Die Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems im Jahre 1987 (vom Lutte Ouvrière-Parteitag angenommerner Text - Dezember 1987)

Drucken
Die Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems im Jahre 1987
Dezember 1987

1) Mit dem Börsenkrach von Oktober 1987 ist die Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems in eine neue Phase geraten. Der Börsenkrach ist die allerletzte Form, die die Krise seit ihrem Anfang angenommen hat, aber er wird bald dazu beitragen, sie erheblich zu verschärfen.

2) In der ersten Woche des Börsenkrachs verschwand 10-mal soviel Geld wie der französische Etat. Und obwohl es Pausen gibt, oder sogar Zeichen von einer Ankurbelung der Wirtschaft, fallen überall die Kurse weiter.

3) Die praktisch sofortige Folge des Börsenkrachs war eine Währungskrise. Die zwei Krisen führen um so mehr zu einer einzigen Krise - die zur gleichen Zeit eine Börsen- und eine Währungskrise ist, als die vorhergehenden Phasen der Wirtschaftskrise seit mehreren Jahren schon einen einzigen Geldmarkt in der ganzen Welt geschaffen haben, und zwar ohne Hindernis, ohne Zollgrenzen, ohne Kontrolle der Staaten; einen Markt, wo gewaltige Geldmassen, auf der ganzen Erde im Augenblick verlegt werden können.

Die Geldmenge, die auf diesem Markt verlegt wird, hat nichts mit dem Wert der echten Güter zu tun, die auf dem internationalen Warenmarkt verlegen werden, insofern als das Verhältnis von 1 zu 50 ist.

4) Diese schwindelerregende Entwicklung des internationalen Geldmarktes selbst ist eine der Hauptfolgen der ersten Phase der Krise, und sogar das Mittel, welches das Großkapital sowie die Staaten fanden, um sie zu überwinden.

5) Die Krise, die mit ihren aufeinander folgenden Phasen, mit ihren Höhen und Tiefen jetzt seit ungefähr 15 Jahren dauert, kommt letzten Endes, wie alle Krisen des kapitalistischen Systems, daher, dass die unbegrenzte Entwicklung des Kapitals von einem bestimmten Zeitpunkt ab dagegen stieß, dass der Güter- und Warenmarkt, das heißt der zahlungsbedingte Konsummarkt, begrenzt war.

Gerade weil sie sich dessen bewusst waren, dass das das Wachstum der Absatzmärkte, die die sechziger Jahre gekennzeichnet hatte, zu Ende ging, versuchten 1973 die Ölkonzerne sich der neuen Situation anzupassen, die neuen Investitionen in der Produktion wurden beschränkt, die Produktion gebremst, die Preise erhöht, so dass der Profit trotz der Begrenzung des Absatzes weiter wuchs.

In diesem Sinn war die Ölkrise von 1973 - die scheinbar der Hauptfaktor war, der die erste Weltrezession der Nachkriegszeit in der Produktion auslöste -, zu gleicher Zeit ihre Vorwegnahme durch Ölkonzerne und eine Anpassung derselben an diese Situation.

6) Seit der Rezession von 1974/75 ist die Produktionsstagnation zur eigentlichen Existenzform der kapitalistischen Wirtschaft geworden. Das gesamte kapitalistische Bürgertum ist dem Beispiel der Ölkonzerne und genereller des Großkapitals gefolgt, und hat sich einer Situation angepasst, wo die Vergrößerung oder sogar die Erhaltung des Profits nicht mehr von der Erweiterung des Absatzes - also von der Erhöhung der Produktion kommen konnte. Seitdem hat sich diese Anpassung dadurch gekennzeichnet, dass die gesamten Produktionsinvestitionen beschränkt wurden - was wieder dazu beiträgt, dass der Markt enger wird -, dadurch, dass ein großer Teil der bestehenden Produktionskräfte selbst unbenützt wurden, und dass die Arbeitslosigkeit erheblich gewachsen ist.

7) Dass diese Geldmittel (die bekannten Petrodollar zuerst, und dann in Wirklichkeit alle Geldvermögen, ob in Dollar oder nicht, welche ihre Besitzer in die Produktion nicht investieren wollten) existierten und sich anhäuften, hat dazu beigetragen, dass der internationale Währungs- und Geldmarkt sich so stark entwickelte.

