Irland habe, zur Eurozone zu gehören. Und bis zu einem gewissen Grad ist sogar nach Griechenland Kapital gewandert.

Diese Kapitalströme waren teilweise die Folge der europäischen Hilfen, die den Aufbau von Infrastruktur in diesen Ländern unterstützten. Aber das Kapital aus dem reichen Teil Europas wanderte nicht nur für die mehr oder weniger sinnvollen Investitionen, die mit den europäischen Geldern finanziert wurden, in die ärmeren Länder. Es wanderte auch mit spekulativen Absichten dort hin, um den verschiedenen Entwicklungsgrad der Länder auszunutzen und die Preisunterschiede, die dies zur Folge hatte. Und die Finanzkrise von 2008, die in einer ersten Zeit dazu führte, dass enorme Liquiditäten in das Bankensystem flossen, hat dieses Phänomen verstärkt. Die Banker, die auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten für diese zusätzlichen Liquiditäten waren, haben in Hülle und Fülle Geld verliehen, auch an Griechenland, Portugal und Spanien.

Im Fall Spaniens zum Beispiel ist dieses Kapital vor allem in den Immobiliensektor geflossen. Die Ökonomen haben sich damals lang und breit über die großen Wachstumsraten Spaniens ausgelassen, nicht jedoch darüber, dass dieses Wachstum im Wesentlichen dem Immobiliensektor zu verdanken war. Und als die Immobilienblase platzte, die die Spekulation geschaffen hatte, war es vorbei mit dem spektakulären Wachstum der spanischen Wirtschaft. Es war auch vorbei mit dem ausgeglichen Haushalt des spanischen Staates, der damals immer als gutes Beispiel genannt wurde. Die geplatzte Immobilienblase führte zum Zusammenbruch der Banken und der spanische Staat, der sich - selbstverständlich - bemüht hat, die Banken mit seinem eigenen Geld zu refinanzieren, hat sich dafür seinerseits verschuldet.

Irland hat aus anderen Gründen Kapital angezogen, das auf der Suche nach interessanten Anlagemöglichkeiten war, insbesondere aufgrund seiner extrem vorteilhaften Steuerpolitik. Portugal, weil die große Zahl an Aufträgen zum Aufbau der Infrastruktur, die aus den Mitteln der Europäischen Union finanziert wurden, saftige Profite versprachen. Und Griechenland vielleicht einfach deshalb, weil es neues Geld gut gebrauchen konnte, um sein Haushaltsdefizit auszugleichen.

Bis 2010 waren die Banken nicht wählerisch, wenn es um die Zahlungsfähigkeit der Staaten ging, denen sie Kredite gewährten. Es waren im Gegenteil die Banken, die die Staaten dazu ermunterten. Noch 2010 konnten sich Griechenland und die Unternehmen dort zum selben Zinssatz Geld leihen wie Deutschland. Und zwar in einem solchen Ausmaß, dass Ende 2010 die europäischen Banken 162 Milliarden an Forderungen in Griechenland hatten (öffentliche und private Schulden zusammen). Die deutschen Banken und mehr noch die französischen Banken dachten, einen Goldesel gefunden zu haben! Bis zu dem Moment, wo sich - Bumm - das Misstrauen gegenüber Griechenland einstellte und eine Spirale der Spekulation auf sinkende Kurse auslöste, die zu einer brutalen Verringerung der Vermögensanrechte auf Griechenland und seine Unternehmen zwangen.

13. Die Verwandlung der Finanzkrise in die Staatsschuldenkrise hat letzterer die besondere Form der Eurokrise verliehen. Denn das Misstrauen gegenüber den Staaten, ihre Schulden zurückzahlen zu können, hat aus guten Gründen verschiedene Formen angenommen. Denn es ist ein Unterschied, ob man es mit den Vereinigten Staaten, Großbritannien und vielen anderen Staaten zu tun hat, die über ihre eigene Währung verfügen und damit auch über die Möglichkeit, diese nach Gutdünken zu manipulieren, oder mit den Europäischen Staaten, die diesen Weg nicht oder zumindest nicht so einfach gehen können.

