Zur inneren Lage Frankreichs (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - von Dezember 2002)

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Zur inneren Lage Frankreichs
Dezember 2002

(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2002 angenommen)

In politischer Hinsicht war das vergangene Jahr vor allem von der Präsidentschaftswahl geprägt: Gleich im ersten Wahlgang schied Jospin aus, der zweite Wahlgang wurde zu einer Volksabstimmung zugunsten Chiracs und ebnete einer erdrückenden rechten Mehrheit den Weg.

Die Parteien der "Plurale Linke" (Koalition der Parteien der parlamentarischen Linken), die an Jospins Regierung beteiligt waren und das meist die gesamte 5-jährige Regierungszeit lang, glaubten alle, einen Kandidaten für den erste Wahlgang aufstellen zu müssen. Sie waren vor allem damit beschäftigt, in der Präsidentschaftswahl ihre eigene Wählerstärke zu beweisen, um von der Sozialistischen Partei eine angemessene Verteilung der wählbaren Wahlkreise für die Parlamentswahlen zu erhalten. Sie haben nicht gesehen, dass sie durch ihre Kandidaten Jospins Wahl gefährden würden: Anscheinend waren sie sicher, dass er gewählt werden würde.

Hinsichtlich ihrer eigenen Interessen war es eine unverantwortliche Entscheidung. Die Wählerstimmen, die einzig und allein für die Kandidatin der Linksradikalen (liberale Linke) abgegeben worden sind, für eine Partei, die während der ganzen Fünften Republik nur einmal einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufgestellt hat, hätten gereicht, um Jospin vor statt hinter Le Pen zu platzieren.

Wenn auch diese Zersplitterung den Wählerrückgang der Linken zu einer peinlichen Niederlage gemacht hat, war der Rückgang selbst durchaus wirklich. Lionel Jospin hat 2,5 Millionen Stimmen verloren, Robert Hue (Kommunistische Partei) 1,5 Millionen. Beide haben es den fünf vergangenen Regierungsjahren zu verdanken: Diese Regierung konnte die Linkswähler nur enttäuschen, weil sie auf so zynische Weise und zu Schaden der einfachen Bevölkerung den Interessen der Großunternehmer gedient hat.

Es ist nicht einmal ein Paradox, dass die Kommunistische Partei, die in der Regierungspolitik nur Nebensache war, noch mehr als die Sozialistische Partei dafür zu zahlen hat. Ihr kam die Aufgabe zu, die Politik der Regierung unter den Arbeitenden, die am meisten unter ihr gelitten haben, zu verteidigen und zu rechtfertigen. Mit nur 3,37% der Wählerstimmen ist der Einfluss der Kommunistischen Partei geringer geworden als je zuvor.

Unter den Parteien der "Plurale Linke" haben nur die Grünen ein etwa besseres Wahlergebnis als bei der Präsidentschaftswahl von 1995 erreicht. Da ihre parlamentarische Vertretung jedoch von der Sozialistischen Partei abhängig war, haben deren Verluste die Hoffnung der Grünen, eine Parlamentsgruppe zu bilden, zerstört. Im Parlament ist die grüne Vertretung folglich auf ein Minimum reduziert worden.

Aber die Art und Weise, wie die Führer der Linken mit Hilfe der Medien und Meinungsmacher die öffentliche Meinung manipuliert haben, sodass es zu keiner ernsthaften Analyse ihres Wahlverlustes kam, hat den zweiten Wahlgang mehr noch als den ersten geprägt und hatte politische Folgen, unter denen wir heute noch leiden.

Dass Le Pen im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl vorhanden war, hat die Öffentlichkeit berührt. Dieses Ergebnis kam zwar unerwartet, entsprach aber keinem wesentlichen Stimmengewinn der extremen Rechten. Wenn auch die Anzahl der Stimmen für Le Pen bzw. die radikale Rechte ein tatsächliches politisches Problem darstellt - umso mehr als ein Teil seiner Wählerschaft aus den Arbeiterschichten kommt -, war das Stimmengewicht der extremen Rechten 2002 ungefähr so hoch wie 1995, ohne dass es damals irgendjemandem eingefallen wäre, über Le Pen zu reden, als sei er "auf dem Weg zur Macht".

