Der Streit um die Öl- und Gasreserven im Nahen und Mittleren Osten (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Mai 2018)

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Der Streit um die Öl- und Gasreserven im Nahen und Mittleren Osten
Mai 2018

Der Streit um die Öl- und Gasreserven im Nahen und Mittleren Osten

Am 13. Februar griffen türkische Kriegsschiffe südlich von Zypern ein, um der italienischen Firma Eni (Ente Nazionale Idrocarburi) den Weg zu einer Ölplattform zu versperren, die sich in diesem Gebiet niederlassen wollte, um den Meeresboden nach Erdgas zu untersuchen. Nach Ansicht der Türkei gehört dieses Meeresgebiet der türkischen Republik Nordzypern, einem Staat, den nur die Türkei als einziger Staat der Welt anerkennt. Sie misst daher den Abkommen mit der Republik Süd-Zypern, die als einzige international anerkannt ist, keinerlei Bedeutung zu. Daher der türkische Widerstand gegen die Errichtung der Eni-Plattform.

Im Gegenzug griffen einige Tage später die Schiffe der VI. US-Flotte in Begleitung israelischer Streitkräfte anlässlich eines gemeinsamen Manövers sein, um die Türkei zur Ordnung zu rufen, insbesondere in Bezug auf die Förderrechte der amerikanischen Firma Exxon in diesem Gebiet.

Der Reichtum, der im östlichen Mittelmeer unter dem Meeresboden liegt

Nach Angaben der griechisch-zypriotischen Presse hatte ein Team amerikanischer Geologen bereits 1956 die Existenz von Erdgasvorkommen in den Tiefen des östlichen Mittelmeers entdeckt. Diese waren zu diesem Zeitpunkt aus technischen Gründen und wegen des noch immer geringen Gasbedarfs nicht gefördert worden. Doch seit den 2000er Jahren interessieren sich wieder Unternehmen dafür - wie die amerikanische Firma Noble Energy, die über die entsprechenden technischen Mittel verfügt, um in diesen Tiefen zu fördern. Das Unternehmen hat daher Abkommen mit der Republik Zypern und mit Israel geschlossen, auf dessen Seegebiet sich ein Teil der Gasvorkommen befinden.

Mittlerweile gibt es mindestens 12 große Gasvorkommen in einem Gebiet, auf das sowohl Syrien, Libanon, Ägypten als auch Zypern Anspruch erheben. Internationale Abkommen begrenzen die ausschließlichen wirtschaftlichen Rechte eines Landes eigentlich auf 200 Seemeilen vor der Küste (etwa 370 km). Aber im östlichen Mittelmeerraum überschneiden sich mehrere dieser Gebiete.

Sehr große Gasvorkommen, die man Dalit und Tamar getauft hat, wurden 2009 in der See gegenüber von Israel entdeckt. Im Jahr 2010 wurde ein weiteres großes Erdgas- und Erdölvorkommen entdeckt, der Leviathan. Im gleichen Zeitraum wurde die Aphrodite, ein weiteres Vorkommen in den Hoheitsgewässern im Süden von Zypern entdeckt. Es wird auf 200 Milliarden Kubikmeter Erdgas geschätzt. Ein weiteres Vorkommen namens Zohr wurde in ägyptischen Gewässern vor dem Nildelta entdeckt. Es soll 200 Milliarden Kubikmeter Gas und 1,8 Milliarden Barrel Öl enthalten. Auch wenn diese Zahlen nur Schätzungen sind und von verschiedenen Quellen unterschiedlich geschätzt werden, ist es sicher, dass diese Vorkommen von großem Interesse sind. Dies erklärt die Spannungen zwischen den verschiedenen Ländern, die die Möglichkeit hätten, diese Vorkommen mit Hilfe ihrer Ölgesellschaften auszubeuten.

Der Kampf um den Kuchen hat begonnen. Die Vereinigten Staaten möchten sich natürlich den Löwenanteil sichern und sind mit Konzernen wie Exxon und Noble Energy vertreten. Die ständige Präsenz ihrer VI. Flotte im Mittelmeer ist natürlich ein schlagkräftiges Argument. Aber auch Frankreich mit Total und Italien mit Eni sind unter den Bewerbern. Russland seinerseits, das von seinen privilegierten Beziehungen zur Republik Zypern profitiert, ist durch Novatek vertreten, und Rosneft teilt sich mit Eni die Ausbeutung der Lagerstätte Zohr. Andererseits scheint es Großbritannien trotz seiner kolonialen Vergangenheit und der Militärstützpunkte auf Zypern nicht gelungen zu sein, einen Anteil an der Ausbeutung dieser Lagerstätten zu ergattern. Sie scheinen auf die Zusammenarbeit mit der Türkei angewiesen zu sein, um ihren Anteil an den Märkten zu bekommen.

