Arbeitslose: die permanente Reservearmee des Kapitals (aus Lutte de Classe – Klassenkampf – von September 2020)

Arbeitslose: die permanente Reservearmee des Kapitals
September 2020

Die Corona-Pandemie hat die Krise der kapitalistischen Wirtschaft beschleunigt und vertieft. Sie hat große Teile der ausgebeuteten Klassen in Arbeitslosigkeit gestürzt. Zig Millionen Arbeiter in den USA, der führenden imperialistischen Weltmacht, haben ihre Arbeitsplätze verloren. Und wie viele mehr, die schon vorher keine Arbeit fanden, werden in der nun anbrechenden Zeit nicht in der Lage sein, eine Arbeit zu finden? Nicht anders sieht es in der EU aus und das trotz der Einführung der Kurzarbeit in der Mehrzahl ihrer Mitgliedsländer, die die sofortigen Folgen etwas abmildert. Bezogen auf die ganze Welt sind die Lebensgrundlagen einer unzählbar großen Zahl an Arbeitern, Selbständigen, Scheinselbständigen, Händlern, Kleinbauern bedroht.

Arbeitslosigkeit in der kapitalistischen Produktionsweise

Als Marx und Engels in der Zeit des Anwachsens der kapitalistischen Produktivkräfte den Fortbestand großer Kontingente von Arbeitslosen beobachteten, die aus den Betrieben rausgeworfen oder in diese nicht eingelassen wurden, sprachen sie von einer industriellen Reservearmee, die der Bourgeoisie in ihrem Kampf gegen die Arbeiterklasse zur Verfügung steht. Der Begriff betonte, wie gewalttätig die Beziehungen zwischen den Klassen waren, und dass sie keinen anderen Ausgang haben konnten als einen Kampf auf Leben und Tod. Er unterstrich auch ein großes Problem der Arbeiterklasse: Wie kann man der, von der Bourgeoisie den Arbeitern aufgezwungenen Konkurrenz untereinander, entgegentreten. Wie kann man verhindern, dass die Isoliertesten, die am wenigsten Bewussten, die Hungrigsten von den besitzenden Klassen angeworben werden, und wie kann man diesen Teil der Arbeiterklasse zum gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus und für den Kommunismus gewinnen?

Die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus zeigten, dass die Arbeitslosigkeit alles andere als ein Unfall oder ein unvorhersehbares Begleitphänomen war, sondern dass sie ein untrennbarer Bestandteil der kapitalistischen Produktion ist. Es ist ein spezifisches Merkmal der Lohnarbeit, jede Hemmnis beseitigt zu haben, die der Freiheit der Unternehmer, Arbeiter einzustellen oder zu entlassen im Wege steht. Engels war der Erste, der in „Die Lage der arbeitenden Klassen in England“ 1845 die Rolle dieser „Reservearmee unbeschäftigter Arbeitskräfte“ aufgezeigt hat.   

Einerseits ermöglichte sie, die Produktion in Zeiten starker Aktivität zu steigern, indem man Arbeitende einstellen konnte, und gleichzeitig ließ sie dabei dem Unternehmer freie Hand, in Zeiten verminderter Aktivität einen Teil der Arbeitskräfte auf die Straße zu werfen. Diese Reserve präzisierte Engels, „das ist die `Überschussbevölkerung`… die bettelnd und stehlend die Straßen durchstreifend, Unrat sammelnd, mit Schubkarren oder einem Esel kleine Transporte durchführend, an den Straßenecken verkauft oder kleine Gelegenheitsarbeiten ausführend, mühselig vor sich hin vegetiert.“

Andererseits erlaubte die Existenz dieser Reserve der Bourgeoisie einen permanenten Druck auf die Arbeitenden auszuüben, indem sie all denjenigen, die ihr Widerstand leisteten, drohte, sie durch andere zu ersetzen, die begierig nach einem Lebensunterhalt suchen. Gleichzeitig konnte sie so die Löhne auf jenes kleinstmögliche Minimum reduzieren, das zur Wiederherstellung der Arbeitskraft ausreicht. Die „Könige der Bergwerke und Eisenbahn“ (aus Strophe vier der „Internationale“, in der französischen Fassung) setzten das auf materielle, körperliche und moralische Not reduzierte Lumpenproletariat gegen die Arbeiter ein. Die Arbeiterbewegung musste einen langen Kampf führen, um diese Streikbrecher zu neutralisieren, oder sie für sich zu gewinnen.

