Bericht über die innenpolitische Situation Frankreichs (Dezember 2010)

Εκτύπωση
Bericht über die innenpolitische Situation Frankreichs
Dezember 2010

(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2010 verabschiedet)

 

RAUBÜBERFALL AUF DIE RENTEN

1. Wir konnten diesen Bericht mit demselben Satz wie voriges Jahr beginnen: "Die Innere Lage ist durch den von der Unternehmerschaft und der Regierung geführten Krieg gegen die Arbeitenden beherrscht, um die Gewinne des Kapitals trotz der Krise aufrechtzuerhalten." Aber dieser Krieg spielt sich jetzt in einem sozial und politisch veränderten Kontext ab.

2. Dieses Jahr konzentriert sich der Großteil der Angriffe der Regierung auf die schlecht bezeichnete "Rentenreform", die von Sarkozy schon im Januar 2010 unzweideutig angekündigt wurde. "Alles muss auf den Tisch, das Rentenalter, die Dauer der Beiträge und die Beschwerlichkeit der Arbeit". Er entsprach hiermit den Wünschen des Unternehmerverbands Medef, der schon seit langem forderte, das gesetzliche Renteneintrittsalter anzuheben.

3. Natürlich war es nicht der Zweck dieser Reform, alle Erwerbstätigen länger in Arbeit zu halten, wo doch weniger als 60 Prozent der "Senioren" im Alter von 55 bis 59 Jahren arbeiten. Die Unternehmer sind für diese Tatsache voll verantwortlich. Sie haben weitgehend den Mechanismus der Frührenten verwendet oder auch die älteren Werktätigen auf die Straße geworfen, wobei diese nach individueller Kündigung oder kollektiven Entlassungen keine Chance haben, wieder eine Arbeit zu finden. Durch die Ausbeutung erschöpfte Werktätige in Arbeit zu erhalten interessiert die Unternehmer absolut nicht. Sie ziehen es vor, sie durch junge Leute zu ersetzen. In einem Land, das fast 4 Millionen Arbeitslose zählt, können sie es sich auch erlauben, diese mit unsicheren Verträgen und zu geringen Kosten einzustellen.

4. Das von der Regierung und den Unternehmern verwendete Argument der Demographie, das willfährig von der Großzahl der Kommentatoren übernommen wird, hat nichts mit der Wahrheit zu tun. Die Lebenserwartung stieg sicherlich in den letzten Jahrzehnten und man kann sich darüber nur freuen. Aber sie ist nicht dieselbe für alle sozialen Schichten, für einen Fließbandarbeiter oder für eine obere Führungskraft und die Lebenserwartung bei guter Gesundheit stieg viel weniger. Auf jeden Fall gibt es keinen Grund dafür, dass diese Verlängerung der Lebenserwartung nicht den Werktätigen erlauben sollte, länger von ihrer Rente zu profitieren. Umso mehr als die Arbeitsproduktivität erheblich stieg und nicht nur infolge der erhöhten Ausbeutung, der die große Mehrheit der Werktätigen ausgesetzt ist, sondern auch infolge des technischen Fortschritts.

5. Wenn der Prozentsatz der aktiven Werktätigen, die für die Rente Beiträge zahlen, sich in der Bevölkerung vermindert hat, ist das nicht nur ihrem Altwerden zuzuschreiben. Es ist auch das Resultat der Politik der Großunternehmer, die ihre Profite aufrechterhalten wollen. Indem sie sich darum bemühen, dieselbe Produktion mit immer weniger Werktätigen auszuführen, führt das in hohem Maße dazu, die Anzahl der Arbeitslosen zu vergrößern. Diese verlieren dann schnell ihr Anrecht auf Arbeitslosengeld und überleben nur mehr mit Hilfe der staatlichen Sozialhilfe (RSA oder ASS), wenn sie nicht schließlich auf die Solidarität ihrer Familie zurückgreifen müssen.

6. All das, wie der de facto Lohnstopp hatte natürlich Auswirkung auf die Einnahmen der Rentenkasse. Aber die finanziellen Schwierigkeiten derselben wären nicht so groß wenn der Staat nicht zugleich die Steuerbefreiungsmaßnahmen für die Unternehmer vervielfacht hätte... was natürlich nicht den Medef davon abhält, neue Geschenke für die Unternehmer zu fordern, wobei er vorgibt, die Unternehmen würden unter dem leiden, was die Unternehmer als "Lohnnebenkosten" bezeichnen.

7. Tatsächlich wollen die Unternehmer und die Regierung das Renteneintrittsalter nur deshalb hinausschieben - indem sie den Großteil der Werktätigen, die in Rente hätten gehen können, in Langzeitarbeitslose umwandeln - weil sie die Rentenbeiträge wieder einmal vermindern wollen. Und das ist nur die Fortsetzung der von Balladur im Jahre 1993 vorgenommenen Maßnahmen. Diese verlängerten schon die notwendige Beitragsdauer für eine volle Rente von 37,5 Jahren auf 40 Jahre. Sie ersetzten die Berechnung der Renten auf der Basis der 10 besten Jahre durch eine den Werktätigen viel ungünstigere Basis, nämlich die der 25 besten Jahre, und mit Bezug auf die Lebenserhaltungskosten und nicht mehr auf die Entwicklung der Gehälter. Die Regierung der "Vielfältigen Linken" von 1997 bis 2002 unter dem Premierminister Jospin hütete sich dann sehr, alle diese Maßnahmen wieder in Frage zu stellen.

