Venezuela: Der bankrotte Chavismus und die imperialistischen Manöver gegen ihn (aus Lutte de Classe von März 2019)

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Venezuela: Der bankrotte Chavismus und die imperialistischen Manöver gegen ihn
März 2019

Die Situation der Bevölkerung Venezuelas ist sehr schwierig geworden. Seit 2013 haben drei Millionen Menschen das Land verlassen. Die Reichen gehen in die Vereinigten Staaten oder nach Europa, die anderen als Flüchtlinge nach Brasilien oder Kolumbien, wo sie ungern aufgenommen werden. Viele sind erstaunt, dass das Regime von Präsident Maduro in einem Land mit den größten Ölreserven der Welt die Bevölkerung nicht ernähren und medizinisch versorgen kann. Diejenigen, die in diesem Regime ein neues Modell einer sozialistischen Revolution sehen wollten, sind still oder kritisch geworden. Die Antikommunisten sehen in ihm das Scheitern des Sozialismus, den es jedoch in Venezuela nie gegeben hat.

Dieselben Leute jedoch haben kein Problem damit, dass die USA der Ansicht sind, Venezuela gehöre ihnen. Am 23. Januar hat sich der Sprecher der Nationalversammlung, Juan Guaido, selbst zum Präsidenten des Landes ernannt. Sofort wurde er von den USA, Kanada und mehreren lateinamerikanischen Ländern, dann von Frankreich und mehreren Staaten der EU anerkannt. Dieser plumpe Absetzungsversuch Maduros ist zumindest vorerst gescheitert. Dieser Artikel wirft einen Blick auf die Ursprünge der aktuellen Krise.

Die venezolanische Wirtschaft wurde von der weltweiten Krise von 2008 nicht verschont. Im Jahr 2009 geht sie um fast 4% zurück. Die Regierung von Hugo Chávez (dem Begründer der chavistischen Bewegung), die seit 1998 an der Macht ist, wälzt genau wie andere Regierungen die Kosten der Krise auf die Arbeiterklasse ab. Im Jahr 2010 sinkt das Bruttoinlandsprodukt nochmals um 6%. Die Fabriken sind nur noch zu 50% ausgelastet, die Stahlindustrie stagniert und die Ölproduktion wird reduziert.

Chávez verurteilt die "Privilegien" der Arbeiter, das heißt ihr Recht, Forderungen zu stellen und für diese zu streiken. Wie im Rest der Welt nutzt der Staat seine vorhandenen Mittel, um die Kapitalisten zu retten. Der "sozialistische" Chávez steckt Milliarden Dollar in das Finanzsystem, um die Banken zu retten. Der "antiimperialistische" General gibt General Motors 1,5 Milliarden Dollar und gewährt mehreren multinationalen Konzernen, darunter auch US-amerikanischen, den Zugang zur öl- und erzreichen Orinoko-Region.

Die einfache Bevölkerung jedoch soll bezahlen: Das Chávez-Regime wertet die Währung (den Bolivar) ab und erhöht die Mehrwertsteuer. Der Dollarkurs und die Preise steigen drastisch. Die Inflation erreicht 30% und die Löhne werden eingefroren. Es gibt Budgetkürzungen im Gesundheits- und im Bildungswesen, sowie im öffentlichen Sektor, wo die Arbeiter Monate auf ihre Löhne warten müssen.

Gleichzeitig nimmt die Misswirtschaft im staatlichen System der Lebensmittelverteilung massiv zu. Die chavistischen Verantwortlichen haben Zugang zu vorteilhaften Dollarkrediten und günstigen Wechselkursen, die ihnen eigentlich bei den Einkäufen helfen sollen. Doch sie spekulieren mit den drei bestehenden Dollarkursen und verkaufen einen Teil der Waren auf dem Schwarzmarkt. Zum Beispiel schicken sie Waren nach Kolumbien, um sie dann - teurer - wieder nach Venezuela zu importieren. Eine andere Methode ist, dass Verwalter der Lebensmittelverteilung behaupten, das Haltbarkeitsdatum der Waren sei abgelaufen. Sie bekommen daraufhin Geld von der Regierung, um neue Waren zu kaufen - und die fast abgelaufenen Waren verkaufen sie stattdessen auf eigene Rechnung auf dem Schwarzmarkt. Die Korruption läuft in so großem Stil, dass sie 92.000 Tonnen Lebensmittel verteilt auf 15 Schuppen und mehr als 4.000 Container vergessen haben! Im Mai 2010 wurden die verdorbenen Lebensmittel im Bundesstaat Carabobo dann entdeckt. Das entspricht den Nahrungsmitteln der staatlichen Lebensmittelverteilung von drei Monaten!

