Die internationalen Beziehungen (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Dezember 2012)

Εκτύπωση
Die internationalen Beziehungen
Dezember 2012

(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2012 verabschiedet)

Die Europäische Union bedroht von der Krise!

Die Vertiefung der Krise der kapitalistischen Wirtschaft seit der Finanzkrise Ende 2008 lastet auf den internationalen Beziehungen wie auf der innenpolitischen Lage in den verschiedenen Ländern. Die unge-ordneten Improvisationen der Führungsspitze der Wirtschaft wie der Politik angesichts der Erschütterungen der Krise, die sie zu meistern unfähig sind, verleihen den internationalen Beziehungen einen chaoti-schen und widersprüchlichen Charakter.

Auf den politischen Bühnen der einzelnen Länder lässt sich überall, sogar in den vorrangigen Ländern der imperialistischen Welt, ein Anstieg der reaktionären politischen Strömungen feststellen, die den nati-onalen Rückzug predigen und Protektionismus und eine mehr oder weniger heftige Fremdenfeindlichkeit zu ihrer politischen Wegzehrung machen. Gleichzeitig und mit einer besonderen Kraft treten von Italien bis zum Vereinigten Königreich, über Spanien und Belgien alle möglichen mikronationalistischen oder regionalistischen Tendenzen auf, die hier die Autonomie der nördlichen Region Italiens, dort die Unab-hängigkeit Schottlands, Kataloniens oder des Baskenlands predigen, oder die Trennung zwischen der flämischen und wallonischen Region. Die Geschichte geht mit großen Schritten rückwärts.

Aber zugleich gibt es mehr Treffen zwischen Staatschef auf Welt- oder Europaebene denn je, so deutlich ist es, dass die Probleme der Wirtschaft wie die Probleme der Finanz sich im globalen Maßstab stellen.

In der derzeitigen Phase der Krise ist klar, dass eine brutale Rückkehr zu den protektionistischen Schranken, die eine schwerwiegende Verlangsamung des internationalen Handels hervorrufen würde die Welt-wirtschaft in den Zusammenbruch treiben würde.

Der Widerspruch zwischen den Interessen des vollkommen globalisierten Großkapitals und den politischen Kräften, die sich mit einer Demagogie um die Macht bewerben, die nationale oder sogar regionale Rückzugsbewegungen preisen, verleiht den internationalen Beziehungen einen schizophrenen Charakter.

Die politischen Führer der verschiedenen europäischen Bourgeoisien sind zwar stolz auf diesen Kümmerling von Vereinigten Staaten Europas, den die Europäische Union darstellt, die dieses Jahr pompös den Friedensnobelpreis erhalten hat, aber sie sind sich allesamt vollkommen bewusst, dass sich die Eurozone seit, sagen wir, zwei Jahren, im Auge des Zyklons der Weltfinanzkrise befindet und dass sie von einem Moment auf den anderen auseinander brechen und 50 Jahre mühsamem Feilschens zunichtemachen kann.

Die Diskussionen rund um die Frage, wer den Nobelpreis in Oslo entgegennehmen soll, sind zwar schwachsinnig, aber deswegen nicht weniger bezeichnend. Das Problem ist natürlich nicht eine Frage, wer von den paar ebenso unbedeutenden wie unbekannten Figuren, die sich die Posten an der Spitze der Europäischen Kommission oder des Europäischen Parlaments teilen, Vorrang hat, aber die Vergänglich-keit dieser Figuren ist ein Zeichen dafür, dass Europa keine einheitlichen politische Führung hat. Kissinger, seinerzeit amerikanischer Staatssekretär, hat dies, so sagt man, mit der folgenden Frage zum Aus-druck gebracht: "Europa, welche Telefonnummer?" Der Präsident der Vereinigten Staaten kann ein B-Movie-Darsteller sein oder ein Allerwelt-Politiker, der von der Großbourgeoisie ausgefiltert und als Sieger aus der Wahllotterie hervorgegangen ist, er symbolisiert einen einheitlichen Staatsapparat mit allem was das heißt. Nichts von alledem in Europa.

In über 50 Jahren ihrer chaotischen Geschichte hat sich die Europäische Union sicherlich mit dem Deko-rum eines Staates umgeben, von Parlament bis Exekutive, aber sie hat kein einheitliches Staatsgebilde geschaffen.

Die nationalen Bourgeoisien haben sich von tiefen wirtschaftlichen Notwendigkeiten dazu hinreißen lassen, auf mehr oder weniger große Teile der Souveränität ihrer Nationalstaaten zu verzichten. Aber keine von ihnen und am wenigsten die Bourgeoisien der wichtigsten rivalisierenden imperialistischen Mächte Europas - allen voran Deutschland, Großbritannien und Frankreich - haben akzeptiert, ihren nationalen Staatsapparat zugunsten eines supranationalen Staates aufzugeben. Die imperialistischen Bourgeoisien Europas haben sich zwar zusammengetan, sind aber nichtsdestotrotz Rivalen geblieben. Sie waren und sind Rivalen und vor allem innerhalb des gemeinsamen Wirtschaftsraums, wo ihre nationalen Staatsappa-rate umso weniger dazu neigen, sich in einem supranationalen Staat aufzulösen, als ihr Gewicht und ihre Stärke das stärkste Argument in der dauernden Schacherei der Europäischen Union darstellen. Aber man darf auch die Rivalitäten zwischen den europäischen Imperialismen in der Welt nicht vergessen, wo die Einflusszonen der einen und der anderen, ihre Allianzen, ihre Interessen sich manchmal überschneiden, aber nicht immer übereinstimmen, wenn sie sich nicht gar entgegengesetzt sind.

Man erinnere sich in diesen Tagen, in denen die Heuchelei rund um den Friedensnobelpreis es der Europäischen Union zuschreibt, dass es auf dem Kontinent keine kriegerischen Auseinandersetzungen gibt, an den furchtbaren Krieg, der mit dem Auseinanderfallen Jugoslawiens einherging. Dieser Krieg hat nicht nur auf europäischem Boden stattgefunden, er hat auch die Rivalitäten zwischen Großmächten geschürt, obwohl diese zu eben dieser Europäischen Union gehörten. Die Verantwortung tragen insbesondere Deutschland und Frankreich, da beide jeweils zugunsten ihres historischen Verbündeten in Jugoslawien eingegriffen haben, Deutschland für Kroatien und Frankreich für Serbien. Indem sie so mit dem Feuer der sich gegenüberstehenden Nationalismen spielten, haben die imperialistischen Großmächte Europas dazu beigetragen, diese unglückselige Region in Brand zu stecken. Das Ergebnis waren hunderttausende Opfer - über 200 000 Tote laut der französischen Botschaft in Kroatien - und "ethnische Säuberungen".

Diese Divergenzen bzw. diese gegensätzlichen Interessen haben sich im Verlauf der gesamten Geschichte dieses "europäischen Aufbaus" gezeigt. Und weit über die konkreten Fälle hinaus, in denen jede der im-perialistischen Mächte Europas ihr eigenes diplomatisches, wenn nicht gar militärisches Spiel spielt, sind diese Rivalitäten der Grund dafür, dass die Europäische Union es in einem halben Jahrhundert des "europäischen Aufbaus" nicht geschafft hat, sich mit einer einheitlichen Diplomatie oder gar einer einheitlichen Streitkraft auszustatten.

"Wirtschaftlicher Riese und politischer Zwerg", ein Ausdruck, der vor einigen Jahren für Deutschland geprägt wurde, trifft auf die Europäische Union umso mehr zu. Aber da Wirtschaft und Staatspolitik mit-einander verflochten sind, stellt die politische Zwergenhaftigkeit, also die Unfähigkeit der europäischen Länder, sich eine "einheitliche Staatsführung" zu geben, eine schwere Behinderung für die Wirtschaft selbst dar. Eine Aneinanderreihung von Staaten macht noch keinen vereinten Staat und ganz sicher keine einheitliche Haushalts-, Steuer- oder Wirtschaftspolitik, auch wenn diese Staaten vielleicht koalisieren.

Trotz ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und ihrer zahlreichen Bevölkerung hat die Europäische Union in der globalen Konkurrenz nie in der gleichen Liga spielen können wie die USA.

Zwar stellen die fehlende gemeinsame Diplomatie und gemeinsame Armee seit dem Entstehen der Euro-päischen Union in der Rivalität zwischen Großmächten ein großes Handicap für sie dar, aber es ist be-zeichnend, dass das heute drohende Auseinanderfallen der Europäischen Union nicht von dort herrührt. Sie wurde auf wirtschaftlichem Boden gebaut und ist heute auf finanziellem Boden bedroht. Strauss-Kahn, der wieder zu einer Positur als Wirtschaftsberater zurückgefunden hat, hat kürzlich diese offenkun-dige Wahrheit formuliert: "Die Logik einer Währungsunion besteht darin, dass sie, da sie nur eine einzige Währung hat, auch nur einen einzigen Zinssatz hat. Das war im Übrigen eine der Bedingungen des Maastrichter Vertrags: Die Zinssätze der Länder, die am Euro teilnehmen wollten, mussten ausreichend konvergent sein. Heute laufen die Zinsen weit auseinander (...). Das ist der Grund einer großen Instabilität, die internationale Beobachter zu der Aussage bringt, dass der Euro nicht standhalten wird."

Die tiefen Ursachen der Rezession, also des Rückgangs der Produktion, liegen zwar weder in den Schwachstellen des europäischen Aufbaus noch in den Finanzkrisen; die derzeitige Finanzkrise, die seit zwei Jahren die Eurozone unter Druck setzt, hat in den USA ihren Anfang genommen. Aber die Instabili-tät des Euro ist ein verschlimmernder Faktor. Angesichts der weit zurückreichenden Verflechtung der Volkswirtschaften des zersplitterten europäischen Kontinents, der verstärkten Verflechtung durch den Binnenmarkt und die gemeinsame Währung, würden ein Verschwinden des Euro und die Rückkehr zu den Landeswährungen und den Wechselkurskrisen zwischen ihnen eine brutale Bremse für den innereu-ropäischen Handelsverkehr und eine Verschlimmerung der Wirtschaftskrise darstellen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich neben den Reden über den nationalen Rückzug zugleich die Rede derer ver-schärft, die eine verstärkte Integration Europas predigen. Das würde einen größeren Verzicht auf nationa-le Prärogativen zugunsten vermehrter Prärogativen Europas bedeuten.

Der wichtigste Schritt auf dem Weg zur europäischen Einheit war die gemeinsame Währung und die Schaffung der Eurozone. Ihre Wackeligkeit war allerdings von Anfang an zu sehen: Die gemeinsame Währung wurde nur von einem Teil der Europäischen Union angenommen. Heute haben von den 27 Mit-gliedern der Union nur 17 den Euro, die 10 anderen nicht. Die einen, darunter Großbritannien, weil sie ihn ablehnen, die anderen, weil sie nicht - oder noch nicht - akzeptiert wurden.

Der Widerspruch zwischen dem Bestehen einer einheitlichen Währung und der Tatsache, dass sie sich nicht auf eine staatliche Autorität stützt, ist gerade in der Eurozone, d. h. dort, wo die Integration am wei-testen getrieben wurde, am größten. In dem Text "Die Krise der kapitalistischen Wirtschaft" kommen wir auf die wirtschaftlichen Mechanismen zurück, mit denen die Finanzmärkte die Schwächen und Wider-sprüchlichkeiten des Systems ausgenutzt haben, um sie zum Rohstoff ihrer Spekulationen zu machen, indem sie das Ganze zur Explosion treiben.

Sagen wir nur, dass die politischen Führer der Europäischen Union sich in ihren Bemühungen, die Löcher zu stopfen, auf eine Flucht nach vorne zu begeben scheinen, um zu versuchen, etwas mehr Einheit dort zu schaffen, wo es keine gibt. Einer der denkenden Köpfe aus der Welt der Spekulation, George Soros, brachte die Leitlinie dieser Flucht nach vorne auf den Punkt: "Wir haben heute keine andere Wahl als das Steuerungssystem der Eurozone zu verbessern. Die Frage ist nicht mehr, ob eine einheitliche Währung vonnöten ist oder nicht. Der Euro existiert und bräche er zusammen, würde dies zu einer voll-kommen aus der Kontrolle geratenen Bankenkrise führen. Die Welt würde dann einer tiefen Rezession versinken. "

Aber die unvorhersehbaren Umschwünge der Finanzbedrohung treiben die Staatschefs zwar panisch voran, aber die Europäische Union kommt so gut voran, wie ein rückwärtsgehender Esel. Zwar hat es dieses Jahr eine Reihe von Entscheidungen gegeben, die in die Richtung einer größeren europäischen Integration gingen. Aber sie alle waren dazu bestimmt, in aller Eile auf die Folgen des fehlenden europäischen Staates zu reagieren, nicht auf die Ursache. Es gab den "Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung", die Schaffung der ersten aber lächerlichen europäischen Steuer auf Finanztransaktionen, die Einigung über eine Europäische Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank. Jede dieser Ent-scheidungen führte zu Auseinandersetzungen zwischen Staaten. Im abgelaufenen Jahr gab es einige mehr oder weniger bedeutende politische Krisen.

So gab es Krisen zwischen den 17 Mitgliedern der Eurozone und den 10 Nichtmitgliedern über die Mechanismen der Beschlussfassung, da Entscheidungen, die nur die Eurozone betreffen, sich auch auf die gesamte Europäische Union auswirken.

Krisen zwischen einerseits Deutschland und Frankreich, deren Führungskreise auf eine größere europäische Integration unter ihrer Führung pochen, und Großbritannien, die davon nichts hören wollen.

Krisen zwischen einerseits den zwei vorherrschenden Mächten in der Eurozone, Frankreich und Deutschland, und den übrigen Ländern der Union andererseits, die in verschiedenem Maße von den wichtigsten Entscheidungen ferngehalten werden. Es versteht sich von selbst, dass es in dieser Gruppe die kleinen, nicht imperialistischen Staaten der Union sind - Slowakei, Litauen, Ungarn, Griechenland und viele andere - die am wenigsten zu sagen haben.