8. Die finanziellen Schwierigkeiten der Rentenkasse sind nicht so schlimm als dass der Staat ihnen nicht abhelfen könnte. Sie stellen nur einen Tropfen dar, im Vergleich zu den enormen Summen, die der Staat zum Profit der Banken und der Automobilindustrie freigegeben hat. Aber die Regierungen wollen eben nur die Arbeiter und Angestellten zum Bezahlen zu bringen, um dann das Geld den Großunternehmern zur Verfügung zu stellen.

DIE VERÄNDERTE HALTUNG DER GEWERKSCHAFTSVERBÄNDE

9. Das Jahr 2010 kennzeichnet sich durch eine Änderung der Haltung der Gewerkschaftsverbände. Man erinnert sich daran, dass der Erfolg der Aktionstage des 29-ten Januars 2009 und des 19-ten März keine Folgen kannte. Die Leitung der CGT, also des Verbands, der als kämpferischster dargestellt wird, sprach von einem "Kalender" wobei sie nicht definierte, was sie dabei dachte. Sie gab vor ihre Aktivisten für eine "andere industrielle Politik" (als die der Regierung) zu mobilisieren, wobei sie die Werktätigen kritisierte, die unter der Bedrohung einer Entlassung, den Kampf für so wenig ungünstige Entlassungsbedingungen wie möglich aufnehmen. Sie verwarf dabei verachtungsvoll, was sie die Politik der "Kofferschecks" nannte. Dann bemühte sie sich doch eifrig darum, an den "industriellen Generalständen" teilzunehmen, deren Idee Sarkozy aufgeworfen hatte.

10. Es war die Art und Weise, in der die Regierung ihr Rentenreformprojekt in Gang setzte, die die Gesamtheit der Gewerkschaftsverbandsführer, inbegriffen die offen reformistischen, die hartnäckigsten Verteidiger des Komanagements (der Mitbestimmung bei der Verwaltung des kapitalistischen Systems) dazu brachten, eine andere Haltung einzunehmen. Wenn der Arbeitsminister, Woerth, mehrmals beteuerte, dass er immer dazu bereit sei, die Führer der Gewerkschaften zu empfangen, so ließ er sie doch niemals an den geringfügigsten Verhandlungen teilnehmen. Die einigen wenigen - noch dazu geringfügigen - Veränderungen, die an dem anfänglichen Projekt der Regierung vorgenommen wurden, wurden nur mit den Parlamentsmitgliedern der Mehrheit diskutiert. Die Haltung der Führer der Gewerkschaftsverbände gegenüber der Rentenreform hat demnach viel mit der demonstrativen Verachtung, die die Regierung ihnen gegenüber an den Tag legte, zu tun.

11. So beklagte sich der Präsident der CFTC (christlicher Gewerkschaftsbund), am 18-ten Juni dieses Jahres darüber dass er "heute Morgen um 8 Uhr 30, gleichzeitig mit den Medien, Elemente der Mitteilungen der Regierung die das Reformprojekt des Rentensystem betreffen, empfangen habe", und auch darüber dass "den sozialen Partnern keine spezifische Information übermittelt worden war". Der selbe beklagte sich am ersten Oktober darüber, dass die Gewerkschaften "von dem Präsidenten der Republik (die Renten betreffend) beiseitegelegt würden", und rief die Werktätigen dazu auf, am nächsten Tag "auf die Straße zu gehen" um "die Regierung dazu zu zwingen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen".

12. Ebenso aufschlussreich ist die Haltung von François Chérèque, dem Generalsekretär der CFDT, eben dieser Gewerkschaft, die im Jahre 1995, unter der Führung von Nicole Notat, für den Juppé-Plan Stellung gezogen hatte. Chérèque selbst unterstützte im Jahre 2003 die Rentenreform von Fillon, aber er brachte dabei die Änderung des Projektes der "langen Karrieren", als dessen Urheber er sich dann bezeichnete, vor, um sich zu rechtfertigen. Dagegen legte er, im Jahre 2010, einen verbalen Radikalismus an den Tag. Im Juli versicherte er, dass "die Rentenreform noch nicht besiegelt sei" . Und er erklärte über Sarkozy dass "schon andere als er unter dem Druck der Straße ihre Haltung geändert hatten" . Nach der Verabschiedung des Gesetzes durch das Parlament zeigte er Ausdauer: "Das Rentenproblem ist nicht mit der Verabschiedung der Reform zu Ende" . FO und die CGT konnten darin nicht nachstehen - der Generalsekretär von FO, Mailly, zögerte nicht die Idee eines möglichen Zurückgreifens auf den Generalstreik heraufzubeschwören.

13. Alle gewerkschaftlichen Nationalführungen waren jedoch weit von der Idee entfernt, sich gegen eine Reform des Rentensystems, auf Kosten der Werktätigen zu stemmen. Zur gleichen Zeit als der Vorsitzende der CFTC sich über die Art und Weise, wie er von der Regierung behandelt worden war, skandalisiert gab, erklärte er: "Wir müssen unser Rentensystem retten: Dieses Ziel teilt die CFTC mit der Regierung" . Der Generalsekretär von FO erklärte, er sei seinerseits "bereit über eine Erhöhung der CSG (Allgemeine Sozialsteuer, die auf alle Einkommensarten erhoben wird, auch Kapitaleinkommen) zu diskutieren. Die Erhöhung eines Punktes der CSG bedeutet 12 Milliarden Euro" . Was die CGT betrifft, so haben ihre Aktivisten in Zentralflugblättern, die zu den Demonstrationen des 12-ten Oktobers aufriefen, folgendes, nach der Aufzählung von verschiedenen möglichen Finanzierungsquellen für die Bezahlung der Renten, lesen können: "Schließlich, bei Bedarf, wäre eine Erhöhung der Beiträge der Werktätigen in Erwägung zu ziehen."