Diese arbeiterfeindliche Politik führte zu einem ersten Rückschlag für die Chavisten bei den Parlamentswahlen 2010 und verursachte einen ersten Wutausbruch in der Bevölkerung. Im Jahr 2011 zählte man mehr als fünftausend Proteste, 70% mehr als im Vorjahr.

Im Jahr 2013 tritt Nicolas Maduro die Nachfolge des gerade verstorbenen Hugo Chávez an. Die Situation verschärft sich weiter, obwohl der Barrel Öl zu dem Zeitpunkt noch gut 100 US-Dollar kostet. Die Sparpolitik gegenüber den Arbeitenden wird fortgesetzt. Die Wahlen 2015 führen zu einer Niederlage der Chavisten. In der Nationalversammlung sind sie in der Minderheit. Während Maduro manövriert, um die Macht zu behalten, kommt es zu einer dramatischen Inflation. Beträgt die jährliche Inflationsrate 2014 noch 68%, sind es 2017 ... 1.800%. Ab 2014 hört die Regierung auf, die Kostenentwicklung für den Warenkorb eines Durchschnittshaushalts zu berechnen.

Die arbeitende Bevölkerung leidet unter zahllosen Einschränkungen und Entbehrungen, aber das System bezahlt weiter die Zinsen der Staatsschulden an die Gläubiger. Ein Dekret Maduros lässt eine noch größere Plünderung der Orinoco-Erzregion durch die internationalen Konzerne zu. Diese profitieren von einer teilweisen oder sogar vollständigen Steuerbefreiung.

Im Jahr 2016 kommt es zu Plünderungen von Supermärkten. Man zählt 700 Plünderungen. Maduros Antwort ist brutal: Bei ihrer Niederschlagung werden ein Dutzend Menschen getötet, Hunderte werden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Von der Rechten organisierte Protestdemonstrationen, an denen sich enttäuschte Chavisten beteiligen, werden auf die gleiche Weise niedergeschlagen. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Foro penal soll es nach fünf Jahren Zusammenstöße an die 14.000 politische Gefangene geben.

Im Juli-August 2017 beruhigt sich die Lage kurzzeitig. Die USA, die EU und der Vatikan drängen die rechte Opposition, mit der Regierung in den Dialog zu treten. Das bietet Maduro einen Aufschub. Für Weihnachten 2017 macht die Regierung Versprechungen, aber sie werden nicht eingehalten: Die Bevölkerung sieht nichts vom versprochenen Schweinefleisch und Spielzeug. Die Demonstrationen setzen wieder ein, die Demonstranten fordern Lebensmittel und höhere Löhne. Die Zahl der Menschen, die als unterernährt eingestuft werden, klettert von 2,8 auf 4,1 Millionen. Die Kindersterblichkeit nimmt um 30% zu. Es gibt immer mehr verschiedene Dollarkurse. Die Regierung kauft ihn für 10 Bolivar, Unternehmen für 3.000 Bolivar, aber auf dem Schwarzmarkt ist er 200.000 wert.

Angesichts des Mangels an Nahrungsmitteln und Medikamenten werden die Reaktionen der so genannten sozialistischen Regierung regelrecht lächerlich: Sie empfehlen, Kaninchen in den Wohnungen zu züchten, Gemüse in Blumentöpfen auf Balkons und Terrassen der Städte anzupflanzen, zu den Heilverfahren der Vorfahren zurückzukehren... Die Bevölkerung antwortet mit ihren Füßen: Die Einen verlassen das Land, die Anderen demonstrieren.