Krisen schließlich zwischen den beiden vorherrschenden Mächten der Eurozone, die zwar Komplizen sind, wenn es darum geht, ihr Kondominium der gesamten Eurozone aufzuzwingen, aber jede gemäß den Interessen und Vorstellungen ihrer nationalen Bourgeoisie.

Der jüngste dieser Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich, und zu dem beide Seiten sich diesmal klar bekannt haben, fand auf dem Europagipfel vom 18. Oktober 2012 statt, bei dem sich Merkel und Hollande in der Frage gegenüberstanden, ob die europäischen Banken und das Bankensystem einer ge-wissen Kontrolle durch die EZB unterstellt werden sollten, oder ob die Exekutive der Europäischen Uni-on einen gewissen Einblick in die Haushalte der Staaten erhalten sollte.

Die Feststellung, dass sogar die wenigen kleinen Schritte in Richtung einer Integration Faktoren der Desintegration zu den bereits existierenden hinzufügen, ist kaum paradoxal.

In der aktuellen Eurokrise wird immer deutlicher, dass die einzige supranationale Autorität, vielleicht nicht für die gesamte europäische Union, aber doch zumindest für die Eurozone, die Europäische Zentral-bank (EZB) ist. Diese einfache Feststellung entlockt nicht nur den rechten und extrem-rechten Souverä-nisten hysterisches Geschrei, sondern auch den Reformisten aller Art, die eine Versagung der Demokratie, die Aufgabe der Souveränität des Volkes und andere Belanglosigkeiten anprangern. Als ob nicht in jedem Staat und hinter den Staaten bereits die Banken oder genauer gesagt das Großkapital regieren würde!

In der Europäischen Union, die zum Nutzen der Kapitalisten errichtet wurde, um die Zirkulation ihrer Waren und ihres Kapitals zu erleichtern, "ist der König nackt". Die europäischen Institutionen, vom Parlament bis zur Exekutive, erscheinen noch deutlicher als machtlose Institutionen, die dem Finanzkapital vollkommen untergeordnet sind.

Die bürgerlichen Befürworter einer größeren europäischen Integration bedauern die immer größer wer-dende Diskrepanz zwischen ihren Vorschlägen für ein föderaleres Europa und dem wachsenden Misstrauen der Bevölkerungen gegenüber der europäischen Union und ihren Institutionen. Ein Misstrauen, welches dabei ist, sich in Feindseligkeit zu verwandeln, insbesondere in den Bevölkerungen der ärmeren und nicht imperialistischen Länder Europas.

Nicht grundlos verstärken die drakonischen Bedingungen, die der griechischen Bevölkerung aufgezwungen werden, deutschfeindliche Gefühle im Land, so sehr scheint die Geschichte mit einem neuen Besatz die Unterdrückung zu wiederholen, denen dieses Land wie alle Länder im Osten Europas zwi-schen den beiden Weltkriegen zum Opfer gefallen waren.

Die Europäische Union hat die Herrschaft der imperialistischen Europas über die weniger entwickelten Länder des Kontinents nicht beendet, sie hat ihr nur eine neue Arena geboten.

Als Reaktion gegen die drakonischen Sparpläne in Griechenland und Spanien, wo sie beinahe ebenso drakonisch sind, entwickeln sich in diesen Ländern massive Protestbewegungen. Sie fanden ihren Aus-druck in zahlreichen Demonstrationen und, insbesondere in Griechenland, in mehreren Tagen General-streik.

Die einfache Tatsache, dass es sie gibt, sowie die massive Beteiligung, sind eine Hoffnung für die Zukunft. Nur indem sie direkt auf der politischen Bühne eingreifen, haben die ausgebeuteten Massen, die sich im Würgegriff der Krise befinden, eine Chance, die Hiebe gegen sie zu stoppen. Aber diese Protest-bewegungen zeigen zugleich ihre Grenzen.

Die Bourgeoisie lässt sich von der Unzufriedenheit oder der Wut nur beeindrucken, wenn sie den Willen feststellen kann, ihre Interessen zu gefährden, und umso mehr wenn sie um ihre Macht über die Wirt-schaft und die Gesellschaft fürchten muss.

Zum derzeitigen Zeitpunkt haben die Massen in keinem der Länder, in denen es Massenbewegungen gibt, diesen Bewusstseinsgrad erreicht. Die politischen Führungskreise Griechenlands sind zwar zu Ver-renkungen gezwungen, um den Finanzkreisen zu zeigen, dass sie die Politik ausführen, die diese ihnen diktieren, und dabei zugleich zu versuchen, die Wut der Bevölkerung zu dämpfen. Aber die Führer des imperialistischen Europas scheinen durch die Entwicklung der sozialen Lage derzeit noch nicht in Panik zu geraten. Die steigende Wut der griechischen Bevölkerung geht noch nicht soweit, dass sie das Gerangel zwischen den europäischen Führern beeinflussen könnte.

Griechenland und Spanien zeigen, wie und wie schnell die ausgebeuteten Massen zur Mobilisierung getrieben werden. Aber sie zeigen auch, dass, damit diese Mobilisierung eine für die Interessen der Aus-gebeuteten günstige Richtung einschlägt und die Bourgeoisie direkt bedroht, eine Strömung und Organi-sationen vonnöten sind, um diese Interessen klar auszudrücken und die daraus hervorgehenden Ziele voranzustellen. In Zeiten, in denen der Klassenkampf aufgrund der Krise an Intensität gewinnt, wird langsam deutlich, dass die tatsächliche Alternative, die sich der Gesellschaft stellt, heißt: Wer steuert sie? Die kapitalistische Finanz oder die ausgebeuteten Klassen? Die Bourgeoisie oder das Proletariat?

Dass die Parteien, die vorgeben die Arbeiterbewegung zu verkörpern, sich dem Europa der Kapitalisten im Namen des Protektionismus oder der nationalen Rückzüge entgegenstellen, ist das Zeichen eines ab-grundtiefen Rückschritts der Arbeiterbewegung.

Zwar ist die Europäische Union nicht dieses "Europa der Völker", den sich alle Varianten der Refor-misten herbeiwünschen, doch ist es nicht die Union, die in Frage steht, sondern die Herrschaft des Groß-kapitals über jedes einzelne Land wie auch über das Ganze, das sie mehr oder weniger bilden. Die Union dafür verantwortlich zu machen, ist nicht nur eine Art, dem Kapitalismus seine Verantwortung zu nehmen, sondern auch eine zutiefst rückschrittliche politische Gangart.

Die revolutionären Kommunisten müssen klar und deutlich sagen, dass der Umsturz der Macht der Bour-geoisie und die Machtergreifung durch das Proletariat in den engen Arenen der heutigen nationalen Ge-bilde, die selbst im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaft vollkommen anachronistisch sind, nicht vor-stellbar ist. Diese Perspektive einer europäischen Revolution, sie selbst Element einer internationalen Revolution, scheint heute angesichts des Bewusstseinsgrads und der geringen Kampfbereitschaft der Ar-beiterklasse utopisch. Wenn sie aber geschieht, ist es unvorstellbar, dass sie sich auf den von der Bour-geoisie in der weit zurückliegende Epoche, in denen die Nationalstaaten ein fortschrittlicher Gedanke waren, festgelegten und sich im Laufe der wechselnden Kräfteverhältnisse zwischen den imperialistischen Mächten ändernden Rahmen beschränken werden. Die großen revolutionären Wellen seit 1848 sind immer international gewesen. Dies umso mehr, als das Proletariat schon seit langem den Aufbau einer neuen sozialen Organisation in der seit langem globalisierten Wirtschaft nur im internationalen Maßstab ins Auge fassen kann.

Selbst die Vereinigung Europas kann nur eine Wegetappe sein. Die Vereinigung des gesamten europäischen Kontinents in Verbindung mit den Kontinenten Asien, dessen geographische Verlängerung er ist, und Afrika, mit dem er durch seine Geschichte und seine menschliche Zusammensetzung verbunden ist, gehören spätestens seit dem Ersten Weltkrieg und dem den Völkern von den siegreichen imperialistischen Mächten aufgezwungenen Versailler Vertrag zum Programm des revolutionären Proletariats .

Der Stalinismus hat diesen Aspekt des Programms, wie vieles andere auch, weit zurückgeworfen. Es ist Aufgabe der neuen Generationen Revolutionäre, ihn wieder aufzugreifen, in einem Kontext, in dem er noch von sehr viel größerer Aktualität ist, als zur Zeit der kommunistischen Internationale.

Dieses Programm wird, ebenso wie die Perspektive der proletarischen Revolution selbst und damit ein-hergehend der Kommunismus, heute nur von kleinen Organisationen wie der unseren getragen. Nur ein neuer Aufschwung des Bewusstseins und der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse kann dieser Perspek-tive wieder Realität verleihen.

Ein Grund mehr, das Programm der proletarischen Revolution gegen alle jene zu bewahren, die - in den verschiedenen Varianten des Reformismus - die "nationale Souveränität", den wirtschaftlichen Pro-tektionismus für ein linkes Programm ausgeben und damit für ein Programm im Interesse der Arbeiter-klasse.

Unsere politischen Standpunkte, was Europa betrifft, und mit denen wir denen der PCF und von Mélenchon gegenüberstehen, ergeben sich aus der Unterschiedlichkeit unserer Programme und unseren gegensätzlichen Perspektiven: Die unsere ist der Umsturz der Macht der Bourgeoisie durch das revolutio-näre Proletariat, die ihre, zu versuchen, die kapitalistische Wirtschaft anders zu leiten.

Nein, die Krise ist nicht die Konsequenz der Europäischen Union der liberalen politischen Einstellung ihrer Führer, sondern die Konsequenz der Funktionsweise selbst der kapitalistischen Wirtschaft. Nein, die "nationale Souveränität" - bestenfalls eine sinnleere Abstraktion, in Wirklichkeit Ausdruck der Interessen der nationalen Bourgeoisie - schützt die Arbeitenden nicht gegen die Krise. Nein, die Gesetze und Erlasse des Parlaments oder der Exekutive in Frankreich sind der Arbeiterklasse nicht besser gewogen als die Verträge, die der Europäischen Union zugrunde liegen. Nein, nicht Deutschland zwingt uns hier in Frank-reich eine Sparpolitik auf, es ist unsere eigene Regierung, so "sozialistisch" sie sich auch nennen mag. Nein, die Arbeiterklassen Deutschlands, Großbritanniens oder Spaniens, und auch nicht Chinas, sind nicht die Feinde der Arbeiterklasse in diesem Land, sondern ihre Verbündeten.

Ja, gegen den offenen oder verschleierten Nationalismus gehört allein der Internationalismus zu den Werten der revolutionären Arbeiterbewegung. Er allein eröffnet die Perspektive der sozialen Emanzipati-on.

Der amerikanische Imperialismus und seine Interventionen in Irak, Afghanistan... und gegen sein eigenes Volk

Trotz des angeblichen Aufschwungs, der vor über drei Jahren begonnen haben soll, versinkt das Land weiter in der Krise. Allein das Großbürgertum zieht sich mit steigenden Profiten aus der Affäre, während der Lebensstandard der Bevölkerung weiter sinkt, das Elend sich ausbreitet und die Zahl der Armen stän-dig neue Rekorde bricht.

In diesem Land, dem reichsten der Welt, kommt der Parasitismus der kapitalistischen Klasse voll zu Tage, so sichtbar sind die Zerstörungen, die er anrichtet. Ein wesentlicher Teil des Reichtums, den diese Klasse aus der Ausbeutung der Arbeiterklasse zieht, wird in Form von Dividenden verteilt und wird von den Kapitalisten dazu benutzt, ihre eigenen Aktien aufzukaufen, um ihre Kurse nach oben zu drücken. Ein winziger Teil der Profite der Unternehmen wird demnach dafür verwendet, was die Wirtschaftsfach-sprache gemeinhin als "Investitionen" bezeichnet, aber nur wenige davon sind wirklich Investitionen in die Produktion.

Die Arbeitslosigkeit geht nicht zurück und betrifft in Wirklichkeit rund 20% der aktiven Bevölkerung. Die kurz vor den Wahlen angekündigten leicht zurückgehenden Zahlen sind ein statistisches Artefakt.

Die Entlassungswellen gehen weiter und wenn die Arbeitgeber gezwungen sind, Leute einzustellen, tun sie dies über Leiharbeitsfirmen, zeitlich befristete Verträge und Teilzeit.

Die Arbeitslosenquote der Schwarzen ist doppelt so hoch wie die der Weißen und junge Leute ohne Abschluss sind am meisten betroffen. Die Arbeitslosenquote erreicht damit 70% der jungen Schwarzen ohne Abschluss. Die älteren Werktätigen erhalten eine bundesstaatliche Rente, die in zwanzig Jahren die Hälfte ihres Wertes verloren hat und an der die Inflation weiter nagt.

Die Immobilienkrise fordert immer noch weitere Opfer, wobei über vier Millionen Familien bereits ihr Haus verloren haben. Weitere 11% der Kreditnehmer haben ein Haus, dessen Wert unter dem Wert ihrer Hypothek liegt und man geht davon aus, dass Hunderttausende von ihnen in den kommenden Monaten ihr Haus verlieren werden.

Während die Sozialhaushalte gekürzt werden, zieht die Armut immer weitere Kreise. Ein Viertel der Erwachsenen hat keine Krankenversicherung, aber die Regierung hat Einschnitte in Medicare (die bun-desweite Versicherung für ältere Menschen) und Medicaid (die Versicherung der Armen) vorgenommen, und das obwohl sie mit ihrer Reform der Krankenversicherung eine Ausweitung von Medicaid auf eine größere Anzahl Personen versprochen hatte.