14. Es ist für alle gewerkschaftlichen Verbände sowie die Sozialistische Partei (PS) kennzeichnend, dass sie die Aufrechterhaltung des Renteneintrittsalters von 60 Jahren in den Mittelpunkt ihrer Reden stellten und dabei alle anderen Elemente des Problems beiseitelegten. Es handelte sich hier wirklich um eine Nummer von Illusionisten, die unter den Scheinwerfern eine unbedeutende Geste machen, um über ihr grundlegendes Ränkespiel hinweg zu täuschen. Was bedeutet denn eigentlich ein Renteneintrittsalter von 60 Jahren, wenn man die schon erforderte Anzahl der Beitragsjahre nicht in Frage stellt, wobei diese noch dazu in Zukunft steigen werden, wenn die Regierung ihr Ziel erreicht? Wo doch die jugendlichen Werktätigen ins aktive Leben wegen der Arbeitslosigkeit immer später, oft sogar erst mit 25 Jahren eintreten... Wer wird dann mit 60 Jahren eine volle Rente haben, wenn man dafür mehr als 40 Jahren Beiträge wird bezahlen müssen? Keiner der Führer der Gewerkschaftsverbände und auch keiner der Politiker der parlamentarischen Linken versprach, dass alle Werktätigen von einer vollen Rente profitieren sollten sobald sie das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht haben.

15. Das Tauziehen zwischen den Führern der Gewerkschaftsverbände und der Regierung hat vor allem das Ziel, zu zeigen, dass die Regierung Unrecht hatte, keine wirklichen Verhandlungen mit den Verbänden einzuleiten. Das ständige Streben der Gewerkschaftsverbände ist es dabei, von der Regierung und von den Unternehmern als vollwertige und unentbehrliche Gesprächspartner anerkannt zu werden. Und obwohl der Unfrieden der Werktätigen groß war, fühlten die Gewerkschaften sich umso wohler bei dieser Politik, als der Großteil der Bevölkerung ihre Aktion unterstützte, die Mobilisierung der Werktätigen in Grenzen blieb und als auch das, was die Gewerkschaftsverbände vorschlugen, dem entsprach was die große Mehrheit der Arbeiter und Angestellten wollten. Sogar im Oktober, als große soziale Bewegungen, in der Petrochemie, bei der SNCF (den öffentlichen Bahnen), in den Häfen zu den Streiktagen und den Demonstrationen dazukamen, meisterten die gewerkschaftlichen Nationalführer total die Situation.

16. Sogar wenn es Sarkozy, Fillon und Woerth gelang - was vom Anfang an klar war - ihr Gesetzprojekt im Parlament und im Senat verabschieden zu lassen, so haben doch die Gewerkschaftsführer einen moralischen Sieg gegenüber der Öffentlichkeit errungen. Und die Regierung, prahlte dann auch nicht, sondern gab sich diskret. In einem Kontext nämlich, den das kennzeichnete, was mit der Affäre Bettencourt über die engen Beziehungen zwischen der Welt der Milliardäre und den rechten Politikern ans Licht kam, war die Öffentlichkeit mehr und mehr davon überzeugt und zwar mit Recht, dass die Regierung ausschließlich in den Diensten der Reichen stand... was natürlich in der Perspektive der für 2012 fälligen Wahlen, die im Zentrum der Besorgnisse der Politiker stehen, nicht sehr gut für sie ist.

EIN ERFOLG FÜR DIE GEWERKSCHAFTSAPPARATE, DER NICHT ZU UNGUNSTEN DER WERKTÄTIGEN VOR SICH GING

17. Die Führer der Gewerkschaftsverbände können doppelt zufrieden sein. Nicht nur hatten sie gezeigt, dass die Regierung Unrecht hatte, sie für unerheblich zu halten, sondern sie haben gleichzeitig, besonders was die zwei wichtigsten unter ihnen, die CGT und die CFDT, betraf, ihre interne Opposition, die einfachen Aktivisten oder auch Mitglieder des Apparats, die vorher die Passivität der Führer gegenüber den Angriffen der Unternehmer und der Regierung kritisierten, befriedigen können.

18. Während des Kongresses der CGT, in Nantes im Dezember 2009, war diese Unzufriedenheit sehr laut geworden, obwohl die Delegierten vom Apparat ernannt (da man ja kaum von Wahlen sprechen kann) worden waren. Viele Stimmen wurden laut, die es kritisierten, dass die Aktionstage des ersten Halbjahres 2009 ohne Fortsetzung blieben und dass die Einheit mit den anderen Gewerkschaftsverbänden auf der Basis von minimalen Forderungen bestand. Und die Unzufriedenheit erreichte sogar ein solches Maß, dass die Kongressleitung die Einladung des Generalsekretärs der CFDT, vor den Tagungsteilnehmern zu sprechen, rückgängig machte, aus Angst, dieser würde einen bewegten Empfang bekommen.

19. Was die CFDT betrifft, hatte sie einen Aktivistenschwund (80.000 Austritte nach den Ziffern der Zeitung "Le Monde") nach ihrer Unterstützung der Rentenreform von Fillon im Jahre 2003 erlebt. Aber beim Kongress in Tours im Juni 2010, verwendete Chérèque einen kämpferischen Ton, als er erklärte dass man (die Bevölkerung) "nicht glauben lassen sollte, dass die CFDT mit der Regierung in Bezug auf das Reformprojekt Gegenleistungen verhandeln würde". Und er fügte noch hinzu: "Wir sind nicht dazu bereit, Gegenleistungen für eine Reform zu verhandeln, die wir bekämpfen".