Die Führer der Sozialistischen Partei sowie der Kommunistischen Partei und aller anderen Parteien, inklusive der LCR (Revolutionären Kommunistischen Liga), welche die Aufregung nur weiter angestachelt haben, wussten vollkommen, dass Le Pen nur deshalb im zweiten Wahlgang stand, weil Jospin so viele Stimmen verloren hatte, und dass Le Pen absolut keine Chance hatte, gewählt zu werden. Alle wussten, dass mit den alleinigen Wählerstimmen der parlamentarischen Rechten Le Pen problemlos geschlagen worden wäre, während Chirac problemlos mit mehr als einer kleinen Mehrheit gewählt worden wäre. Die Parteien der "Plurale Linke" hatten jedoch Interesse daran, ihre schmähliche Niederlage im ersten Wahlgang im zweiten Gang in einen angeblichen Kampf gegen den Faschismus zu verwandeln. Sie haben also ihre fünf Regierungsjahre mit einer peinlichen Unterstützung Chiracs beendet, der dank dieser mit 82% der Stimmen in einer zur Volksabstimmung gewordenen Wahl erneut zum Präsidenten gewählt wurde. Im ersten Wahlgang jedoch hatte Chirac noch weniger Stimmen bekommen als im Jahre 1995, wo die Stimmen seiner Partei zwischen ihm und Balladur aufgeteilt worden waren. Die Missachtung der Linken nach fünf Regierungsjahren hätte also der parlamentarischen Rechten nicht einmal genützt, wenn nicht auch die Linke sich politisch hinter Chirac gesammelt hätte.

Nach dieser letzten Erniedrigung war die Niederlage bei den Parlamentswahlen so voraussehbar, dass die Führer der Sozialistischen Partei nicht einmal versucht haben, in ihrem Programm konkrete Versprechungen zu machen, wenn auch nur zur Schadensbegrenzung. Die Führer der Sozialistischen Partei haben sich auch in der Niederlage der Bourgeoisie gegenüber verantwortlich gezeigt und wollten nichts sagen oder versprechen, was die arbeitenden Massen mobilisieren und ihnen einen Grund geben hätte könnte, die Linke zu wählen, anstatt diesen Wahlen mit Desinteresse gegenüberzustehen.

Das Ergebnis von Arlette Laguiller war bei der Präsidentschaftswahl 2002 so hoch wie 1995 - wenn auch eine leichte Steigerung zu beobachten war -, und zwar sowohl was Wählerstimmen als auch Prozente betrifft.

Die Presse, von der man weiß, wie sie uns gegenüber eingestellt ist, hat das Ergebnis von Arlette Laguiller (5,72%) im Vergleich zu jenem von Olivier Besancenot, das als eine Überraschung bezeichnet worden ist, zu einer Niederlage erklärt. Für uns war das Ergebnis der LCR jedenfalls keine Überraschung. Wir hatten schon in unseren Kommentaren zu den Kommunalwahlen 2001 bemerkt, dass für die LCR eine Wählerschaft existierte, die mit unserer zu vergleichen ist.

Diese Wählerschaft konnte sich bei den Präsidentschaftswahlen lange nicht äußern, nur weil die LCR sich entschlossen hatte, nicht selbst zu kandidieren, sondern andere Kandidaten wie etwa Juquin bzw., ohne Unterscheidung, die Kommunistische Partei, die Grünen oder uns zu unterstützen.

Dass die Gesamtsumme der Stimmen der radikalen Linke mehr als 10% darstellte, hat Anlass zu Kommentaren darüber gegeben, dass die radikale Linke eine politische Kraft mit tatsächlichem Einfluss auf Ereignisse wäre, wenn sie sich nur zusammenschließen würde. Solche Äußerungen kamen nicht nur von Journalisten, die es gewohnt sind, sich auf Trugbilder zu stürzen, sondern auch von verschiedenen Besserwissern innerhalb und außerhalb der radikalen Linken. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man bei einer gemeinsamen Kandidatur die Wählerstimmen automatisch addiert.

Aber abgesehen davon, dass, auch wenn es nur um Wahlen geht, die Parlamentswahlen die Grenzen des Einflusses der radikalen Linken, gezeigt haben, ersetzt die Wählerstärke keineswegs die Kraft der Aktivisten. Auch wenn man die Stärke der Aktivisten von LO und der LCR addiert, sogar inklusive jener der PT (Partei der Arbeiter), ist die radikale Linke in Frankreich längst nicht überall in Betrieben und Arbeitervierteln präsent.