Diese Reservearmee wurde auch durch die Landflucht genährt. Ländliche Gebiete wurden entvölkert, wenn in Ländern die Industrialisierung im Eiltempo voranschritt. Unter dem Druck des westlichen Kapitalismus kam es 1861 zum Ende der Leibeigenschaft in Russland und in den USA wurde vier Jahre später die Sklaverei abgeschafft. So wurden hier wie dort Millionen bisher an das Land gebundene und dem Joch der Grundbesitzer unterworfene Arbeitskräfte freigesetzt. Die kontinuierliche Ankunft und Wanderung von Migranten in Länder, wo sich die Industrie intensivierte, stellte eine weitere Quelle dar, die diese Reserve nährte. Da schon gelang es den sozialistischen Aktivisten und ihren Organisationen nach und nach und nicht ohne Schwierigkeiten und Kämpfe, die Idee durchzusetzen, dass die Proletarier eine einzige gemeinsame Klasse bilden, deren Zusammenhalt gestärkt durch ein revolutionäres politisches Programm, sie unbesiegbar machen würde.

„Eine Triebfeder der Produktion von Wohlstand“

Im Kapitel xxv des ersten Bandes des Kapitals (1867) kehrt Marx zu diesem Mechanismus der „Steigerung der Produktion einer relativen Überbevölkerung oder einer industriellen Reservearmee“ zurück. Er sieht sie als eines der Gesetze der kapitalistischen Akkumulation, „eine regelmäßige Quelle der Produktion von Reichtum“. Marx zeigt, dass diese Überbevölkerung, die mit dem Aufstieg der kapitalistischen Großindustrie zusammenhängt, für die Bourgeoisie in verschiedenen Phasen des Reproduktionsprozesses des Kapitals unverzichtbar ist: Bis zu dem Grad, dass sie „eine Bedingung für die Existenz der kapitalistischen Produktion“ bildet, „eine industrielle Armee, die dem Kapital so absolut gehört, als ob es sie auf eigene Kosten aufgezogen und diszipliniert hätte“, und die „menschliche Materie liefert, die immer ausbeutbar und immer verfügbar ist“.

Ihre Existenz erklärte sich zum Teil aus technischen Gründen, wie dem Anstieg der Mechanisierung und der Produktivität, vor allem aber aus dem anarchischen Charakter der kapitalistischen Wirtschaft: Die Existenz einer Masse von Arbeitslosen war für das Großkapital unabdingbar, um neue Produktionszweige zu entwickeln, um qualifizierte Arbeiter durch weniger qualifizierte zu ersetzen, um den chaotischen Bewegungen der Märkte zu folgen, die sie im Nachhinein  und im Wettbewerb zwischen den Kapitalisten auf nationaler und zunehmend auch auf internationaler Ebene regulieren.

Diese unterbeschäftigte Masse, so Marx, habe immer mit „dem Arbeitsübermaß koexistiert, der auf den Teil der im Arbeitsprozess steht“, den Druck erhöht und die Arbeiter zwingt, „sich den Befehlen des Kapitals gehorsamer zu unterwerfen“.  Ohne den Widerstand der Arbeiter führt die Nichtausbeutung arbeitslos Gewordener automatisch zur Überausbeutung der arbeitenden Proletarier und diese wird immer weiter verstärkt.