20. Indem die Führer der CGT, von FO und von der CFDT im Oktober den Sektoren wo die Aktivisten einen großen Grad von Kampfgeist zeigten die Möglichkeit ließen, sich in unbefristete Streiks hineinzubegeben, also in Aktionen, die über den Rahmen der Aktionstage hinausgingen, entschieden sie nicht nur, der Regierung zu zeigen, dass sie als Ansprechpartner unumgänglich waren, sondern sie wollten auch den kämpferischsten Aktivisten zeigen, dass viele Werktätigen, wenn sie auch die Aktionen mit Sympathie betrachteten, nicht dazu bereit waren, an ihnen teilzunehmen.

21. Wenn die Führungen der großen Gewerkschaftsverbände sich über den Erfolg ihrer Operation freuen können, so ging dieser doch nicht zu Ungunsten der Werktätigen vor sich. Die sieben Streik- und Demonstrationstage, die im September und Oktober 2010 stattfanden, waren unbestreitbare Erfolge trotz der Anstrengungen der Regierung und des Großteils der Medien, deren Tragweite zu verringern. Die Teilnehmer hatten zwar wenige Illusionen, was die Möglichkeit betraf, die Regierung dazu zu zwingen, ihr Projekt zurückzuziehen. Aber sie wollten damit sagen, dass sie den offiziellen Reden keinen Glauben schenkten und dass sie sich dessen bewusst waren, dass diese Rentenreform ein soziales Unrecht darstellte und das ist schon positiv.

22. Das Zusammentreffen im Oktober von so verschiedenen Kämpfen wie die der Arbeiter zahlreicher Häfen (Marseille und Fos waren nur die spektakulärsten von ihnen durch ihr Auswirkungen auf die Versorgung mit Erdölprodukten), die der Petrochemie, der Müllarbeiter von Marseille, von Nantes, von Orleans et von vielen anderen Städten, von Eisenbahnern, von Arbeitern des städtischen Transportwesens, usw. zeigten die Bedeutung der Rolle der Arbeiterklasse im wirtschaftlichen Leben und die Stärke, die diese Rolle ihr gibt.

23. Beim Erfolg der Demonstrationen spielten die Aktivisten der lokalen Strukturen vieler Gewerkschaften eine große Rolle. Sie wendeten sich nämlich an die Werktätigen kleiner und sogar sehr kleiner Unternehmen, wo es oft gar keine Gewerkschaft gab. Dadurch waren die letzteren dann in den Demonstrationszügen mehr und mehr zahlreich.

24. Aber das wichtigste bei den Kämpfen war es, dass die Werktätigen dieses oder jenes Sektors sie nicht isoliert führten, jeder in seiner Ecke. Eisenbahner, Erdölarbeiter, Lehrer, auch Studenten, besuchten einander, überschritten den Korporatismus, trafen sich in gemeinsamen Versammlungen, und unterstützten einander in der Aktion. Das ist eine Errungenschaft, die eine erhebliche Tragweite für die Zukunft haben kann.

25. Natürlich könnte die Tatsache, dass die Führungen der Gewerkschaftsverbände die zukünftigen Initiativen für Ende November und auch ihr Datum und die Formen, die sie annehmen sollten, im Unklaren ließen, eine negative Auswirkung auf die Mobilisierung haben. Dazu kommen auch die Erklärungen von Chérèque - um nur von dem zweitgrößten Gewerkschaftsverband des Landes zu sprechen - der schon bereit ist, die Endziele des Rentenreformkampfes zu ändern, aber nicht um dem Kampf einen allgemeinen Charakter zu geben, sondern im Gegenteil um ihm nur begrenzte Ziele zu setzen.

26. Man darf sich natürlich keine Illusionen über den tiefgreifenden Charakter dieser Bewegung machen, die nur deshalb einen großen Fortschritt darstellt, weil in der früheren Situation Demoralisierung und Apathie vorherrschten. Die revolutionären Aktivisten, sogar da wo sie zugegen waren (und sie waren weit entfernt davon, überall zu sein) hatten gar keinen Einfluss auf die Entwicklung der Ereignisse. Sie konnten nichts Anderes tun als die besten Aktivisten einer Bewegung zu sein, die von den bürokratischen Apparaten in Gang gesetzt und geführt wurde, insofern als das was diese Apparate vorschlugen, den Erwartungen der Werktätigen entsprach. Die Aufrufe zum Generalstreik von einigen Linksradikalen waren nur leere Worte. Aber wenn man an den Fatalismus denkt, der vor einigen Monaten vorherrschte, so änderte sich doch die Situation merklich.

DIE SOZIALISTISCHE PARTEI UND DIE RENTENREFORM

27. Martine Aubry, die erste Sekretärin der Sozialistischen Partei, hatte im Januar 2010 während der Radiosendung "die große Jury von RTL" erklärt: "Ich denke, dass man in die Richtung der Rente mit 61 oder 62 Jahren gehen muss, sehr sicher gehen wird" . Aber seither hat die PS entschieden, ihren Waggon am Zug der sozialen Kämpfe anzukoppeln und sie teilt völlig die Forderung der Aufrechterhaltung des Rentenalters mit 60. Sie hütet sich wohl, iregntetwas vorzuschlagen, was die sozialen Kämpfe betrifft, aber sie unterstützt alle Initiativen der Gewerkschaftsverbände, indem sie behauptet, dass "die PS angesichts der Entscheidungen der Gewerkschaften an die Franzosen appelliert, massiv auf diese zentrale Frage Einfluss zu nehmen" . Und sie war als Partei in allen gewerkschaftlichen Demonstrationen vertreten.