Unter Chávez: Unterstützung durch das Volk

In den ersten Jahren des chavistischen Regimes fehlte es nicht an Unterstützung der Bevölkerung. Zwei Mal erhoben sich die Arbeiter, um das Regime gegen Staatsstreiche zu verteidigen, die von der Bourgeoisie und den USA inszeniert worden waren.

Der Chavismus entstand 1998 aus dem Zusammenbruch des politischen Systems, das 1958 nach dem Sturz der Militärdiktatur eingerichtet worden war. Vierzig Jahre lang hatte dieses politische System, Adeco-System genannt, bestanden. Es basierte auf zwei Parteien, die sich an der Macht abwechselten: der linken Acción Democrática (AD) und dem rechten Comité de Organización Política Electoral Independiente (Copei). Das Ende dieses Systems wird 1989 eingeläutet, als die AD-Regierung von Carlos Andrés Pérez (in einer Koalitionsregierung mit der Sozialdemokratie) auf die Bevölkerung schießen lässt, die wegen des schwindelerregenden Anstiegs der Preise auf die Barrikaden geht. Je nach Quelle gibt es 1.500, 2.200 oder 3.000 Tote. Dieses Massaker eröffnet eine Zeit politischer Instabilität, in der Hugo Chávez an Einfluss gewinnt. Chávez, der 1992 durch seinen gescheiterten Putschversuch bekannt geworden war, hatte sich seitdem umorientiert und versuchte nun, über Wahlen an die Macht zu gelangen. 1998 gelingt es ihm: Er siegt bei den Präsidentschaftswahlen und war von da an bis zu seinem Tod im Jahr 2013 Venezuelas Präsident.

Nach dem Niedergang der 1980er Jahre tritt er als Retter auf und genießt große Unterstützung in der Bevölkerung. Er verteidigt die nationale Souveränität und den Zugang der unteren Volksschichten zu einem Teil der Reichtümer. Sein Erfolg gefällt weder der Bourgeoisie, noch dem Generalstab, der Kirche, der Gewerkschaftsbürokratie oder den USA. Alle diese Feinde schließen sich zusammen, um ihn am 11. April 2002 von der Macht zu entfernen. Am 12. Juni feiern die Putschisten ihren Sieg. Chávez ist ihr Gefangener und der Präsident der Handelskammer wird mit Washingtons Segen zum Staatsoberhaupt ernannt. Aber am 13. wird Chávez freigelassen und in allen seine Funktionen wieder eingesetzt.

Eine beeindruckende Mobilisierung des Volkes nämlich hatte die Lage verändert. Hunderttausende Menschen gehen spontan auf die Straße, ein Meer von Menschen beherrscht die Straßen der Hauptstadt Caracas und der anderen Großstädte; sie umzingeln Kasernen und Amtsgebäude. Die Kasernen gelangen unter die Kontrolle der Offiziere und Truppen, die sich dem Staatsstreich widersetzen. Als er freigelassen wird, ergreift Chávez mit einem Kruzifix in der Hand das Wort, um die Lage zu beruhigen und seinen Gegnern Zeit zu geben, sich wieder zu fangen. Die Richter, die voller Solidarität mit den Putschisten sind, sprechen niemals von einem Staatsstreich, sondern im nur von einem Machtvakuum. Und nur fünf Jahre später gibt es für alle Putschisten eine Generalamnestie.

Chávez lässt seinen Gegnern damit alle Möglichkeiten, einen zweiten Putschversuch vorzubereiten. Dieser beginnt im Dezember 2002. Die Putschisten sind diesmal die Direktoren der PDVSA (Petroleum of Venezuela Limited Company) - der staatlichen Ölgesellschaft, die 95% der Ressourcen des Landes kontrolliert. Sie waren auch am letzten Putsch beteiligt gewesen, aber Chávez hatte zugestimmt, dass sie ihre Leitungsposten behalten, von wo aus sie im Dezember die Sabotage der Benzinverteilung organisieren. Doch sie stoßen auf den Widerstand der Arbeiter, die an ihrem Arbeitsplatz bleiben und manchmal noch mehr arbeiten. In der Raffinerie von Puerto La Cruz beschließen die Arbeiter, den Betrieb unter ihrer Kontrolle zu leiten, was weder das Programm der Putschisten noch das von Chávez vorsah. Die Arbeiter wählen in einer Vollversammlung Bereichs-Verantwortliche und stellen fest, dass sie in der Lage sind, ein komplexes Unternehmen ohne Manager zu führen.