Und es geht nicht nur um die Kräfte, sondern auch um den politischen Kurs. Während des Wahlkampfes selbst stellten Arlette Laguiller und Olivier Besancenot verschiedene politische Kurse dar, auch wenn sich ihre Äußerungen ähnelten.

Die linksradikalen Wähler - Arbeiter oder Intellektuelle - hat sich darin übrigens nicht getäuscht. Da sie die Wahl hatte, hat sie sich zwischen den Kandidaten aufgeteilt. Viele, die Olivier Besancenot gewählt haben, hätten nicht für Arlette Laguiller gestimmt und umgekehrt.

Der politische Unterschied trat zwischen den beiden Wahlgängen jedoch deutlich hervor. Während LO sich weigerte, an der Lügenkampagne der Sozialistischen Partei teilzunehmen, entschloss sich die LCR heuchlerisch zur Wahl Chiracs aufzurufen, um die von der Sozialistischen Partei beeinflussten Milieus nicht vor den Kopf zu stoßen. Und wesentlich schlimmer noch: Sie nahm an der Lügenkampagne der Sozialistischen Partei teil, indem sie Le Pen beschrieb, als sei er "auf dem Weg zur Macht" und rief dazu auf, "auf der Straße und in den Urnen Le Pen den Weg zu versperren". Die Tatsache, dass die LCR "auf der Straße" hinzufügte, änderte nichts an diesem politischen Rückzug: "Die Straße" war das Milieu der reformistischen Linken und die Demonstrationen hatten das ausdrückliche Ziel, Chirac zu unterstützen, und wurden als "Bürgerdemonstrationen" der Jugend dargestellt und erlebt, wobei sie oft an die Demonstrationen der Fußballweltmeisterschaft von 1998 erinnerten.

Die Positionen, die während eines Wahlkampfs verteidigt werden, sind natürlich nur ein unvollständiges Spiegelbild der grundlegenden politischen Kurse. Dass aber LO und die LCR während des Wahlkampfes verschiedene Stellungen eingenommen haben, weist auf zwei verschiedene Kurse hin. LO verfolgt das Ziel, in Frankreich eine wirkliche revolutionäre Arbeiterpartei, eine neue kommunistische Partei, wiederaufzubauen. Die LCR stellt sich in die Perspektive einer Umstellung, die links von der offiziellen und diskreditierten Linken stattfinden würde. Diese beiden Kurse sind nicht nur unterschiedlich, sondern schließen sich gegenseitig aus.

Weil sie unverhohlen eine rechte Politik geführt haben, haben die Sozialistische Partei und ihre Regierungshelfer der Rechten den Weg zu einer Rückkehr in die Regierung gleich doppelt geebnet. Sie haben diese Rückkehr vorbereitet, indem sie selbst fünf Jahre lang eine rechte Politik geführt haben. Zahlreiche den Konservativen oder der Bourgeoisie günstig gesinnten Maßnahmen, die von der Regierung Chirac-Raffarin getroffen wurden, sind in den Ministerien vorbereitet worden, als diese noch von Angehörigen der Sozialistischen Partei und auch der Kommunistischen Partei geleitet wurden.

Außerdem haben die Volksabstimmung zugunsten Chiracs und die erdrückende rechte Mehrheit, die aus den Parlamentswahlen hervorgegangen ist, jene politischen Zustände vorbereitet, die der Regierung die Hände völlig frei lassen, zumindest solange die Arbeitenden keinen Widerstand leisten.

Die Regierung braucht also auf parlamentarischem Gebiet keine Angst zu haben: die machtlos gewordene Linke wird sie nicht stören. Aber sie könnte Schwierigkeiten mit ihrer eigenen Mehrheit bekommen.

Wenn auch die konservative UMP (Union für die Präsidentenmehrheit) über einer erdrückenden Mehrheit verfügt, bleibt sie doch eine vielschichtige Koalition von Gruppen, Cliquen und Klientelen. Ihre einzige Basis war die Volksabstimmung zugunsten Chiracs, der den Kandidaten, die ihn unterstützten, Posten versprach. Die jetzige Mehrheit wird die Rivalitäten bezüglich der Präsidentschaftswahl 2007, die von vielen Führern der Rechten, darunter Minister, schon jetzt vorbereitet wird, vielleicht nicht überstehen.

Die Sozialistische Partei ihrerseits hat im Prinzip fünf Jahre, um ihre politische Integrität wiederherzustellen.