28. Die Gewerkschaftsverbände, weit entfernt davon, diese politische Anwesenheit aus ihren Demozügen zu verbannen, haben sie um so lieber angenommen, dass sie hoffen können, mit mehr Beachtung als vonseiten der derzeitigen Regierung behandelt zu werden, wenn 2012 die Linke zur Macht zurückkommt. Francois Chérèque, der sich jedoch gerne zu einer apolitischen Haltung bekennt, hat am Mikrophon von France-Inter am 10. Oktober erklärt: "Unsere Arbeit besteht nicht darin, die Wahlen zu einem Einsatz unserer politischen Revanche werden zu lassen", aber "wir werden unausweichlich das Thema der Renten in die Wahldebatte von 2012 wieder einführen", und "wir werden eine alternative Reform vorschlagen".

29. Entgegen dem, was viele politischen Kommentatoren denken, die in dieser Bewegung einen Misserfolg für die Sozialistische Partei sehen, weil sie keinen Vorschlag hatte vorzubringen, profitiert diese von ihrer Haltung. Die Wahlillusionen sind nicht auszurotten, und, selbst wenn viele Arbeitenden sich kaum Illusionen über die Politik der Linken an der Regierung machen, wird der Hass gegen Sarkozy zur Idee führen, dass man 2012 "gut" wählen müsste, das heißt für die Regierungslinke. Diese Idee wird unter allen Gegnern der Rentenreform immer stärker ausgedrückt. Wenn die Linke im Jahre 2012 gewinnt, so wird Sarkozy ihr bester Wahlwerber gewesen sein.

30. Die Beispiele, die zeigen, dass die Arbeiterschaft von einer möglichen Linksregierung nichts zu erwarten hat, sind jedoch überzeugend. Dominique Strauss-Kahn, dem übrigens Sarkozys Wohlwollen den Posten des Generaldirektors des IWF verschaffte, und der von vielen als der bestmögliche Kandidat der PS für die Präsidentenwahl betrachtet wird, hat sich eingesetzt, um Griechenland und Portugal Sparpläne aufzuzwingen, die der armen Bevölkerung die Folgen der Krise des kapitalistischen Systems aufbürden sollen. Es ist ein Programm, das auch für Frankreich gilt. Seine Anhänger innerhalb der französischen Sozialistischen Partei (der Bürgermeister von Lyon Gérard Collomb, der Burgunder Regionalrat Francois Patriat, der Abgeordnete von Doubs Pierre Moscovici, der Pariser Abgeordnete Jean-Christophe Cambadélis) liegen auf derselben Wellenlänge. Ebenso wie einige andere sozialistischen Führer, die persönliche Ambitionen haben, wie Manuel Valls, der Abgeordnete von Évry.

31. Aber alle anderen sozialistischen Führer, und allen voran Martine Aubry, sind damit wohl einverstanden, dass man, wie sie sagen, die Beitragsdauer verlängern müsste, um mit vollen Bezügen in Rente zu gehen, was die Vorstellung, mit 60 los zu können, lächerlich macht. Die PS akzeptiert die Erhöhung der Beitragsdauer, die in der Fillon-Reform von 2003 vorgesehen wurde, das bedeutet 41,5 Jahre im Jahre 2020. Und die PS sieht sogar einen "Termin im Jahre 2025" vor, "wo es beschlossen werden könnte, die Hälfte jeder Verlängerung der Lebenserwartung der notwendigen Beitragsdauer hinzufügen" , ebenso wie sie mit einer "gemäßigten Erhöhung" des Anteils der Arbeitgeber... und der Lohnabhängigen an der Rentenkassen rechnet. Kurz gesagt, nichts Erschreckendes für die Unternehmerschaft.

32. Jedenfalls wenn die Führer der Sozialistischen Partei an die Regierung zurückkommen, würden sie, ungeachtet ihrer Absichten, keine andere Möglichkeit haben, als die von den Großunternehmern geforderte Politik zu führen, welche durch die wirtschaftliche Macht die Wirklichkeit der politischen Macht besitzen. Sie werden genau in derselben Lage sein wie Sarkozy. Sie werden sich höflich ausdrücken, keine offene Verachtung für die Arbeitswelt zur Schau stellen. Aber der Unterschied wird dort enden.

33. Die Reden der sozialistischen Führer über die beste Art, "unser" System durch Umlageverfahren zu retten sind nur das Gegenstück zu jenen der Rechten über dasselbe Thema. Die \'Umverteilungsrente\' ist sicherlich eine weniger schlechte Lösung als die Rente durch Kapitalisierung, weil sie mindestens die Lohnempfänger vor der möglichen Bankrotte der Pensionsfonds abgesichert. Aber sie war nie das Ziel der sozialistischen und kommunistischen Parteien, als diese noch einen Klassenstandpunkt verteidigten. Wie wir es in Lutte de Classe von Mai 2010 schrieben: "Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, im Jahre 1910, als das erste Gesetz angenommen wurde, das eine öffentliche Pflichtrente für die gesamten Arbeitenden (die sogenannte 'Arbeiter- und Bauernrente') einführte, haben sich die bewussten Arbeiter, die gewerkschaftlichen Aktivisten, die von den besten sozialistischen Aktivisten dieser Zeit unterstützt wurden, dem widersetzt. Nicht nur, weil dieses Rentensystem auf Kapitalisierung beruhen würde, sondern vor allem weil es durch Beiträge finanziert würde, das heißt durch Abzüge vom Lohn. Für die Aktivisten dieser Epoche sollten die Besitzenden und an all jene, die sich während Jahre dank der Arbeit der Werktätigen bereichert hatten, mit ihren angehäuften Vermögen die Rentenjahre der Arbeitenden finanzieren. Für sie waren diese Beiträge ein Diebstahl, ein Diebstahl mehr. Man musste die Reichen zahlen lassen. So gesehen hätte ein Rentensystem im Umlageverfahren auch keine Gnade bei den Gegner des Gesetzes auf der Arbeiterseite gefunden: Weil es ein System ist, das in geschlossenem Kreis funktioniert, weil die Pensionen der Arbeitenden von den Arbeitenden selbst finanziert werden, und weil es darauf zurückkommt, die Armen zahlen zu lassen." Das ist eine Position, die man im derzeitigen Kontext nicht vergessen darf, wie so viele Aktivisten der extremen Linken durch Opportunismus es tun.