Die Arbeiter stoßen auch auf den Widerstand der Bürokratie der venezolanischen Gewerkschaftszentrale, die solidarisch ist mit den bisherigen Managern der PDVSA. Dies führt zur Gründung einer neuen Gewerkschaftszentrale, der National Union of Workers (UNT).

Dieser erneute gescheiterte Putsch stärkt Chávez' Popularität, der nun über die Ressourcen der PDVSA verfügt. Er startet "soziale Missionen" für die Bewohner benachteiligter Stadtviertel. Er stärkt die Partnerschaft mit Kuba: Im Austausch für Öllieferungen werden 40.000 kubanische Ärzte zur Versorgung nach Venezuela geschickt.

In den ersten Jahren waren mehrere dieser Missionen erfolgreich, insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Fast 3 Millionen Menschen lernen lesen und 2,5 Millionen Patienten erhalten medizinische Versorgung. Aber diese Notlösungen lösen nicht das Problem des Geldmangels zur Instandhaltung und Modernisierung von Krankenhäusern. Es gibt Hunderte von Streiks des Gesundheitspersonals, bei denen sie auch die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen und der Patientenversorgung anprangern. Andererseits ist die Agrarreform gescheitert. Große Grundbesitzer verteidigen ihr Land, indem sie mit kriminellen Handlangern Bauern töten. 1% der Bevölkerung, die Großgrundbesitzer, besitzen weiterhin 40% des Landes, während sich 70% der Kleinbauern 5% des Landes teilen. Das Regime ist nicht in der Lage, die notwendigsten Lebensmittel zu produzieren, sie müssen in Massen importiert werden.

Chávez nähert sich der Bourgeoisie an

Chávez verleiht den Arbeitern in der Raffinerie von Puerto La Cruz Medaillen, aber seinen Vorteil nutzt er nicht. Die Arbeiter und die Bevölkerung hatten gerade zwei Mal gesiegt. Wäre Chávez ein so radikaler Nationalist wie die Castro-Führer 1959-62 gewesen, hätte er sich auf sie stützen können, um die Wirtschaft zu verstaatlichen und die Oberhand über seine Gegner aus dem rechten Lager zu gewinnen. Aber er geht in die entgegengesetzte Richtung: Um ein Gegengewicht zur Stärke der Arbeiter zu schaffen, sucht er einen Kompromiss mit der Bourgeoisie.

Im Jahr 2003 hält Chávez noch folgende anklagende Rede: "Es gibt einen Faschisten, einen Führer des Staatsstreichs. Er besitzt einen Fernsehsender in Venezuela. Sein Name ist Gustavo Cisneros. Er ist einer der Hauptverantwortlichen, und ich verurteile ihn vor dem Volk und der Welt als Putschisten und Faschisten." Doch im Juni 2004 trifft er ihn in Begleitung des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter und macht gemeinsame Sache mit ihm. Die politische Linie in Cisneros' Medien ändert sich zugunsten von Chávez und im Gegenzug wird sein Radio- und Fernsehprogramm vom Staat gegenüber seinen Konkurrenten bevorzugt.

Eine ähnliche Zusammenarbeit beginnt mit anderen Unternehmern wie Albert Vollmer von der Rum-Brennerei Santa Teresa oder mit Wilmer Ruperti, einem ehemaligen PDVSA-Mitarbeiter, der ein PDVSA-Zulieferunternehmen leitet, den Putschisten jedoch nicht gefolgt ist. Letzterer ist mit der Partnerschaft so zufrieden, dass er die Anwälte für die Neffen Maduros bezahlt, als sie 2016 beschuldigt wurden, 800 Kilogramm Kokain in die Vereinigten Staaten transportiert zu haben.

