Gigantische Containerschiffe: der Welthandel ist einem Windstoß ausgeliefert (aus Lutte de Classe – Klassenkampf – von Mai 2021)

Gigantische Containerschiffe: der Welthandel ist einem Windstoß ausgeliefert
Juni 2021

Ende März ist das Containerschiff Ever Given gestrandet und hat die Durchfahrt des Suezkanals blockiert. Dieses Ereignis hat deutlich gemacht, wie anfällig der internationale Seehandel ist.

Allein schon die Größe des Schiffs mit seinen 400 Metern Länge und den tausenden darauf gestapelten Containern erklärt, warum das Schiff so anfällig für Windstöße ist und warum es den gesamten Suezkanal blockiert hat, als es sich schief legte.

Das Ereignis war vorhersehbar. Nicht nur, dass dutzende Schiffe dieser Größe über die Meere schippern, die alle ebenso empfindlich auf Windstöße reagieren, ebenso blind, taub und unfähig sind, alleine zu steuern. Die Ever Given selber war schon einmal vom Wind in den Hamburger Hafen getrieben worden und dort gestrandet.

Und dennoch war man in keiner Weise auf den Unfall vorbereitet. Es mussten erst Schlepper aus der Türkei und Dubai geholt werden, um das Schiff zu bergen. Auf beiden Seiten des Suezkanals, über den 12% des Welthandels läuft, saßen hunderte Schiffe fest. Dies führte zu serienweise Lieferverzögerungen, zu einer Spekulation auf die Spritpreise und diversen weiteren Aufwallungen an der Börse.

Wie ist es zu dieser absurden Situation gekommen, wo ein einfacher Windstoß einen solchen Ausfall in der Weltwirtschaft bewirken kann? Wie kommt es, dass – obwohl dieses Risiko bekannt ist – nichts unternommen wird, um es zu verringern? Was sagt dieses Ereignis über die kapitalistische Wirtschaftsordnung aus?

Container, Informatik und die Öffnung Chinas

Anfang der 1970er Jahre entstand eine neue Situation, bedingt durch den Containertransport, die computergesteuerte Logistik und die Entscheidung des chinesischen Staates, dem weltweiten Kapital seine Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Dass man die Waren auf einmal schon in der Fabrik in einen Container verpacken, diesen Container dann einfach auf die Schiene, die Straße oder den Kanal schicken und von dort aufs Schiffs verladen kann und am Zielhafen dieselben einfachen Handgriffe in umgekehrter Reihenfolge wiederholen konnte, bedeutete eine enorme Arbeitsersparnis.

Diese technische Errungenschaft brachte eine Neuorganisation der Arbeit in den Häfen mit sich. Sie bestand hauptsächlich darin, dass die Verbesserungen wieder zerstört wurden, die die Hafenarbeiter zumindest in den imperialistischen Metropolen in jahrzehntelangen Kämpfen errungen hatten. In Frankreich zum Beispiel wurde der Status der Hafenarbeiter geändert; seitdem haben die Gewerkschaften kein Mitspracherecht mehr bei den Einstellungen. In den darauffolgenden Jahren wurden die Privatisierung und die Umstrukturierung der Häfen unter dem Druck der Reeder fortgesetzt – ganz gleich, welche Partei gerade an der Regierung war. In den Handelshäfen wurden hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet, einige wurden mittels unerreichbarer Hürden geschlossen, die Arbeit wurde immer weiter automatisiert, alle Tarifverträge – von New York bis Barcelona, von Le Havre bis Rotterdam – wurden verschlechtert. Dies waren die Begleiterscheinungen, die mit dem Containertransport Einzug hielten.

Das Los der Seeleute folgte dem der Hafenarbeiter. Die Reeder erhielten das Recht, ihren Unternehmenssitz im Land ihrer Wahl anzumelden. Und sie erhielten das Recht, die Seeleute zum Tariflohn ihres Herkunftslandes zu bezahlen. Diese Praktiken, die es bis dahin nur auf den Schrottschiffen gab, ist nach und nach die Regel auf den modernsten Schiffen der reichsten Reedereien geworden. Es gibt zwar einen internationalen Mindestlohn, der derzeit bei 641 Dollar im Monat für 48 Stunden Wochenarbeitszeit liegt. Aber bei den seltenen Kontrollen auf einem der Schiffe wird regelmäßig festgestellt, dass nicht einmal dieser Mindestlohn eingehalten wird. Auf den großen Containerschiffen sind die Arbeitsbedingungen nicht ganz so schlecht geworden wie auf anderen Schiffen. Dieser Entwicklung wurden Grenzen gesetzt durch die Notwendigkeit, sehr qualifizierte Seeleute zu gewinnen, durch deren berechtigte Forderungen und durch den hohen Wert der Schiffsausrüstung und der Ladung. Doch nichts verbietet den Reedern, ganze Mannschaften mit einem einzigen Telefonanruf zu entlassen, wovon sie in den Krisen 2008 und 2020 in großem Stil Gebrauch gemacht haben.