Die Bourgeoisie und insbesondere die Großbourgeoisie schöpfen auf allen Ebenen - Countys, Städte, Schulbezirke, Bundesstaaten Föderalstaat - öffentlichen Gelder ab. Alle Haushalte sind im Minus, aber wenden astronomische Summen für die kreditgebenden Banken auf, die ihnen Geld leihen. So gibt die Stadt Detroit mehr Geld für die Zinsen ihrer Schulden aus, als sie für öffentliche Dienste bereitstellt. Um die Banken und Arbeitgeber zufrieden zu stellen, nehmen die Gebietskörperschaften drastische Einschnit-te bei ihren Mitarbeitern vor, senken die Gehälter und Löhne sowie Sozialvorteile der verbleibenden Mit-arbeiter und schneiden in die für die Bevölkerung nützlichen Dienste. Die Angriffe gegen die Arbeitenden im öffentlichen Sektor und die Lehrer haben sich dieses Jahr verdoppelt.

Das Großkapital saugt dem Bildungssystem mit Hilfe des Staates wortwörtlich das Blut aus den Adern.

Während öffentliche Schulen zu Hunderten geschlossen werden, schießen Privatschulen wie Pilze aus dem Boden, die zum Großteil von Banken, Finanzinstituten etc. kontrolliert werden. Sie stecken die öf-fentlichen Gelder ein und lassen die Bevölkerung immer teurer für einen Dienst bezahlen, den sie nicht einmal bereitstellen. Eine ungeheure Verschwendung, deren Opfer die Jugend der einfachen Bevölkerung ist.

Trotz allem haben die nahenden Wahlen seit einigen Monaten den Eifer der beiden Parteien, sich an der Bevölkerung zu vergreifen, etwas gezügelt. Aber Demokraten wie Republikaner sind sich bereits ei-nig, dass im Bundeshaushalt im nächsten Jahr Einschnitte in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dol-lar vorgenommen werden. Die Sparmaßnahmen sollen spätestens am 2. Januar in Kraft gesetzt werden. Zugleich verlieren im Januar rund drei Millionen Langzeitarbeitslose ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld, der für alle Arbeitslosen sehr begrenzt sein wird. 2013 wird also ein schwieriges Jahr für die Arbei-terklasse, ungeachtet wer als Sieger aus der laufenden Präsidentschaftswahl hervorgehen wird.

Der Ausgang der Präsidentschaftswahlen wird auch an der Außenpolitik des amerikanischen Imperialis-mus auf den zwei wichtigsten Schauplätzen seiner Militäreinsätze nichts ändern.

Am 18. Dezember 2011 hat Obama nach neun Jahren Krieg offiziell die letzten Truppen der amerikanischen Armee aus dem Irak abgezogen. Er beglückwünschte sich zu einem "bemerkenswerten Erfolg", und sagte: "Wir hinterlassen ein souveränes, stabiles und autonomes Irak".

Die amerikanische Intervention hinterlässt ein zerstörtes, unregierbares, von der Korruption zerfressenes Land; eine dezimierte Bevölkerung - offiziell wurden 122.000 Zivilisten getötet, gewissen Schätzungen zufolge sind es jedoch 1,5 Millionen; sieben Millionen Menschen sind auf der Flucht oder in Flüchtlings-lagern, zwei Drittel davon im Land selbst. Die Politik nach dem Motte "Teile um zu herrschen" hat zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Milizen geführt und das Land ist alles andere als "stabil". Auch seit dem Abzug der Armee werden weiterhin zahlreiche blutige Attentate verübt.

Und während der amerikanische Imperialismus offiziell seine Truppen abzieht, so behält er doch eine massive Präsenz im Irak: Die amerikanische Botschaft ist die größte der Welt mit nicht weniger als 17.000 Beschäftigten, drei wichtigen strategischen Zentren in den wichtigsten Erdölgebieten, und ohne die elf zweitrangigen Zentren, die auf das gesamte Land verteilt sind, zu erwähnen. Die Soldaten wurden durch 35.000 Söldner ersetzt.

Sechs Monate nach dem Abzug trifft diese Besatzung des Landes auf einen so schlechten Anklang, dass das Pentagon und die CIA beschlossen haben, die amerikanische Präsenz stark zu reduzieren. "Natürlich wollen wir nach dem Abzug der Truppen nicht genauso viele Leute vor Ort haben, wie in den Spitzenzeiten des Krieges". Diese Erklärung ist ein Geständnis, was den angeblichen Abzug der Amerikaner im Dezember 2012 (?) betrifft. Der Umfang des Abzugs ist zwar noch geheim und es ist die Rede davon, die Mitarbeiter der CIA in den Jemen und nach Mali zu verlegen, dennoch soll Bagdad eines der Hauptzen-tren der CIA bleiben. Nein, der amerikanische Imperialismus hat den Irak nicht verlassen. Er ist voll prä-sent und bereit, jederzeit einzugreifen, um den Erdölfirmen zu Hilfe zu eilen und seine Interessen in der Region zu wahren.

In Afghanistan, wo die amerikanische Armee an der Spitze einer militärischen Koalition ihr Unwesen treibt, zu der - muss es noch gesagt werden - auch Frankreich gehört, hat die Intensivierung des Krieges in den letzten beiden Jahren das Kräfteverhältnis nicht zugunsten der Invasoren verbessert. Ganz im Ge-genteil. Die Aufständischen waren noch nie so aktiv, die Korruption noch nie so allgegenwärtig und die Bevölkerung wird mehr denn je von den Milizen erpresst, die sie angeblich schützen sollen. Seit den elf Jahren, die dieser Krieg dauert, hat die amerikanische Armee nichts anderes getan als die Gewalt, deren Opfer in erster Linie die Bevölkerung ist, zu speisen und zu verstärken.

In diesem Jahr hat die Bevölkerung ihre Wut offen in Demonstrationen gegen die Besatzer ausgedrückt. Die Lage ist so schlimm, dass es vermehrt Übergriffe gegen die Soldaten der Koalition durch afghanische Militärs gibt, die ein Drittel ihrer Verluste darstellen.

Dabei hatte der mächtigste Imperialismus der Welt Afghanistan als leichtes Ziel für eine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September ausgewählt. Statt eines Blitzsieges ist es der längste Krieg geworden, den die USA je geführt haben, und demonstriert, dass Militärmacht nicht alles ist. Im Übrigen haben sich die Militärs nicht geniert, publik zu machen, dass sie für einen neuen Krieg keine Mittel haben, als Obama sich in Drohungen gegen den Iran erging.

Zwar konnte der amerikanische Imperialismus mit seiner Kraftprotzerei in dieser Region der nicht überzeugen, aber er hat sowohl im Irak als auch in Afghanistan gezeigt, welcher Zerstörung und Barbarei er fähig ist.

Die wachsende Bedeutung Chinas in den internationalen Beziehungen

China ist nach drei Jahrzehnten des Abgeschnittenseins von der internationalen Bühne nach der Machtübernahme durch Mao und der Blockade des amerikanischen Imperialismus mit der Zeit und seiner wirt-schaftlichen und politischen Wiedereingliederung ein wichtiger Akteur der internationalen Beziehungen geworden. Der Zerfall der Sowjetunion und das Ende der Polarisierung der internationalen Beziehungen zwischen dem Sowjetblock auf der einen Seite und mehr oder weniger unter imperialistischer Herrschaft stehenden Großteil des Planeten, haben diese Entwicklung beschleunigt.

Seit einigen Jahren wird China sogar als die zweite Großmacht der Welt dargestellt, die einzige, die man-gels eines vereinten Europas ein Gegengewicht zu den USA bieten kann, oder sogar, wenn man den toll-kühnsten Theorien Glauben schenken will, in der Lage sei, dieses Land in den kommenden Jahren zu überholen.

Diese zunehmende Bedeutung, die China in den Weltgeschäften nachgesagt wird, basiert zugleich auf dem Wachstum der chinesischen Wirtschaft, auf der schrittweisen Verwandlung des Landes in die "Werkbank der Welt", aber auch auf seinem demographischen Gewicht des Landes, auf seiner Militär-macht und seinem Einfluss im asiatischen Osten und, mehr und mehr, in anderen Kontinenten, insbesondere Afrika.

Wir haben in der Vergangenheit wiederholt die Bedeutung des Etatismus und des Bruchs mit den impe-rialistischen Mächten, und vor allem Amerika, für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas betont, auch wenn dieser Bruch weit mehr von den USA ausgegangen war als vom chinesischen Regime selbst. Wir haben immer betont, dass diese Entwicklung, selbst in der Zeit von Mao, in einer kapitalistischen Per-spektive erfolgte.

Die staatliche Zentralisierung und der Bruch mit den imperialistischen Mächten hat dem chinesischen Staat trotz des Handicaps, welches der Ausschluss aus der internationalen Arbeitsteilung darstellt, die Möglichkeit verschafft, eine Art "primitive Akkumulation" zu betreiben, zu der die Kompradoren-Bourgeoisie in der Zeit von Tschang Kai-shek absolut nicht in der Lage war.

Trotz seiner schnellen Wachstumsrate, die es sogar nach ihrer teilweisen Integration in den kapitalistischen Weltmarkt beibehalten konnte, bleibt China ein halb entwickeltes Land.

Zwar hat das Wachstum seiner Produktion, seiner Exporte und seiner Devisenreserven China an Japan vorbei in den Rang der zweitgrößten Wirtschaft der Welt gehoben, jedoch sind seine Leistungen weitaus bescheidener, wenn man sie pro Kopf betrachtet. Nach dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf kommt China weit hinter Russland, Südkorea oder Mexiko und was die europäischen Länder betrifft, so liegt das Land weiter hinter den zwei ärmsten Ländern des Kontinents: Albanien und Bosnien-Herzegowina.

Seine Wirtschaft ist eine neue Spielart der kombinierten Entwicklung: eine Mischung aus Staats- und Privatwirtschaft, eine wachsende Kluft zwischen den ultramodernen Städten und den unterwickelten ländlichen Gebieten, zwischen seinen 113 Milliardären und seinen dutzenden Millionen Wanderarbeitern, der Abhängigkeit vom amerikanischen, japanischen und sonstigem Kapital und der Technologie dieser Länder. Der Widerspruch zwischen dem "kommunistischen" Bezeichnung der führenden Partei, was sie von einer gewissen maoistisch-stalinistischen Rhetorik behielt, und dem wilden Kapitalismus bringt diese explosiven gegensätzlichen Verknüpfungen auf seine Art zum Ausdruck.

China scheint in den letzten dreißig Jahren den Übergang von einer staatlichen und abgeschotteten Wirt-schaft auf eine für das Kapital der imperialistischen Mächte relativ offene und auf dem Weltmarkt gut vertretene Wirtschaft geschafft zu haben. Im Gegensatz zu früher begünstigt das Regime die Akkumulati-on von Privatkapital.

Diese Entwicklung ist angesichts der bedeutenden Rolle, die der Etatismus und eine gewisse Form der Kontrolle über den Außenhandel, insbesondere anhand der chinesischen Währung und der kontrollierten Konvertibilität, in der Wirtschaft spielen, wahrscheinlich noch nicht abgeschlossen.

Diese Veränderungen sind bisher ohne größere Erschütterungen und unter der Kontrolle eines chinesischen Staates vonstattengegangen, ein diktatorisches Regime unter der Vorherrschaft einer Einheitspartei, der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh),

Aber es gibt eine ganze Menge Knackgeräusche, die darauf hinweisen, dass dieser scheinbare monoli-thische chinesische Staat innerlich zermürbt ist.

In erster Linie durch die Korruption. Das Wirtschaftswachstum der letzten dreißig Jahre hat eine privile-gierte Klasse hervorgebracht, die die westliche Presse gerne als "Mittelklasse" bezeichnet und in der sie das Versprechen einer demokratischen Entwicklung sieht. Diese privilegierte Klasse scheint eine Mi-schung aus verschiedenen sozialen Kategorien zu sein.

An der Spitze die Kader und obersten Etagen der Staats- und Parteibürokratie, die sich dank des "wirtschaftlichen Wandels" und aufgrund ihrer Kontrolle über die verschiedenen Staatsebenen bereichern konnten. Es scheint, dass ein Drittel der chinesischen Milliardäre Mitglieder hochgestellter Parteikreise sind.

Die erste Generation dieser Kader, die des Krieges gegen Japan und der darauf folgenden Machtergreifung im Umfeld Maos sind seit langem unter der Erde. Die nächste Generation, die die verschiedenen Wandlungen des Mao-Regimes erlebt hat, vom großen Sprung nach vorne, über die Kulturrevolution bis zum Tode Maos, sowie den Beginn des wirtschaftlichen Wandels unter Deng Xiao ping, geht auf ihr Ende zu.

Vor den Toren der Macht oder seiner Zwischenstufen steht eine dritte und vierte Generation, deren jüngste Mitglieder, meistens Abkömmlinge der Führungsriege der Vorgängergeneration, die von der Be-völkerung als "rote Prinzen" bezeichnet werden, bereits ein komfortables Leben führen, weit entfernt von der revolutionären Jugend ihrer Großeltern, weit entfernt auch von der spartanischen Strenge in der Zeit der Kulturrevolution. Viele von ihnen haben in den USA oder Großbritannien studiert. Und wenn sie nach irgendetwas streben, dann sicher nicht nach Kommunismus, sondern nach einem westlichen Lebensstil.

Neben dieser Kategorie und mit ihr über allerlei Geschäfte verbunden, wenn nicht gar über Ehebande, gibt es eine neue Bourgeoisie, die der alten Kompradoren-Bourgeoisie, darunter auch in ihrer Rolle als Zwischenhändler für das Westkapital, immer mehr gleicht. Des Weiteren gibt es Elemente der alten Bourgeoisie, die bei der Machtergreifung durch Mao das Land verlassen hat, welche das Mao-Regime aber nie zu zerschlagen versucht hat und die mit ihrem Kapital über Taiwan, Hong Kong, Singapur oder andere Hochburgen der Diaspora der chinesischen Bourgeoisie zurück nach China kommen.