Der US-Staat hat immer die Möglichkeit, eine Kreditrate zu bezahlen, indem er die Notenpresse anschmeißt. Die Gründungsverträge der Europäischen Union jedoch verbieten es der Europäischen Zentralbank, das Haushaltsdefizit eines in Schwierigkeiten geratenen Staates zu bezahlen. Im Übrigen: Auch wenn alle siebzehn Staaten einer gemeinsamen Eurozone angehören, ist jeder von ihnen selber für seine eigene Staatsverschuldung verantwortlich und ebenso für die Schulden der Banken, die auf seinem Staatsgebiet tätig sind.

14. Und auf diese Schwachstelle hat sich die Spekulation gestürzt: Sie hat die Zinssätze für Kredite variiert und sie abhängig gemacht von dem Grad des Misstrauens in die Fähigkeit des jeweiligen Staates, seine Schulden zurückzuzahlen. Ein Staat wie Deutschland mit seinen soliden Einnahmen ist nicht in der gleichen Situation wie Griechenland, und zwischen diesen beiden Extremen liegen die anderen siebzehn Staaten der Eurozone mit ihren jeweiligen, unterschiedlichen Bedingungen.

Dieser Zinssatz jedoch entscheidet über den Preis, zu dem sich ein Staat auf den Kapitalmärkten Geld beschaffen kann - das heißt bei dem Dutzend großer Banken oder Anlagefonds, die diesen Markt beherrschen.

Das Misstrauen hat den Zinssatz steigen lassen und der steigende Zinssatz hat wiederum das Misstrauen vergrößert und so weiter...

Die Finanzmärkte haben in der Differenz der Zinssätze ein Gebiet grenzenloser Spekulation entdeckt.

15. Die Spekulation auf Wechselkurse zwischen Währungen war schon immer eines der wesentlichen Felder der Spekulation. Die Überzeugung, dass eine Währung mehr Wert verlieren würde als die Nachbarwährung, drängt die Kapitaleigner natürlicherweise dazu, die schlecht gehende Währung los zu werden zugunsten einer Währung, der es weniger schlecht geht. Diese Form der Spekulation ist das tägliche Brot des internationalen Finanzmarktes. Jeder multinationale Konzern achtet selbstverständlich darauf, seinen Wertpapierbestand zu optimieren, der aus Währungen, Obligationen und Schuldverschreibungen in unterschiedlichsten Währungen besteht. In anderen Worten, sie bemühen sich um einen Wertpapierbestand, der möglichst wenig an schwächelnden und möglichst viel an soliden Währungen enthält.

Aber beim Euro nimmt dies eine besondere Form an. Selbstverständlich kann man auf die Wechselkurse zwischen dem Euro einerseits und Währungen wie dem Dollar, dem Pfund Sterling, dem Schweizer Franken oder dem japanischen Yen andererseits spekulieren. Aber die Neuheit der Eurozone besteht eben darin, dass der Euro eine einzige Währung ist, aber gleichzeitig die Währung von siebzehn verschiedenen Staaten mit unterschiedlicher Kreditwürdigkeit in den Augen der Anleger.

Statt auf eine Währung gegen eine andere zu wetten, wetten die Spekulanten auf die jeweiligen Kredite der Staaten.

16. Nun sind allerdings die Staaten und die Banken, die auf ihrem Gebiet operieren, eng miteinander verflochten und voneinander abhängig. 2008 waren es die Staaten, die die Banken gerettet haben, indem sie sie rekapitalisierten. Aber jeder Staat hatte sich um die Rettung seiner eigenen Banken zu kümmern. Und wenn die sogenannte Griechenland-Krise so sehr die führenden Köpfe der imperialistischen Mächte Europas beschäftigt hat, dann sicher nicht aus Mitleid gegenüber dem griechischen Staat, sondern weil die wichtigsten dort operierenden Banken französische und deutsche Banken waren oder Banken, die mit ihnen verbunden sind.

Wie sollte man sich verhalten bei solchen Staaten, die zu schwach waren, um ihren Bankensektor zu retten? Die Reihe der europäischen Gipfeltreffen bildet die einzelnen Schritte der Flucht nach vorne ab, mit der eine Lösung für dieses Problem gefunden werden soll.

17. Die Verschärfung der Staatsschuldenkrise ist als Bumerang zurückgekommen und hat ihrerseits die Lage der Banken verschärft.

Die Banken, insbesondere die großen französischen, deutschen und allgemein europäischen Banken, die auf die Staatsschulden Griechenlands spekuliert hatten, hielten damit in ihren Reserven immer mehr Schulverschreibungen des griechischen Staates. Dies rief das Misstrauen der in diesem Geschäft weniger involvierten Banken auf den Plan, insbesondere nicht-europäischer Banken. Und so entwickelte sich in anderer Form dasselbe Misstrauen zwischen den Banken, das 2008 beinahe zum Zusammenbruch des Bankensystems geführt hatte.