Sie hat es bis jetzt vermieden, sich in der Öffentlichkeit zu sehr zwischen den verschiedenen Bewerbern um Jospins Erbe und ihre politischen Cliquen zu zerreißen. Aber das soll nicht heißen, dass diese Cliquen nicht existieren. Abgesehen von den verschiedenen Strömungen, die womöglich bei dem im Mai 2003 geplanten Parteitag ans Tageslicht treten werden, teilt sich die Sozialistische Partei in der Opposition in die zwei Gesichter, die sie sich zu geben versucht.

Auf der einen Seite stehen Politiker wie Fabius oder Strauss-Kahn, die auch in der Opposition nichts an der der Bourgeoisie verpflichtete Redeweise geändert haben, deren sie sich als Minister bedienten. Sie stellen das Bild dar, das die Sozialistische Partei den Großunternehmern, den Besitzenden gegenüber zeigen will: Das Bild einer Partei, die eine von der Bourgeoisie geforderte Politik führen wird, ohne auch nur ein Wort zu verändern, und das auf die Gefahr hin, ihre sowieso sehr fragliche Rückkehr an die Regierung zu verlangsamen.

Auf der anderen Seite steht die sogenannte linke Strömung, vertreten durch die Koalition, die auf pompöse Weise als "Neue Welt" betitelt worden ist, und deren Führer Emmanuelli und Mélenchon sind. Zu ihnen gehört auch ein Julien Dray, der zwar mit ihnen rivalisiert, aber trotzdem versucht, die gleiche Welle zu benutzen. Es handelt sich hier um das zur Arbeiterwählerschaft gewendete Gesicht der Sozialistischen Partei. Sie werden vielleicht auf eine "linkere" Weise reden - man hat ja gesehen, wie Mélenchon an der Seite der Beschäftigten des Energie-Konzerns EDF-GDF demonstriert hat. Man kann auch darauf wetten, dass sie alles tun werden, um sich der Attac-Bewegung anzuschließen, und dass sie zukünftigen Seattles und Genovas sowie Demonstrationen der Globalisierungsgegner anlässlich der kommenden Tagungen der internationalen Finanzorganisationen (Weltbank, Weltwirtschaftsorganisation, usw.) applaudieren werden.

Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die beiden Führer der "Neuen Welt" zwei ehemalige Minister sind, und dass sie, sollte die Linke bei den Wahlen wieder die Mehrheit erreichen, zusammen mit Fabius, Strauss-Kahn und den anderen regieren werden. Und davon abgesehen, besteht ihr Radikalismus auch in der Opposition nur aus einigen allgemeinen Begriffen, die vielleicht einer gewissen Linken gefallen, aber den Arbeitern absolut kein konkretes Ziel bieten, mit dem sie sich identifizieren könnten.

Auf der Seite der Sozialisten bleibt auch noch die Frage offen, welche Rolle Lionel Jospin eventuell spielen möchte. Im Moment schweigt er und lässt seine Ehefrau für sich sprechen. Da er sich zurückgezogen hat und öffentlich wissen ließ, dass es ihm schwierig war, für Chirac zu stimmen, steht er auf dem Ersatzposten. Zunächst seiner eigenen Partei gegenüber, sollten die persönlichen Rivalitäten ein zu großes Ausmaß annehmen, das nach einem Schiedsrichter verlangte. Und anschließend, wer weiß? Aber was auch immer das Ziel und die geheimen Absichten Jospins sein mögen, seine Rückkehr in einer bedeutenden politischen Rolle wäre nur in einer bestimmten Lage möglich sein. Aber vielleicht hält er sich für De Gaulle oder sein Abbild, Mitterrand?

Die Führer der KP haben ebenfalls fünf Jahre, um das Verständnis zwischen Partei und Wählerschaft wiederherzustellen. Obwohl die Kommunistische Partei noch viele Aktivisten und Sympathisanten hat, deren Zahl nicht mit jener der radikalen Linke zu vergleichen ist, kann man bezweifeln, dass es der Sozialistischen und Kommunistischen Partei gelingen wird.

Ihre Parteispitze hat keine andere politische Perspektive, als erneut mit der Sozialistischen Partei zu regieren, das heißt, dasselbe, was gerade so lächerlich misslungen ist. Und diejenigen, die sich mit diesem Ziel identifizieren, werden weiterhin direkt für die Sozialistische Partei stimmen und nicht für fragwürdigen Helfer. So ist es übrigens seit dreißig Jahren, seit der Unterzeichnung des Gemeinsamen Programms. Es stellt sich sogar die schwierige Frage, wann die Kommunistische Partei die meisten Wähler verliert: mit oder ohne Regierungsbeteiligung?