Für diese privilegierte Klasse mit so vielfältigen Ursprüngen wie Sprachen ist die Korruption die natür-lichste aller gesellschaftlichen Bindungen. Die individuelle Korruption verschmilzt mit der allgemeinen Korruption zwischen den Machtinhabern des Staates und der Bourgeoisie, die zwar getrennte Kategorien darstellen, aber dennoch tief miteinander verflochtene Interessen haben. Angesichts des Gewichts, welches der Staat im Wirtschaftsleben bewahrt hat, können Privatvermögen sich nur bilden, wenn sie auf den verschiedenen Ebenen des Staates und dementsprechend auch der Partei auf Komplizen zählen können. So kommt es z. B. dass zu den Besitzern der größten Vermögen des Landes, die seit einigen Jahren an-sehnliche Plätze in den Milliardär-Listen der amerikanischen Zeitschrift Forbes innehaben, diejenigen zählen, die es geschafft haben, sich die Staatsunternehmen unter den Nagel zu reißen, aber auch diejeni-gen, die sich mit Immobilienspekulationen bereichert haben. Um sich aber Grundbesitz aneignen zu können, sind enge Verbindungen, vielleicht nicht immer mit der Zentralregierung, aber doch mit den regiona-len Machthabern, unverzichtbar.

Diese Jagd auf die private Bereicherung und die Korruption unterhöhlen unausweichlich den Staatsapparat und den Parteiapparat.

Die scheinbar monolithische Macht der KPCh hat die persönlichen Rivalitäten und die Rivalitäten zwi-schen verschiedenen Cliquen nicht ausgeschaltet. Sie verdeckt sie nur.

Im Übrigen lässt die Zentralregierung in diesem riesigen und meistbevölkerten Land der Erde den lo-kalen Regierungen, d. h. den Regierungen und den verantwortlichen Parteimitgliedern in den verschiede-nen Provinzen und der großen Megastädte faktisch einen großen Handlungsspielraum.

Trotz der großen Lückenhaftigkeit der durchsickernden Informationen, lassen einige der jüngsten Ereignisse intensive Kämpfe in den führenden Kreisen der chinesischen kommunistischen Partei und des Staa-tes annehmen. So z. B. die Affäre Bo Xilai. Dieser Würdenträger des Staates, ehemaliger Handelsminis-ter, Führer der PC in Chongqing, einer der größten Städte des Landes, Mitglied des Politbüros, war offensichtlich ein Kandidat für die Macht. Hatte er es auf die Amtsnachfolge abgesehen, die für den 18. Parteitag der KPCh im November 2012 vorgesehen war, oder auf eine spätere? Sein Abstieg ging jeden-falls rasend schnell: Anfang 2012 bittet sein rechter Arm - der Polizeichef von Chongqing - bei einem Konsulat der USA um Asyl. Die Gattin von Bo Xilai wird der Verstrickung in den Mordfall eines briti-schen Staatsbürgers bezichtigt. Anschließend wird Bo Xilai selbst öffentlich der "massiven" Korruption beschuldigt und hochrangige Führer der kommunistischen Partei abgehört zu haben, darunter Präsident Hu Juntao. Im April wird er von der Partei ausgeschlossen und erwartet nun seinen Prozess, während sein früherer rechter Arm und seine Frau für lange Zeit ins Gefängnis gewandert sind.

Die KPCh hat eigenen Worten nach in fünf Jahren gegen 660.000 ihrer Kader Sanktionen verhängt und 24.000 strafrechtlich belangt. Und die Affäre Bo Xilai, die eine seltene Öffentlichkeit genoss, ist wahrscheinlich nur der sichtbare Teil eines riesigen Eisbergs. Kämpfe zwischen der Zentralregierung und den lokalen Lehen sowie innerhalb der Zentralmacht, hat es zwar schon immer gegeben, aber sie sind offensichtlich heftiger und gewalttätiger geworden.

Die chinesische Wirtschaft, deren Wachstum seit 1980 durchschnittlich 10% betrug, sieht ihre Entwicklung langsamer werden: Das BIP dürfte 2012 aufgrund des Rückgangs der Nachfrage im Inland, aber vor allem im Ausland, nur um 7,5% wachsen. Die weltweite Krise, insbesondere in Europa, belastet den aus-ländischen Absatz: Der Export, der noch 2010 um 20% pro Jahr stieg, hat sich stabilisiert. Coface, eine Behörde des französischen Staats im Dienste der Unternehmer, die im Ausland investieren, vermerkt so eine "Verschlechterung des Zahlungsverhaltens" der chinesischen Unternehmen, in anderen Worten mehr Unternehmenspleiten seit 2008. Die Symptome einer Krise vermehren sich. Die Börse in Schanghai ist an einem Tiefpunkt: In nur fünf Jahren ist ihr Index um 66% gesunken, und der Absturz geht weiter... Man fürchtet eine Bankenkrise aufgrund der zweifelhaften Forderungen, dessen genauer Betrag keiner kennt, der aber 400 Milliarden Dollar erreichen könnte. Die westliche Presse betont gerne die bedeutenden De-visenreserven Chinas und die geringe Verschuldung des Zentralstaats (22% des BIP). Sie lässt sich weni-ger über die Verschuldung der lokalen Gebietskörperschaften aus, die über die "lokalen Finanzierungs-plattformen" eine bedeutende wirtschaftliche Rolle spielen. Manche Distrikte, Städte und Provinzen sind so hoch verschuldet, dass ihre Schulden 400% ihrer jährlichen Einkünfte überschreiten. Insgesamt beliefe sich der Schuldenberg der lokalen Gebietskörperschaften auf mindestens 25 bis 35% des BIP.

Wie in vielen Ländern mit spektakulären Wachstumsraten, wurde das chinesische Wachstum von der Spekulation gespeist, so sehr, dass die Regierung 2010 in sechs Wirtschaftsbereichen, für die Überkapazitäten befunden wurden (Stahl, Zement, Windkraft, Kohlechemie, Flachglas und Silikon), Kredite und Schuldemissionen verboten hat. Aber den Vogel schießt ohne jeden Zweifel die Immobilienspekulation ab. Die Wohnungsbauinvestitionen belaufen sich auf 10% des BIP und spielen eine entscheidende Rolle in dem allgemeinen "Wachstum" der Wirtschaft. Die Immobilieninvestitionen sind 2009 beispielsweise um 45% gestiegen und stellen insgesamt ein Viertel des Anstiegs der Gesamtinvestitionen dar. In den großen Städten wie Schanghai, Peking oder Shenzhen, ist diese Spekulation offenkundig. Die Wohnungs-preise sind in die Höhe geschossen (durchschnittlich +12% in 2010, manchmal noch viel mehr), und die Baulöwen schrecken vor keinen spekulativen Tricks zurück, wozu auch gehört, fertige Gebäude nicht auf den Markt zu bringen, um die Preise hoch zu halten. Es gäbe heute 70 Millionen leer stehende Wohnun-gen im Land. Wird diese Blase, der die Zentralregierung schier machtlos gegenübersteht, platzen, wie in den USA oder Spanien? Das gehört zu den Hypothesen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit.

Seit dreißig Jahren ist die Wirtschaft auf der schamlosen Ausbeutung der Arbeiterklasse, der größten der Welt, und insbesondere auf dem Rücken der Millionen Wanderarbeiter gewachsen, die jedes Jahr aus den ländlichen Gebieten kommen, um die Reihen des städtischen Proletariats zu verstärken; es scheint, dass die Unternehmen, trotz der Verlangsamung des Wachstums, noch jeden Monat eine Million Arbeitsplätze schaffen. Ein Unternehmen für Elektronikgeräte und Computer wie der Taiwaner Foxcom, Zulieferant von Apple, HP, Amazon, Sony oder Microsoft, beschäftigt wohl 1,2 Millionen Menschen in China, da-runter 400.000 in Shenzhen, dieses ehemalige Fischerdorf, das heute 10 Millionen Einwohner zählt. Wir wissen noch immer sehr wenig über die Kämpfe der chinesischen Arbeiter. Die Presse hat über mehrere Bewegungen oder sogar Aufstände berichtet, wie im September 2012 in Taiyuan, im Norden des Landes, wo rund 2.000 wütende Arbeiter an einem Aufruhr teilgenommen haben, der unter Einsatz einer 5.000 Mann starken Polizeikraft beendet wurde, wobei es mehrere Dutzend Verletzte gegeben hat. Zehn Tage später traten 3.000 bis 4.000 Arbeiter in der Fabrik in Zhengzhou, in der 200.000 Arbeiter beschäftigt seien, in den Streik. Diese Arbeiter, die das iPhone 5 zusammenbauen, protestierten gegen die unmensch-lichen Kadenzen, denen sie in dieser arbeitslagerähnlichen Fabrik unterworfen sind; der Streik sei aufge-hoben worden, nachdem Foxconn allen Streikenden mit der Entlassung gedroht hätte. Auf diese Kämpfe ist es zurückzuführen, wenn die Löhne in den großen Industriestädten steigen. Die Ausbeutung der chine-sischen Arbeitskraft bleibt für die westlichen Kapitalisten ein profitables Geschäft; die Arbeitskosten stel-len kaum mehr als 2% der Gestehungskosten eines Tablet-PCs wie dem iPad dar. Aber die Kämpfe dieser Arbeitsklasse sind ein Pfand für die Zukunft, vor allem wenn sich die Arbeiter dabei ihrer politischen Interessen bewusst werden.

Russland: Putin oder die unausweichliche Rückkehr

In Russland war das vergangene Jahr von der Rückkehr Putins für eine dritte Amtszeit in den Kreml geprägt, und den Protestbewegungen, die diese Rückkehr ausgelöst hat.

Die Demonstrationen haben im Herbst 2011 begonnen und monatelang einen Teil der Bevölkerung der Großstädte gegen den massiven Wahlbetrug bei den Parlamentswahlen, "für ehrliche Wahlen" und gegen das Regime mobilisiert, welches unfähig ist, solche zu garantieren.

Eine ganze Fraktion des urbanen Kleinbürgertums hatte glauben wollen, dass das Regime sich in Richtung einer Lockerung der Kontrolle über die Gesellschaft und der Beschluss- und Bereicherungsmechanismen der Machthabenden, d. h. der Bürokratie, entwickeln könnte. Sie hoffte, dass ihre Meinung bei den Wah-len gehört würde und konkret, dass sie nicht mehr die immer schwerer lastende Abschöpfung zu ertragen hätte, die der Staatsapparat der ganzen Gesellschaft auferlegt. Und das geht vom Polizeibeamten, der den Autofahrern am hellen Tage Geld abpresst, bis zu den Feuerwehrleuten, die drohen - aber mit Schmiergeld lässt sich alles regeln - ein Geschäft zu schließen, weil es nicht den Brandschutznormen ent-spricht. Was sie Geschäftemacher auf den Ministerposten betrifft, so können sie sich dank ebenfalls kor-rupter Richter private Unternehmen unter den Nagel reißen, deren Prosperität ihre Gier geweckt hat. Es sei denn, ihre Eigentümer haben hinreichend starke, von ihnen üppig bezahlte Beschützer im Staatsappa-rat, um ihre "Unabhängigkeit" zu gewährleisten.

Als Putin 2008 unter Einhaltung der Konstitution, die ihm eine dritte, aufeinander folgende Amtszeit verbot, Amt zugunsten des ihm nahestehenden Medwedew auf eine Wiederwahl verzichtete, hatten viele Kleinbürger an eine, vom Standpunkt ihrer Interessen aus positive Entwicklung glauben wollen. Letzt-endlich hatten sie ihre Illusionen an Medwedew gehängt. Richtig ist auch, dass ein Teil der hochrangigen Bürokratie gegen die Putin-Clique auf ihn zu setzen schien. Schade, Medwedew übernahm es, sie zu ent-täuschen, indem er Putin anbot, den Präsidentensessel, den er ihm warm gehalten hatte wieder zu über-nehmen. Eine Frage des Kräfteverhältnisses in den hohen Etagen der Bürokratie.

Die Wut, die sich dann auf der Straße Ausdruck verschaffte, zunächst von Seiten der Studenten, dann von Seiten der etablierten Intelligenz (Schriftsteller, Journalisten, Künstler, Akademiker, Anwälte) und schließlich von Seiten einer Menge von Geschäftsleuten, kleiner und mittelgroßer Unternehmer, und sogar einiger "Oligarchen", die mit den Machthabenden ein Hühnchen zu rupfen hatten, lag zum Teil auch in der Situation begründet, die die weltweite Finanzkrise von 2008 verursacht hatte.

Tatsächlich und entgegen der jahrelangen Behauptungen Putins, dieser "demütigenden Abhängigkeit" ein Ende setzen zu wollen, bezieht Russland seine Einkünfte noch immer größtenteils aus seinen Rohstoff-Exporten, in erster Linie Erdöl und Erdgas. Und es sind die Finanzmärkte und nicht der Kreml, die die Rohstoffpreise bestimmen, weshalb Russland sich auch bei gleichbleibenden Exporten keiner stabilen Einkünfte sicher sein kann. Aber dazu kommt noch, dass infolge der Verschlimmerung der Krise von 2008 auch die Exportmengen gesunken sind.

Jahrelang hatte das Regime dem russischen Kleinbürger sagen können: "." Und damit gaben sie sich zufrieden. Aber als es für das Kleinbürger-tum in der eisernen Faust der "administrierten Demokratie" Putins immer weniger Krümel aufzupicken gab, verlor dieses "Argument" nach und nach seinen Zauber. Die Regierung bestätigt dies im Übrigen mit ihrer Ankündigung, dass die Situation sie zu Sparmaßnahmen zwingt. Indem sie das Einkommen der Bevölkerung verringern, verringern diese Maßnahmen den Teil, den sie für ihren Konsum aufwenden kann, und dadurch verringern sie wiederum das Einkommen des Kleinbürgertums, und in allererster Linie der Händler.

