Seit dem 15. September 2023 hat die Führung der US-Automobilgewerkschaft United Auto Workers (UAW) in den Fabriken der „großen Drei“ zum Streik aufgerufen. Die „großen Drei“ werden die drei historischen Automobilhersteller in den USA genannt: General Motors (GM), Ford und Chrysler, wobei Chrysler seit 2021 zur Stellantis-Gruppe (also zu Citroen, Peugeot etc.) gehört. Der Streik wurde von der UAW-Führung monatelang vorbereitet, im Vorfeld der anstehenden Tarifverhandlungen, die die Gewerkschaft und die Unternehmensleitungen der drei multinationalen Konzerne für die nächsten vier Jahre abschließen. Der Streik, der seit über einem Monat andauert, wird vollständig vom Gewerkschaftsapparat kontrolliert. Dieser hat dabei bislang nur eine Minderheit der betroffenen Arbeiter zur Aktion aufgerufen.
Die Unzufriedenheit der Arbeiter in der Automobilindustrie
Es ist eine bewusste Entscheidung der Gewerkschaftsführung, dass sie bislang nicht ihr ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen und alle ihre Mitglieder der großen Drei zum Streik aufgerufen hat. Das liegt nicht daran, dass die Beschäftigten in der Automobilindustrie nicht bereit wären, streiken. Im Gegenteil, sie haben allen Grund, nicht nur für einen besseren Tarifvertrag kämpfen zu wollen, sondern auch wichtige Rückschritte wieder rückgängig zu machen, die ihre Bosse über Jahrzehnte hinweg durchgesetzt haben.
Dieser Kampf ist Teil einer allgemeinen Unzufriedenheit mit den Löhnen, die durch die Inflation zusammengeschmolzen sind, mit all den daraus folgenden täglichen Schwierigkeiten – während die Gewinne der größten Konzerne zur gleichen Zeit explodieren. So haben die amerikanischen Gewerkschaften in den letzten Wochen zahlreichen Arbeitenden die Möglichkeit gegeben, ihre Unzufriedenheit anlässlich der Tarifverhandlungen durch Streiks zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt unter anderem für den dreitägigen Warnstreik von 75.000 Beschäftigten (hauptsächlich in Kalifornien) der Kaiser Permanente Kliniken, die im ersten Halbjahr 3,3 Milliarden Gewinn gemacht haben; für die 2.500 Beschäftigten der Blue Shield Blue Cross Versicherung in Michigan; für die Hotelangestellten in Kalifornien; für die 4.000 Arbeiter bei Mack Truck, die LKWs für den Volvo-Konzern herstellen usw. Und natürlich für den dreieinhalb Monate dauernden Medienstreik der Drehbuchautoren in Hollywood, der gerade beendet wurde, während der Streik von 150.000 Schauspielern weitergeht.
Die Zahl der Streiks und Streikenden in den USA nimmt zweifellos zu, allerdings von einem sehr niedrigen Ausgangspunkt. So zählte die Regierung 2022 nur 23 größere Streiks, an denen 120.000 der 167 Millionen Beschäftigten beteiligt waren, hauptsächlich im Bildungs- und Gesundheitswesen.
In der Automobilbranche haben die großen Drei in den letzten zehn Jahren auf dem nordamerikanischen Markt 250 Milliarden Dollar Gewinn gemacht. Auf der anderen Seite müssen die Arbeitenden tagtäglich mit den Verschlechterungen leben, die die Unternehmer ihnen abgepresst haben, insbesondere nach der Krise von 2007-2009, in der GM und Chrysler selbst ihre vorübergehende Insolvenz organisiert haben. Durch dieses 2009 durchgeführte Manöver konnten die Konzerne sich einige ihrer Verpflichtungen gegenüber den Arbeitenden entziehen, während der Staat sie gleichzeitig mit frischem Geld versorgte.
Die Zugeständnisse, die von der UAW damals gemacht wurden, kamen zu den Zugeständnissen hinzu, die bereits ab den 1980er Jahren gemacht worden waren. Der schlimmste Rückschlag für die Arbeitenden war dabei sicherlich die Vernichtung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen oder deren Verlagerung von den gewerkschaftlich organisierten Fabriken der Großen Drei zu ihren nicht gewerkschaftlich organisierten Zulieferern, bei denen die Ausbeutung noch brutaler ist. Dies erklärt zu einem guten Teil die unverschämten Gewinne dieser Konzerne. Parallel zu dem Stellenabbau ist die Zahl der UAW-Mitglieder bei den Großen Drei seit 1979 um 85% gesunken, von einer Million auf 145.000.
Die von der UAW in der Vorbereitungsphase des aktuellen Streiks aufgestellten Forderungen stießen bei vielen Mitgliedern auf Zustimmung. Da sie bei den Unternehmern auf taube Ohren stieß, begann die Gewerkschaftsführung den Streik am 15. September mit der Forderung nach einer Lohnerhöhung um 46% für die nächsten vier Jahren: um die 20% Inflation der letzten Jahre auszugleichen und der vorhersehbaren Inflation der nächsten Zeit zu begegnen sowie um die Verluste der Arbeiter auszugleichen, die entlassen und dann zu viel niedrigeren Stundenlöhnen wieder eingestellt worden sind. In der Zwischenzeit sind die Preise für Fahrzeuge gestiegen. Sie belaufen sich auf weit über 50.000 US-Dollar und sind damit für die Arbeiter, die sie herstellen, unerreichbar geworden.