Im selben Kapitel des Kapitals zitiert Marx ein Flugblatt aus dem Jahr 1863, das von Arbeitern der Textilfabriken von Bolton im Gebiet von Manchester verfasst wurde und gegen den Willen der örtlichen Unternehmer protestierte, ihre Arbeitszeit von 12 auf 13 Stunden pro Tag zu erhöhen, obwohl Tausende ihrer Gefährten auf der Straße standen: „Die Opfer exzessiver Arbeit spüren die Ungerechtigkeit ebenso wie diejenigen, die zum erzwungenen Müßiggang verurteilt sind. Wenn die Arbeit gerecht verteilt würde, gäbe es in diesem Distrikt genug Arbeit, um jedem seinen Anteil zu geben. Wir bitten nur um unser Recht, wenn wir unsere Meister einladen, den Tag generell so lange zu verkürzen, wie die gegenwärtige Situation anhält, anstatt einige von ihnen mit Arbeit zu erschöpfen und andere aus Mangel an Arbeit zu zwingen, von der Nächstenliebe zu leben.“

Angesichts des „es ist notwendig, mehr zu arbeiten“ der damaligen Bourgeoisie antworteten sie mit der Forderung des gesunden Menschenverstandes nach einer Verteilung der Arbeit auf alle Hände.

Für Marx und all jene allerdings, die den von ihm skizzierten kommunistischen Perspektiven treu blieben, konnte der einzige Weg zur Beendigung der Arbeitslosigkeit und all der anderen Geißeln der kapitalistischen Ausbeutung nur die Abschaffung der Lohnarbeit sein. Die Forderungen, den Griff der Ausbeutung etwas zu lockern, waren aus dieser Perspektive untrennbare Kampfziele.

Die Arbeitslosigkeit im Todeskampf des Kapitalismus 

Im Lauf des 20. Jahrhunderts sind die Arbeitslosigkeit und alle Formen der Unterbeschäftigung, die sie begleiten, quasi permanente Merkmale der kapitalistischen Wirtschaft geblieben. Und die revolutionär kommunistischen Aktivisten sind ständig mit diesem Problem konfrontiert.

1917, angesichts des Zusammenbruchs der kapitalistischen Wirtschaft und der Gefahren des Hungers, hat die russische Arbeiterklasse mit der Durchsetzung der Arbeiterkontrolle in der Mehrzahl der großen Betriebe geantwortet. Sie tat dies mittels ihrer Organisationen, den Fabrik-Komitees und Sowjets: Kontrolle von Einstellungen und Entlassungen, der Arbeitszeit und ganz allgemein der Produktion. Dies geschah in der Mehrheit der Großbetriebe noch vor der von der bolschewistischen Partei angeführten Machtergreifung im Oktober.

Der Verlauf der Krise der 1930er Jahre mit der Massenarbeitslosigkeit, die fast ein Drittel der Arbeiter betraf, wurde zum konkretesten und brutalsten Symptom des Grades der Verrottung einer Wirtschaft, die auf Privatbesitz an Produktionsmitteln und dem Profitgesetz basiert.

Wie alle Überproduktionskrisen des Kapitalismus führte auch diese Große Depression zur Zerstörung oder Stilllegung riesiger Produktivkräfte, Rohstoffe und Ernten, die auf den Märkten keine Käufer fanden. Der Staat kam der Bourgeoisie zu Hilfe, in der brutalen Form des Faschismus und Militarismus in mehreren europäischen Ländern, insbesondere Deutschland, und in Form der Politik großer öffentlicher Arbeiten und massiver Finanzspritzen in das Bankensystem mit dem New Deal in den Vereinigten Staaten. Am Vorabend des zweiten Imperialistischen Weltkriegs waren jedoch nach offiziellen Angaben immer noch über 10 Millionen arbeitslos, d.h. fast 17% der arbeitsfähigen Bevölkerung. Nur der Marsch in den Krieg und die Militarisierung der Gesellschaft schuf hier irgendwie „Abhilfe“. Aber sie stürzte die Menschheit wieder in eine Barbarei, die noch tödlicher war als die, die die Welt ein Vierteljahrhundert zuvor verwüstet hatte.