Hinter der Fata Morgana des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts"

Während er so private Kapitalisten begünstigt, radikalisiert Chávez gleichzeitig seine Sprache in Richtung der unteren Volksschichten. Am 1. Mai 2005 spricht er zum ersten Mal vor einer Gruppe von Arbeitern über den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" und erklärt ihnen, dass der Übergang zum Sozialismus gerade erst begonnen habe. Es ist schade, dass diese Arbeiter nicht gehört hatten, was er im November 2004 vor Angehörigen des Militärs sagte: "Das langfristige wirtschaftliche Ziel, an dem niemand zweifeln kann ist, das kapitalistische Modell zu überholen. Das kapitalistische Wirtschaftsmodell ist unmöglich zu realisieren. Ist der Kommunismus eine Alternative? Nein! Den setzen wir hier nicht um. Hier verfolgen wir die großen Ziele der bolivarischen Verfassung [ein nationalistisches Glaubensbekenntnis, Anmerkung der Redaktion]: das Modell einer sozialen Wirtschaft, eine humanistische Wirtschaft, eine egalitäre Wirtschaft. Wir bereiten uns nicht darauf vor, das Privateigentum zu beseitigen oder die kommunistische Planung durchzuführen. So weit gehen wir nicht."

Im Jahr 2008 hält Chávez immer wieder doppelzüngige Rede. Er organisiert eine "Versammlung produktiver Sozialisten", bei der es jedoch nicht um Sozialismus geht, sondern darum, Mittel für die Unternehmen zu beschaffen. Er hat gerade den Bolivar abgewertet. Die Unternehmer profitieren von Vorzugskonditionen, während die Bevölkerung unter den Auswirkungen der Inflation und des Preisanstiegs leidet. Die Kapitalisten applaudieren: "Mit diesen Maßnahmen können die exportierenden Unternehmer einfacher auf dem Weltmarkt konkurrieren", sagt einer von ihnen.

Und wo ist der Sozialismus in den neuen Partnerschaften mit dem PDVSA-Versicherungs-unternehmer Salazar Carreno? Mit dem Bankier Victor Vargas, der sich unter anderem mit seiner Discount Bank immens an den Staatsschulden Venezuelas bereichert? Oder mit dem Importeur von Investitionsgütern Derwick und seinen Partnern, den Königen überhöhter Abrechnungen? Zu diesen und anderen kommen noch Regierungsmitglieder, Führer der chavistischen Partei und der Armee hinzu, die "Boli-Bourgeoisie", die sich neben der traditionellen Bourgeoisie entwickelt hat. An ihrer Spitze thront das Militär. Zwischen 1999 und 2013 hatten mehr als 1.600 Militärs Regierungsposten auf verschiedenen Ebenen inne.

Die Militärs sind die einzigen Beamten, die Gehaltserhöhungen bekommen, die mindestens die Inflation ausgleichen, wenn sie nicht sogar darüber liegen. Dass sie so geschlossen hinter dem chavistischen Regime stehen, ergibt sich aus ihrer Beteiligung an dessen Geschäften, einschließlich der Waffengeschäfte mit Russland, China, Brasilien, Spanien und den USA. Darüber hinaus kontrollieren sie Grenzen und Häfen und damit den wirtschaftlichen Handel, den legalen wie den illegalen. Seit 2013 lässt Maduro in allen Bereichen der Wirtschaft immer mehr Betriebe von Militärs führen. Seit 2016 überwacht das Militär auch die Versorgung der Bevölkerung. Achtzehn Artikel des täglichen Bedarfs, von Milch über Medikamente bis hin zu Toilettenpapier, stehen unter der Kontrolle von ebenso vielen Generälen. Die Armee ist zum Rückgrat des Regimes geworden, zumal es im Laufe der Jahre die Unterstützung der Bevölkerung verliert.