Die Gewerkschaft fordert auch die Rückkehr der Inflationsausgleichszulage (Cost of Living Allowance, COLA). Und schließlich fordert die UAW im Namen der Einheit der Arbeiter ein Ende des Extra-Status für Neueinstellungen und Leiharbeiter (der „tiers“ genannt wird und den die Gewerkschaft bei vorherigen Tarifverhandlungen akzeptiert hatte). Alle, die auf Basis dieses Status eingestellt wurden, verdienen viel weniger als ihre Kollegen und erhalten auch nicht die gleiche Renten- und Krankenversicherung. So verdient ein Arbeiter, der seit 2007 bei Ford beschäftigt ist, während der Krise 2007-2009 entlassen wurde und dann ohne Betriebszugehörigkeit mit der untersten Lohnstufe wieder eingestellt wurde, 32 Dollar pro Stunde. Sein Kollege jedoch, der erst kürzlich eingestellt wurde, bekommt nur 22 Dollar, auch wenn beide Seite an Seite dieselbe Arbeit verrichten.
Die UAW: Von der Arbeiteroffensive zur Ära der Zugeständnisse
In den letzten Monaten hat die UAW diese Forderungen in den Belegschaften bekannt gemacht und dabei an die Streiks mit Fabrikbesetzungen in den 1930er Jahren erinnert, die die größten Konzerne zum Rückzug gezwungen hatten. Die Gewerkschaftsführer sprachen auf einmal wieder von der Arbeiterklasse und riefen zum „Kampf einer Generation“ auf. Auch wenn es für die UAW nicht in Frage kam, die Schaffung zusätzliche Arbeitsplätze als Ausgleich für all die vernichteten Arbeitsplätze zu fordern – das Einzige, was die unerträglichen Arbeitszeiten und das Arbeitstempo verringern könnten, die die Gesundheit der Arbeiter zerstören – verurteilten die Konzernbosse und ihre politischen Sprachrohre die Forderungen der Gewerkschaft als überzogen und behaupteten, dass ein Streik die Wirtschaft gefährden würde.
Alle verbinden die kämpferischere Sprache der UAW mit der Person von Shawn Fain, der im März 2023 zum Vorsitzenden dieser Gewerkschaft gewählt wurde, die heute über 500 Ortsverbände und eine Million Mitglieder zählt, von denen 600.000 im Ruhestand sind und 400.000 im Erwerbsleben stehen. 145.000 von ihnen arbeiten bei den drei großen Autokonzernen.
Die UAW hatte schon lange nichts mehr von dem Bild der kämpferischen Gewerkschaft, das sie verkörperte, als sie in den 1930er Jahren inmitten der Streikwelle gegründet wurde, die die amerikanische Arbeiterklasse aufgerüttelt hatte. Damals führten große Streiks mit Fabrikbesetzungen dazu, dass die Bosse der Autokonzerne, die zu den mächtigsten Kapitalisten in den USA gehörten und Gewerkschaften vehement ablehnten, die UAW als unumgänglichen Verhandlungspartner anerkennen mussten.
Die UAW stützte sich auf die Kampfkraft der Arbeiter, um durchzusetzen, dass sie als einzige Vertretung der Arbeitenden gegenüber dem Unternehmer anerkannt wurde. Damit zwang sie dieses Monopol allerdings nicht nur einem Teil des Großkapitals auf, sondern auch den Arbeitern selbst. In den USA sind in der Regel entweder alle Beschäftigten in einem Betrieb gewerkschaftlich organisiert oder keiner. Wenn es den Arbeitenden gelingt, dem Unternehmer eine Gewerkschaft aufzuzwingen, dann sind dort alle automatisch gewerkschaftlich organisiert (außer in den Bundesstaaten, in denen die Republikaner in den letzten Jahren gewerkschaftsfeindliche Gesetze zum „Recht auf Arbeit“ eingeführt haben).
Während sich die Gewerkschaft ihr Existenzrecht eroberte, passte sich die Gewerkschaftsbürokratie gleichzeitig der Logik der Tarifverträge an, in denen Löhne, Arbeitszeiten, Renten, Krankenversicherung usw. für drei, vier oder mehr Jahre festgelegt werden. Mit der Unterzeichnung des neuen Tarifvertrags am Ende der Verhandlungen verzichtet die Gewerkschaft während der Laufzeit des Tarifvertrags auf das Recht, Streiks zu organisieren. Die Gewerkschaftsbewegung wurde so zu einem berechenbaren Faktor für die Bourgeoisie und einem Instrument, um eine mögliche Kampfbereitschaft der Arbeiter zu kontrollieren und zu bremsen.
So ist das Streikrecht in den USA viel stärker eingeschränkt als in Frankreich: Nur während der Tarifverhandlungen gelten Streiks als legal – es sei denn, die Sicherheit der Beschäftigten steht auf dem Spiel. Aber die Gewerkschaft, die mit diesem Argument zum Streik aufruft, muss mit einer abschreckend hohen Geldstrafe rechnen, wenn der Unternehmer erfolgreich bestreitet, dass eine Gefährdung der Arbeitssicherheit besteht. Eine der derzeitigen Forderungen der UAW ist übrigens, in die Tarifverträge das Recht aufzunehmen, gegen die Schließung einer Fabrik zum Streik aufzurufen.