Ihre Bewegung im Zuge der Parlaments- und Präsidentenwahlen hat sich schließlich wieder beruhigt. Bezeichnend ist der Fall der Pussy Riot, drei Sängerinnen und Putin-Gegner, die der Gotteslästerung be-schuldigt werden. Der Fall konnte die Schlagzeilen der Protestbewegung in Beschlag nehmen, obwohl wochenlang Hunderttausende auf der Straße waren, ohne dass dies eine solche Aufregung verursacht hätte. Die Demonstrationen werden immer sporadischer und versammeln nur noch ein paar Tausend Leute, vor allem Mitglieder von Gruppen, die von der nationalistischen Rechtsextremen bis zur Linken gehen, mehrheitlich Anhänger und Vertreter westfreundlicher rechter Bewegungen.

Da sich der Kreml nicht in der Lage sah, die ersten Demonstrationen zu verhindern, hatte der Kreml es auf dem Höhepunkt der Bewegung vermieden, Öl auf das Feuer zu gießen. Aber sobald die Bewegung abebbte, schlug die Regierung zu. Sie ließ die Demonstranten, oder die man dafür hielt, systematisch nie-derknüppeln, erließ ein Gesetz, mit dem jede Versammlung verboten werden kann, und hat zahlreiche Menschen ohne Prozess ins Gefängnis gesteckt.

In Moskau waren die Versammlungen gegen Putin zwar teilweise eindrucksvoll, sind aber dennoch nicht über die Grenzen des Kleinbürgertums hinausgegangen. Die große Mehrheit der Bevölkerung hat sich davon ferngehalten, wenn sie den Demonstrationen nicht gar mit einer gewissen Feindseligkeit zuge-schaut hat. Nicht so sehr aus Sympathie für Putin, obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung ihn zumindest in Ermangelung eines Besseren unterstützt. Aber die Natur dieser Bewegung, mit ihren rechten und west-freundlichen Führern, oftmals frühere Mitglieder der machthabenden Kreise, und ihren Mitgliedern aus der "Mittelklasse" konnten von den arbeitenden Klassen nur als fremd oder ihr feindlich gegenüberste-hend wahrgenommen werden, sei es instinktiv.

Das Szenario der letzten Monate erinnert an die Ereignisse in der UdSSR der Perestroika. Die Kämpfe zwischen verschiedenen Cliquen in den hohen Etagen der Bürokratie hatten damals breite Teile des Kleinbürgertums mobilisiert, ohne dass die Arbeiterklasse in Erscheinung tritt, oder höchstens am Rande und streng untergeordnet. Mit dem bekannten Ergebnis, dass die Bürokratie auf den Trümmern der UdSSR die Fäden in der Hand behalten konnte.

Zwei Jahrzehnte später ist der Grund dafür, dass das Kleinbürgertum sich erdreisten kann, das Regime im Namen der "Demokratie" anzufechten, noch immer die Abwesenheit der Arbeiterklasse auf der politi-schen Bühne. Aus demselben fundamentalen Grund erhält der Protest die Unterstützung der Masse der Bevölkerung nicht und kann das Regime sich ihm entgegenstellen, ohne wirklich ins Wanken zu kommen.

Die Arbeiterklasse hätte guten Grund, sich gegen ein Regime aufzulehnen, das sie unterdrückt und ihre Ausbeuter beschützt. Sie hätte vor allem ein Interesse daran, zu versuchen, sich hinter ihren eigenen For-derungen an die Spitze einer Bewegung zu stellen, die die Macht der Bürokratie und der neuen Bourgeoi-sie in ihrem Schatten anfocht. Eine solche Bewegung wäre in der Lage, eine Mehrheit der Bevölkerung mitzureißen.

Aber dafür müssten in Russland wie anderswo auch Gruppen und Parteien entstehen, die den Willen und den Mut haben, sich politisch an die Arbeiterklasse zu wenden, zu versuchen, in ihrer Mitte eine be-wusste Vorhut zu organisieren und auf dieser Grundlage revolutionäre kommunistische Organisationen aufzubauen, anstatt sich vor den Karren von sozial fremden und der Arbeiterklasse politisch feindlich gegenüberstehenden Bewegungen zu spannen.

In den anderen Ländern der vormaligen UdSSR

Von den vierzehn weiteren ehemaligen Sowjetrepubliken, die seit 1991 unabhängig sind, kommen die baltischen Staaten (Estland, Lettland, Litauen) noch am wenigsten schlecht weg. Diese winzigen Länder (sieben Millionen Einwohner für alle drei zusammen) sind 2004 der Europäischen Union beigetreten, und haben in einem gewissen Maße von ihrer Eingliederung in eine der höchstentwickelten Wirtschaftsgebiete der Erde profitiert, auch wenn sie zu den europäischen Ländern gehören, die von der Krise von 2008 am meisten betroffen sind.

Was die anderen, aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangenen Länder betrifft, so hat der Wandel dort die Form von mehr oder weniger mafiösen Regimes mit eindeutig nepotistischen und despotischen Zügen angenommen, oftmals vermischt mit religiösem Fundamentalismus vor dem Hintergrund sozialen und kulturellem Rückschritt, dessen Opfer wie immer in solchen Fällen in erster Linie die Frauen sind.

Je nachdem, ob diese Länder das Glück - oder für die Bevölkerung eher das Pech - haben, über reichhal-tige Rohstoffreserven zu verfügen, werden diesen Regimes von Seiten der Großmächte unterschiedliche Behandlungen zuteil. So verpassen die westeuropäischen und amerikanischen Regierungen keine Gele-genheit, die Demokratiefeindlichkeit des weißrussischen Regimes von Lukaschenko anzuprangern, wäh-rend die weitaus diktatorischeren Regimes von Karimow in Usbekistan, von Berdimuhamedow in Turk-menistan oder von Nasarbajew in Kasachstan von dem komplizenhaften Schweigen der Regierungen und Medien der imperialistischen Staaten und sogar der NGO profitieren. Sollen diese Regimes doch das Blut ihrer Bevölkerung, und insbesondere der Arbeiterklasse vergießen, Hauptsache sie sorgen dafür, dass die Erdöl- und Gasförderung zum größten Profit der Ölkonzerne und der globalen Bauriesen, wie Bouygues, gesichert ist.

Was die Ukraine, Georgien oder auch Moldawien betrifft, deren Führer ihren Völkern weißgemacht haben, dass, auf der Seite der Europäischen Union oder der NATO eine bessere Zukunft auf sie warten würde, wenn sie sich dem westlichen Lager anschlössen, so hat dieser Anschluss diesen Ländern keinerlei Nutzen gebracht. Nicht einmal das Recht, sei es auch als fünftes Rad am Wagen und in untergeordneter Stellung, in diese Institutionen der imperialistischen Welt aufgenommen zu werden.

Das kapitalistische System hat der Menschheit schon seit langem nichts positives mehr zu bieten, und umso mehr, als es sich in einer bedeutenden weltweiten Krise befindet. Das Schicksal der aus der ehemaligen UdSSR hervorgegangenen Staaten ist dafür eine Bestätigung in der Größenordnung eines Sechstels der bewohnten Fläche des Planeten.

Mitteleuropa und Balkan: der arme Teil des Kontinents im Angesicht der Krise

Schon vor der Erweiterung der Europäischen Union auf Mitteleuropa im Jahre 2004 und dann auf einen Teil Osteuropas im Jahre 2007, haben die westeuropäischen, asiatischen und amerikanischen Autobauer in dieser Region Fuß gefasst. Sie wollten von qualifizierten und aufgrund der bereits niedrigen und mit der in die Höhe schießenden Arbeitslosigkeit nach der Zerschlagung der großen Industriekombinate aus der stalinistischen Zeit noch billigeren Arbeitskräften profitieren. Dazu kamen die massiven Subventionen der Europäischen Union für ihre Niederlassung in diesen Ländern, zusammen mit Vorteilen, die die örtlichen Regierungen, die in der Regel bereit waren, sich zu verkaufen, gewährten.

Die Manager der westlichen Automobilindustrie sahen darin nur Vorteile. Mit den europäischen Subventionen, den famosen "Strukturfonds", konnten diese Länder ihre Straßen- und Autobahnnetze moder-nisieren. Diese Straßennetze waren an die westeuropäischen angebunden, und so konnten die Autobauer dort unter Lizenz mit Löhnen, die nur die Hälfte oder ein Drittel der hiesigen Löhne darstellen, dort produzierte Autos zu westeuropäischen Preisen verkaufen.

Dieselben Autobauer schielten außerdem auf den örtlichen Markt dieser Länder, ein Markt, den Sie 2004 auf vier Millionen Neuzulassungen pro Jahr schätzten. Aber aufgrund des niedrigen Lebensstandards, denen die arbeitenden Klassen dieser Regionen unterworfen, sind, mit Niedriglöhnen, die ihre Aufnahme in die Europäische Union nie wirklich hat steigen lassen, wurden diese fantastischen Zahlen der Progno-sen für die Fahrzeugzulassungen nie erreicht. Tatsächlich hat es nie mehr als 1,3 Millionen Neuzulassun-gen pro Jahr gegeben, eine Zahl, die im vergangenen Jahr sogar auf 800.000 zurückgegangen ist. Und dabei handelt sich noch zu einem großen Teil um Gebrauchtwagen. Also nichts, was die "Binnennachfra-ge stimulieren" könnte, wie sich die Wirtschaftspresse ausdrückt.

Das heißt, dass schon vor der Automobilkrise, auf die sich hier Unternehmen wie Peugeot berufen, um tausende Arbeitsplätze zu streichen, die Länder des östlichen und mittleren Europas oder jedenfalls ihre arbeitende Bevölkerung, nie wirklich davon profitiert haben, was nationalistische Demagogen hier als Arbeitsplätze darstellen, die für die Arbeitenden in Westeuropa aufgrund der Auslandsverlagerungen ver-loren gegangen wären. Ganz zu schweigen davon, dass die französischen, deutschen und sonstigen Autobauer, sollte sich der Weltmarkt noch stärker zusammenziehen, ihre tschechischen, slowakischen, slowe-nischen, rumänischen und anderen Arbeiter natürlich nicht verschonen werden.

Was in der Automobilindustrie wahr ist, trifft auch auf die Sektoren ihrer Wirtschaft zu, die heute im gro-ßen Maße vom Westkapital durchdrungen ist, jedenfalls in den gewinnträchtigsten Sektoren, die anderen wurden fallen gelassen.

Die mittel- und osteuropäischen Länder sind bereits stärker als andere von der Krise von 2008 getroffen, und sei es nur, weil ihre Volkswirtschaften weiterhin die Züge der Unterentwicklung aufweisen, die die verstaatliche Wirtschaft der stalinistischen Zeit nicht auslöschen konnte.

Dazu kommt, dass die meisten von ihnen - im Vergleich zum Euro, zum Dollar, zum Schweizer Fran-ken oder dem britischen Pfund - schwache Währungen haben und dass sie, um in einer Situation der wirtschaftlichen Stagnation bzw. Rezession ihren Haushalt bestreiten zu können, Kredite in so genannten starken Währungen aufnehmen müssen.

Die Schuldenkrise (wobei sich hinter dieser Vokabel, die dazu dient, die wirtschaftliche und soziale Rea-lität zu verschleiern, die Banker verstecken), die u. a. Griechenland, Spanien und Portugal ihrem Würge-griff hat, trifft die meisten mittel- und osteuropäischen Länder, deren innereuropäischer Handel nicht einmal ein wenig vom Euro geschützt wird und deren Volkswirtschaften schier nicht in der Lage sind, dem Druck der Krise und der Gier der Weltfinanz standzuhalten, nicht weniger hart.

Die hohe Arbeitslosigkeit aufgrund der Zerstörung der Staatswirtschaft, die in zwei Jahrzehnten nicht von einer höher entwickelten Wirtschaft abgelöst wurde, steigt seit 2008 weiter an. Die (offiziellen) Ar-beitslosenquoten sind mindestens ebenso hoch in der Tschechischen Republik, in Polen, in Slowenien, in Rumänien, wie in Frankreich, und höher noch in der Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Litauen und Estland, und erreichen über 15% der Arbeitskräfte in Kroatien und Lettland, und sogar 20% in Polen.

Die Arbeitslosigkeit trifft insbesondere die Jugend, und mehr noch die Frauen, die noch vor zwanzig Jahren, zur Zeit des "Ostblocks" so gut wie alle eine Arbeit hatten.

In der Slowakei, Tschechei, Ungarn, Polen, Rumänien oder Bulgarien trifft die Arbeitslosigkeit teilweise seit Jahren einen Teil der Bevölkerungen, die einen Großteil des Proletariats in den Landwirtschaftsge-nossenschaften und großen Industriekombinate, auf dem Bau und auf öffentlichen Baustellen stellte: die Roma. Denn nicht wie es Demagogen glauben machen wollen, sind diese Roma aus Mitteleuropa, die Valls hier mit so viel Entschlossenheit jagt wie vor ihm die Innenmister von Sarkozy, nicht mehrheitlich "Reisende". Sie waren sesshaft, und das manchmal bereits seit mehreren Generationen, und sie haben sich auf den Weg nach Westeuropa gemacht, weil sie seit etwa zwanzig Jahren zuhause keine Arbeit mehr finden, da die Industrie und die Landwirtschaftsbetriebe, in denen sie früher gearbeitet haben, durch nichts ersetzt wurden.

In den Ländern ihrer Herkunft sind sie ebenfalls Opfer der machthabenden Politiker oder solcher, die an die Macht wollen und die danach trachten, die Aufmerksamkeit der Bevölkerungsmehrheit von den wirk-lichen Problemen und ihren sich verschlechternden Lebensbedingungen, der Arbeitslosigkeit und der Kri-se abzulenken, indem sie ihnen als Sündenbock für ihr Unglück die Ärmsten der örtlichen Proletarier hinhalten.