Mit diesen technischen und sozialen Veränderungen wurde die Ausbeutung der chinesischen Arbeitenden bei der Herstellung von Waren für den westlichen Weltmarkt rentabel – in Anbetracht der Arbeits- und Lebensbedingungen, die das Regime bislang noch schafft, ihnen aufzuzwingen. Von da an wuchs die Zahl und die Größe der Containerschiffe parallel zur Anzahl und Größe der Freihandelszonen, die die chinesische Regierung eröffneten und die von den westlichen Kapitalisten genutzt wurden.

Die natürliche Tendenz, die Zahl der Container pro Schiff immer weiter zu erhöhen, wurde anfangs durch die Be- und Entladeschwierigkeiten begrenzt. Da die Schiffe bei jedem Zwischenstopp Container entladen und neue laden, ist die Reihenfolge, wie die Container gestapelt, entladen und geladen werden müssen, ein schwieriges mathematisches Problem. Umso mehr, da man auch ihr jeweiliges Gewicht berücksichtigen muss: Die schwersten Container müssen sich unten befinden. Die Informatik, die digitale Ortung der Container und eine beständige Unterstützung der Schiffe durch digitalisierte Logistikzentren der Mutterfirmen haben dieses Problem gelöst. Der Weg war frei für das heutige Wettrennen um die größten Containerschiffe.

Von 2.000 zu 20.000 Containern pro Schiff

Der Preis für den Transport eines Containers nimmt naturgemäß mit der Größe des Schiffes ab. Daher das beständige Bestreben, die Tonnage zu erhöhen. Dieser Wettlauf ist nicht ohne Folgen geblieben.

Je größer das Schiff, desto größer die Investitionskosten. Dies hat, wie auch sonst in der kapitalistischen Wirtschaft, zu einer Konzentration der Betriebe geführt. Nur die größten konnten vorankommen und sich die Summe von 70 bis 150 Millionen Dollar leihen, die für den Kauf eines gigantischen Containerschiffs notwendig ist. Die wachsende Größe der Schiffe bringt auch Probleme beim Schiffbau mit sich. Mehrfach wurde von merklichen Schwächen in der Konstruktion berichtet. Aber solange nicht eine größere Katastrophe öffentlich geworden ist, fährt man fort, immer größere Schiffe zu bauen.

Für diese großen Schiffe braucht man natürlich auch entsprechend große Häfen. Sie müssen entsprechend tief sein (16 Meter Wassertiefe für die größten Schiffe), die Kräne müssen entsprechend hoch, die Docks entsprechend lang, die Schlepper entsprechend leistungsfähig und zahlreich und die Lotsen entsprechend kompetent sein. Um ein Containerschiff der neusten Generation wie die Ever Given zu entladen, braucht man Kräne mit 60 Meter Reichweite: Sie müssen in der Lage sein, möglichst schnell bis zu 60 Tonnen schwere Container in 40 Meter Höhe vom Schiff zu holen – auch von den Stapeln, die am weitesten vom Dock entfernt sind. Man braucht mehrere solcher Kräne, die gleichzeitig am selben Schiff arbeiten, damit der Zwischenstopp im Hafen so kurz wie möglich ist. Der Austausch mehrerer hundert Container muss innerhalb weniger Stunden erfolgen, und sofort danach legt das Schiff wieder ab, Tag wie Nacht. Am 26. April lief die Jacques Saadé, das neuste Schiff der CMA-CGM, mit ihren 400 Metern Länge und 23.000 Containern in den Hafen von Le Havre ein. Am 29. legte es wieder ab, nachdem 6.000 Container getauscht worden waren. Eine komplette Tour mit Volldampf Asien – Europa und zurück (über den Suezkanal und Gibraltar) dauert dabei zwei Monate.