Die Führung der UAW wollte schon seit langem von den Kapitalisten nicht mehr als Gegner angesehen werden und hat sich entsprechend verhalten. Während der Jahrzehnte, in denen sich die reiche amerikanische Bourgeoisie für den sozialen Frieden entschied, konnten sich die Bosse der drei großen Autohersteller darauf verlassen, dass die UAW-Führung mehr wie ein Business partner (ein Geschäftspartner) auftrat, der eine überdurchschnittlich bezahlte Belegschaft vertrat. Die ständig steigende Produktivität der Arbeiter sicherte den Unternehmern eine Rendite für ihre Investitionen. Die UAW rühmte sich, dass die Arbeiter der Autoindustrie in die amerikanische „Mittelschicht“ aufsteigen konnten, die danach strebt, ein komfortables Leben zu führen – in der Illusion, sich von den Kriegen und den sozialen und wirtschaftlichen Krisen fernhalten zu können, die der Kapitalismus mit sich bringt wie die Regenwolke das Gewitter.
Als in den 1970er Jahren die Wirtschaftskrise einsetzte, waren die Bosse nicht mehr bereit, irgendwelche Verbesserung zu gewähren. Im Gegenteil, sie versuchten den Arbeitenden alles wieder wegzunehmen. In der Automobilindustrie drohten sie bei jeder Tarifverhandlung damit, Fabriken nach Mexiko zu verlagern oder in US-Bundesstaaten, in denen Gewerkschaften weniger Tradition haben. Die UAW beugte sich dieser Erpressung jedes Mal, indem sie im Namen der Arbeiter den von den Kapitalisten geforderten Zugeständnissen (sprich Verschlechterungen) zustimmte und gleichzeitig die ausländische Konkurrenz für die Verschlechterung der Lage der Arbeitnehmer verantwortlich machte.
In den 2000er Jahren kam es zu den schlimmsten Verschlechterungen in der Autoindustrie, denen die Gewerkschaftsführer mehr als einmal zustimmten. So wurde das System der „tiers“ (Status) wurde allgemein eingeführt. Neu eingestellte Arbeiter werden nach einem zweiten „Status“, also einer anderen Lohntabelle bezahlt, die deutlich schlechter ist. Außerdem zahlt das Unternehmen nicht mehr für ihre Rente und weniger für ihre Krankenversicherung. Heute sind in manchen Fabriken weniger als die Hälfte der Arbeiter im ersten „Status“, wo sie noch einen halbwegs angemessenen Stundenlohn und Sozialleistungen erhalten. Die Mehrheit im zweiten „Status“ erhält deutlich weniger Lohn. Manchmal gibt es auch einen dritten Status, in dem die Arbeiter noch schlechter gestellt sind. Immer weniger Arbeiter ertragen dieses offen diskriminierende System. Es führt auch zu Unzufriedenheit mit den Gewerkschaftsführern, die dieses System abgesegnet haben. Wie die derzeitige UAW-Führung zu Recht anprangert, führt das System der „tiers“ zu einer Spaltung innerhalb der Arbeiterschaft, die ausschließlich den Bossen zugutekommt.
Die UAW unter Vormundschaft
Durch die ständige Zusammenarbeit mit den reichsten Unternehmen in den USA haben einige Gewerkschaftsführer finanzielle Vorteile genossen. Manchmal stellten sie ihren sozialen Erfolg öffentlich zur Schau. Es kam sogar vor, dass Rivalitäten um die Führung in einem Gewerkschaftsapparat zu Morden im Stile der Mafia führten.
Im September 2019, als der derzeit geltende Vierjahres-Tarifvertrag ausgehandelt wurde, bereitete sich die UAW auf einen Streik bei General Motors vor. Es war einer der üblichen Streiks, mit denen Tarifverhandlungen Druck auf den Unternehmer ausgeübt werden soll. Doch sobald klar wurde, dass die Abschaffung des „tier“-Systems Ziel des Streiks war, griff das FBI, der bewaffnete Arm des Staates, die UAW an. Zwei Wochen vor Ausbruch des Streiks beschleunigte das FBI plötzlich seine diskreten Korruptionsermittlungen, die es seit einiger Zeit in der UAW führte, durchsuchte die Wohnungen der Gewerkschaftsführer vor laufender Kamera und nahm Papiere und Geld mit, um der Gewerkschaft zu drohen.
Die Unternehmensleitung hatte Recht gehabt, dass sie diesem Streik von Anfang an misstraute, auch wenn er von der traditionellen UAW-Bürokratie sorgfältig überwacht wurde. Denn er dauerte 40 Tage, während Streiks dieser Art in den 43 Jahren zuvor bei GM nur ein oder zwei Tage gedauert hatten. Der Streik erregte großes Aufsehen und zog die Aufmerksamkeit der Arbeiter über GM hinaus auf sich. Die Autokonzerne konnten sich allerdings auf ihren Komplizen, den Staat, verlassen. Unter dem Vorwand, dass einige Gewerkschaftsführer korrupt waren, gingen er zum Angriff über. Obwohl die Autokonzerne mindestens genauso beteiligt waren (denn sie waren es schließlich die diese Gewerkschaftsfunktionäre bestochen hatten), wurden vielmehr die Gewerkschaftsorganisation und hinter ihr die streikenden Arbeiter ins Visier genommen.