Der relative Aufschwung der Produktion nach dem Zweiten Weltkrieg führte zum relativen Verschwinden der Arbeitslosigkeit in den wichtigsten Hochburgen des Imperialismus. In mehreren Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, wo dieser Zustrom in den 1920er Jahren gestoppt war, musste die Bourgeoisie sogar wieder auf Immigranten als Reservearmee zurückgreifen. Dies umso mehr, da das Land bereits weitgehend seiner lebendigen Kräfte beraubt war und ihm nicht mehr die fehlenden Arbeitskräfte stellen konnte.

Doch Anfang der 1970er Jahre schlug die Überproduktionskrise mit ihrer Spur von Bankrotten und Entlassungen, die nach Ansicht vieler Wirtschaftswissenschaftler der Vergangenheit angehörten, erneut zu.

Und seither haben Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung trotz der kurzen Erholungsphasen in Produktion und Handel, die vor allem mit einer neuen Phase der Globalisierung zusammenhängen, nie aufgehört, die Lage der Arbeitenden zu belasten. In der mächtigsten imperialistischen Großmacht, den USA, verbargen offizielle Daten bis in die letzten Monate die zunehmende Verarmung eines großen Teils der Arbeiter hinter einer so genannten Vollbeschäftigung. Diese definieren die Wirtschaftswissenschaftler so, dass Vollbeschäftigung existiert, wenn die Arbeitslosenquote unter 3% oder sogar 5% liegt.

Allen Regierungen steht eine breite Palette von Instrumenten zur Verfügung, um die Arbeitslosigkeit zu „regeln“ oder „den Trend umzukehren“. Die ältesten Arbeiter werden in den Vorruhestand versetzt oder von der Arbeitssuche freigestellt, andere werden in die Erwerbsunfähigkeit gedrängt oder von Weiterbildungsmaßnahme zu Weiterbildungsmaßnahme getrieben und aus der Statistik gestrichen.

Diese statistische Tarnung ging mit wiederholten Angriffen auf die Arbeiter einher: drastische Einschränkung der Rechte und Sozialleistungen für Arbeitslose, Infragestellung des Arbeitsrechts und zahlreiche gesetzliche Beschneidungen des Kündigungsschutzes, auch im öffentlichen Dienst, Flexibilität der Arbeitszeiten, generelle Verallgemeinerung der erzwungenen Teilzeitarbeit, Einfrieren der Löhne usw. Überall kann man die gleiche Tendenz zu beobachten, da bisher eine massive Reaktion der Arbeiter ausbleibt. Die entwickelten Länder, in denen die offiziellen Arbeitslosenzahlen zurückgegangen sind, sind diejenigen, in denen diese Politik nach dem Beispiel der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Deutschlands oder der Niederlande am weitesten vorangetrieben wurde. In den meisten Fällen geschah dies mit passiver oder sogar aktiver Komplizenschaft der Gewerkschaftsbürokratien. Symbole für diese Entwicklung sind die Null-Stunden-Verträge in Großbritannien, bei denen der Arbeiter dem Unternehmer zur Verfügung stehen muss, ohne dass dieser ihm eine Mindestarbeitszeit garantiert, oder die Hartz-Reformen in Deutschland Anfang der 2000er Jahre, die es Unternehmern ermöglichen, Lohnabhängige für 1 Euro pro Stunde einzustellen. Diese Gesetze haben über zehn Millionen Beschäftigte zu armen Arbeitern gemacht.

In Frankreich hat sich diese prekäre Situation in einer Explosion von befristeten Verträgen und Zeitarbeit manifestiert, die nach und nach Millionen von Arbeitern, vor allem die jüngsten, in eine neue Reservearmee verwandelt hat, die für die Unternehmer jederzeit verfügbar, aber auch ex- und-hopp wegwerfbar ist. Infolgedessen ist der Anteil der befristeten Verträge so weit gestiegen, dass er im Jahr 2017 87% der Neueinstellungen ausmachte. Fast ein Drittel dieser Verträge gilt nur für einen einzigen Tag!