Dieses Misstrauen gegenüber den Banken der Eurozone drückt sich einerseits darin aus, dass die Anleger anfingen, ihr Kapital woanders, bei sichereren Banken anzulegen. Und andererseits darin, dass die Banken immer mehr Schwierigkeiten hatten, bei gesünderen Banken Kredite zu erhalten.

18. Wie konnte man diese Entwicklung aufhalten? Von Anfang an gab es einen möglichen Ausweg: die Vergemeinschaftung der Schulden. Anders gesagt die Übereinkunft, dass alle Staaten der Eurozone sich gemeinsam dazu verpflichten, die Schulden des insolventen Staates zurückzuzahlen. Doch wie konnte man die Staaten dazu bringen, füreinander zu bezahlen, wo doch jeder Staat an seinen nationalen Interessen, das heißt denen seines Bürgertums hängt?

Es ist nicht erstaunlich, dass gerade der reichste Staat, der deutsche Staat, die meisten Vorbehalte gegenüber einer solchen Vergemeinschaftung hatte. Schließlich drohen ihm die größten Ausgaben für die in Schwierigkeit geratenen Staaten. Und die diesbezüglichen Diskussionen, die im Wesentlichen die europäischen Gipfeltreffen bestimmt haben, waren weniger Diskussionen über Prinzipien, sondern hauptsächlich das Geschachere von Teppichhändlern. Wer zahlt, wie viel und wie? Wie sind die Beteiligungsquoten an den eingerichteten Solidaritätsfonds zu verteilen? Welche Gegenleistungen sollen verlangt werden?

19. In Wahrheit bestand die Flucht nach vorn der führenden europäischen Köpfe darin, in die Fußstapfen der amerikanischen Führung zu treten und auf dem Weg immer mehr Grundregeln der Eurozone platt zu treten.

Die USA sind bereits bei ihrem dritten Plan, den sie "Programm zur quantitativen Lockerung" nennen und der im Grunde darin besteht, zusätzliche Dollars zu schaffen, mit denen der Staat die Raten seiner Schulden zahlen kann.

Die Verantwortlichen in Europa haben mithilfe ihrer sich ständig wiederholenden Gipfeltreffen letztlich einen Weg gefunden, wie sie Regeln der Eurozone brechen können, ohne dass es auf den ersten Blick zu sehen ist. Sie haben der EZB erlaubt, den Privatbanken die Schuldverschreibungen der Staaten abzukaufen, die in Schwierigkeit geraten waren. Damit haben sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sie haben die Banken von den am wenigsten vertrauenswürdigen Wertpapieren befreit und gleichzeitig den Druck auf die in Schwierigkeit geratenen Staaten verringert. Aber dies alles ist dennoch eine Form, die Inflation anzuheizen.

Sie haben den Staaten, die von diesen Krediten profitieren, eine drakonische Sparpolitik auferlegt.

Am 6. September 2012 sind sie den letzten Schritt gegangen: Sie haben angekündigt, dass die Europäische Zentralbank von nun an unbegrenzt die Schuldverschreibungen der Länder der Eurozone mit Finanzierungsschwierigkeiten aufzukaufen bereit ist. Alle Banken und Anlagefonds, die auf die griechischen oder spanischen Schulden spekuliert haben, sind damit sicher, dass sie ihre Anlagen nicht verlieren werden. Die Finanzmärkte haben die Entscheidung sofort begrüßt - auch wenn sogar der Le Figaro (13. September 2012) sie für eines "der verheerendsten Ereignisse in der europäischen Währungsgeschichte" hält. Und sei es nur, weil sie in bedeutendem Maß die Inflation anheizt.

Aber die EZB macht, mit Verspätung, nichts anderes als die FED (die Zentralbank der USA).