Das Bankwesen sowie die Staaten haben sehr dazu beigetragen, dass die von den Investitionen in die Produktion abgelenkten Geldmittel in alle Finanzsphäre gehen.

Das Bankwesen hat die Gelder in Kreditgeschäfte und Darlehen wieder gebraucht, die den Besitzern dieser Geldvermögen Gewinne einbringen konnten, die viel höher waren, ais diejenigen, die in der Produktion zu erwarten waren.

Was die Staaten betrifft, die mächtigsten unter ihnen haben Anleihen aufgenommen (oder sie haben die Staatsunternehmen wie EDF - französischer staatlicher Stromkonzern - dazu getrieben). Sie handelten so besonders, weil die Absatzmöglichkeiten zu eng waren; sie versuchten das durch staatliche Bestellungen auszugleichen (seit langer Zeit sind die Staaten -direkt oder durch die Staatsunternehmen- die einzigen, die in allen entwickelten Ländern in die Produktion investieren.)

Die Geldanleihen der armen Länder gingen nur teilweise oder gar nicht in die wirkliche Wirtschaft; oft dienten sie nur dazu, Waffenhändler fetter zu machen und sie erlaubten nebenbei der herrschenden Schicht des Landes Steuern zu erheben, ohne etwas zu produzieren.

8) Die künstliche Erweiterung des Marktes, die dieser Politik des leichten Kredits und der allgemeinen Verschuldung folgt, half ohne Zweifel dazu, die erste Wirtschaftsflaute zu überwinden. Das war aber nur ein Notbehelf, weil die Produktion im Jahre 1982 eine neue allgemeine Rezession kannte.

Es folgte aber daraus, dass die Staaten riesige Schulden haben und eine unwahrscheinliche Menge Währungen und Kredite sich angesammelt haben, (davon ein großer Teil hat Formen angenommen, die von den Staaten selbst absolut unkontrolliert und unkontrollierbar sind: Eurodollar...).

9) Seit mehreren Jahren ernährt sich diese übergroße Finanzsphäre von sich selbst. Die Staaten, die reichsten sowie die ärmsten, leihen sich Geld nur, um die Zinsen der früheren Schulden zu bezahlen, so erhöhen sie noch mehr die Kreditmasse. Nur eines unterscheidet sich: Die Staaten der armen Länder stehen seit dem Anfang der 80er Jahre am Rande des Bankrotts, es ist ihnen nicht nur unmöglich, ihre Schulden zu bezahlen, trotz der wachsenden Steuern, denen sie ihre Bevölkerung unterwerfen, aber es ist ihnen auch regelmäßig unmöglich, die einzigen Zinsen einfach zu bezahlen.

Die reichen Staaten, besonders die USA, deren Verschuldung größer als die der gesamten Dritten Welt ist, bilden immer noch einen Absatzmarkt für das Kapital, weil es nichts anderes gibt, und weil das Bankwesen mehr den reichsten Schuldnern vertraut, insofern als das ganze Banksystem Bankrott zu gehen droht.

Das Defizit des Etats der USA spielt heute die Hauptrolle, was die Entstehung neuer Kredite betrifft, in einer Welt, wo das System der Kredite und der Verschuldung jedoch schon überentwickelt ist.

10) Über jene wechselnden Formen und Techniken hinweg wäre diese Anpassung des kapitalistischen Systems an den stillstehenden Markt unmöglich gewesen, wenn die Arbeiterklasse nicht immer mehr ausgebeutet worden wäre, und wenn der Lohnanteil sowie der Anteil der sozialen und öffentlichen Ausgaben in den Staatseinkünften nicht immer kleiner geworden wäre.

Dass die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse sich wegen der wirtschaftliche Krise selbst und wegen der Politik des Bürgertums und dessen Regierung verschlechtern, sieht man absolut überall.

11) Was die gesamte Wirtschaft betrifft, hat überall diese Verminderung des Anteils der Arbeiterklasse am Nationaleinkommen erlaubt, dass die Einnahmen der Groß- und Kleinkapitals sich gut halten, im Kontext von einem Markt, der stillsteht, aber nicht zusammenbricht.

12) Was die Unternehmen betrifft, sind die wahren Löhne gesunken, und deshalb konnten die Unternehmen Gewinne einbringen, die mit denjenigen der Finanzsphäre zu vergleichen sind, ohne dass die Produktion zunahm: Das war die Basis des Aufliegens des Börsenmarkts.