Im Dezember 2019, zwei Monate nach dem Streik, wurden rechtliche Schritte gegen die UAW eingeleitet. Dem UAW-Vorsitzenden und mehreren anderen führenden Funktionären wurden jahrzehntelange Haftstrafen angedroht. Der Druck wurde so groß, dass diese Funktionäre sich ein Jahr bereit erklärten, sich der Korruption für schuldig zu bekennen. Letztendlich verbüßten 13 Gewerkschafter, darunter zwei ehemalige UAW-Vorsitzende, Haftstrafen von wenigen Monaten. Diese von den leitenden Funktionären erpressten und gegen die UAW verwendeten Geständnisse führten dazu, dass die Gewerkschaft 15 Millionen Dollar zahlen und vor allem akzeptieren musste, sechs Jahre lang unter Bundesaufsicht gestellt zu werden.
So steht die UAW seit über zwei Jahren unter der Kontrolle eines Wirtschaftsanwalts, der von einem Bundesrichter zum Monitor (Aufseher) mit weitreichenden Befugnissen über die Gewerkschaft ernannt wurde. Gewerkschaftsführer wurden abgesetzt und ausgeschlossen, und zwar nicht von den Gewerkschaftsmitgliedern selbst, sondern von dem Monitor. UAW-Mitgliedern ist es untersagt, mit ihren ehemaligen Gewerkschaftsführern in Kontakt zu treten, die als Mafiosi behandelt werden, die einen Komplott geschmiedet hätten. Wer es doch tut, riskiert ebenfalls aus der Gewerkschaft ausgeschlossen zu werden ... wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Der Monitor kontrolliert die Finanzen der Gewerkschaft und hat das Recht, an allen Sitzungen teilzunehmen oder sich die Sitzungsprotokolle vorlegen zu lassen (außer bei den Tarifverhandlungen mit den Unternehmern). Über den gewerkschaftlichen Aktivitäten der UAW schwebt also auf Jahre hinaus ein Damoklesschwert. Zur Erinnerung: 1996 stand die Gewerkschaft der Teamster (LKW-Fahrer) bereits seit Jahren unter Bundesaufsicht, als es bei UPS zu einem aufsehenerregenden Streik kam. Im Jahr darauf wurde der Teamster-Führer Ron Carey von den Behörden abgesetzt...
Die Bundesaufsicht setzte durch, dass der UAW-Vorsitzende 2023 zum ersten Mal direkt von den Gewerkschaftsmitgliedern gewählt wurde und nicht wie zuvor über Delegierte. Der Großteil der traditionellen Opposition innerhalb der UAW und auch das linksgerichtete Magazin Jacobin begrüßten den neuen Wahlmodus als demokratischer und weniger bürokratisch. Ungeachtet der Tatsache, dass die Abstimmung unter staatlicher Aufsicht stattfand, sahen sie darin das Ende der Herrschaft einer Bürokratie, die alles von oben herab entscheidet.
Doch formale Demokratie ist ebenso wenig wie bei politischen Wahlen eine Garantie dafür, dass sich der Wille der Arbeitenden in den Gewerkschaften durchsetzt – und erst Recht der Wille der bewusstesten und kämpferischsten Arbeitenden.
Außerdem konnten die UAW-Mitglieder ihre Stimme nur per Briefwahl abgeben, von zu Hause aus, isoliert von ihren Arbeitskollegen. Arbeiter erklärten, dass sie es bedauerten, diejenigen, die für die nationale Gewerkschaftsführung kandidierten, nicht zu kennen und enthielten sich deshalb der Stimme. Über ihre Delegierten vor Ort hingegen haben sie eine klare – gute oder schlechte – Meinung. Nur 15 Prozent der UAW-Mitglieder gaben letztlich ihre Stimme ab. Es ist schwer, die derzeitige Arbeitsweise der UAW als demokratischer als früher zu bezeichnen.
Shawn Fain, der letztlich die Wahl gewonnen hat, benutzt eine klassenkämpferische Sprache, die eine kämpferische Botschaft vermittelte. Angesichts der Bedeutung der Autoindustrie und damit auch der Gewerkschaft UAW für die Gewerkschaftsbewegung sahen einige daher in dieser Wahl einen Wendepunkt für die Gewerkschaftsaktivisten in der Autoindustrie, für die Arbeiter in dieser Branche und für die amerikanische Arbeiterklasse im weiteren Sinne. Der bürokratische Apparat der UAW hat jedoch in Wirklichkeit die Kontrolle über die Gewerkschaft nicht an die Arbeiter, sondern nur teilweise an den Staat verloren.
Eine Gewerkschaftsführung mit radikalerer Sprache
Das äußerst knappe Wahlergebnis wurde kurz vor dem UAW-Kongress bekannt, der Ende März 2023 in Detroit, dem Zentrum der Automobilindustrie in den USA, stattfand. Am Ende wurde Shawn Fain UAW-Präsident, mit knapp 70.000 Stimmen (von einer Million Mitgliedern) und nur 483 Stimmen Vorsprung vor dem scheidenden Präsidenten Ray Curry, einem Schwarzen aus der alten Führung, der zuvor vom Monitor ernannt worden war. Dies wurde von einem Teil der schwarzen Arbeiter mit Verbitterung zur Kenntnis genommen.