20. Diese Entscheidung hat den Banken, die in Griechenland oder Spanien spekuliert haben, ihren Einsatz gerettet. Sie hat die Spekulation auf die unterschiedlichen Zinssätze zwischen den Staaten der Euro-Zone verlangsamt. Dennoch heißt dies noch nicht, dass sie den Euro gerettet hat. Es ist nicht einmal gesagt, dass sie dem Misstrauen zwischen den europäischen Banken ein Ende bereiten wird. Während sie Anstrengungen betont, die die EZB unternimmt, um "die Krise einzudämmen", unterstreicht die Zeitschrift Alternatives économiques, Sondernummer 94 (Oktober 2012), dass die EZB über ihre langfristigen Refinanzierungsgeschäfte "nur zwischen Dezember 2011 und März 2012 (das heißt sogar noch vor der Entscheidung, die Schalter zu öffnen) den Banken rund 1000 Milliarden Euro geliehen hat; der Bankenkredit zieht sich in der Eurozone erneut zusammen, was für die wirtschaftlichen Aktivitäten besonders schädlich ist, weil die Banken in Europa traditionell einen Großteil der Finanzierung der Wirtschaft sichert."

Ein Mal mehr verschärft die angebliche Lösung einer Phase der Krise die Finanzialisierung und bildet so die Grundlage für ihre nächste Phase.

21. Hinter den Bocksprüngen der Finanz geht die Krise der produktiven Wirtschaft weiter und verschärft sich. Die Bruttosozialprodukte sind, auf das ganze Jahr betrachtet, rückläufig, auch wenn dieser globale Rückgang sich über momentane örtliche Variationen vollzieht. Dies ermöglicht den naivsten unter den Optimisten, die Zahlen in den Vordergrund zu stellen, die zu dem Zeitpunkt am vorteilhaftesten sind, so in der Art: "Letzten Monat hat die Industrieproduktion einen leichten Zuwachs in Großbritannien zu verzeichnen.", oder "Die Zahl der Arbeitslosen ist jüngst in den USA gesunken.", oder auch "Der Außenhandel Deutschlands zeigt Anzeichen einer Erholung.".

Aber die Vielfalt der Situationen kann nicht die wahre Grundtendenz der Entwicklung verschleiern. Das BIP der Eurozone zum Beispiel hat Anfang 2012 sein Niveau von 2008 nicht wiedererlangt.

Aussagekräftiger noch ist die Entwicklung der industriellen Produktion. Laut der Zeitschrift Problèmes économiques ist "die Industrieproduktion 2012 geringer als die 2008, sogar in Deutschland". Und die Veröffentlichung fügt hinzu: "Die Inlandsnachfrage sinkt, insbesondere Investitionen" oder auch "Die Industrieproduktion in Frankreich ist auf den Stand von vor 15 Jahren zurückgekehrt." (zwischen 2000 und 2011, ein Rückgang von 8%).

Natürlich sind die Indikatoren für die Industrieproduktion kaum weniger abstrakt als die Zahlen des Bruttoinlandsprodukts, und die sind unglaublich abstrakt. Diese Indikatoren weisen jedoch alle unzweideutig auf eine Entwicklung hin, die sich noch deutlicher in den Zahlen der Massenentlassungen, Betriebsschließungen und der steigenden Arbeitslosigkeit widerspiegelt.

22. Ein weiteres Zeichen der Verschärfung der Krise sind die sinkenden Preise der Rohstoffe, die von der Industrie verwendet werden (Eisenerze, Bauxit, Nickel, usw.). Dabei waren diese Rohstoffe noch vor kurzem ein Spekulationsobjekt. Ihre Preise stiegen weniger wegen der reellen industriellen Nachfrage als vielmehr aufgrund der Erwartung der Spekulanten, dass diese Nachfrage weiter steigen würde.

Ein kürzlich erschienenes Dossier der Zeitung Les Échos mit dem Titel Rohstoffe: das Ende des goldenen Zeitalters stellt fest: "Nach 10 Jahren quasi ununterbrochenen Anstiegs der Preise, während derer die Kurse von Gold oder Kupfer sich versiebenfacht haben, fangen einige an den Märkten an zu zweifeln. Seit Beginn des Jahres erweist sich die Entwicklung der Rohstoffe als chaotisch. Und dies gilt noch mehr seit Beginn des zweiten Quartals: Seitdem verlangsamt sich die Preisentwicklung." Die Zeitschrift führt außerdem den Referenzindex an, der 24 Rohstoffe umfasst und der innerhalb eines Monats fast 2% verloren habe.

In jedem Fall sind dies alles Zeichen dafür, dass das Kapital nicht an einen schnellen Wiederaufschwung der Industrie glaubt, nicht einmal in Ländern wie China, von denen man versicherte, dass ihre Bedürfnisse die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen in die Höhe treiben würden.