Die Frage der Märkte für Erdgas

Es genügt jedoch nicht, sich einen Anteil am zukünftigen Geschäft zu sichern. Denn es muss nicht nur die Frage der Förderung geklärt werden, sondern auch und vor allem der Transport von Gas und Öl zu Märkten, die groß genug sind, um so große Mengen aufzunehmen.

Für nahe gelegene Länder wie Israel, Zypern und Libanon gibt es kein echtes Transportproblem und auch genügend Kaufkraft, aber ihr Markt wird nur einen sehr kleinen Teil der absehbaren Gasmengen aufnehmen können. Dasselbe gilt für Ägypten, das zwar eine größere Bevölkerung, allerdings mit begrenzter Kaufkraft hat. Die Türkei ihrerseits, deren Bevölkerung eine höhere Kaufkraft hat, hat bereits ihre Lieferanten in Russland, Aserbaidschan und Iran.

Das Problem, ausreichend große und liquide Märkte zu finden, ist für Erdgas weniger einfach als für Öl. Öl kann immer noch per Schiff zu entfernten Märkten transportiert werden. Erdgas hingegen muss zunächst verflüssigt werden, um von Gastankern transportiert werden zu können. Diese Umwandlung ist teuer und stellt ein Sicherheitsproblem dar. Die beste Lösung ist daher, das Gas über Pipelines zu transportieren. Aber dies ist nicht über allzu große Entfernungen möglich. Der einzige Markt, der diese Bedingungen erfüllt, ist die Europäische Union mit ihren mehr als 500 Millionen Einwohnern und einer relativ hohen Kaufkraft. Der Transport von Gas aus dem östlichen Mittelmeerraum und dem Nahen Osten zu diesem Markt erfolgt jedoch über die Türkei. Die einzige Alternative vom östlichen Mittelmeer wäre eine Unterwasser-Gasleitung nach Griechenland und von dort über bestehende Gasleitungen zum europäischen Markt. Diese Lösung wäre jedoch sehr teuer und scheint vor allem dazu benutzt zu werden, Druck in den Verhandlungen auszuüben.

Gasvorkommen am Persischen Golf

Doch zu diesen neuen Vorkommen im östlichen Mittelmeer wurden auch noch weitere entdeckt. Die größten bekannten Erdgasreserven der Welt befinden sich im Persischen Golf, in Gebieten auf dem Hoheitsgebiet des Irans, Saudi-Arabiens und Katars. Diese enormen Reserven würden ausreichen, um die ganze Welt für 130, ja sogar für 150 Jahren zu versorgen. Die Aussicht auf ihre Ausbeutung ist auch hier ein Grund für die Spannungen zwischen diesen drei Ländern.

Katar muss die Ausbeutung dieser größten Erdgaslagerstätte der Welt unter dem Persischen Golf mit dem Iran teilen. Katar nennt seinen Teil der Lagerstätte North Dome, der Iran den seinen South Pars. Diese Lagerstätte enthält Erdgasreserven, die auf insgesamt 25.000 Milliarden Kubikmeter geschätzt werden, von denen 70% von diesen beiden Ländern mit sehr geringen Kosten gefördert werden könnten. Die Notwendigkeit, sich bei der Ausbeutung dieser Lagerstätte zu verständigen, erklärt, warum Katar an guten Beziehungen zum Iran gelegen ist.