Die Staaten und Kommunen der jeweiligen Länder haben also einige Häfen für diese Riesenschiffe gebaut oder vergrößert und entsprechend ausgerüstet. Je größer ein Schiff ist, desto weniger Zwischenstopps macht es. Aber jeder Zwischenstopp wird durch öffentliche Gelder finanziert. Und bei jedem Zwischenhalt lädt ein Schwarm an LKWs die Container und fährt mit ihnen auf der Straße davon. Die Schiffe der Reederei CMA-CGM halten auf ihrer Asien-Europa-Route nach ihrer Einfahrt in den Ärmelkanal nur in Southampton, Dünkirchen, Rotterdam und Hamburg. Der Stückpreis für den Transport jeder Ware ist extrem niedrig, doch wie steht es mit den wirklichen – sprich gesellschaftlichen – Kosten, wenn man das in die Häfen und Straßen investierte öffentliche Geld hinzurechnet? Dünkirchen zum Beispiel hat 700 Millionen Euro investiert, damit die größten Schiffe seinen Hafen anlaufen können. Die Arbeiten zur Erweiterung des Suez- und des Panamakanals kosten Milliarden Dollar. Dunkerque, par exemple, a dépensé 700 millions d’euros pour pouvoir recevoir les plus gros navires. Rotterdam, der größte Hafen Europas, wird derzeit um ein Drittel vergrößert, und Antwerpen investiert, um ihm Konkurrenz zu machen.

Mit der Größe der Schiffe haben auch die Risiken der Seefahrt bedeutend zugenommen. Regelmäßig wehen Windstöße Container über Bord, die auf unterschiedlichste Weise die Umwelt verschmutzen. Die im Meer umherschwimmenden herrenlosen Container provozieren auch Unfälle und sind eine Gefahr für die anderen Schiffe. So hat zum Beispiel die MSC Zoe, ein neues, von einer der größten Reedereien ausgestattetes Schiff, in der Nacht zum 1. Januar 2019 in der Nordsee 270 Container verloren. Einige enthielten gefährliche und potenziell explosive Stoffe. Andere schwammen tagelang im Meer, auf einer der befahrensten Routen der Welt, bevor sie untergingen oder rausgefischt wurden. Im Jahr darauf verlor die One Apus sogar 1.800 Container auf einen Schlag, allerdings mitten im Pazifik. Die Versicherungsgesellschaften schätzen, dass jedes Jahr 10.000 bis 15.000 Container über Bord gehen. Die Schätzungen verschiedener NGOs liegen noch deutlich höher. Dies ist wenig angesichts der mehr als 200 Millionen Container, die im Umlauf sind – wenig zumindest solange, bis eine Katastrophe passiert.

Der Inhalt der Container wird nur selten kontrolliert angesichts der hohen Zahl der geladenen Container insgesamt, der hunderten, ja tausende pro Zwischenstopp getauschten Container, der Notwendigkeit, dass alles schnell gehen muss und der geringen Skrupel der Behörden. Der Reeder und der Kapitän, der ihn vertritt, interessierten sich für den Empfänger des Containers, vielleicht noch für sein Gewicht, aber nicht für seinen Inhalt. Aus diesem Grund ist es auf Containerschiffen bereits mehrfach zu Bränden gekommen, die von Containern unbekannten Inhalts ausgingen und die manchmal sogar zur vollständigen Zerstörung des Schiffes führten. Die Grande America zum Beispiel ist am 12. März 2019 in der Nähe von La Rochelle gesunken, nachdem einer ihrer Container spontan in Flammen aufgegangen ist. Die Seeleute konnten ihre Haut retten, aber dies ist längst nicht immer der Fall bei den über 50 Bränden dieser Art, die es seit 2005 gab.

Auf dieser Art von Containerschiffen hat die Mannschaft absolut keine Möglichkeit, eine kippende Ladung wieder aufzurichten oder ein Feuer zu bekämpfen. Die Mannschaft ist übrigens auf das absolute Minimum reduziert worden. Zwischen 15 und 20 Seeleute, in der Regel hochqualifiziert, überwachen den Zustand des Motors, die Route, die Be- und Entladung. Sie stehen in permanentem Kontakt mit dem Reeder. Sie haben keinerlei Entscheidungsfreiheit und keinerlei Möglichkeiten, im Falle eines Notfalls einzugreifen.