23. Ein anderes Zeichen der Verschärfung der Krise ist vielleicht die Feststellung des Gallois-Berichts, dass die Gewinnmargen der Industrie sinken würden. Die "Marge" spiegelt nur sehr indirekt die Profitrate wieder. Aber es könnte sein, dass die sinkende Gewinnmarge die Tatsache wiederspiegelt, dass die Profitrate, die in den 1990er Jahren wieder hergestellt worden war, nun wieder anfängt zu sinken. In dem Fall wäre dies das Anzeichen für eine weitere Verschärfung der Krise.

Der Gallois-Bericht und die Notmaßnahmen, die die Regierung getroffen hat, weisen in jedem Fall auf eines klar und deutlich hin: Die kapitalistische Klasse und ihre Befehlsnehmer in der Regierung gedenken diese sinkende Gewinnmarge zu kompensieren, in dem sie die ausgebeuteten Klassen schröpfen. Und darin lässt sich die gesamte Politik des Bürgertums seit Beginn der Krise zusammenfassen.

24. Eins muss jedoch betont werden: Selbst wenn es eine sinkende Gewinnmarge der Unternehmen geben sollte, so betrifft dies nicht die Dividenden, zumindest nicht diejenigen, die von den großen Unternehmen ausgeschüttet werden. Selbst der Gallois-Bericht erkennt an - zugegebenermaßen nur in einer Fußnote - dass "die Dividenden, die von den Firmen des CAC 40 ausgeschüttet werden, insgesamt stabil bleiben trotz der großen Unbeständigkeit der Gewinne". Die Auswirkungen der sich verschärfenden Krise vergrößern den Graben zwischen dem Anteil der Kapitaleinkünfte und dem der Löhne immer mehr.

25. Die Jahresbilanz ist also eine erneue Aufblähung der Finanzsphäre und gleichzeitig eine sich ankündigende Verschärfung der Inflation.

Für die ausgebeuteten Klassen ist die Bilanz jetzt schon verheerend. Während die Krise der produktiven Wirtschaft anhält und sich in einer wachsenden Zahl an Arbeitslosen und Betriebsschließungen ausdrückt, führt die Finanzkrise bereits zu einer dramatischen Sparpolitik in Griechenland oder Spanien und allgemein in den ärmsten Ländern Europas. Sie verschärft sich auch im imperialistischen Teil Europas und in den USA. Und auch hier wächst überall die Arbeitslosigkeit, ebenso die Zahl der Arbeitenden, die unter der Armutsgrenze leben, obwohl sie einen mehr oder weniger festen Arbeitsplatz haben, sogar in Ländern wie Deutschland oder Schweden.

26. Einige der Sprecher des Bürgertums, Ökonomen oder Politiker, heben hervor, wie sehr die Sparpolitik den Konsum einschränkt, auf diese Weise die Krise verschärft und damit die Möglichkeit, das ein neuer wirtschaftlicher Zyklus in Gang gesetzt werden könne, zunichte gemacht wird. Die wachsenden Anteile, die sich die Finanz einverleibt, ersticken in der Tat die kapitalistische Wirtschaft und blockieren den Wirtschaftsaufschwung. Doch niemand kann etwas dagegen machen, so mächtig sind die Interessen, die dabei auf dem Spiel stehen.

27. Die Ökonomen des reformistischen Universums, das heißt diejenigen, die die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft in den letzten 30 Jahren kritisieren, machen für diese Entwicklung die neo-liberale Tendenz verantwortlich, diese "Marktfundamentalisten", die die Wirtschaft mittlerweile beherrschen würden. Sie träumen von einer Rückkehr zu einer Politik, die dem Staat und der "sozialen Solidarität" in der Wirtschaft mehr Platz einräumt. Als wenn die großen Tendenzen der wirtschaftlichen Entwicklung durch Ideen bestimmt würden, durch Debatten zwischen oppositionellen Lagern bürgerlicher Ökonomen, und nicht durch die Interessen der herrschenden Klasse. Die Ökonomen geben im besten Fall den Forderungen der privilegierten Klasse eine rhetorische Formulierung. Nichts ist utopischer als von einem idealen Kapitalismus zu träumen und dabei die 1950er, 1960er Jahre heraufzubeschwören, wo der Staat mehr oder weniger die Aktivitäten der Banken regulierte und mithilfe seiner Sozialpolitik den Konsum auf einem bestimmten Niveau hielt.