Die Roma sind in den Ländern, in denen sie leben, als voll berechtigte Staatsbürger anerkannt. Die Euro-päische Union hat dies sogar heuchlerisch zu einer Aufnahmebedingung für die betroffenen Länder ge-macht, ohne wirklich zu prüfen, worin dieser förmliche Anerkennung eigentlich besteht, oder gar zu ver-hindern zu versuchen, dass sie Opfer aller Arten von Diskriminationen werden. Tatsächlich werden die ungarischen, tschechischen, slowakischen, rumänischen ... Roma immer mehr Opfer fremdenfeindlicher Politiken, die sie in ihrem eigenen Land als Fremde brandmarken, wenn es nicht gar so weit geht, dass Pogrome und Ermordungen organisiert werden, die von den Regierungen toleriert oder zumindest nicht unterdrückt werden, wenn sie nicht gar dazu ermutigen.

In Ungarn hat sich eine faschistoide Partei - Jobbik - von deren Anführern einer in der konservativen Zeitung Magyar Nemzet erklären konnte: "Die Zeit für einen ungarischen Ku Klux Klan ist gekommen", sich auf die Beschuldigung der Juden - aber deren gibt es seit ihrer Vernichtung durch die Nazis während des zweiten Weltkriegs kaum noch welche im Land - und der Roma spezialisiert. Gegen diese hat Jobbik pa-ramilitärische Milizen gebildet, die Razzien in den Ortschaften durchführen, in denen seit Jahrzehnten zahlreiche Roma in der Nähe der ehemaligen Kolchosen und abgetakelten Metallkombinate leben.

Fidesz, die Partei an der Regierung, und ihr Vorsitzender, der Regierungschef Orban, machen den Wählern von Jobbik, die bei den letzten allgemeinen Wahlen 17% der Stimmen erhalten hat, ununterbrochen schöne Augen. Er geht in die Richtung eines offen fremdenfeindlichen Nationalismus, indem er eine hef-tigere Repression auf den Weg bringt, die sich bereits auf einen Teil des Proletariats - nämlich die Roma - auswirkt.

In ganz Mitteleuropa steigt der Einfluss der Kirchen, wie auch die Verherrlichung einer angeblich glorrei-chen Vergangenheit, die Nostalgie der Epochen in der Geschichte, in denen der Staat am mächtigsten und das von ihm beherrschte Hoheitsgebiet am größten waren, zu Lasten der heutigen Nachbarn. Diese Nos-talgie der Vergangenheit geht von Natur aus mit territorialen Forderungen gegenüber den Nachbarstaaten einher.

Diese Reaktion, die sich auf dem Boden der Krise und der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, die der Kapitalismus den Völkern aufzwingt, installiert, ist keine ungarische Besonderheit (und im Übri-gen auch keine zentraleuropäische oder balkanische). Auch in Rumänien, Bulgarien, im ehemaligen Jugo-slawien geistern rassistische, fremdenfeindliche und rechtsextreme Parteien, die weniger bekannt sind als Jobbik oder die nazifreundlichen Ausländerjägern von Chrysi Avgi (Goldene Dämmerung), durch die Korridore der Macht, und versuchen, den Krieg der Armen gegen andere Arme anzufachen, um sie von ihren wahren Klassenfeinden abzulenken: die Besitzenden, die nationalen und internationalen Kapitalis-ten.

In Wirklichkeit zeigt der mittlere und östliche Teil des Kontinents, weil er ärmer und wirtschaftlich weni-ger entwickelt ist als Westeuropa, was unter verschiedenen Formen alle Völker Europas erwarten könnte, wenn die Krise sich vertieft, ohne dass es einen Anstieg der bewussten Kämpfe des Proletariats gibt. Ein brutaler Anstieg der Armut geht mit nationalistischen politischen Richtungen einher, die die jedes Volk gegen "den Anderen" aufbringt, ungeachtet ob er sich außerhalb der Landesgrenzen befindet, oder ob man ihm im Land selbst eine (tatsächliche oder erdachte) unterschiedliche Herkunft andichtet, Politische Richtungen, die mit ihrer Fremdenfeindlichkeit oder gar ihren Rassismus kaum hinter dem Berg halten. Diese politischen Richtungen - die einen Teil der Armen gegen die anderen aufhetzen - führen alle zu demselben Ergebnis: die Vergiftung der Arbeitenden mit dem Gift des Nationalismus, des Rassismus, der Xenophobie, um sie vom Klassenkampf gegen den einzigen Verantwortlichen für ihre Lage abzulenken, der Bourgeoisie.

Die Aufstände in den arabischen Ländern, zwei Jahre danach

Fast zwei Jahre nach den ersten Demonstrationen in Tunesien, welche Bilanz lässt sich aus den Aufruhren ziehen, die über mehrere arabische Länder hinweg gefegt sind?

Zunächst muss an die extreme Vielfalt an Situationen erinnert werden, die von den Journalisten unter der Formel "arabischer Frühling" oder gar "arabische Revolution" zusammengefasst worden sind. Der erste Ausdruck ist zwar poetisch aber sinnfrei und der zweite ist falsch.

In Tunesien und Ägypten war es eine massive Mobilisierung der Bevölkerung, die die armen Klassen mehr oder weniger mitgerissen hat, die Ausgangspunkt eines Prozesses war, der zum Fall ihres jeweiligen Diktators geführt hat. Aber selbst in diesen beiden Ländern ist es das Eingreifen des Imperialismus und genauer gesagt des amerikanischen Imperialismus, der letztendlich über das Schicksal von Ben Ali und Mubarak entschieden hat. Wenn die Imperialisten über ihre Mittelsmänner in den Staatsapparaten dieser beiden Länder die verhassten Diktatoren zum Ausgang geschoben haben, so um die Bewegungen zu ent-schärfen und zu verhindern, dass sie in einem breiteren sozialen und politischen Protest münden. Und sie haben anschließend zur Aufstellung und Glaubwürdigkeit der Ersatzregierungen beitragen, die unter dem Deckmantel einer vorgeblichen demokratischen Transition noch immer grundsätzlich im Dienste der rei-chen Klassen vor Ort und des Imperialismus stehen.

In Tunesien haben die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung im Oktober 2011 die islamistische Partie Ennahda an die Macht gebracht. Diese Partei hat die Interessen der wohlhabenden Klassen natür-lich nicht angetastet und die Lage der einfachen Bevölkerung hat sich nicht verbessert. Die offizielle Ar-beitslosenquote (und diese Zahl liegt noch mehr als hier unter der Wirklichkeit) liegt knapp unter 20% und in manchen Regionen über 50%. Was die Rechte der Frauen betrifft, so geht die Entwicklung in eine reaktionäre Richtung, sogar im Vergleich zu der Situation, die unter der Diktatur von Ben Ali möglich war. Im vergangenen August hat die Regierung beispielsweise versucht, das Konzept der "Komplementarität" der Frau zum Mann in die Verfassung aufzunehmen. Das hat eine Lawine an Protesten ausgelöst, die diese Niederträchtigkeit zumindest zeitweilig abgewendet hat. Allgemein lastet der reaktionäre Akti-vismus der Islamisten jeglicher Couleur, derjenigen von Ennahda oder der Salafisten, die ihnen von rechts Konkurrenz machen, schwer auf der Gesellschaft. Der kürzlich Fall einer jungen Tunesierin, die von Po-lizisten vergewaltigt und anschließend mit Zustimmung des Justizministers der Unsittlichkeit beschuldigt wurde, zeigt die Entwicklung dieses reaktionären Gedankenguts und die Unterstützung, die es im Staat findet.

Auch in Ägypten haben die Islamisten ihr Scherflein ins Trockene gezogen. Die Partei der Gerechtigkeit und Freiheit, Name unter dem sich Muslimbrüder in den Wahlen präsentiert haben, ist aus den Parla-mentswahlen Anfang 2012 als stärkste Partei hervorgegangen. Und im Juni hat ihr Präsidentschaftskandi-dat Mohammed Mursi schließlich den Kandidaten der Armee, Ahmad Schafiq, geschlagen. Die Rivalitäten zwischen der Armee und den Muslimbrüdern haben sich sowohl wahlpolitisch als auch in den Kulissen der Macht entspannt: Im August hat Mursi den Eintritt in den Ruhestand des Generals Tantawi, Leiter des obersten Rates der Streitkräfte, erklärt. Diese Episode der politischen Rivalität zwischen der Armee und den Muslimbrüdern darf nicht vergessen lassen, dass die Komplizenschaft der beiden Parteien bereits seit langer Zeit vor dem Fall Mubaraks währt, wenn es um die Wahrung der gesellschaftlichen Ordnung in Ägypten geht. Im Übrigen haben die an die Macht gekommenen Islamisten dem Imperialismus Garantien gegeben, allein schon indem sie die Politik Ägyptens gegenüber dem israelischen Nachbarn unverändert gelassen haben.

Auf gesellschaftlichem Gebiet ist diese Regierung den Armen nicht wohler gesinnt als die vorherige. Wie es heißt, werden die Muslimbrüder als wirtschaftlich Liberale im internationalen Währungsfonds für ihre Haushaltsorthodoxie geschätzt.

In Libyen hat sich der Protest schnell in einen bewaffneten Konflikt zwischen verschiedenen Cliquen, bei denen man kaum nachvollziehen kann, nach welchen Kriterien sie sich in Gaddafi-Befürworter und -Gegner aufgeteilt haben, verwandelt. Der französische und der englische Staat haben beschlossen, selbst militärisch einzugreifen, um die Waagschale zugunsten der Opposition kippen zu lassen und sich Gaddafis zu entledigen. Wenn sich die Bevölkerung vielleicht Grund zur Freude über das Verschwinden dieses blutrünstigen Diktators hatte, so hat sie von dem aktuellen Regime, das auf einer Gruppierung verschie-dener Parteien beruht, die sich alle einig sind, die Scharia, das religiöse Gesetz, als Bezugsgröße zu neh-men. Und das umso mehr, als dass sich die politische Lage bei weitem nicht stabilisiert hat. Die Regierung war bisher noch immer nicht in der Lage, die Milizen zu entwaffnen und die Einheitlichkeit des Staatsapparats wiederherzustellen.

In Syrien dauern die Massaker mittlerweile beinahe seit neunzehn Monaten an und haben Zehntausende Todesopfer gefordert. Der Protest ist wohl anfangs von Dara ausgegangen, eine kleinere Provinzstadt nicht weit von Jordanien. Schüler, die Tags mit Losungen der Mobilisierung in Ägypten gesprüht hätten, seien festgenommen und gefoltert worden. Daraufhin ging eine erste Welle regelmäßiger Demonstrationen gegen das Regime durch mehrere Städte des Landes. Die Regierung des Diktators Baschar al-Assad reagierte sehr schnell mit einer wilden Repression, wobei er auf die Massen schießen ließ, und schließlich soweit ging, die rebellischen Städte und Viertel zu bombardieren.

Außer hohlen Phrasen hatten die imperialistischen Führer gegenüber dem Regime eine komplizenhafte und abwartende Haltung. Der Imperialismus konnte sich seit Jahrzehnten auf die Diktatur von Vater As-sad und dann Sohn Assad stützen, um zur Wahrung der bestehenden Ordnung in dieser Region der Welt beizutragen. Die imperialistischen Führer zogen es demnach vor, das Regime die Massenbewegung nie-derzuschlagen, wenn es denn eine Massenbewegung geben sollte. Das Veto Russlands und Chinas gegen jegliches militärische Eingreifen der UNO in Syrien hat es den westlichen Großmächten ermöglicht, sich vor der öffentlichen Meinung nicht für ihre Passivität angesichts der Massaker rechtfertigen zu müssen. Anschließend, als der Protest anhielt, waren die Interventionsmöglichkeiten des Imperialismus durch fehlende Mittler im Staatsapparat von Assad eingeschränkt, also durch die Schwierigkeit, die sie hatten, eine Alternativlösung für die Macht des Diktators vorzubereiten.

Im Laufe der Monate und unter den Hieben der Repression, nahm der Protest eine militärische Wendung. Milizen traten in Erscheinung und langsam bildete sich sogar eine "Freie Syrische Armee", die FSA, u. a. aus Gruppen der offiziellen Armee mit einem ehemaligen Oberst der Luftwaffe an ihrer Spitze. Es ist schwierig festzustellen, inwieweit die Milizen vereint hinter einem einheitlichen Kommando stehen. Diese Armee hat sich selbst zur führenden Kraft der Opposition ernannt. Und die Volksdemonstrationen haben aufgehört, wahrscheinlich aufgrund der Repression, aber sicher auch aufgrund dessen, dass ein Teil der Bevölkerung sich in dieser von oben aufgedrückten Führung nicht wiedererkennt. Dies umso mehr als die erste Konsequenz der angeblichen Befreiung einer Stadt wie Aleppo für ihre Bevölkerung war, zur Zielscheibe der Bombardierungen der Armee von Assad zu werden. Jedenfalls wurde es immer deutli-cher, dass die Methoden der FSA denen der offiziellen Armee in nicht vielem nachstehen. Und in den so genannten von der FSA "befreiten" Gebieten führt diese die Scharia ein und ermordet ihre Gegner. So ist dies mehr und mehr ein offener Krieg zwischen einer Zentralmacht und Milizen, wobei beide Parteien die Zivilbevölkerung zur Geisel nehmen. Syrien wird ein Schlachtfeld, wo die benachbarten regionalen Mächte sich bekämpfen: der Iran auf Seiten der Staatsmacht, die Türkei, Saudi-Arabien oder Katar auf Seiten der Milizen.

In Marokko und Algerien wurde der politische Protest den machthabenden Regimes nicht wirklich gefährlich, obwohl Zusammenschlüsse verschiedener Parteien und Gewerkschaften versucht haben, ihn in Gang zu bringen. In beiden Ländern entwickelt sich der soziale Protest, mit Streiks, Demonstrationen und manchmal sogar Massenunruhen. Aber er bleibt auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet und geht nicht einen Protest gegen das politische Regime über.