Auch für die Hafenarbeiter bergen die unkontrollierten Container Risiken. Die Container, die bei der Abfahrt nicht kontrolliert wurden, werden manchmal bei der Ankunft kontrolliert. Immer wieder kommt es hierbei zu Unfällen, da 15-20% der Container giftige Stoffe, Insektenschutzmittel oder Mittel gegen Pilzbefall enthalten, um die Ladung zu schützen, Lacke für das Mobiliar usw. Erst nachdem schwere Vergiftungen mit Todesfolge unter den Hafenarbeitern zu mehreren Streikbewegungen geführt haben, haben diese die Hafenbehörden gezwungen, zum Beispiel in Antwerpen Sicherheitsmaßnahmen einzurichten.

Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht in dem juristischen Status des Containers. Dieser Status ist Gegenstand zahlreicher Prozesse und einer Handvoll Gesetze. Wer ist verantwortlich für den Container, wer bezahlt, wenn der Container verloren geht oder Unfälle verursacht? Der Versender des Containers oder sein Empfänger? Die Firma, die den Transport organisiert oder die, die ihn durchführt? Der Reeder oder der Befrachter? Die Mannschaft? Aber wer von ihnen genau, da die Seeleute von verschiedenen Firmen angeheuert werden können, mit unterschiedlichen Verträgen – so wie an jedem anderen Arbeitsplatz und aus denselben Gründen. Die Vielzahl der Arbeitsverträge und auch der Sprachen sind an sich bereits eine Gefahrenquelle, wenn man in einer Notsituation schnell und koordiniert reagieren muss.

Das Bild wäre nicht vollständig, wenn man nicht noch die Umweltverschmutzung und das Risiko von Schiffbrüchen erwähnen würde. Die Motoren der Containerschiffe fahren immer noch mit Schweröl. Sie verursachen eine Verschmutzung, deren Auswirkungen auf das Leben im Meer bislang noch unbekannt sind, aber die jetzt schon die Anwohner in der Nähe der großen Häfen vergiften. Die Reeder bekommen bedeutende staatliche Subventionen dafür, dass sie ihre Flotten mit Filtern ausstatten oder ihre neuen Schiffe mit Gas betreiben. Aber bislang bleiben ihre Schiffe eine der wichtigsten Quellen der Umweltverschmutzung.

Auch kann das Risiko, dass eines dieser riesigen Containerschiffe in einer viel befahrenen Meerenge wie dem Ärmelkanal Schiffbruch erleidet, nicht ausgeschlossen werden. Es heißt, dies sei der Alptraum der Versicherungsgesellschaften. Denn jedes dieser Monster-Schiffe samt Ladung ist zwei Milliarden Dollar wert. Das Meer ist zwar groß. Aber es gibt letztlich nur wenige Häfen, und aufgrund der geographischen Gegebenheiten, der Strömung und des Wetters nehmen die Schiffe immer dieselben Routen, passieren dieselben Meerengen oder sogar enge Kanäle wie den Suez- und den Panamakanal, und sie fahren alle durch dieselben engen Zufahrten in die Häfen wie im Ärmelkanal oder bei Ouessant. Natürlich ist der Verkehr hier geregelt, die Geschwindigkeit ist begrenzt und alle Schiffe werden permanent auf großen Bildschirmen überwacht. Aber selbst so reiche Staaten wie Frankreich oder Großbritannien weigern sich, Hochsee-Schlepper zu finanzieren, die stark genug sind, um ein Riesenschiff aus einem Sturm im Ärmelkanal herauszuholen. Nach zwei Schiffbrüchen im Dezember 2007 erklärte der für die Seefahrt im Atlantik zuständige französische Präfekt, dass angesichts der immer größeren und schnelleren Schiffe und der wachsenden Zahl an Schiffen im Ärmelkanal weitere Schiffbrüche sehr wahrscheinlich seien. Und dass es nicht sicher sei, dass man über Schlepper verfüge, die eine Katastrophe verhindern können. Im Sommer 2020 scheiterten Verhandlungen zwischen Frankreich und Großbritannien: Mit dem Ergebnis, dass die Schlepperkapazitäten noch verringert werden, während Größe und Zahl der Schiffe weiter zunehmen. Am 29. April vergab der französische Staat die Konzessionen für die Hochseeschlepper erneut. Er gibt hierfür 12 Millionen Euro pro Jahr aus. Eine unzureichende Summe, so der Reeder, um die 40 Jahre alten Schlepper zu ersetzen. Er beschränkt sich daher darauf, zwei Schiffe zu erwerben, die weniger als 10 Jahre alt sind, und die dort nötigen Arbeiten durchzuführen. Wie in so vielen Bereichen ziehen sich die Staaten zurück, während die Gefahren zunehmen.