Diese Vergangenheit war für die ausgebeuteten Klassen nie ideal gewesen. Und vor allem hat noch keiner dieser Reformisten ein Mittel erfunden, wie man dahin zurückkommen könne.

28. Die Finanzialisierung, mit all ihren verheerenden Folgen für die arbeitende Bevölkerung und auch für die kapitalistische Wirtschaft selber, ist nicht von außen gekommen und ist erst recht nicht die Folge irgendwelcher politischen Entscheidungen.

Die politischen Entscheidungen, die Deregulierung, die der Finanz freie Hand lässt, haben die Interessen des großen Kapitals in diesem Krisenkontext nur begleitet und leichter durchsetzbar gemacht. Die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu verschärfen, um die nicht ausreichende Ausweitung der Absatzmärkte zu kompensieren, ist eine grundlegende Tendenz der Wirtschaft. Die wachsende Rolle des Kredits und der Verschuldung in der Funktionsweise der Wirtschaft ist eine ebensolche grundlegende Tendenz der Wirtschaft. Beide werden von mächtigen Klasseninteressen getragen, auch wenn diese Interessen Widersprüche in sich bergen.

Nichts deutet darauf hin, dass sich diese Tendenz umkehren würde. Allein die Tatsache, dass die heutigen Tendenzen sich fortsetzen, bedeutet eine Verschärfung für die ausgebeuteten Klassen. Nicht umsonst sind selbst in den reichsten imperialistischen Ländern die beiden Forderungen, die man zur "großen nationalen Sache" gemacht hat, die Notwendigkeit der Schuldentilgung und die Wettbewerbsfähigkeit.

Die erste drückt die Forderung der Finanz aus, einen wachsenden Teil an Pfründen aus der Produktion abzuschöpfen. Die zweite weist auf den Willen des großen Kapitals hin, die Ausbeutung zu verschärfen, um den globalen Mehrwert zu erhöhen.

Auch wenn kein Finanzcrash zu einem allgemeinen Zusammenbruch der Wirtschaft führt - wovor keiner sicher sein kann - so wird es in der kommenden Zeit für die arbeitende Bevölkerung immer schlimmer werden.

29. Fast alle Medien und Politiker stellen die Wettbewerbsfähigkeit als die große Sache da, die die gesamte Gesellschaft vereinen müsse. Das Bürgertum hat schon immer seine Interessen als die Interessen der gesamten Gesellschaft dargestellt. Dies ist die x-te Variante des Aphorismus "Was gut ist für General Motors ist gut für die Vereinigten Staaten."

Die kapitalistische Klasse führt nicht nur ihre Handelskriege, die im Rahmen der weltweiten Konkurrenz stattfinden, mit der Haut der Arbeitenden, sondern die Politiker möchten auch noch, dass die Arbeitenden das gutheißen.

Wenn dieser Klassenzynismus auch nichts Neues ist - was fehlt, ist dass das bewusste Proletariat seiner Stimme Gehör verschafft und mit Verachtung diese Form des Burgfriedens zurückweist. Die Arbeitenden haben sich nicht die Sache einer privilegierten Klasse zu eigen zu machen, die mit der Krise jeden Tag mehr ihren Bankrott offenbart und ihre Unfähigkeit, die Wirtschaft und die Gesellschaft zu leiten.

30. Vorzugeben, dass man die Krise durch die "Wettbewerbsfähigkeit" bekämpfen könne, ist außerdem dämlich. Es ist lächerlich, die Probleme der Wirtschaft in Frankreich als Probleme nur dieses Hexagons zu betrachten, das in seine nationalen Grenzen oder auch in die etwas weniger engen Grenzen der Europäischen Union eingesperrt wäre. Und zu glauben, man könne sie korrigieren, indem man auf dem Rücken der Beschäftigten die "Wettbewerbsfähigkeit" der Produkte Made in France verbessere. Die Position der kapitalistischen Klasse Frankreichs in der internationalen Konkurrenz zu stärken, hat absolut keine Auswirkungen auf die Krise selber. Diese Krise ist eine weltweite Krise.

Um nur dieses eine Beispiel zu nennen: Dieselben, die die Konkurrenz Chinas auf dem Weltmarkt als Gefahr brandmarken, betonen, dass einer der Gründe für die Verschärfung der Krise darin besteht, dass die paar "Schwellenländer" wie China, die die weltweite Nachfrage ein wenig erhöht hatten, heute eine Verlangsamung des Wachstums und eine sinkende Nachfrage erleben.