13) Die Kettenreaktionen, Börsen- und Währungsreaktionen, die die Krise auslöste, werden von niemandem kontrolliert. Die Staaten verfügen heute über Mittel und Techniken, die viel größer sind ais die, welche die Staaten im Jahre 1929 zur Verfügung hatten, aber die Geldmassen, über die die Grossen Banken verfügen (auch in den mächtigsten Ländern) sind mit denen unvergleichbar sowie die Menge der Geldnassen ohne Kontrolle. Trotz all ihren Reichtümer sind die Eingriffe der Zentralbanken in Japan und in Deutschland unbedeutend um den Sturz des Dollars zu stoppen. In Wirklichkeit bleibt es den Staaten wie den kapitalistischen Gruppen nur eines übrig: warten und hoffen.

14) Die verschlungenen Folgen des Börsenkrachs und der Währungskrise, die Protektionismus-Reflexe, die die sie können entstehen lassen, können die Wirtschaft in eine neue Rezession treiben, die viel schlimmer wäre als diejenige, die ihr in diesen 15 Jahren voranbringen.

15) So droht dieses kapitalistische System, das sich Jahrhunderte von wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Fortschritten der Menschheit zunutze macht, und in den reichsten Ländern der Erde und deshalb über die ganze Welt herrscht, noch einmal in eine schlimme Produktionskrise zu stürzen. Eine Krise, deren Ursprung nicht die Armut der imperialistischen Länder - woher sie ausgegangen ist - sondern im Gegenteil der Überschluss an Reichtümer ist, weil das kapitalistische System und das Bürgertum unfähig sind, die Wirtschaft im Interesse der Gemeinschaft zu verwalten. Und das empört uns umso mehr!

Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte von technischen kapitalistischen Fortschritten werden so dazu geführt haben, dass die Spitzenprodukte dieser technischen Fortschritte den dunklen Gesetzen des Börsenmarktes dienen; das führt also letzten Endes dazu, dass der Börsenkrach sich so schnell wie das Licht und je nach den Computer-Zusammenstellungen verbreitet!

Während das Bürgertum sich der ganzen Kultur und aller Kenntnisse bemächtigt hat, während sie sich alle Grossen Geister kauft, da gestehen seine zuständigsten Kräfte, dass sie nicht verstehen, wie ihr eigenes System funktioniert und dass sie nichts gegen dessen Krise können.

16) Sogar in seiner Blütezeit konnte der Kapitalismus kein einziges der wichtigsten Probleme der Menschheit lösen. Im Gegenteil! Er hat die Ungleichheit, die Unterentwicklung und das Elend des größten Teils der menschlichen Gesellschaft vergrößert.

Es ist erleuchtend, wie die Entwicklung der Menschheit durch ein wirtschaftliches System gehemmt ist, das den blinden Marktgesetzen und der Suche nach dem Gewinn gehorcht.

Um zu einem Fortschritt der Menschheit zu gelangen, muss die Gesellschaft, die die Wissenschaft und die Technik so weit betrieben hat, dass sie den Himmel erobern kann, sein eigenes soziales Leben absolut beherrschen können.

Aber die beträchtliche Kluft zwischen der strengen Haltung, die die Menschen im Bereich der Wissenschaft und der Technik haben können, und ihrer totalen Abhängigkeit von den dunklen Kräften, die diese Aktien oder diese Währungen (die keine wirkliche Echtheit besitzen, abgenommen von derjenigen, die ihnen ein wahnsinniges soziales System gibt hinauf- oder hinabsteigen lassen, diese Kluft ist weder kulturell noch wissenschaftlich: Sie ist eine soziale Kluft. Die Zerstörung der kapitalistischen Gesellschaft ist lebensnotwendig für die menschliche Gesellschaft.

17) Damit diese Notwendigkeit endlich zur Wirklichkeit wird, muss das Proletariat bewusst ins politische Leben eingreifen, und zwar mit Kraft genug, um das Joch der alten Gesellschaft springen zu lassen.

Die verschiedenen Kämpfe, die das Proletariat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte geführt hat, und in denen es unterschiedliche Mobilisierungs- und Bewusstseinsniveaus aufwies, haben bis jetzt die Perspektive eines Umsturzes des Bürgertums in der ganzen Welt nicht öffnen können.