Viele Aktivisten der KP identifizieren sich jedenfalls eher mit dem Gewerkschaftsbund CGT als mit ihrer Partei. Nicht weil die Politik der CGT verschieden ist, aber sie scheint wenigstens einige Grundforderungen der Arbeiter zu berücksichtigen.

Wir werden hier nicht alle Maßnahmen aufzählen, die von der Regierung Chirac-Raffarin während der ersten sechs Monate ihrer Existenz getroffen worden sind. Diese Maßnahmen sind entweder offensichtlich reaktionär oder gegen die Arbeiter und für Großunternehmer gedacht. Wir haben sie in unserer Presse, Lutte Ouvrière, Lutte de Classe, oder unserer Betriebspresse notiert und reichlich kommentiert.

Wir werden hier auch nicht alle Angriffe gegen den öffentlichen Sektor erwähnen und auch nicht die schlimmen Folgen, die einige diese Angriffe, besonders was das Gesundheitswesen oder das Unterrichtssystem betrifft, für die Lebensbedingungen der einfachen Bevölkerung haben. Fügen wir nur hinzu, dass auch mit der geplanten Dezentralisierung, die so unschädlich aussieht, der Staat einige von seinen Pflichten dem öffentlichen Sektor gegenüber aufgibt, zugunsten der Regionen oder anderer Gebietskörperschaften. Man kann darauf wetten, dass ein Teil der Gelder des öffentlichen Sektors während der "Übertragung der Zuständigkeit" verschwinden werden. Und man wird auch Unterscheidungen zwischen den reichen und den armen Regionen schaffen, wie das heute schon üblich ist, zwischen bürgerlichen und Arbeiterstädten. Die Diskrepanzen werden sich im Laufe der Zeit nur noch weiter vergrößern.

Diese gegen die Arbeiterklasse gerichteten Angriffe seitens der Regierung kommen noch zu jenen der Großunternehmer selbst. Sie können angesichts der gegenwärtigen Börsenkrise und des Aktienfalls nur noch heftiger werden, wie es schon die neuesten kollektiven Entlassungen ankündigen.

Man hätte denken können, dass jetzt, wenn die Parteien der Linken nicht mehr an der Regierung sind, die Gewerkschaften sich etwas mehr in Bewegung setzen würden, um diese Angriffe abzuwehren. De facto ist das nicht der Fall.

Die Gewerkschaften schlagen den Arbeitenden keinen Aktionsplan, keine Ermutigungsstrategie, vor, sondern tun, als ob sie eine Bewegung, die noch nicht einmal geboren ist, spalten wollten. Die Demonstrationen oder Aktionstage werden nicht nur einer Sektion nach der anderen vorgeschlagen - RATP, dann EDF-GDF, dann die Lehrer, dann Eisenbahn, ganz zu schweigen vom privaten Sektor-, aber jeder wird als einzelnes Ereignis präsentiert und keine Fortsetzung ist vorgesehen.

Es ist zum größten Teil deswegen, dass die Arbeiterklasse keine Perspektiven erkennt. Im privaten Sektor wissen die von Entlassung bedrohten Arbeiter nicht, wie sie Konzerne wie etwa Alcatel hindern können, die Anzahl der Arbeiter zu verringern.

Im öffentlichen Sektor, wo die Angriffe häufig unter dem Deckmantel der Privatisierung geschehen, können die Arbeitenden nur verwirrt sein, da die linke Regierung selbst so viel privatisiert hat und die Pläne für die jetzigen Privatisierungen vorbereitet hat, ganz abgesehen von verborgener Privatisierung, die darin besteht, bei der Post oder anderswo die Beschäftigten mit Beamtenstatus durch Arbeitenden zu ersetzen, die unter privatem Dienstrecht stehen.