Das Arrangement zwischen dem Regime und der Bourgeoisie wurde als eine Mischform dargestellt, die allen zugutekommen würde. Aber sie nutzte vor allem der Bourgeoisie, deren Anteil am nationalen Einkommen zunahm. Der Privatsektor hat heute 70% des Bruttoinlandprodukts in seiner Hand, der öffentlichen chavistische Sektor hingegen nur 30%. Die Genossenschaften, für die eine Zeit lang geworben wurde, machen nur 1% aus. Zwischen 2002 und 2012 haben die Banken ihren Anteil am Sozialprodukt verdreifacht.

Und trotz der manchmal lautstarken antiimperialistischen Äußerungen von Chávez haben die Geschäfte der multinationalen Konzerne in Venezuela stetig zugenommen. Zu ihnen zählen Chevron, Chrysler, Coca-Cola, General Motors, Halliburton, Kraft Heinz, McDonald's, Mitsubishi, Pepsi-Cola, Procter & Gamble, Toyota sowie zweitausend große europäische Unternehmen. Es wird nichts getan, um dem beherrschenden wirtschaftlichen Einfluss der Bourgeoisie entgegenzuwirken. Schlimmer noch, es wird alles getan, um sowohl die nationale Bourgeoisie als auch das ausländische Kapital zu fördern.

Eine konstant arbeiterfeindliche Politik

Und wie könnte von Sozialismus oder Kommunismus die Rede sein, ohne dass die Arbeiterklasse zu eigenständigem, bewusstem und organisiertem Handeln ermutigt wird? Im Gegenteil, parallel zur wirtschaftlichen Ausrichtung zugunsten der Bourgeoisie führten erst Chávez und dann Maduro einen pausenlosen Krieg gegen kämpfende Arbeiter.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2003 ist die neue Gewerkschaftszentrale UNT gelähmt durch einen Konflikt zwischen zwei Flügeln. Auf der einen Seite gibt es den kämpferischen Flügel, der den Putsch der PDVSA zu Fall brachte und in dem es unter den Arbeitern Aktivisten der morenistischen Bewegung gibt (einer vom argentinischen Trotzkisten Nahuel Moreno gegründeten Abspaltung, die Anhänger in mehreren lateinamerikanischen Ländern gewonnen hat). Auf der anderen Seite gibt es den Flügel, der sich dem Regime mit dem ausdrücklichen Slogan unterwirft: "Chávez zuerst". Die Auseinandersetzung spitzt sich so weit zu, dass Handlanger der chavistischen Gewerkschaftsmafia mehrere Arbeiteraktivisten ermorden, darunter Richard Gallardo, einem einflussreichen Gewerkschaftsführer im Bundesstaat Aragua, wo die Arbeiter sich mehrmals gegen die Angriffe Chávez' gewehrt haben. Der morenistische Aktivist wird 2008 zusammen mit zwei seiner Genossen ermordet. Ein Verbrechen, das ungestraft bleibt. Die Regierung greift auch Orlando Chirino an, einen Veteranen der Morenisten und Koordinator der UNT. Sie entlässt ihn aus seiner Arbeitsstelle bei PDVSA. Dies löste eine landesweite Kampagne zu seinen Gunsten aus, die seine Wiedereingliederung in den Betrieb durchsetzen kann... die jedoch nie in die Tat umgesetzt wird.

Die Regierung nimmt den Arbeitern immer mehr Rechte: Sie und die Arbeitsinspektoren unterzeichnen Tarifverträge mit Gewerkschaften, die dem Regime gefällig sind. Wenn dies Proteste bei den Arbeitern auslöst, unterdrückt die Regierung diese mit Gewalt. Arbeiter, die ihre Fabrik besetzen, werden von der Polizei vertrieben. Es werden Gesetze gemacht, um die Kämpfe der Arbeiter zu kriminalisieren. Doch die Proteste hören trotzdem nicht auf.