Zu Tunesien und Ägypten, wo die Bewegung von unten kam und einen bedeutenden Teil der Bevölke-rung mobilisierte, einschließlich unter den Ausgebeuteten, schrieben wir in dem Text vom letzten Jahr: "Die Politik revolutionärer Kommunisten wäre das genaue Gegenteil des Diskurses eines ,demokratischen Übergangs' gewesen, in dem sich sowohl die Führungskreise der imperialistischen Welt wie auch dieje-nigen Bürger wiederfanden, die froh waren, den Mubarak-Clan loszuwerden, sowie die radikalsten Kleinbürger. Dieser ,demokratische Übergang' hatte kein anderes Ziel, als die Funktionsweise an der Spitze zu ändern, damit sich im Land nichts ändert."

In diesen beiden Ländern hätten kommunistische Revolutionäre darauf hingewirkt, dass das Proletariat die Bewegung im Volk und die bedeutende Freiheit, die diese nach einer langen Zeit der Diktatur gewährleistete, voll und ganz nutzt, dass die Arbeiter sich separat organisieren, nicht nur um für ihre wirtschaftlichen und materiellen Interessen zu kämpfen, sondern auch um politische Ziele voranzustellen, die ihren Klasseninteressen entsprechen, und dabei am gemeinsamen Kampf mit den anderen sozialen Kategorien teilnimmt, um die Diktatoren zu verjagen.

Wir können natürlich keineswegs wissen, wie weit eine solche Strömung hätte gehen können. Da wir nicht vor Ort in der erforderlichen politischen Richtung aktiv sind, also nicht in der Lage auch partielle Ziele voranzustellen, die von einer beweglichen Situation bestimmt werden, wissen wir nicht, wie die Dynamik der Volksbewegung war und welche Möglichkeiten ein unabhängiges Auftreten der Arbeiterklasse geboten hätte. Jede diesbezügliche Behauptung wäre, auch rückblickend formuliert, reine Spekulation.

Was sich aber nach zwei Jahren mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass selbst die einfachen demokratischen Rechte und Freiheiten in diesem Land nur möglich sind, wenn die Arbeiterklasse sich an die Spitze der Revolte der Ausgebeuteten Klassen stellt. In dieser von der Bourgeoisie und dem Imperialismus be-herrschten Welt ist sogar eine parlamentarische Demokratie mit einer relativen politischen Freiheit ein Luxus, den sich nur die reichen imperialistischen Länder leisten können. Und selbst in diesen Ländern herrscht hinter den demokratischen Sichtblenden die Diktatur des Großkapitals. In den armen Ländern sind der Kampf für die demokratischen Rechte und Freiheiten und der Kampf des bewussten Proletariats für seine soziale Emanzipation durch die Enteignung der Bourgeoisie in Wirklichkeit ein und dasselbe.

Zu wünschen ist, dass die Aufstandsbewegung in den arabischen Ländern das politische Bewusstsein einer neuen Generation weckt und dass diese versteht, dass es nicht ausreicht, sich eines Diktators zu entledigen. Man muss sich auch der herrschenden privilegierten Massen entledigen, die mit dem Imperialismus verbunden sind, und diese Aufgabe kann allein das auf Grundlage seiner Klasseninteressen organisierte Proletariat dieser Länder zu Ende führen.

Der Konflikt zwischen Israel und Palästina

Der Konflikt zwischen Israel und Palästina hat in diesem Jahr keine erwähnenswerte Entwicklung durchgemacht. Weder von Seiten der israelischen Führer noch von Seiten ihres amerikanischen Beschützers gab es das geringste Zeichen, dass sie zur Wiederbelebung einer Scheinverhandlung gewillt wären. Selbst die Palästinenserbehörde, die Ende 2011 die Anerkennung eines Palästinenserstaats durch die UNO verlangt hatte, hat ihren Ehrgeiz nach dem vorhersehbaren amerikanischen Veto im Sicherheitsrat wieder gedämpft. Sie könnte sich auf den Antrag auf Anerkennung als "Nichtmitgliedstaat" zurückziehen, ein ähnlicher Status wie der des Vatikans, der ihr auf diplomatischer Ebene keine weiteren Vorteile bieten würde, wenn sie ihn überhaupt erlangt.

Im Westjordanland, wo die israelische Siedlungspolitik weitergeht, ist die Situation vollkommen festgefahren. Dasselbe gilt für den Gazastreifen, gegen den die von Israel verhängte Blockade fortdauert. Der Machtwechsel in Ägypten und die neue Regierung der Muslimbrüder haben nicht einmal die Beziehungen zwischen diesem Land und dem Gazastreifen nennenswert verändert. Die neue ägyptische Regierung hat die Sicherheit gegeben, dass sie nicht die Absicht hat, die Mubaraksche Politik der guten Nachbarschaft mit Israel in Frage zu stellen, und dies in den Tatsachen bewiesen. Das zeigt sich insbesondere in der Mitwirkung Ägyptens an der Blockade, den Israel dem Gazastreifen aufzwingt.

Die Fortsetzung dieser Situation macht eine Zwei-Staaten-Lösung immer schwieriger, da das Hoheitsge-biet eines eventuellen Palästinenserstaats heute aufgrund der israelischen Siedlungspolitik völlig zerstü-ckelt ist; Was in Israel und den Palästinensergebieten entstanden ist, gleicht immer mehr einer Apartheid, wie es sie in Südafrika gegeben hat, und in der die Palästinenser als billige und rechtlose Arbeitskräfte fungieren, die in ihre Viertel und Gebiete abgeschoben werden, und ständigen Schikanen ausgesetzt sind. Die israelischen Staatsführer haben sich in dieser Politik eingerichtet und beabsichtigen nicht, ihr den Rücken zu kehren. Die Suche nach einer Regelung mit den Palästinensern würde für sie eine Konfrontati-on mit den Siedlern und der israelischen extremen Rechten bedeuten, was für sie so oder so nicht in Frage kommt.

Die Situation ist umso explosiver und könnte es noch mehr werden. Sei es auch nur unter einem demographischen Gesichtspunkt: Die israelischen Juden könnten in dem Gebilde, das aus Israel und dem besetzten Westjordanland besteht, sowie dem nicht mehr direkt besetzten aber von der israelischen Armee umzingelten und kontrollierten Gazastreifen, dessen Situation nicht haltbar ist, auf lange Sicht in die Minderheit geraten.

Die von den israelischen Führern erdachte neue Apartheid führt in die Sackgasse, nicht anders als die Apartheid, die die südafrikanischen Führer letztendlich fallen lassen mussten. Aber es ist wahr, dass diese Situation andauern kann und sie dauert ja bereits seit Jahrzehnten an. Die israelischen Führer haben keine andere Politik als die, durchzuhalten und dabei im Palästinensergebiet immer mehr "vollendete Tatsachen" zu schaffen und eine eventuelle Regelung immer weiter auf später zu verschieben.

Den israelischen Führern könnte eine kriegerische Flucht nach vorne als Ausweg aus der Sackgasse er-scheinen. Netanjahu schwingt die Drohung einer israelischen Intervention gegen die atomaren Anlagen im Iran unter dem Vorwand, dieses Land daran zu hindern, sich atomar zu bewaffnen.

Dafür gibt es unmittelbare politische Gründe. Die Anprangerung der iranischen Gefahr ist eine Metho-de, in Israel ein Klima der nationalen Einheit zu bewahren, welches von der Protestbewegung im Sommer 2011 ein wenig überdeckt worden war. Diese Bewegung, die mit den verschiedenen in Europa oder den USA entstandenen Bewegungen der "Empörten" verglichen wurde, hatte den Schwerpunkt auf die sozia-len Schwierigkeiten gelegt, die die israelische Bevölkerung unter den Geboten der Wirtschaft und einer Politik, die der Armee und der Siedlungspolitik den Vorrang gibt, erfährt. Die Bewegung stieß jedoch sehr schnell an seine Grenzen. Sie hätte nicht nur die Sozialpolitik der israelischen Regierung, sondern auch ihre kriegstreiberische Politik und die grundlegende Ungerechtigkeit, die sie die Palästinenser erfah-ren lässt, in Frage stellen müssen.

Die Kraftprotzerei Netanjahus zielt jetzt auch darauf ab, im Hinblick auf die Wahlen, die er beschlossen hat auf Anfang 2013 vorzuziehen, die öffentliche Meinung fest hinter die derzeitigen Regierung zu brin-gen. Seine Drohungen gegenüber dem Iran sind letztendlich und in erster Linie Ausdruck der herkömmli-chen Politik Israels. Es geht darum, seinem amerikanischen Beschützer seine Söldnerdienste anzubieten. Israel und seine Armee zeigen Bereitschaft für den Fall, dass der amerikanische Imperialismus militärisch im nahen Osten, z. B. im Iran oder in Syrien eingreifen müsste.

Offenkundig wünschen die Führer der USA allerdings derzeit keine israelische Intervention, und das nicht nur, weil sie die amerikanische Wahlkampagne, die auf ihr Ende zugeht, stören würde. Nach der Erfahrung mit Afghanistan und dem Irak sind die USA wie im Übrigen auch die anderen westlichen Staaten dem Gedanken einer neuen direkten militärischen Intervention eher abgeneigt. In der syrischen Krise z. B., ziehen die USA es vor, indirekt über Verbündete wie die Türkei, Saudi-Arabien oder Katar einzugreifen, was bedeutet, Israel außen vor zu lassen. In dem derzeitigen Kontext könnte eine militärische Aktion Israels in der Tat die Lage für diese Verbündeten der USA nur verkomplizieren oder sogar dazu neigen, gegen Israel und die westlichen Führungen eine Solidarität zwischen arabischen und muslimischen Ländern zu schaffen, die es heute nicht mehr gibt, wenn es sie überhaupt je gegeben hat.

Im Kontext einer Verschärfung der internationalen Spannung könnten die Führer des amerikanischen Imperialismus sich allerdings dafür entscheiden, direkt oder über Verbündete einzugreifen. Die israelische Armee könnte dann ihre Rolle der Speerspitze einer westlichen militärischen Intervention spielen. Der derzeitige bewaffnete Frieden könnte dann drohen, zu einem flächendeckenden Krieg zu werden.

Afrika, zwischen Plünderung und Krieg

Zu den zahlreichen Spannungsgebieten, die es sozusagen ständig in Afrika gibt, wie in Somalia und im Kongo, im Sudan und Guinea-Bissau, ist in diesem Jahr Mali hinzugekommen. Dieses künstlich mit der französischen Kolonialisierung geschaffene Land fasst Völker der Sahara, Tuareg, Araber, Tubu, Songhai, usw. mit Bevölkerungsgruppen des Südens des Landes in einem einzigen Ganzen zusammen. Eine explosive Mischung, die in der Vergangenheit im Übrigen häufig explodiert ist, sowohl in den Koloni-alzeiten mit dem Kaosen-Aufstand 1916, als auch seit der Gründung des unabhängigen Staates Mali. Seit der Unabhängigkeit Malis war die Armee dieses Staates bereits drei Mal - 1963-1964, 1990-1996 und 2006-2009 - mit Aufständen von Tuareg-Stämmen konfrontiert.

Die derzeitige Krise ist aus einem Zusammentreffen mehrerer Probleme entstanden: eine Krise im malischen Staatsapparat selbst, oder genauer gesagt in der Armee, zwischen der Kaste der korrupten hochrangigen Offiziere und der untergeordneten Offiziere, die einen Teil der Truppen mit sich ziehen; ein neues Aufflammen der Forderungen nach Autonomie der Tuareg; und schließlich die Präsenz in diesem Teil Malis militanter bewaffneter Gruppen, die sich auf den Islamismus berufen.

Die Lage im benachbarten Libyen illustriert sozusagen als Umkehrbild, warum die ehemaligen Kolonialmächte - hier in dieser Region Frankreich - sich so gut mit diktatorischen Regimes abfinden, wenn sie sie nicht sogar vorziehen.

Der Umsturz Gaddafis hat zu einer Anarchie im Lande selbst geführt. Angesichts der Verwicklung Libyens in der Lage der Nachbarländer - insbesondere die Präsenz von Söldnern, die vom ehemaligen liby-schen Diktator im Tschad oder in Niger rekrutiert wurden -, ist mit dem Zusammenbruch des libyschen Regimes die Rückkehr vieler dieser Militärs in ihre Länder einhergegangen, sowie ein intensiver Waffenschmuggel. Infolgedessen wurde das gesamte Sahara-Gebiet destabilisiert. Wenn von Mauretanien über Niger bis zum Tschad das Regime in Mali als erstes erschüttert wurde, so haben alle Staaten der Region jeden Grund zu fürchten, dass sie ihrerseits destabilisiert werden.

3. In Niger mindestens, dem Zulieferer von Erzen wie Uran für die Atomindustrie, hat Frankreich wesent-liche Interessen. Aber über diese wirtschaftlichen Interessen hinaus gibt es die Tatsache, dass das impe-rialistische Frankreich, Schutzmacht der Regime in diesem Teil Afrikas, in den Weiten der Sahara das Entstehen einer Situation wie jene in Somalia, eine permanente Ansteckungsgefahr für die benachbarten Länder, nicht dulden kann. Darüber hinaus hat der rasche Rückzug der Armee Malis vor den islamistischen Milizen gezeigt, in welchem Maße sie nur dazu fähig war, die eigene Bevölkerung zu unterdrücken, aber keinen Krieg zu führen, nicht einmal gegen bewaffnete Banden... wenn diese auch gut ausgerüstet sind, was sie Gaddafis als Schmuggelware verkaufte Waffenlager zu verdanken haben.

4. Während er versicherte, er werde keine Truppen in den Mali senden, ergriff er trotzdem die Initiative, die ECOWAS (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) einzuschalten, damit diese eine Militärkoaliti-on auf die Füße stellt, die in der Lage ist, im Mali zu intervenieren. Eine alte Praxis des französischen Imperialismus: seinen Krieg in Afrika mit der Haut der Afrikaner führen.