Überall sind außerdem neue Formen moderner Sklaverei aufgetaucht, wie der Status der Scheinselbstständigen, der selbstständigen „Ein-Personen-Unternehmer“ und der „uberisierten“ Arbeiter, und andere Formen der Verschlechterung des Status der Arbeiter, die die wachsende Unterbeschäftigung nur schlecht verbergen.

Im Grunde erscheint die relative Vollbeschäftigung der 1950er bis 1970er Jahre nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und dem Tod von zig Millionen Arbeitern nur als eine Zwischenphase zur Vorbereitung auf die nächste Krise. In dieser gehen nun die wenigen Schranken der Ausbeutung, die von den reichsten Bourgeoisien der imperialistischen Welt akzeptiert wurden, einer nach dem anderen in die Brüche.

Zu einer allgemeinen und dauerhaften Kurzarbeit?   

Diese Angriffe haben auch die Form einer Art Institutionalisierung der Kurzarbeit angenommen. In Frankreich gehen die ersten Maßnahmen zur Bewältigung von „Störungen bei der Versorgung von Industriebetrieben mit Rohstoffen oder Kohle“ auf den Ersten Weltkrieg zurück. Trotz mehrerer Gesetze zur Lockerung der Anwendungsbedingungen und Einführung der APLD (langfristige Kurzarbeit) im Jahr 2009 blieb die Anwendung der Kurzarbeit lange Zeit sehr eingeschränkt. Während der Finanzkrise, die 2007 begann, waren von der Kurzarbeit nur 300 000 Beschäftigte betroffen. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 waren es rund 12 Millionen. Der Staat hat für die Unternehmer sämtliche Kosten übernommen, einschließlich derer, die zuvor von den Unternehmern gezahlt werden mussten.

Dies ist in Deutschland und Italien nicht der Fall. In der führenden Wirtschaftsmacht Europas begann die Einführung der Kurzarbeit Ende des 19. Jahrhunderts in der Tabakindustrie und wurde nach Ende des Ersten Weltkriegs verstärkt, und auf alle Industriezweige ausgeweitet. Schließlich wurde sie in das Gesetz über Beschäftigung und Arbeitslosenversicherung von 1927 aufgenommen. Als zwei Jahre später die Wirtschaft zusammenbrach, waren 20% der Beschäftigten von diesen Maßnahmen betroffen. Dies war nach der Wiedervereinigung 1990 und erneut während der Subprime-Krise von 2008 wieder massiv der Fall. Bei Kurzarbeit erhalten die Beschäftigten jedoch nur noch 60 % ihres Nettogehalts (67 % bei Beschäftigten mit Kindern), es sei denn, es gibt eine Tarifvereinbarung (in der chemischen Industrie sind 90 % der Beschäftigten abgedeckt). Dies geht einher mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten und Löhne, der Explosion von Teilzeitverträgen und so genannter „atypischer“ Beschäftigungsverhältnisse (Zeitarbeit, „Mini-Jobs“), der Einführung von Stunden-Konten, die es den Unternehmen ermöglichen, Überstundenzuschläge zu umgehen, usw. Dies geschah von Anfang an unter Mitarbeit der Gewerkschaftsbürokratie. In jeder Phase ging es von „Kompromiss“ zu „Kompromiss“: Allein für die Krise 2008-2009 wird geschätzt, dass diese Maßnahmen, deren Kosten auf 5 Milliarden geschätzt werden, für die Unternehmen eine Ersparnis von 44 Milliarden Euro bedeutet hat. [1]