DIE ANGRIFFE GEGEN DIE RENTEN SIND NUR EIN TEIL DES PROBLEMS

34. So gerechtfertigt der Kampf gegen die Angriffe der Bosse und der Regierung im Namen der Rentenreform auch ist, wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass diese nur einen Teil in einer generelleren Offensive darstellen, die gegen die Arbeiterschaft gerichtet ist, um eine Senkung ihres Lebensstandards zugunsten der Privilegierten durchzusetzen. Dabei ist nun aber der aus Gründen, die ihre Apparate betreffen, von den Gewerkschaftsverbänden organisierte Protest, aber dessen die Arbeitenden sich bemächtigt haben, eine Vorspiegelung, die dazu dienen soll, die anderen Probleme zu verbergen.

35. Die nächste bereits angekündigte Etappe richtet sich gegen die Gesundheitsausgaben. Wurde nicht unter der Präsidentschaft Mitterand, mit einer vom Sozialisten Mauroy geführten Regierung und dem kommunistischen Gesundheitsminister Ralite, 1993 die Krankenhauspauschale eingeführt? Der sozialistischen Ministerin Martine Aubry haben wir es wiederum zu verdanken, dass Tausende von pharmazeutischen Spezialisierungen unter dem Vorwand, dass das "medizinische Nutzen" unzureichend sei, nicht mehr erstattet werden. Dieselben Anwendungen und Medikamente tragen allerdings weiterhin zu den Gewinnen der Pharmaindustrie bei, da ihr Preis gleichzeitig liberalisiert wurde. Tatsächlich gibt es ungeachtet des politischen Regierungswechsels eine beachtliche Kontinuität in der Politik aller aufeinander folgenden Gesundheitsminister.

36. Tatsächlich sind aber die seit Jahren geführten Angriffe der Bosse und der in ihrem Dienst stehenden Regierenden gegen alle Aspekte des sozialen Lebens gerichtet, denn es geht ihnen darum, so viel Geld wie möglich aufzubringen, um vermehrt Geschenke an die Großbourgeoisie verteilen zu können und um es ihr zu ermöglichen, trotz der Krise weiterhin Profite zu machen. Und wenn die Arbeitenden den Kampf aufnehmen werden, dann müssen sie auf der Grundlage eines alle diese Punkte betreffenden Programms kämpfen. Es ist völlig abwegig, dass vier Millionen Arbeitenden arbeitslos sind, während die Arbeitslast für alle die zugenommen hat, die noch eine Stelle haben, und das nicht nur in der Industrie sondern auch im Servicebereich. Es ist ein Skandal, dass in einem der reichsten Länder des Planeten Tausende von Menschen (100.000 nach den meisten Schätzungen) keine Wohnung haben, dass Millionen von Menschen in schlechten Wohnverhältnissen leben. Es ist unzulässig, dass der Staat den Verfall aller für die Bevölkerung unentbehrlichen öffentlichen Dienste (Gesundheit, Verkehrsmittel, Unterricht) zulässt und darüber hinaus alles was rentabel ist, dem Privatsektor zur Verfügung stellt.

37. Aber man darf natürlich nicht damit rechnen, dass die Wahlen an diesem Zustand etwas verändern werden. Nur ein Kampf aller Arbeiter könnte das durchsetzen. Und damit ein solches, der Bourgeoisie aufgezwungenes, Zurückweichen nicht sofort auf die eine oder andere Art wieder aufgehoben wird, muss die Kontrolle der Arbeitenden über das ganze wirtschaftliche Leben durchgesetzt werden, beginnend bei der entschädigungslosen Enteignung der Hauptverantwortlichen der Krise: der Banken und der Versicherungen (die sich kaum mehr voneinander unterscheiden).

38. Das ist die Perspektive, die wir verteidigen müssen, auch wenn sie heute noch nicht ansteht. Darüber hinaus ist dies eine Perspektive, die nur wir verteidigen, und deshalb ist es unbedingt notwendig, dass wir uns die Mittel geben, von den nächsten Wahlen zu profitieren, um sie zu popularisieren.

DIE RECHTE: EIN MONOLITH MIT RISSEN

39. Verglichen mit dem, was wir 2008 geschrieben haben, ist jetzt, nach dem Erfolg der "Öffnung" nach links, also des Abwerbens einiger sozialistischen Persönlichkeiten, die keine Perspektive einer baldigen Rückkehr der Sozialistischen Partei an die Regierung sahen, die Situation umgekehrt. Heute ist - aber das kann sich natürlich bis 2012 noch ändern - die Sozialistische Partei in der aussichtsreichsten Position, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Die UMP, der es gelungen ist, nach den Wahlen von 2007 beinahe die gesamte Rechte zu verbinden, ist zwar nicht auseinandergebrochen, aber hinter der vorgetäuschten Einstimmigkeit, welche die Verabschiedung des Gesetzes über die Rentenreform umgeben hat, erheben sich Zweifel über die Fähigkeit von Sarkozy, die nächsten Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.