Dies wiederum war nicht dem Geschmack Saudi-Arabiens, das daran interessiert war, auch einen Teil dieser Reserven auszubeuten und außerdem mit dem Iran auf dem Markt konkurriert. So brach im Juni 2017, nur zwei Wochen nach dem Besuch von US-Präsident Trump in Saudi-Arabien - was wohl kein Zufall ist - ein offener Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar aus. Nachdem Saudi-Arabien vergeblich von Katar gefordert hatte, alle diplomatischen Beziehungen zum Iran abzubrechen, war es seinerseits Saudi-Arabien, das alle Verbindungen zu Katar abbrach. Es zog die Emirate, Ägypten und Bahrain mit sich und verband mit dieser Entscheidung eine totale See-, Land- und Luftblockade Katars. Riads Vorwand ist, dass Katar den Terrorismus würde - was einen nur zum Lachen bringen kann, wenn man bedenkt, wie viel Unterstützung Saudi-Arabien den fundamentalistischen Milizen in der Region gegeben hat.

Tatsächlich ist dies eine Episode im Krieg um Einfluss, der zwischen Saudi-Arabien und dem Iran herrscht - ein Krieg, in dem Öl- und Gasfragen sicherlich weit mehr zählen als religiöse Unterschiede zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen. Bereits im Jahr 2000 gab es in Katar einen versuchten Militärputsch. Saudi-Arabien kritisierte bereits damals das Katar-Regime für seine freundschaftlichen Beziehungen zum Iran, und alles deutet darauf hin, dass es sich an der Verschwörung beteiligt hatte.

Neben der Frage der Aufteilung zwischen den betroffenen Staaten wirft die Ausbeutung der Erdgasvorkommen am Persischen Golf jedoch dieselbe Frage des Transports auf wie im östlichen Mittelmeer, nur noch akuter. Auch hier ist der einzige größere und zugängliche Markt wieder der europäische mit seinen 500 Millionen Verbrauchern. Die Gaspipeline müsste durch den Irak und die Türkei führen, vor allem aber durch Syrien, ein Land, in dem noch immer der Bürgerkrieg herrscht. Zwar ist der islamische Staat (IS) dort weitgehend besiegt.

Doch das Land ist weiterhin zerrissen. Die Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien und der Türkei liefern sich dort einen Machtkampf, und mehr noch die Großmächte Russland und die Vereinigten Staaten, die jeweils die einen oder die anderen der Regionalmächte unterstützen. Das Projekt zum Bau einer Gaspipeline, die Syrien durchquert und den Transport von Gas aus den durch den Krieg blockierten Lagerstätten im Persischen Golf ermöglichen würde, wird eine Schlüsselrolle im Fall einer möglichen Einigung spielen.

Das Engagement Russlands

In den 90er Jahren und bis 2014 konnte Russland aufgrund der hohen Öl- und Gaspreise erhebliche Einnahmen erzielen, die es ihm ermöglichten, seine Wirtschaft zu entwickeln und der Bevölkerung ein gewisses Einkommen zu sichern. Russland hatte insbesondere mit Deutschland Verträge abgeschlossen, dem bei Weitem größten Markt in Europa. Der ehemalige Bundeskanzler Schröder war in dieser Zeit sogar an der Leitung des russischen Konzerns Gazprom beteiligt. Doch seit 2014 hat der deutliche Preisverfall Russland in eine schwierigere Lage gebracht. Außerdem reagierten die großen westlichen Energiekonzerne mit der sich verschärfenden Wirtschaftskrise auf die Konkurrenz durch russisches Gas. Und nicht zuletzt hat der Ausbruch der russisch-ukrainischen Krise Unsicherheiten in Bezug auf den Gastransport durch die Ukraine hervorgerufen.

Auf der Suche nach alternativen Routen hat Russland geplant, sein Gas über das Schwarze Meer auf den europäischen Markt zu bringen. Es soll mehr als 5 Milliarden Dollar für den Bau einer Gaspipeline nach Bulgarien ausgegeben haben, ist dann aber auf den Widerstand der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten gestoßen, die unzufrieden waren, dass Russland die ukrainische Route verlassen könnte. Da die Alternativlösung nur durch die Türkei gehen konnte, war dies sicherlich ein wichtiger Faktor, der bei der Annäherung zwischen Erdogan und Putin eine Rolle gespielt hat - gerade zu einer Zeit, als die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem türkischen Regime auf dem Tiefpunkt angelangt waren. Der Vertrag für ein großes russisch-türkisches Gaspipeline-Projekt wurde 2016 unterzeichnet. Diese Gaspipeline, TurkStream, würde an der türkischen Küste nahe der bulgarischen Grenze enden, und von dort aus könnte russisches Gas den europäischen Markt versorgen, angefangen beim Balkan.