Zwischen 1970 und heute hat sich die weltweite Produktion verdreifacht, der Warentransport per Schiff hat sich in der gleichen Zeit jedoch versechsfacht und der Schüttguttransport (von Erzen usw.) sogar versiebenfacht. Der Seehandel hat somit eine immer entscheidendere Stellung im Weltwirtschaftssystems eingenommen. Ein Containerschiff hatte im Jahr 1970 2.000 Container geladen, 8.000 im Jahr 1990 und mehr als 20.000 heute. Mehr als 5.000 dieser Containerschiffe schippern derzeit auf dem Meer, darunter 150 Riesenschiffe mit mehr als 18.000 Containern. Für die gleiche Menge an transportierter Waren indes ist heute nur noch ein Vierzigstel der Beförderungszeit von 1970 notwendig, nur noch ein Hundertstel der Seeleute von 1970 und nur noch ein Drittel des Treibstoffs.

Die Auswirkungen der Krisen

Während der Finanzkrise von 2008, die einen massiven Einbruch der Produktion und des Handels zur Folge hatte, wurde die Branche von Panik erfasst. Es gab einige aufsehenerregende Pleiten, darunter die der siebtgrößten Reederei der Welt mit 94 Containerschiffen. Zahlreiche Schiffe wurden monatelang stillgelegt und lagen in Asien vor Anker. Die CMA-CGM legte beispielsweise 50 ihrer 400 Schiffe still. Einige Schiffe wurden gar verschrottet, bevor sie ihr Höchstalter erreicht hatten. Als der Handel wieder an Fahrt gewann, kam eine neue Generation noch größerer und noch teurerer Schiffe auf den Markt, was zu einer Serie von Übernahmen, Fusionen und Allianzen und damit zu einer bedeutenden Kapitalkonzentration in diesem Sektor führte. Seit 2016 beherrschen nur noch drei Konzerne den Markt; sie besitzen 80% der Schiffe. Die drei größten Reeder Maersk, CMA-CGM und MSC verfügen über die größten Schiffe, die größte Ladekapazität und die Verträge mit den großen Häfen. Diese Monopolstellung ermöglicht es ihnen, Druck auf ihre Kunden und Lieferanten, auf Staaten und Häfen auszuüben. So haben sie sich zum Beispiel abgesprochen und die Schlepper gezwungen, ihre Tarife zu senken. Genau wie in anderen Branchen erdrosseln die Konzerne die Subfirmen. Es ist interessant, dass die EU-Kommission, die im Ruf steht, das Konkurrenzrecht wie ein Schießhund zu bewachen, zwei Mal den Fusionen der Reedereien zugestimmt hat.

Bei der Krise, die im Frühjahr 2020 auf den Beginn der Pandemie folgte, sprachen sich die drei Konzerne ab, um einen Preiskrieg zu verhindern, indem sie gemeinsam das Angebot an Schiffen verringerten. Ihren Mannschaften ging es wie so vielen: Da ihre Ablöse in den Häfen feststeckte und die Grenzen nicht überqueren durfte, waren hunderttausende Seeleute an Bord gefangen und arbeiteten weiter, weit länger als die 12 Monate, die eigentlich maximal erlaubt sind. Weitere Hunderttausende blieben ohne Heuer und damit ohne Lohn, zum Teil tausende Kilometer von zuhause entfernt. Die Reeder hingegen haben ihr Vermögen geschützt.

Als der Handel ausgehend von China wieder an Fahrt aufnahm, entschied sich das Kartell der drei Konzerne dafür, das Angebot an Frachtschiffen weiterhin zu begrenzen, wodurch die Transportpreise stiegen. Auf diese Weise gelang es ihnen, ihre Gewinne sogar noch zu steigern, obwohl sie weniger Schiffe fahren ließen und manche Zwischenstopps strichen. Im Dezember 2020 waren noch immer 453 Containerschiffe stillgelegt. Der durchschnittliche Preis für den Transport eines Containers hingegen hatte sich gegenüber 2019 vervierfacht.