Der Kongress führte zu einem Bündnis zwischen der neuen Führung und der alten, die nun in den Führungsgremien in der Minderheit ist, auch wenn einige ihrer Anhänger weiterhin in Führungspositionen gewählt wurden. Chuck Browning aus der alten Führung sagte unter anderem: „An unsere Feinde, die nicht in diesem Saal sind, an die Reichen und Mächtigen, die die Arbeiter angreifen wollen, an die Bosse, die auf unsere Kosten durch die Ausbeutung der Arbeiter Profite machen wollen, an all diese Leute richte ich eine Botschaft: Wir sind vereint, sobald es darum geht, unsere Feinde zu bekämpfen.“ Dieser Ton gegenüber den Unternehmern stand im Gegensatz zu der Tradition, aus der Browning selbst stammt, geprägt von jahrzehntelanger Partnerschaft mit den Unternehmern.
Shawn Fain, der sich zwar zuletzt als Gegner der scheidenden Führung positionierte, ihr aber früher angehört hatte, sprach eine noch offen kämpferischere Sprache: „Wir sind hier, um uns zu versammeln und uns für den Krieg gegen unseren einzigen und wahren Feind bereitzuhalten: die milliardenschweren Unternehmen und die Bosse, die unseren Mitgliedern ihren gerechten Anteil verweigern.“ Fain, der bestenfalls ein ehrlicher Gewerkschafter, also ein Reformist ist, fügte hinzu: „Wann werden wir gemeinsam unsere Macht als Arbeiterklasse wieder aufbauen? Wann werden wir unsere Würde als Arbeiter wiedererlangen?“
Fain zitiert zwar gerne den Gewerkschaftsführer Walter Reuther, der Ende der 1940er Jahre kommunistische Aktivisten aus der UAW ausschloss und 1955 den Gewerkschaftsdachverband CIO dazu brachte, mit der sehr gemäßigten AFL zu fusionieren. Er zitiert ebenfalls gerne Martin Luther King, den Führer des Flügels der Schwarzenbewegung, der die Unterstützung des Staates suchte, um eine soziale Revolte zu verhindern. Dennoch fällt auf, dass der derzeitige Vorsitzende der UAW von „Arbeitern“ spricht, während seine Vorgänger sich bemüht hatten, die Existenz einer Arbeiterklasse aus ihrem Wortschatz zu verbannen zugunsten einer angeblichen „Mittelklasse“, deren Lebensstil zum Ziel der Gewerkschaften erhoben wurde.
Allerdings können die Reden von Fain auch als nostalgisch Erinnerung an Zeiten verstanden werden, in der die Unternehmer die UAW-Bürokratie mit Respekt behandelten. Heute hingegen hält sich zum Beispiel ein Tavares, der CEO von Stellantis, bei seinen Besuchen in den USA nicht mehr unbedingt damit auf, sich mit der UAW zu treffen.
Ein Streik unter Kontrolle des Gewerkschaftsapparats
Am 15. September begannen Shawn Fain und die UAW-Führung zwar gleichzeitig einen Streik bei allen drei großen Autokonzernen, GM, Ford und Stellantis, was es schon sehr lange nicht mehr gegeben hatte. Aber nur in einem Werk jedes Konzerns wurde zum Streik aufgerufen – und das nicht in den Autowerken, in denen die Fahrzeuge hergestellt werden, die den Herstellern die höchsten Gewinne einbringen. Nur 13.000 Beschäftigte wurden zum Streik aufgerufen und damit auch zur Teilnahme an rotierenden Streikposten, wobei jeder Streikende nur einmal in der Woche zum Betrieb zu kommen und Streikposten zu stehen hatte. Fain warnte die anderen UAW-Mitglieder, dass sie sich bereithalten müssten, wenn die Gewerkschaft weitere Fabriken dazu aufrufen würde, sich dem Streik anzuschließen.
Eine Woche später erklärte er, dass die Verhandlungen mit Ford, die gerade ein Abkommen mit einer kanadischen Gewerkschaft geschlossen hatten, vorangeschritten seien, und erhöhte den Druck auf Ford daher nicht. Hingegen rief er die Beschäftigten an 38 Standorten von GM und Stellantis dazu auf, sich dem Streik anzuschließen. Diese Ausweitung des Streiks war sehr maßvoll: Sie betraf hauptsächlich Ersatzteillager, was für Autohändler, Werkstätten und Privatpersonen, die ihre Autos reparieren, ein größeres Problem darstellt als für die Autokonzerne selber. In der folgenden Woche liefen die Gespräche der UAW mit Stellantis wohl gut, da nur eine weitere GM- und eine Ford-Fabrik zum Streik aufgerufen wurden.
Dann wurde am 11. Oktober ein großes Ford-Werk in Kentucky mit 8.700 Beschäftigten in den Streik gerufen. Und am 23. Oktober waren schließlich die 6.800 Beschäftigten des größten amerikanischen Stellantis-Werkes in Sterling Heights, Michigan, an der Reihe. Diese beiden Fabriken erwirtschaften für beide Konzerne hohe Gewinne. Selbst mit dieser jüngsten Ausweitung des Streiks hat die UAW bislang allerdings nur 40.000 ihrer 145.000 Mitglieder bei den drei Großen zum Streik aufgerufen.