Auch die Frage des Transports von russischem Gas hat Auswirkungen auf den Krieg in Syrien. Als die türkische Armee Ende Januar eine Militärinvasion gegen die kurdischen Streitkräfte der YPG in Nordsyrien, im Kanton Afrin begann, tat sie dies offensichtlich mit dem Einverständnis Russlands, das den Luftraum in diesem Gebiet unter seiner Kontrolle hat. Russland ging es einerseits darum, seine guten Beziehungen zur Türkei zu sichern. Aber es sah es zweifellos auch nicht ungern, dass diese Intervention die kurdischen Streitkräfte in Schwierigkeiten, sind diese doch Verbündete der Vereinigten Staaten. Doch diese implizite Zustimmung für einen Einmarsch türkischer Streitkräfte auf syrischem Gebiet musste auf Dauer zu Konflikten mit Russlands wichtigstem Verbündeten führen: dem Regime von Baschar al-Assad. Dies geschah auch, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als das türkische Regime seinerseits Schwierigkeiten mit den Vereinigten Staaten bekam.

Gegensätzlicher Druck auf die Türkei

So ist der amerikanische Außenminister am 15. Februar nach Ankara gereist, wo er ein langes Gespräch mit Erdogan und dessen Außenminister hatte - ein Gespräch, bei dem nicht einmal ein Dolmetscher dabei sein durfte (der türkische Außenminister musste übersetzen) und von dem es keinerlei Aufzeichnungen und nicht einmal ein einfaches Abschlusskommuniqué gibt. Von diesem Treffen ist nichts an die Öffentlichkeit gelangt und man kann nur vermuten, dass die USA Erdogan in diesem Gespräch zur Ordnung gerufen haben und ihn ermahnt haben, sich wie ein Verbündeter zu verhalten, der er schließlich sein will.

Dies scheint wirksam gewesen zu sein. Wenige Tage später hat Erdogan erklärt, dass die Türkei ein Verbündeter Amerikas bleibe .... um kurz darauf erneut ermahnt, diesmal von Russlands Außenminister Lavrov. Er erklärte, angesichts der kritischen Lage in Syrien solle die Türkei sorgfältig nachdenken, bevor sie irgendetwas unternehme - eine diplomatische Form, eine Drohung auszusprechen. Kurz darauf meldete sich nun der syrische Staatschef Baschar al-Assad zu Wort. Zu Beginn der türkischen Militäroperation in Afrin war er sehr still geblieben. Nun aber erinnerte er daran, dass diese Stadt zu Syrien gehöre, dass die Intervention der türkischen Armee auf ihrem Territorium unzulässig sei und dass sie sich aus ihr zurückziehen müsse - sonst werde er tun, was nötig sei.

Die Angriffe der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens auf syrisches Territorium unter dem Vorwand, dem Einsatz chemischer Waffen durch das Regime verhindern zu wollen, haben erneut bestätigt, dass die westlichen Staaten ihren Einfluss in Syrien behalten wollen, ungeachtet der Opposition Russlands. Und sie werden dabei von Israel, Saudi-Arabien und diesmal auch von der Türkei unterstützt.

Das syrische Territorium könnte also noch lange Gegenstand der Machtkämpfe zwischen Saudi-Arabien und dem Iran werden sowie der Machtkämpfe zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, die sich auf ihre jeweiligen Verbündeten stützen und dazwischen die Türkei, die mal der Verbündete der einen, mal der anderen Seite ist.

Und wenn es jemals zu einer Lösung der syrischen Frage kommt, dann muss diese sicherlich ein detailliertes Abkommen über die Aufteilung und Förderrechte an den Energiereserven enthalten.

Auf jeden Fall laufen die Bewohner der Region Gefahr, noch lange Zeit unter dem Krieg und den konkurrierenden Militärinterventionen der verschiedenen Groß- und Regionalmächte auf ihrem Territorium leiden zu müssen. Was die Rechte der Bevölkerung betrifft, seien es die Kurden in Nordsyrien, die durch den Konflikt eine gewisse Autonomie erlangt haben, oder die syrische Bevölkerung im Allgemeinen, so werden sie sicherlich auch weiterhin die geringste Sorge der kriegführenden Mächte sein - anders als die strategischen Fragen und die Fragen, die die Förderung der Ressourcen insbesondere von Öl und Gas betreffen.

30. April 2018