Während die einzelnen Bourgeoisien gegeneinander einen gnadenlosen Krieg führen, sind sie gleichzeitig - um diesen Ausdruck aufzunehmen - "Banditen, die an die gleiche Kette gefesselt sind". Der Untergang der einen treibt auch die anderen in den Untergang.

Was für die Beziehungen zwischen China und der Gesamtheit der imperialistischen Staaten wahr ist stimmt auch für die Beziehungen zwischen den USA und Europa. Wenn sich die USA so sehr um die Gesundheit des Euros bemühen, dann weil sie wissen, dass ein Zusammenbruch der Eurozone eine wirtschaftliche Katastrophe in Europa zur Folge hätte, die notwendigerweise Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft hätte.

31. Im Zusammenhang der Vorschläge des Gallois-Berichts zur Wettbewerbsfähigkeit, zitiert die PCF (Kommunistische Partei Frankreichs) die Zahlen des Insee und stellt fest, dass "2011 (...) die Zinsen, die den Banken von Nicht-Finanz-Unternehmen gezahlt worden sind, insgesamt 309 Milliarden Euroumfassen, während die Sozialbeiträge nur 145 Milliarden Euro kosten würden." Die Feststellung ist richtig. Die PCF zieht daraus den Schluss, dass eine alternative Politik möglich wäre durch "eine Senkung der Abschöpfungen durch die Finanz, die die Betriebe ersticken."

Von der PCF über Mélenchon bis zu den Globalisierungskritikern singen alle den gleichen Refrain: "Eine andere Politik ist möglich." Und alle zählen Rezepte auf, die den Unternehmen angeblich ermöglichen würden, Käufer für ihre Produkte auf dem Weltmarkt zu finden. Selbst wenn man es radikal formuliert, bedeutet dies, die Bourgeoisie, die kapitalistische Welt davon zu überzeugen, sich ein bisschen weniger der Finanz zu widmen und ein bisschen mehr der industriellen Produktion. Das ist, wie wenn man Milch von einem Ziegenbock fordern würde! Und vor allem täuscht und betrügt man damit die Arbeitenden.

Umso mehr, da dieser Forderung nach einer "anderen Politik" von Seiten der Reformisten jeden Kalibers immer die Forderung folgt, durch Wahlen die Regierungsmannschaft zu wechseln. Gestern Hollande an Stelle von Sarkozy. Und wer weiß: Morgen vielleicht Mélenchon an Stelle von Ayrault?

32. Abstrakt gesehen sind viele der Maßnahmen "realistisch", die die Ökonomen vorschlagen, die die exzessive Finanzialisierung der Wirtschaft betrauern - realistisch in dem Sinn, dass sie im Rahmen des Kapitalismus umsetzbar wären. Aus gutem Grund: Die Ökonomen, die die PCF oder Mélenchon beraten, lassen sich von politischen Ideen inspirieren, die das Bürgertum in der Vergangenheit bereits umgesetzt hat. Sie reichen von verschiedenen Formen der Bankenregulierungen bis hin zu einem mehr oder weniger starken Eingreifen des Staates in die Wirtschaft, von einer stärker betonten Sozialpolitik bis hin zum Protektionismus.

Einige dieser Vorschläge sind sicherlich für das Bürgertum akzeptabel. Aber dennoch weist nichts darauf hin, dass die kapitalistische Klasse die Finanzialisierung wieder rückgängig machen wollen würde - auch wenn sie sich über deren katastrophale Folgen vollkommen bewusst ist. Wenn die Entscheidungen des Bürgertums von seinem Bewusstsein abhängen würden, dann gäbe es keine Spekulation, keine Finanzialisierung, keine Konkurrenz und keine zerstörerischen Handelskriege. Aber die Entscheidungen des Bürgertums werden durch seine Interessen bestimmt - und mit der Finanzialisierung durch sehr kurzfristige Interessen.