Im Jahr 2008 befindet sich das Stahlwerk Sidor, das dem argentinischen Konzern Techint gehört, mitten im Prozess der Wiederverstaatlichung. Im März streiken die Arbeiter, weil die Löhne seit zwei Jahren eingefroren sind. Die Arbeiteraktivisten entwarfen einen Kampfplan mit Produktionsstopp und Massendemonstrationen. Die Streikenden werden von einem Minister als Putschisten beschimpft. Dieser lässt stattdessen über die Löhne abstimmen, doch sein Vorschlag wird von den Arbeitern abgelehnt, mit 3.338 zu 65 Stimmen. Am 9. März versammeln sich aus Solidarität etwa hundert Gewerkschaften im ganzen Land, aber auch in Brasilien und Argentinien. Die Streikenden fordern den Rücktritt des Ministers und dass Chávez persönlich für ihre Forderungen Partei ergreift. Letzterer hat keine andere Wahl, als die Verstaatlichung zu unterstützen. Aber dann werden die Löhne wieder eingefroren, die Produktionskapazitäten reduziert und die kämpferische Gewerkschaft mundtot gemacht. Die Arbeiter von Sidor haben jedoch immer häufiger zur Verteidigung ihrer Rechte gestreikt, so sehr, dass im Jahr 2014 drei Arbeiter verhaftet und für acht Monate ins Gefängnis geworfen werden.

Im Jahr 2011 zeigt sich die Unzufriedenheit der Arbeiter massenhaft anhand der Frage der Tarifverträge. Die Löhne der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind seit sieben Jahren nicht erhöht worden. Zehntausende Metallarbeiter arbeiten nach Tarifverträgen, die schon ein Jahr ausgelaufen sind - und Hunderttausend Arbeiter der Ölindustrie nach einem Tarifvertrag, der seit zwei Jahren ausgelaufenen ist.

Im Jahr 2012 erzwingt Chávez per Dekret eine Einschränkung der Rechte der Arbeiter. Er schränkt die Rechte der Arbeiter ein, sich gewerkschaftlich zu organisieren und erlaubt dem Arbeitsminister mehr Schikanen, um die Gründung von Gewerkschaftssektionen zu behindern. Hinzu kommt ein "Anti-Terror-Gesetz", das die Gebiete, in denen Arbeiter streiken können, einschränkt. All diese Maßnahmen haben Maduro geholfen, noch prekärere Arbeitsbedingungen und eine bedeutende Senkung der Löhne durchzusetzen, die ohnehin schon durch die Inflation an Kaufkraft verloren haben.

Das Scheitern des Chavismus ist also weder ein Scheitern des Sozialismus noch des Kommunismus. Es ist das Scheitern reformistischer Hirngespinste, die glauben machen wollen, dass man einen Kompromiss zwischen den unversöhnlichen Interessen der Kapitalisten und der Arbeiter finden könne. Man kann nicht zwei Herren gleichzeitig dienen. Was der Bourgeoisie gewährt wird, verringert die Einkommen der Arbeiterklasse und der Unterdrückten. Die Rolle Chávez und seines Regimes bestand - anders als sie behaupten - nicht darin, für ein Gleichgewicht zwischen Bourgeoisie und Proletariat zu sorgen, sondern die Forderungen der Arbeiter und der Unterdrückten zu dämpfen und es so dem Kapital zu ermöglichen zu prosperieren.

Der Imperialismus zeigt seine Krallen

Die Krise des Chavismus hat den Appetit der Großmächte geweckt und besonders die des US- Imperialismus. Dabei geht es einerseits um die ungeheuren Ölreserven, die nur einige Stunden von den USA entfernt schlummern. Doch es geht auch um die bereits begonnene politische Rückeroberung Lateinamerikas, wo wie in Argentinien oder Brasilien Männer der Rechten an die Macht kommen, die besser mit Washington harmonieren. In dem Zusammenhang haben die USA zunächst 2015 unter Obama und dann seit 2017 unter Trump die Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela verschärft - gegen ein Regime, dem das Geld ausgeht und einem Land, dessen Bevölkerung ums Überleben kämpft. Sie frieren die Vermögenswerte Venezuelas in Devisen oder Gold bei verschiedenen internationalen Banken ein. Die symbolträchtigste dieser Maßnahmen war die Beschlagnahme der Gewinne von Citgo, der in den USA tätigen Tochtergesellschaft der PDVSA.