Die aktuelle Führung der UAW unterscheidet sich also nicht wesentlich von der vorherigen, die 2019 zum ersten Mal seit mehr als vier Jahrzehnten einen vierzigtägigen Streik von 48.000 Arbeitern in fünfzig GM-Werken angeführt hatte. Dieser Streik hatte damals die Sympathie anderer Automobilarbeiter genossen und weit über die Branche hinaus die Aufmerksamkeit der Arbeitswelt auf sich gezogen. Die Gewerkschaft hatte sich jedoch davor gehütet, den Streik auf die beiden anderen großen Autokonzerne auszuweiten. Das Ergebnis war für die GM-Arbeiter mager, weshalb sie entschlossen waren, in diesem Jahr erneut zu kämpfen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass der aktuelle Streik auch unter den Arbeitern weit über die Autobranche hinaus populär ist. Aus diesem Grund sind die beiden Politiker, die sich voraussichtlich bei den Präsidentschaftswahlen 2024 gegenüberstehen werden, Biden und Trump, nacheinander nach Detroit gereist, um zu den Streikenden zu sprechen. Beide bezeichnen sich als beste Freunde der Arbeitenden, Biden expliziter als Freund der Gewerkschaften. Aber weder Protektionismus noch riesige Subventionen für die Autokonzerne – was die Politik ist, die sowohl Biden wie Trump verfolgt haben, wenn auch jeweils anders verpackt – haben die Arbeitenden davor bewahrt, unter der Diktatur der Bosse leiden zu müssen.
Die UAW hat alle Lügen des Republikaners Trump aufgedeckt, dessen Demagogie teilweise darauf abzielt, Wähler in der Arbeiterschaft zu gewinnen. Dem Demokraten Biden gegenüber war Fain hingegen hilfsbereit. Er beteiligte sich an Bidens politischem Manöver, erlaubte ihm, sich bei einem teilweise eigens dafür aufgebauten Streikposten in Szene zu setzen und dankte Biden für die Unterstützung des Streiks.
Fain nahm dem amtierenden Präsidenten nicht übel, dass er im Dezember 2022 einen landesweiten Streik der Eisenbahner verhindert hat, indem er ihn im Voraus für illegal erklärte ... zum Schutz der nationalen Wirtschaft. Auch nicht, dass er keinen Finger gerührt hat, um in dem aktuellen Streik die großen Drei daran zu hindern, mehr als 2.000 Beschäftigte, oftmals Leiharbeiter, in den Fabriken zu entlassen, deren Produktion durch den Streik verlangsamt wurde. Natürlich schieben die Bosse die Verantwortung für diese Entlassungen auf die Streikenden...
Die UAW-Führung kontrolliert diese Streikbewegung, die von ihr ins Leben gerufen wurde, von Anfang bis Ende. Die in der Gewerkschaft organisierten Arbeitenden durften zwar zuvor darüber abstimmen und haben ihm vorgeblich zu 97% zugestimmt. Der Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Automobilarbeiter, durch den Streik das Verlorene der letzten Jahre zurückzugewinnen und Lohnerhöhungen durchzusetzen, die die Inflation ausgleichen, ist sehr wohl vorhanden. Außerhalb des Gewerkschaftsapparats weiß jedoch niemand, wie viele an der Abstimmung teilgenommen haben, die die UAW ermächtigt hat, zum Streik aufzurufen. In einigen Ortsverbänden wurden die Stimmen nicht einmal gezählt. Der Streik bei Blue Shield Blue Cross, den die UAW drei Tage vor dem Streik in der Automobilindustrie über Nacht und von oben herab ausgerufen hat, zeugt vom selben Verhältnis, das die Gewerkschaftsführung gegenüber den Arbeitenden aufrechterhalten möchte: mit ihr als Befehlsgebende – und den Arbeitenden als Ausführenden.
Und jetzt, wo der Streik begonnen hat, entscheiden weder die Automobilarbeiter, deren Fabriken bestreikt werden, irgendetwas – noch die anderen, die weiterarbeiten. Die UAW bekennt sich zwar zur Einheit der Arbeiter. Doch sie teilt sie in diejenigen, die sich am Streik beteiligen sollen und diejenigen, die die Gewerkschaft dazu verurteilt, Gewehr bei Fuß dem Kampf vom Rand aus zuzusehen. Die UAW organisiert weder eine Gewerkschaftsversammlung noch eine Versammlung der Streikenden, auf der eventuelle Abstimmungen über die Streikführung stattfinden könnten, die sich auf den Kampfgeist und das Bewusstsein der Arbeiter stützen.
Fain wendet sich per Facebook in Live-Videos – ein neues Kommunikationsmittel im Dienst alter bürokratischer Praktiken – ein- bis zweimal pro Woche an die Arbeiter, um ihnen mitzuteilen, ob die Verhandlungen seiner Meinung nach Fortschritte machen oder nicht. In Wirklichkeit wendet er sich dabei viel mehr an die Geschäftsleitungen der drei Konzerne und ihre Verhandlungsführer, mit denen sich die Gewerkschaftsführer treffen, um über den neuen Tarifvertrag zu verhandeln. Fain droht denjenigen, denen er schlechte Noten gibt, mit der Ausweitung des Streiks in ihren Betrieben.