Was einer Handvoll Reeder stattliche Gewinne ermöglichte, war für den Rest der Welt ein sehr schlechtes Geschäft. Denn die Container transportieren nicht nur fertige Produkte, die einzig von den Händlern und Verbrauchern erwartet werden. Sie transportieren auch eine wachsende Zahl an Halbfertigprodukten, die für die Fabriken aller Branchen unverzichtbar sind. Die Verzögerung des Transports führt zu einer Unterbrechung des Produktionsprozesses. Seit letztem Herbst haben zahlreiche Unternehmer unabhängig von Größe, Land oder Branche Lieferverzögerungen und eine bedeutende Erhöhung der Transportkosten konstatiert. Ein französischer Unternehmer erklärte, dass ihm die Miete eines Containers, die ihn vorher 3.000 oder 4.000 Dollar kostete, nun für 10.000 Dollar angeboten werden. Und wenn jemand mehr böte, würden dessen Waren zuerst verschifft. Die Michelin-Fabrik in Cholet musste aufgrund der verzögerten Lieferung von Naturgummi aus Asien seine Produktion drosseln. In Marokko musste die industrielle Kleiderherstellung aufgrund fehlender Knöpfe, Stoffe, Reisverschlüsse etc. gedrosselt werden, die in China hergestellt werden und mangels freier Container nicht nach Marokko geliefert werden konnten. Zur gleichen Zeit steckte sich CMA-CGM sechs Milliarden Euro Gewinn in die Tasche, 62% mehr als im Vorjahr. Die Gewinnsteigerungen der beiden Konkurrenten waren ähnlicher Größenordnung, und alle blicken optimistisch auf die Zahlen im laufenden Jahr.

Diese Monopolstellung ist mittlerweile einer der vielen Faktoren, die zur Instabilität der Weltwirtschaft beitragen und die kapitalistische Wirtschaft bedrohen. Eine weitere Gefahr neben all denen, die durch das Streben nach immer größeren Containerschiffen entstanden sind.

Die Macht der Seefahrt-Konzerne ist dadurch gewachsen, dass sie die Verlagerung eines Teils der Produktion in neue Fabriken in Asien und vor allem in China begleitet haben sowie der darauffolgenden Integration deren industrieller Produktion in den Weltmarkt. Sie haben nun den Daumen auf der Schlagader der Weltwirtschaft und haben vor, davon weidlich zu profitieren. Das Grundproblem ist jedoch nicht die Entwicklung des Monopols und die Gefahren, die es für die Weltwirtschaft bedeutet. Es ist nicht einmal das Risiko von Unfällen, größeren Umweltverschmutzungen oder industriellen Katastrophen, die die verantwortungslosen Reeder und die Regierungen, die ihnen zu Füßen liegen, in Kauf nehmen. Das grundlegende Problem besteht darin, dass die Macht der Reeder, oder genauer gesagt das Wirtschaftssystem, von dem sie Zeugnis ist, die Entwicklung der Menschheit hemmt – sogar dann, wenn es hochmoderne Techniken einsetzt. 1920 schrieb Lenin in einem Vorwort zur deutschen Ausgabe seiner Imperialismus-Broschüre: „Der Bau von Eisenbahnen scheint ein einfaches, natürliches, demokratisches, kulturelles, zivilisatorisches Unternehmen zu sein: Ein solches ist er in den Augen der bürgerlichen Professoren, die für die Beschönigung der kapitalistischen Sklaverei bezahlt werden, und in den Augen der kleinbürgerlichen Philister. In Wirklichkeit haben die kapitalistischen Fäden, durch die diese Unternehmungen in tausendfältigen Verschlingungen mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln überhaupt verknüpft sind, diesen Bau in ein Werkzeug zur Unterdrückung von einer Milliarde Menschen (in den Kolonien und Halbkolonien), d.h. von mehr als der Hälfte der Erdbevölkerung in den abhängigen Ländern, und der Lohnsklaven des Kapitals in den ‚zivilisierten‘ Ländern verwandelt.“ Man kann heute dasselbe von den Reedern des 21. Jahrhunderts sagen.

3. Mai 2021