Donald Trump, der seit Januar 2017 an der Macht ist, hat sich mit einem Team von Falken umgeben, die eine Rechnung mit Venezuela begleichen wollen: Vizepräsident Michael Pence; John Bolton, Nationaler Theoretiker des "Präventivkriegs"; Elliott Abrams, der vor dreißig Jahren an den Massakern der Bevölkerung Mittelamerikas beteiligt war und 2003 die Irak-Invasion mit ausgetüftelt hat.

Michael Pence drängte den fast unbekannten rechten Abgeordneten Juan Guaido, sich anstelle des gewählten Präsidenten Nicolas Maduro zum Präsidenten zu erklären. Der Versuch, einen humanitären Konvoi ins Land zu bringen, der Guaido an die Spitze des Staates gebracht hätte, scheiterte am 24. Februar. Das Ziel der Vereinigten Staaten hat nichts Humanitäres. Der Konvoi war ein Torpedo gegen das chavistische Regime. John Bolton spricht jetzt davon, das Ortega-Regime in Nicaragua zu stürzen. Um sich danach unter besseren Voraussetzungen Venezuela zuwenden zu können. Denn das Kräftemessen ist noch nicht vorbei. Guaido fragt sich nun, ob er nicht verhaftet wird, wenn er nach Caracas zurückkehrt.

Ein schönes Ensemble von etwa sechzig Staaten der imperialistischen Welt, darunter Frankreich, Deutschland und das Vereinigte Königreich, unterstützt Washingtons Manöver und erkennt den selbsternannten Präsidenten Guaido als legitimen Staatschef an. Auch für sie spielt dabei das Schicksal der venezolanischen Bevölkerung natürlich keine Rolle. Sie scheren sich nicht um die Arbeiter und Bauern, die einen hohen Preis für die Nachlässigkeit des Regimes zahlen. Alle diese Regierungen wollen einzig an der imperialistischen Aufteilung der Beute ergattern, die dem Sturz Maduros folgen würde.

1938 kommentierte Leo Trotzki die Haltung des britischen Imperialismus gegenüber Mexiko und dem Regime Cardenas' - einem Regime, das nicht weniger nationalistisch war als das der Chavisten, das es aber wagte, die US-amerikanischen Ölgesellschaften zu verstaatlichen und eine umfassende Landreform durchzuführen. Er schrieb: "Ohne in Illusionen zu verfallen und Verleumdungen zu fürchten, werden die fortgeschrittenen Arbeiter den Kampf des mexikanischen Volks gegen die Imperialisten uneingeschränkt unterstützen. Die Enteignung des Erdöls ist weder Sozialismus noch Kommunismus. Aber sie ist eine in hohem Grade fortschrittliche Maßnahme der nationalen Notwehr. [...] Das internationale Proletariat hat keinen Grund, sein Programm mit dem der mexikanischen Regierung zu identifizieren. Revolutionäre haben es nicht nötig, die Falbe zu wechseln, sich selbst aufzugeben und Schmeicheleien [...] herzusagen, die im Augenblick der Gefahr die schwächere Seite verraten und überlaufen werden. Ohne das geringste von ihren eigenen Zielen preiszugeben, ist jede ehrliche Arbeiterorganisation auf der ganzen Welt [...] verpflichtet, unversöhnlich gegen die imperialistischen Räuber, gegen deren Diplomatie, deren Presse und deren faschistische Söldner Stellung zu nehmen Die Sache Mexikos ist [...] die Sache der internationalen Arbeiterklasse. Der Kampf um das mexikanische Petroleum ist einer der Vorpostengefechte der zukünftigen Schlachten zwischen Unterdrückern und Unterdrückten." [1] Wir können heute Mexiko durch Venezuela ersetzen.

Aber kein Nationalist, wie radikal er auch sei, kann die Sache des Kommunismus voranbringen. Einzig das revolutionäre Proletariat, das heißt das Proletariat, das sich seiner Ziele bewusst ist und in seiner Partei organisiert ist, kann diesen Kampf entschlossen führen und sich dabei an die Spitze aller Unterdrückten stellen.

 

[1] Leo Trotzki: "Mexiko und der britische Imperialismus", 5. Juni 1938.

4. März 2019