Aber die beginnende Krise enthält die Möglichkeit, die Dinge zu ändern. Indem es seinen Druck auf das Proletariat der ganzen Welt verstärken wird, wird das Bürgertum Kämpfe in der Arbeiterklasse hervorrufen, zur gleichen Zeit oder einer nach dem anderen, aber alle aus einem selben und einzigen Grund, in vielen Ländern, auch in den entwickelten imperialistischen Ländern

Die Verstärkung der Krise wird unvermeidlich zur Verstärkung des Klassenkampfes führen.

18) Im Laufe dieses Klassenkampfes wird das Proletariat zurück und vorwärts gehen; es wird Kämpfe verlieren, Halbsiege kennen... Alle Umwege kann man natürlich nicht voraussehen.

Das Problem bleibt zu wissen, ob das Proletariat fähig sein wird, sich in jenen zu kommenden Kämpfen, Leitungen zu geben, die bewusst die Einheit der Interessen des gesamten Weltproletariats verkörpern werden, und die konsequent die notwendige Politik führen werden, damit aus den zu kommenden sozialen Krisen die revolutionäre Welle sich entwickelt, die diesmal wird siegen können.

In der Krise besteht die Möglichkeit, dass eine revolutionäre Welle zur Welt kommt, die mit derjenigen zu verglichen wäre, welche dem ersten Weltkrieg folgte und zu der Machtergreifung von der russischen Arbeiterklasse führte; die auch mit derjenigen zu vergleichen wäre, die mitten in den 30er Jahren von den reformistischen und stalinistischen Parteien (mittels ihrer Volksfrontpolitik) erwürgt wurde, oder auch mit der Welle der Kolonialrevolutionen, die von nationalistischen Leitungen gefangen genommen wurden und von denselben bewusst von dem Weg zu der internationalen Revolution abgelenkt wurden.

Aber das Proletariat wird wahrscheinlich weniger überrascht werden - es hat Gründe dafür - als in den 30er Jahren, als es insbesondere vom Stalinismus wurde.

Und was das Proletariat der armen Länder betrifft, nachdem es zwei oder drei Jahrzehnte lang jene Staaten erlebt hat, die in den Unabhängigkeitskämpfen entstanden sind, wird es wahrscheinlich weniger Grunde haben, Illusionen in dem radikalen Nationalismus zu behalten.

19) Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Arbeiterklasse, und besonders die eines imperialistischen Landes wie Frankreich, in diese vor uns stehende Zeit der Verstärkung des Klassenkampfes völlig unvorbereitet eintritt. Sie ist noch nicht so weit, dass sie die Verspätung überwindet, die sie für die Verteidigung ihres Lebensniveaus genommen hat, und schon steht sie vielleicht - wegen dem Verlauf der Dinge - davor, dass sie sofort unbedingt auf der unmittelbaren politischen Ebene eingreifen muss.

Aber je stärker die Krise wird, desto tiefer werden sich die "einfachen" Probleme der Verteidigung der Arbeiterlebensbedingungen mit der Frage verschmelzen: Wer kontrolliert die Produktionsmittel und wer führt die Gesellschaft?

Damit das Lebensniveau der Arbeiterklasse geschützt wird, in dieser Zeit, wo der Krach und die Währungsprobleme drohen, die Inflation wieder in Gang zu setzen: Die Lohnverluste müssen eingeholt werden, durch eine allgemeine Erhöhung und eine gleitende Lohnskala.

Um zu verhindern, dass die Krise einen immer größeren Teil der Arbeiterklasse in die Arbeitslosigkeit und den Verfall treibt. die Arbeit muss unter allen ohne Verminderung der Löhne verteilt werden!

Das Bürgertum ist unfähig, die durch die Krise gebremsten Produktionen wieder zu beleben: Das Bürgertum muss enteignet werden, ohne Entschädigungen oder Rückkauf!

Das Bankwesen hat bis zum Wahnsinn einen finanziellen Markt entwickelt, der kolossale Gewinne einer Minderheit eingebracht hat, der aber jetzt die Produktion erwürgt. Die finanziellen Geldvermögen müssen enteignet werden! Die konkurrenzfähigen Banken müssen vereinigt und unter Kontrolle der Arbeiter gesetzt werden!