40. Durch die Annahme des Fünfjahresmandats, die Tatsache, dass seit 2007 die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen beinahe gleichzeitig stattfinden, wird der Präsident noch mehr als in der Vergangenheit zum einzigen Verteiler von Ministerposten, Stellen und Pfründen aller Art. Da er damals der aussichtsreichste aller möglichen Kandidaten der Rechten schien, konnte er sich die einhellige Unterstützung seiner gesamten politischen Familie sichern, sowie, nach seiner Wahl, die Zustimmung der meisten Zentristen, die zuvor Bayrou unterstützt haben. Die Tatsache, dass er heute in den Umfragen Rekorde an Unpopularität aufstellt verändert diese Situation natürlich.

41. Sarkozy verdankte seinen Erfolg der Tatsache, dass er einen Großteil der Stimmen absaugen konnte, die traditionell der Nationalen Front gegeben werden. Dafür hat er sich deren Sprache, deren Demagogie bedient und schien den Wählern von Le Pen ein glaubhafterer Träger ihrer Wünsche als dieser zu sein. Aber einmal gewählt, setzte Sarkozy die Politik der Großbourgeoisie um und nicht jene der extremen Rechten, und das ist nicht dasselbe. Er machte aus der Hetze gegen die Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung ("Papierlosen") ein Schauspiel, aber er hat sich gehütet, die Grenzen völlig dicht zu machen und eine Einwanderung zu stoppen, die die Bosse benötigen. Er hat von Zeit zu Zeit antieuropäische Demagogie gemacht, sich aber gleichzeitig als der Erbauer Europas präsentiert. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hat er durch seinen Stil das Empfinden der alten Rechten verletzt, jener Rechten im Stil von "Katholiken und Franzosen zuerst", indem er zwei maghrebinisch stämmige Minister in seine Regierung aufgenommen hat (darunter die ehemalige Präsidentin vom feministischen Verein "Weder Huren noch Unterwürfige!"), indem er Jean-Marie Bigard zum Papst mitnahm, den Autor des Sketches "Le lâcher de salopes" ("Das Loslassen der Schlampen"), indem er aus seinen Heiratsabenteuern ein öffentliches Spektakel gemacht hat, vor diesen Leuten, für die das Wort "Scheidung" nach wie vor ein Schimpfwort ist.

42. Seine Versuche, diese rechtsextreme Wählerschaft zurückzuerobern, besonders die, von Eric Besson eröffnete und sich über Monate erstreckende "große Debatte über die nationale Identität", sind verpufft. Wenn es ein Ergebnis gab, dann war es die Legitimierung dessen, was der Nationalen Front als Ideen dient, zum großen Vorteil des letzteren. Außerdem haben die Kampagne gegen das "fahrende Volk" und die Jagd auf Roma, die darauf abgezielt hatten, der reaktionärsten Fraktion der Wählerschaft zu gefallen, vielleicht ihr Ziel erreicht, aber sie haben die katholische Rechte brüskiert, und zwar derart, dass die Bischöfe und der Papst die Politik der französischen Regierung mit der obligaten kirchlichen Verschlagenheit verurteilten.

43. In den Augen der gesamten Rechten ist Sakozy heute also nicht mehr der beste aller möglichen Kandidaten für 2012. Und es haben sich zu seinen bereits erklärten Rivalen Bayrou und Villepin mehr oder weniger offen andere Anwärter gesellt wie Hervé Morin, Juppé oder Fillon.

44. All diese Rivalitäten betreffen die Arbeiter nicht im Geringsten. Die Haltung der parlamentarischen Linken und der "Linken in der Linken" ist hingegen durchaus von Belang für sie, und zwar in dem Sinne, dass sie Illusionen säen kann. In diesem Zusammenhang können wir nur wiederholen, was wir bereits im Bericht über die interne Situation von 2009 über jene schrieben, die das "Alles, bloß nicht Sarkozy" zum Alpha und Omega ihrer Politik machen: "Dass Sarkozy in einem großen Teil der arbeitenden Klassen Hass hervorruft, ist nicht nur verständlich, sondern auch vollkommen gerechtfertigt. Aber die Rolle der revolutionären Aktivisten besteht nicht darin, sich ausschließlich und einfach den Reaktionen der arbeitenden Klassen anzuschließen, sondern darin, ihnen die Wirklichkeit der Klassenverhältnisse aufzuzeigen, die hinter dem Auf und Ab des politischen Alltags verborgen sind." Und das gilt umso mehr als sich die Popularität des Präsidenten der Republik noch verringert hat.

EIN NEUER AUFGUSS DER VIELFÄLTIGEN LINKE?

45. "Alles, bloß nicht Sarkozy" ist freilich der gemeinsame Nenner all jener die sich mehr oder weniger bei der Linken oder "links der Linken" ansiedeln. Selbstverständlich kann der einzige Kandidat, der die Aussicht hat, im zweiten Wahldurchgang gegen den Kandidaten der Rechten zu gewinnen, nur aus den Reihen der Sozialistischen Partei kommen. Aber nach der Präsidentschaftswahl finden die Parlamentswahlen statt, bei denen aufgrund der Wahlart die Ambitionen der verschiedenen, sich auf die Linke berufenden, Formierungen nur durch Abkommen mit dieser Partei befriedigt werden können. Denn die von den Weggefährten der PS zu erhoffende Zahl der Abgeordneten, hängt von den gewinnbaren Wahlkreisen ab, die ihnen diese Partei überlässt.