Es ist deswegen für die Arbeitenden bestimmt schwieriger, ein Kampfziel zu erkennen, wenn man auf abstrakte Weise das Ende der Privatisierungen fordert, statt ganz konkret gegen die Angriffe gegen Löhne oder Ruhestand, die alle Arbeitenden betreffen, zu kämpfen. Es ist sogar in einigen Milieus der Gewerkschaften Mode, erneute Nationalisierungen als Schutz für die Arbeitenden anzufordern. Es ist gewiss nicht unmöglich, dass die Bourgeoisie in einer Krisensituation beschließt, dem öffentlichen Sektor privatisiertes Gut gegen Bares zurückzugeben. Das heißt aber nicht, dass dabei das Wohl der Arbeitenden garantiert ist. Es kann sogar ein Grund sein, den Arbeitenden im Name des "höheren Ziels der Nationalisierung" noch mehr Opfer aufzuzwingen. Man sollte sich an die Nationalisierung der Eisenindustrie unter Mitterrand erinnern!

Aber gerade deswegen müssten die Gewerkschaften einen Mobilisierungsplan vorschlagen, wenn sie, und sei es nur die CGT, den Widerstand der Arbeiter gegen die Angriffe vorbereiten wollten. Sie müssten versuchen, den Arbeitern Mut zu machen und ihnen eine Perspektive zu bieten. Es kommt nicht in Frage, hier in abstrakter Weise einen solchen Plan darzulegen. Aber das Jahr 1995 und seine Mobilisierungen, die, ohne es zu wollen, die Streiks von November-Dezember vorbereitet haben, kann uns davon eine Vorstellung geben.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch gehen die Initiativen von den großen Gewerkschaftsvereinigungen aus, es sei denn, es käme zu einer wahrhaften sozialen Aufruhr, worauf zurzeit aber nichts schließen lässt. Man hat es während des Aktionstages von EDF-GDF gesehen: Es war notwendig, dass alle Gewerkschaften zum Streik aufrufen.

Diese Tatsache begrenzt natürlich die Möglichkeiten unserer kleinen Organisation, direkt in der Sache einzugreifen. Sie hindert uns aber weder daran, für einen notwendigen, von allen Arbeitern geführten Kampf einzutreten, noch daran, von unserem Agitationspotential Gebrauch zu machen, damit die Aktions- oder Streiktage die Arbeiter ermutigen, statt ihnen einen zusätzlichen Grund zu geben, den Mut zu verlieren. Wir werden keinerlei Einfluss auf eine derartige Mobilisierung haben. Aber wenn wir die Arbeiter um uns herum auf diesem Gebiet überzeugen, werden wir unseren politischen Einfluss verstärken.

Und wir werden uns wie letztes Jahr an der Mobilisierung von Arbeitern beteiligen müssen, die wie die Menschen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung mit dem Rücken zur Wand stehen.

Im kommenden Jahr wird zum ersten Mal seit langem keine Wahl stattfinden.

Die nächsten Termine sind 2004 mit den EU- und Regionalwahlen, zwei Wahlen, bei denen es uns in der Vergangenheit gelungen ist, Abgeordnete zu haben. Wenn wir uns allerdings an diesen Wahlen beteiligen, was vielleicht Ende 2003 einen Vorwahlkampf notwendig machen wird, wissen wir noch nichts über die gesetzlichen Grundlagen dieser Wahl. Man kann dazu nur sagen, dass es, sollte es Veränderungen geben, bestimmt nicht zu einem gerechteren Wahlverhältnis kommen wird, da das eigentliche Ziel gerade darin besteht, die sogenannten kleinen Parteien im Namen der "Funktion der Demokratie" auszugrenzen!

Im kommenden Jahr werden keine Wahlen stattfinden. Wir müssen aber das aufnehmen, was uns die vergangenen Wahlen gebracht haben. Die Folge von Kommunal-, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen hat es uns ermöglicht, unseren Kreis ein wenig zu vergrößern, einen Kreis, der sich mit unseren Ideen identifiziert und mit uns die Schläge und Gegenschläge der Wahlkämpfe, ihre Hoffnungen, Enttäuschungen und Schwierigkeiten, wie etwa während der Maskerade der Wahl für Chirac, bei der wir gegen den Strom geschwommen sind, miterlebt hat.

Diejenigen, die bei uns geblieben sind, oft in Städten, wo wir bis zu diesem Zeitpunkt keine Existenz hatten, bilden eine Grundlage, um uns weiterzuentwickeln. Diese Leute zu überzeugen, sie an unsere Organisation zu binden und ihnen die kommunistischen Ideen, die wir bewahren, zu vermitteln: Dies sind wichtige Aufgaben und mit unseren üblichen Aufgaben sind sie für das nächste Jahr das Entwicklungsziel unserer Organisation.