Am 6. Oktober stellte die UAW die laufenden Verhandlungen mit GM als vielversprechend dar, da das Unternehmen angeblich zugestimmt habe, den künftigen Tarifvertrag auf die Batterie-Fabriken für die künftigen E-Autos auszudehnen. Laut Fain habe ihn diese Nachricht nur wenige Minuten erreicht, bevor er ankündigen wollte, dass eines der profitabelsten GM-Werke, das Werk in Arlington (Texas) bestreikt werde. Fain folgte seiner Logik und weitete den Streik in dieser Woche nicht aus, weder in Arlington noch in einem anderen Werk eines anderen Herstellers. Er erklärte, dass seine Strategie, „die Bazooka nicht herauszuholen“, erfolgreich gewesen sei, da sich die Bosse in drei Wochen erheblich bewegt hätten.
Steht eine Einigung zwischen der UAW-Führung und einem oder mehreren Autokonzernen kurz bevor? Sicher ist eins: Die UAW verlässt sich mehr darauf, dass sie alles in dem Streik entscheidet und auf ihre Streikkasse, die es ihr ermöglicht, die Streikenden mit 500 Dollar pro Woche zu entschädigen – als auf den Kampfgeist der Arbeiter und das Element der Unsicherheit, das diese in den Augen ihres Feindes, der Konzernbosse, darstellen könnten.
Am 25. Oktober, dem 40. Tag des Streiks, erzielten die Verhandlungsführer der UAW eine Vereinbarung mit Ford, die sie als historischen Sieg bezeichnen, der das Leben der Arbeiter verändern wird.
Wenn die UAW den Automobilarbeitern die Verträge, die sie mit den Arbeitgebern ausgehandelt hat, zur Abstimmung vorlegt, werden die Arbeiter im Ungewissen sein. Sie werden gebeten werden, über die Vertragsbedingungen abzustimmen. Aber was werden die Arbeiter wirklich über den Inhalt des Tarifvertrags wissen? Im August letzten Jahres erreichte die Teamster-Gewerkschaft, dass über 85% der 340.000 Beschäftigten des Paketdienstes UPS einem Fünfjahresvertrag zustimmten, der ihnen Lohnerhöhungen in einem günstigen Licht präsentierte, die nur durch die Androhung von Streiks erreicht worden waren. Erst später, als der Vertrag in Kraft trat, mussten diese Beschäftigten enttäuscht feststellen, was es mit dem Kompromiss tatsächlich auf sich hatte, den ihre Gewerkschaft in ihrem Namen eingegangen war.
Im Jahr 2021 hatte der Streik beim Landmaschinenhersteller John Deere fünf Wochen gedauert. Obwohl sie Lohnerhöhungen erkämpft hatten und die Einführung einer dritten „tier“ verhindern konnten, hielt eine bedeutende Minderheit von 40% der Beschäftigten das Ergebnis für unzureichend. Obwohl der Konzern wie üblich die Zahlung eines erheblichen Bonus versprach, wenn der Vertrag angenommen werden sollte, stimmten sie für die Fortsetzung des Streiks – gegen die Empfehlung der UAW, die die Abstimmung organisiert hatte und die empfahl, den während des Streiks ausgehandelten Vertrag anzunehmen. Auch 2019, während des Streiks bei GM, hatte sich auf diese Weise eine starke Minderheit gegen den Apparat gestellt. In beiden Fällen hatte die Opposition in der UAW unter den Arbeitenden die Idee verbreitet, dass die Gewerkschaftsführung schlecht verhandelt habe und dass eine neue Führung es besser machen würde, da es schließlich die Aufgabe der Gewerkschaften sei, mit den Unternehmern zu verhandeln. Dies mag bei der Wahl von Shawn Fain zum UAW-Vorsitzenden in diesem Jahr eine Rolle gespielt haben.
Nun wollen die Kapitalisten in einer krisengeschüttelten Wirtschaft, in der der Wettbewerb hart ist und der Wirtschaftskrieg in einen Krieg umzuschlagen droht, die Ausbeutung verschärfen und keinesfalls erleichtern. Sie wollen dies gegen die Arbeitenden und ihre Gewerkschaften durchsetzen. Sowohl bei GM als auch bei Ford sind die vier größten Aktionäre Investmentfonds, darunter der größte aller Investmentfonds, Black Rock. Der Gegner der Automobilarbeiter ist also das Herz des Finanzkapitalismus. Welches Trostpflaster wird Fain den Arbeitenden präsentieren, um das Ergebnis des Streiks als Sieg präsentieren zu können?
Die Sackgasse des Mitläufertums
Seit Shawn Fain UAW-Vorsitzender geworden ist und vor allem seit der derzeitige Streik in der Autoindustrie begonnen hat, halten Teile der Linken und der extremen Linken ihn wegen seiner radikalen Sprache für einen radikalen Gewerkschaftsführer. In Frankreich findet sich diese Tendenz, hinter der Gewerkschaftsbürokratie herzulaufen, auf karikaturale Weise in der Ausgabe vom 12. Oktober von L'Anticapitaliste, einer Zeitschrift der NPA.