46. Die Grünen, die durch ihrem Erfolg bei den Europa- und Regionalratswahlen den Braten gerochen haben, haben nicht die Absicht, sich mit den drei Sitzen abspeisen zu lassen, die sie 2007 erhalten haben. Cohn-Bendit verlangt 50, Yves Cochet, der grüne Abgeordnete von Paris, will 80. Einmal angenommen die PS-Leitung akzeptiert dies, so ist es nicht sicher, dass ein paar Duzend sozialistische Abgeordnete zur Selbstaufopferung bereit sind, nur um die Ambitionen der Naturschützer zu befriedigen.

47. Was die Kommunistische Partei anbelangt, so ist die Situation aufgrund ihrer Partnerschaft mit Mélenchons Linkspartei in der Linksfront noch komplexer. Die PCF hat zwar bereits anlässlich des Humanité-Pressefestes die Kandidatur eines der Öffentlichkeit unbekannten Abgeordneten von Puy-de-Dôme bekannt gegeben, aber es geht dabei nur darum, zu zeigen, dass gegebenenfalls ein Kandidat aufgestellt werden könnte... und weder der Generalsekretär Pierre Laurent noch Marie-George Buffet haben ihre Kandidatur angekündigt. Tatsächlich hat die PCF-Leitung nach der kalten Dusche des Ergebnisses von 2007 für Marie-George Buffet (weniger als 2% der Stimmen) keine Lust, rückfällig zu werden. Aber sie will - wenigstens bis zu den Wahlen - nicht hinter Mélenchon verschwinden, und das umso mehr als die Aktivistenbasis weit davon entfernt ist, über die Politik der Verschmelzung in der Linksfront einer Meinung zu sein.

48. Mélenchon, Mitglied des Senats für das Departement Essonne (seit 1986) und ehemaliger Minister von Jospin (von 2000 bis 2002), hat zweifelsohne Rückenwind. Beim ersten Wahlgang kann er darauf hoffen, auf seinen Namen die Stimmen all jener sozialdemokratischen oder "links in der Linken" positionierten Wähler zu vereinen, die der PS vorwerfen, zu wenig radikal zu sein. Aber wie er selbst gesagt hat, ist er immer dazu bereit, an einer "linken" Regierung teilzunehmen, so wie er es in der Vergangenheit auch gemacht hat... vorausgesetzt, dass die PS an ihn ruft.

49. Was die NPA betrifft, zerrissen durch interne Streitigkeiten, nicht nur wegen der Kopftuch-Affäre sondern auch zwischen denen, die denken, dass mit der PS kein Abkommen möglich ist, und denen, die sich für eine Zusammenarbeit aller linken Strömungen einsetzen, so spielt sie in diesem Zusammenhang nur eine nebensächliche Rolle.

50. Wenn die Modalität und die Grenzen heute auch noch nicht abzusehen sind, so bereiten uns diese Leute auf die eine oder andere Art einen neuen Aufguss der Vielfältigen Linken vor; auch wenn sie genug Fantasie haben, um eine neue Bezeichnung für dieses Einreihen hinter die Sozialdemokratie zu finden.

UNSERE AUFGABEN FÜR DAS KOMMENDE JAHR

51. Im Jahre 2011 werden wir natürlich die unternommene Anstrengung fortsetzen müssen, um unsere Ausstrahlung mittels unserer politischen Karawanen zu verstärken, um neue Betriebszeitungen zu schaffen, und um neue Aktivisten des revolutionären Kommunismus auszubilden. Aber wir werden unsere Aktivität in einem Kontext führen, der von der sozialen Bewegung, die das Land im September und Oktober 2010 erschüttert hat, und von ihren Auswirkungen geändert wurde.

52. Niemand kann heute sagen, welche die Errungenschaften dieser Bewegung sein werden, noch was davon früher oder später im Bewusstsein der Arbeitenden und der Jugendlichen bleiben wird, die daran teilgenommen haben. Und jedenfalls hängt das nicht unbedingt von unseren Anstrengungen ab. Aber im Augenblick hat die Bewegung ein gewisses Interesse für die Politik, über das Problem der Renten hinaus, bewirkt, und wir müssen es benutzen, um unsere Ideen besser zu verteidigen.

53. Was die Schüler und die Studenten betrifft, so ist es klar, dass die Sozialistische Partei und in einem geringeren Maße die Kommunistische Partei am Ursprung ihrer Mobilisierung waren, und dass sie hinsichtlich der Rekrutierung das Maximum an Profit daraus ziehen werden. Im Übrigen ist es schon lange so, dass die Mobilisierungen der Schüler oder der Studenten eine der wichtigsten Brutstätten bilden, wo die Sozialdemokratie ihre künftigen Kader rekrutiert, indem sie ihnen die Perspektive einer politischen Karriere anbietet.

54. Aber unter diesen Tausenden Jugendlichen, die mobilisiert wurden und die heute an den politischen Ideen interessiert sind, gibt es selbstverständlich nicht nur zukünftige sozialdemokratische Prominente. Es gibt auch jene, die sich der Ungerechtigkeit dieser Gesellschaft, der Katastrophe, die das Überleben des kapitalistischen Systems bedeutet, bewusst geworden sind, und die sich eine von Ausbeutung und jeder Art von Unterdrückung befreite Welt erträumen. Wir müssen uns davon bemühen, die größtmögliche Zahl von denen zu gewinnen, bevor sie zu ihren üblichen Anliegen zurückgehen. Wir haben immer viele Bemühungen der Rekrutierung und der Ausbildung künftiger Aktivisten gewidmet. Aber politisch zu kämpfen bedeutet, das zu tun, was die Lage erlaubt und erfordert. Und sie erlaubt und erfordert zweifellos heute mehr als in der Vergangenheit.

7. November 2010