Allerdings fällt es der Koalition schwer, zu entstehen. Und in Anbetracht dessen, was die Armeen der ECOWAS-Länder sind, nicht viel solider als die Armee von Mali, ist nicht auszuschließen, dass ihre In-tervention nicht auch eine Gruppierung der Kräfte auf Seiten der Islamisten provozieren würde, und dass sich die aktuelle chaotische Situation nicht noch verlängert und verschlimmert werden könnte. Selbstver-ständlich wäre diese Intervention nicht ein Krieg für die "Integrität des nationalen Territoriums" Malis, wie das von den führenden Politikern im Mali behauptet wird, sondern ein weiteres Abenteuer des fran-zösischen Imperialismus.

5. Trotz der Erklärung Sarkozys zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2008 vor dem südafrikanischen Par-lament, dass "Frankreich nicht für immer Streitkräfte in Afrika behalten wird", gab es in seiner fünfjähri-gen Amtszeit eine Vermehrung militärischer Interventionen in Afrika.

Neben der Operation an der Elfenbeinküste, die dazu diente, sich Gbagbo zu entledigen und Ouattara an seine Stelle zu setzen, und der Bombardierung von Gaddafis Libyen, haben die französischen Militärs, die permanent im Tschad stationiert sind, interveniert, um die Macht des örtlichen Diktators Idriss Déby zu bewahren. Vom Tschad aus fielen sie auch in benachbarte Länder ein, die Zentralafrikanische Republik und die Region Darfur.

Außerdem war der "Kampf gegen den Terrorismus" ein Vorwand für die Interventionen der französi-schen Spezialkräfte in Niger. Und der Kampf gegen die Seeräuberei wurde als Grund genannt, für eine mit Großbritannien gemeinsam geführte Schiffsoperation an den somalischen Küsten im Golf von Aden.

Operationen, durchgeführt von Kontingenten mit sanft klingenden Tier- oder Fabelwesen-Namen wie "Einhorn-Streitkraft" oder "Sperber-Kontingent", oder die von der griechischen Mythologie bzw. der Astronomie abgeleiteten "Operation Atalanta".

6. Was Hollande betrifft, so hat er sich bei seinem Amtsantritt mit dröhnenden Erklärungen über das Ende der sogenannten "Françafrique" hervorgetan. Die diplomatische Agitation seiner Regierung rund um Mali lässt vermuten, dass Hollande in diesem Bereich gleich wie in anderen in Sarkozys Fußstapfen treten wird. Wenn es einen Bereich gibt, in dem die Kontinuität von einem Präsident zum anderen trotz dem Etikettenwechsel immer vollkommen gewährleistet ist, so sind das die Außenpolitik im Allgemeinen und besonders die afrikanische Politik. Das kann gar nicht anders sein.

In der Françafrique stellen die persönlichen Verbindungen zwischen den herrschenden französischen Politikern und den afrikanischen Diktatoren, die Koffer mit Geldscheinen zur Finanzierung von Wahlkämp-fen den Humus dar, auf dem alles andere gedeiht. Die Verbindungen zwischen dem französischen Impe-rialismus und seinen ehemaligen Kolonien basieren auf weit tiefer verankerte Interessen, die die französi-sche Bourgeoisie selbst betreffen, und nicht nur ihre politischen Diener.

7. Die einzige Abschwächung, die vorauszusehen ist, kommt nicht vom Wechsel des Präsidenten, sondern von der Tatsache, dass Frankreich, ein imperialistisches Land zweiten Ranges, immer weniger militärische Mittel für die Durchführung seiner Politik zur Verfügung hat. Es wird bereits davon gesprochen, dass die französische Armee Schwierigkeiten haben würde, eine eventuelle Intervention der ECOWAS-Truppen logistisch zu unterstützen, da es an Langstreckenhubschrauber mangelt.

In der Vergangenheit hat Frankreich bereits einige Male versucht, so wie zum Beispiel im Tschad seine eigene Intervention auszuweiten und die menschlichen sowie finanziellen Kosten der Operation auf mehrere Länder Europas zu verteilen. Aber es ist nicht gesagt, dass Deutschland oder Großbritannien Lust haben, auch nur teilweise militärische Operationen zu übernehmen, die ausschließlich im Interesse der französischen Bourgeoisie ausgeführt werden.

8. Bewaffnete Konflikte wie jene, die sich in der Sahara oder in der Sahel-Zone entwickeln, sind nicht auf das ehemalige französische Kolonialreich begrenzt.

In Ostafrika entfachen sich neben Somalia, das von bewaffneten Banden dominiert wird, neue Span-nungsherde in Kenia, Tansania und Uganda mit je einer mehr oder weniger starken muslimischen Min-derheit. Mit der Krise und der Verarmung von bereits armen Bevölkerungen sowie viel Arbeitslosigkeit werden diese Regionen zu einem Rekrutierungspol von Kämpfern für die islamistischen Bewegungen, einschließlich den radikalsten von ihnen.

Der Krieg gegen sie wird nicht nur von den nationalen Repressionskräften, sondern mit der Unterstützung der Geheimdienste der USA und Großbritanniens geführt. Die Intervention der westlichen Mächte ist hier also diskreter, bleibt aber nichtsdestotrotz eine militärische Intervention.

Aber so wie seinerseits die amerikanische Intervention in Somalia die islamistischen bewaffneten Banden nicht ausgerottet sondern ihnen im Gegenteil breitere Perspektiven geboten hat, so können die Interventi-onen der westlichen Länder in Kenia, in Uganda und vor allem in Tansania mit seinen 30% muslimischen Bevölkerungsanteil zu einer Gewaltspirale führen. Umso mehr, als bewaffnete Kontingente von Kenia und Uganda bereits vor Ort sind.

9. Einer der dramatischen Aspekte der Situation der arbeitenden Klassen Afrikas ist die Tatsache, dass die Armut zu den endemischen inneren Kriegen und zur Gewalt der bewaffneten Banden noch hinzukommt.

Gerade als die bewaffneten Auseinandersetzungen in Liberia oder in Sierra-Leone aufgehört hatten, brachen in Nigeria und in Ostafrika neue Konflikte aus.

Was den Kongo betrifft, so sind die Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Banden seit Jahrzehn-ten geradezu permanent.

10. In der Elfenbeinküste haben der Sturz Gbagbos mit Hilfe der französischen Armee sowie die Einset-zung Ouattaras zu einer gewissen Stabilität der Situation geführt. Nach mehreren Wochen bewaffneter Auseinandersetzungen haben die Banken wieder geöffnet, die Unternehmen der Industriezonen von Abidjan wurden wieder angeworfen und das Geschäft läuft wieder.

Es handelt sich allerdings um eine relative Stabilität, was die sporadischen Angriffe auf Kasernen und Kommissariate zeigen, von den man nicht weiß, ob es sich um Aktionen handelt, die von ehemaligen Ka-dern des Gbagbo-Regimes organisiert wurden, die im neuen Regime keinen Posten bekommen haben, oder einfach von ehemaligen Militärs, die in die wiedervereinigte Armee nicht wieder aufgenommen worden waren.

Mehr oder weniger gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Elementen verschiedener Ethnien in mehreren Regionen, die sich an der Frage des Landbesitzes entfachen, finden weiterhin in periodischer Weise statt.

Das alles kommt zum menschlichen und materiellen Preis hinzu, den die arbeitenden Klassen für die lange bewaffnete Rivalität um die Macht zahlen mussten.

11. Die Schäden dieser unter religiösen oder ethnischen Vorwänden geführten inneren Konflikte sind nicht nur materieller Art. Sie wirken sich auch auf das Bewusstsein aus, indem sie Bevölkerungen in einer besonders reaktionären und rückschrittlichen Weise trennen und sie gegeneinander aufhetzen.

In diesen Ländern, in denen die Kolonialherren staatliche Einheiten schufen, indem sie die einen Ethnien zerstückelt und die anderen künstlich zusammengefasst haben, basieren diese Staaten auf keine wirt-schaftliche Entwicklung und werden von keiner fortschrittlichen Klasse getragen. Die lokalen privilegier-ten Klassen waren immer schon gleichermaßen gefräßig, was ihre Privilegien anbelangt, und zutiefst re-aktionär sowie vollkommen unfähig, Träger fortschrittlicher Ideen in irgendeinem Bereich zu sein.

Wenn die Wirtschaftsstatistiken seit einigen Jahren von einem beträchtlichen Wachstum der Wirtschaft einiger afrikanischer Länder sprechen, so spiegeln diese Zahlen vor allem die Ausweitung der Plünderung durch das westliche Großkapital wieder.

Aber für die Bevölkerungen gibt es keine Chance einer Entwicklung auf kapitalistischer Basis. Der Griff des Imperialismus verhindert jegliche, auch nur im Entferntesten für die Bevölkerung nützliche Entwicklung. Sie ist letztendlich verantwortlich für alles andere: das Überleben sozialer Anachronismen - "Häuptlingstümer", ethnische Spaltungen, usw. -, die häufig durch die Kolonialherren wiederbelebt worden sind, sowie dem Aberglaube entsprungene Vorurteile reaktionärster Art.

12. Der lange Streik, der gerade in den Minen von Marikana in Südafrika stattgefunden hat, erinnert an die Existenz und die Kraft der Arbeiterklasse in diesem Land, aber auch an ihre Entschlossenheit.

Südafrika ist sicher das am meisten industrialisierte Land auf dem afrikanischen Kontinent, ein Land, in dem auch die Arbeiterklasse zahlenmäßig die stärkste ist.

Aber ist der Imperialismus auch mehr damit beschäftigt, den Reichtum der Natur Afrikas zu plündern als ihn zu entwickeln, so ist selbst diese Plünderung - Ausbeutung der Platin-, Diamanten- oder Eisenminen, Kahlschlag der Seltenheiten in den Tropenwäldern, Aufbrauchen der Erdölreserven - ohne Arbeiter un-möglich. So begrenzt die produktiven Investitionen vor allem in Krisenzeiten auch sein mögen, trägt das alles doch zur Zunahme des Gewichts der Arbeiterklasse des Kontinents bei.

Dazu kommt, dass die südafrikanische Arbeiterklasse wie in allen unterentwickelten Ländern ein wesentlicher Bestandteil dieser breiten Masse von Armen ist, die aus vom Land vertriebenen Bauern besteht, die sich in riesigen Favelas zusammendrängen.

Wenn das lang anhaltende politische Zurückweichen der Arbeiterbewegung überall auf der Welt aufhören wird, und sich die Arbeiterklasse auf internationaler Ebene das Klassenbewusstsein und die entsprechenden politischen Ideen wieder aneignen wird, dann wird die Arbeiterklasse Afrikas ihren Platz in der weltweiten Arbeiterbewegung finden.

Zum Schlusswort

Es mag lächerlich erscheinen für eine kleine Gruppe, die keine Partei ist und nicht das Gewicht, das Vertrauen und den Einfluss besitzt, um auch nur in diesem Land eine Rolle zu spielen, zu versuchen, sich eine Meinung über die Arbeiterklasse entfernter Länder und die ihren Interessen entsprechende Politik zu bilden. Umso mehr, als bei einigen dieser Länder die grundlegendsten Informationen über ihre Arbeiterklasse, den Grad ihres Bewusstseins oder Kampfbereitschaft nur tröpfchenweise durchsickern.

Aber es ist nicht möglich, revolutionär-kommunistische Organisationen aufzubauen, und eigentlich auch nicht revolutionäre Aktivisten auszubilden, ohne dass sie sich alle politischen Fragen, einschließlich jener, die die internationale Situation betreffen, vom Standpunkt des Proletariats und dessen Klasseninteressen stellen.

Die Fragen, die auf diesem Gebiet gestellt werden, werden ihre Antworten nach und nach mit dem Aufbau einer revolutionär-kommunistischen Partei finden, und mit den Verbindungen, die sie mit Organi-sationen und Aktivisten anderer Länder herstellen und festigen muss, wenn nötig durch ihre Ausbildung in der Emigration. Die Emigration hat für die Verbreitung revolutionär-kommunistischer Ideen von einem Land zum anderen in der Vergangenheit immer eine Rolle gespielt. Der Aufbau einer Internationale ist in Wirklichkeit mit dem Aufbau einer kommunistischen Partei untrennbar verbunden.

Erinnern wir uns daran, dass die Begründer des Marxismus immer im Hinblick auf die Interessen der Revolution auf internationaler Ebene gedacht haben, meistens durch Vorwegnahme dieser. Und die russischen Revolutionäre der ersten Generation, Plechanow und Sassulitsch, denen sich Lenin angeschlossen hat, waren in der Lage, die Möglichkeit einer russischen Arbeiterklasse vorwegzunehmen, obwohl diese zur ihrer Zeit noch fast nicht existierte. Die Geschichte gab ihnen Recht.

Anders als jene, die vor uns kamen, haben wir die eineinhalb Jahrhunderte lange Erfahrung der Arbeiterbewegung hinter uns, jene Erfahrung ihrer Kämpfe, ihrer Siege und ihrer Niederlagen.

Der sozialdemokratische Reformismus und dann der Stalinismus haben die Wiedergabe dieses Kapitals von einer Generation zur nächsten zuerst pervertiert und dann zerstört. Aber es muss nicht alles von neuem begonnen werden. Wir wissen nicht, ob wir die Möglichkeit haben werden, revolutionäre Ereignisse zu erleben, und schon gar nicht, ob wir dabei eine Rolle spielen können. Was unsere Möglichkeiten aber nicht übersteigt, das ist die Aufgabe, die revolutionären Ideen und das revolutionäre Programm so sauber wie möglich zu erhalten. Denn früher oder später wird sich die Generation von Ausgebeuteten erheben, die den richtigen Gebrauch davon machen werden.

29. Oktober 2012