Es handelt sich um eine unverantwortliche Klasse gegenüber der Gesellschaft und unfähig, ihre Wirtschaft zu beherrschen. Es ist nicht sicher, dass diese Mischung sehr widersprüchlicher Notwendigkeiten - zum einen seine Finanzinteressen und zum anderen sein Interesse an einem neuen Wachstum der Produktion - dem Bürgertum die Möglichkeit lässt, zu einigen der politischen Formen zurückzukehren, die in der Vergangenheit durchgesetzt wurden. Zurückkehren zumindest außerhalb eines sozialen Zusammenbruchs oder eines Krieges. Man erinnere sich an die panischen Reden über die Notwendigkeit, das Bankensystem zu regulieren, die 2008 während der paar Wochen geführt wurden, in denen der Bankencrash drohte! Keiner dieser Reden hatte irgendwelche konkreten Folgen.

33. Deshalb müssen die revolutionären Kommunisten alle Vorschläge bekämpfen, die vorgeben, den Ausgebeuteten Auswege im Rahmen des Kapitalismus aufzeigen zu können - selbst wenn diese Vorschläge von guten Absichten getragen sind. Solange die Krise der kapitalistischen Wirtschaft andauert, müssen alle Überlegungen der Arbeiterklasse darauf gerichtet sein, mit Zähnen und Klauen ihre Existenzbedingungen zu verteidigen, indem sie den Bürgertum ihre eigenen Klasseninteressen gegenüberstellen. Der Zerfall der Arbeiterklasse aufgrund der Arbeitslosigkeit und die moralische Zersetzung der wichtigsten produktiven Klasse der Gesellschaft stellen einen dramatischen Rückschritt dar.

Die Interessen der Arbeiterklasse und die des Bürgertums sind absolut unversöhnlich und dies mehr denn je in dieser Zeit der Krise. Man muss sich bewusst darüber sein, dass jeder auch nur etwas seriöse Kampf der Arbeiterklasse auf dem Gebiet der konsequenten Verteidigung ihrer Interessen zu einem Zusammenstoß mit der kapitalistischen Klasse führen wird und dazu, ihre politische und wirtschaftliche Herrschaft über die Gesellschaft in Frage zu stellen.

34. Allein schon, für eine so elementare Forderung in dieser Krisenzeit zu kämpfen wie das Verbot von Entlassungen und die Aufteilung der Arbeit unter allen, stellt direkt die Herrschaft der Unternehmer über die Unternehmen und des Bürgertums über die Gesellschaft in Frage.

Diese einfache Forderung des guten Menschenverstandes bringt eine andere mit sich, die sich im Grunde einer ebenso grundlegenden Notwendigkeit entspringt: die der Kontrolle der Unternehmen durch die Arbeitenden und durch die Bevölkerung, die um dieses Ziel herum organisiert sind. Denn ohne diese Kontrolle finden die Bosse, die Aktionäre, das Bürgertum tausend Ausflüchte, um zu behaupten, das sei nicht möglich und sich dem Recht zu entlassen entgegenzustellen würde die Unternehmen töten.

Und auf einer wesentlich allgemeineren Ebene, dem der Funktionsweise der gesamten Wirtschaft, werfen die Bourgeois selber oder ihre politischen Vertreter regelmäßig die Frage der Kontrolle der Banken auf. Jedoch sind dieselben, die Schwierigkeiten haben, Kredite für ihre Geschäfte zu bekommen und die unter dem erdrückenden Gewicht der Banken und dem, was die Banken abschöpfen, leiden, gleichzeitig Besitzer von Kapital oder Liquiditäten, die es anzulegen gilt. Und als solche haben sie ein Interesse daran, dass die Finanzgeschäfte hinter dem Schleier des Geheimnisses verborgen stattfinden.

Die Kontrolle der Funktionsweise der Banken und der Unternehmen ist im Interesse des allergrößten Teils der Gesellschaft. Doch nur die Arbeiterklasse kann sie ihm Rahmen eines mächtigen und vor allem bewussten Kampfes durchsetzen.

Wir sind heute nicht in der Lage dazu. Aber die Aufgabe der revolutionären Kommunisten ist es, eine solche Situation vorauszusehen und vorzubereiten. Auch wenn die erdrückende Mehrheit der Arbeiterklasse, die heute zu defensiven Kämpfen gezwungen ist, dieses Bewusstsein noch nicht hat: Es gibt keine effiziente Verteidigung der Arbeiterklasse in dieser Krisenzeit ohne das klare Bewusstsein, dass der Verteidigungskampf sich zunächst in ein Infragestellen der Macht des Bürgertums verwandeln muss und dann in einen Kampf um die Macht der Arbeiterklasse.

12. November 2012