Unter der Überschrift „Ein Fortschritt von historischem Charakter“ heißt es dort: „Dieser Streik bricht mit den bisherigen Praktiken einer UAW mit korrupter Führung. Jeden Freitag bilanziert der UAW-Vorsitzende öffentlich den Stand der Tarifverhandlungen. Seine Beiträge auf Facebook werden von Zehntausenden Arbeiterinnen und Arbeitern live gesehen. Sie verfolgen sie in den Werkhallen auf ihren Handys. Es ist die Rückkehr zur Radikalität der 1930er Jahre, aber mit den Kommunikationsmitteln von heute!“ Dass die UAW alles tut, um die Arbeiter zu passiven Untertanen der Gewerkschaftsführung zu machen, stört den Verfasser nicht.
Der Artikel spricht auch darüber, dass GMs Offenheit dafür, den Tarifvertrag auch auf künftige Batteriefabriken anzuwenden, „ein Sieg gegen die Spaltung der Arbeiter ist“. Doch über die anhaltende Spaltung der Arbeiter seitens der UAW in Streikende und Nichtstreikende verliert er kein Wort. Offensichtlich hat Fains Manöver in seinem Video vom 6. Oktober, in dem er in einem „Eat the rich“-T-Shirt die Verhandlungen mit GM als großen Schritt auf dem Weg zum Sieg darstellte, um damit zu rechtfertigen, warum er diesmal keine weiteren Arbeiter dazu aufrief, sich dem Kampf anzuschließen, den Antikapitalisten überzeugt. Das ist die alte Taktik des Scheinradikalismus, um den gewöhnlichen Gewerkschaftsbürokratismus zu verschleiern.
Die Kampfeslust eines Großteils der Arbeiter der drei großen Autokonzerne, die immer noch lange, zermürbende Stunden arbeiten, während andere streiken, wird von den Streikführern einzig als Drohung benutzt. Der Wunsch einiger Streikender, dass sich ihre Kameraden ihnen in einem breiteren Kampf anschließen, zählt für die Gewerkschaftsbürokratie nicht. Der Teilstreik in der Automobilindustrie birgt das Risiko einer Spaltung zwischen den streikenden Arbeitern, die die ganze Last der Konfrontation mit den Bossen tragen und sich seit Wochen mit einem Streikgeld begnügen müssen, das nur einen Teil des Lohns ersetzt, und denjenigen, die nicht in den Streik gerufen werden. Noch weniger zählen in den Augen der UAW die Arbeiter in anderen Wirtschaftszweigen, die mit Sympathie den offensiven Kampf beobachten, den die Automobilarbeiter in dieser wichtigen Branche begonnen haben. Die potenzielle Stärke der Arbeiterklasse wird vernachlässigt.
In gewisser Weise hat Trump auf ein reales Problem hingewiesen, als er nach Detroit kam und den Streikenden sagte, dass der Kampf für einen besseren Tarifvertrag nichts bringen würde, wenn die Fabriken geschlossen würden. Natürlich ging es Trump darum, die Streikenden zu entmutigen und sie dazu zu bringen, ihre Hoffnungen stattdessen in die nächsten Wahlen zu setzen. Aber solange die Kapitalisten die Produktionsmittel besitzen und damit hier Fabriken schließen können, um dort neue zu eröffnen, Arbeitsplätze abbauen können, um die verbleibenden Arbeiter noch mehr auszubeuten, wird kein Abkommen und kein Tarifvertrag die Arbeiter dauerhaft schützen. Das sind die Grenzen des gewerkschaftlichen Kampfes, selbst wenn er sich einer halbwegs radikalen Sprache bedient und der heute obendrein nicht einmal einen allgemeinen ökonomischen Kampf der Arbeiterklasse organisiert.
Der Gewerkschaftsapparat der UAW gibt keine Antwort auf die politischen Probleme, die sich der Arbeiterklasse stellen. Oder besser gesagt, wenn er sie beantwortet, dann ohne jemals die wirtschaftliche Herrschaft der Bourgeoisie in Frage zu stellen. So hat die UAW den Arbeitern seit den 1980er Jahren erklärt, dass man Fabrikschließungen nur verhindern könne, indem man den US-amerikanischen Markt vor Autos schütze, die von Arbeitern in Asien oder Mexiko produziert werden. Damit hat die UAW den Parteien der Bourgeoisie den Boden bereitet, um sich mit protektionistischen und nationalistischen Parolen an die Arbeiter zu wenden. Dies gilt sowohl für die Demokraten, deren Unterstützung die Gewerkschaft sucht und die sie so oft unterstützt hat, wie auch für Republikaner wie Trump, die sich an die wütenden Arbeiter wenden.
Während der Streik in der Automobilindustrie noch andauert, ist es schwer zu sagen, ob der Gewerkschaftsapparat bis zum Ende die Kontrolle über den Streik behalten wird. Es ist auch unmöglich, im Voraus zu wissen, ob die Automobilarbeiter gestärkt oder enttäuscht aus diesem Kampf hervorgehen werden und welche Auswirkungen er auf Dutzende Millionen anderer Arbeiter haben wird. Sicher ist, dass es in der US-Arbeiterklasse zwar eine verbreitete Unzufriedenheit gibt. Doch Fain zu bewundern und sich an den Rockzipfel auch einer vermeintlich radikalen Gewerkschaftsbürokratie zu hängen ist eine Sackgasse für diejenigen, die eine organisierte Kraft in den Betrieben aufbauen wollen, um der Gewerkschaftsbürokratie die Führung der aktuellen und künftigen Bewegungen streitig zu machen und vor allem, um der Bourgeoisie die Führung der Gesellschaft streitig zu machen.
28. Oktober 2023