In Italien ist die Kurzarbeitsregelung seit ihrer Einführung in das System der Arbeitslosenunterstützung integriert. Die Cassa integrazione guadagni (CIG), der Lohnausgleichsfonds, wurde 1941 vom faschistischen Regime provisorisch eingerichtet und in der Nachkriegszeit als dauerhafte Einrichtung übernommen. Eines ihrer Ziele war, den Kapitalisten zu helfen, ihre Arbeitskräfte zu behalten und das chaotische Funktionieren der Produktion abzuwehren. Gleich nach Deutschland war Italien in den letzten Jahrzehnten und vor allem seit den 1980er Jahren das Land, das am häufigsten von Kurzarbeit in ihrer „gewöhnlichen“ (auf ein Jahr begrenzt) und „außerordentlichen“ (kann mehrere Jahre dauern) Form Gebrauch gemacht hat.

Die Gegenleistung für die Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags, der jedoch nicht vor Massenentlassungen schützt, war hier ebenfalls eine massive Lohnsenkung (um ca. 20 %, mit einer monatlichen Obergrenze, die in etwa dem französischen Mindestlohn SMIC entspricht). Im Namen einer „äußeren Flexibilität“ der Arbeitenden, wurde die Flexibilität, einschließlich des Verleihs von Arbeitskräften verallgemeinert. Viele von ihnen wurden außerdem in Scheinweiterbildungsprogramme gesteckt, die ihre Rückkehr in die Arbeitswelt sichern sollten.

Teilweise aus der Sozialversicherung der Arbeitenden finanziert, wurde die Kurzarbeit erneut verallgemeinert, um so verschleierte Stellenabbaupläne durchzukriegen. Dies geschah wiederum mit Unterstützung der Gewerkschaftsapparate, die sich aktiv an den in den Unternehmen organisierten Befragungen beteiligt haben. Ihre Führer stellten diese Maßnahmen als ein „geringeres Übel“ für die Arbeiter dar, da sie dank besserer „Beschäftigungsfähigkeit“ „auf dem Arbeitsmarkt attraktiver“ seien, wobei die Ausnahmeregelungen es den Unternehmern ermöglichen, von sehr billigen Arbeitskräften zu profitieren. Trotz wachsender Verarmung und explodierender Arbeitslosigkeit behaupten sie weiterhin, dass niedrigere Löhne dafür sorgen würden, dass die Mehrheit weiter eine Arbeit hat. So wurden Hunderttausende von Arbeitern in die Situation fast permanenter Arbeitslosigkeit gebracht, wobei die ältesten unter ihnen auf ihre Rente warten, ohne aus den Beschäftigtenzahlen der Unternehmen rausgestrichen zu werden.

Um mit der Arbeitslosigkeit Schluss zu machen, muss die Macht der Bourgeoisie gestürzt werden

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als solche hat eigentlich keinen Sinn, außer sich selbst, wie alle linken Politiker, als Verwalter der bürgerlichen Gesellschaft zu profilieren. Das entscheidende in der Propaganda der Revolutionäre ist, zu überzeugen, dass es keinen reformistischen Ausweg aus der Krise, also keine Lösung im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaft gibt.

Mit dieser Perspektive haben wir seit Jahren die Parole des Verbots von Entlassungen propagiert. Eine Maßnahme, um das Ausbluten von Arbeitsplätzen zu stoppen, das in den 1990er Jahren wütete, hätte nur durch eine massive und machtvolle Mobilisierung der Arbeiterklasse durchgesetzt werden können, die die Macht der Unternehmer in den Betrieben, und die Herrschaft der Bourgeoisie selbst in Frage stellt.

Die Kommunistische Partei und die CGT griffen diese Idee teilweise auf, beschränkten sie aber auf „durch Börsenkurse bedingte Entlassungen“ oder auf Unternehmen, die staatliche Subventionen erhalten und dennoch Dividende ausschütten. Vor allem vermieden sie, zu erklären, wie diese Forderung der Bourgeoisie aufgezwungen werden soll. In einem Gesetzentwurf beabsichtigte die KPF 2012, die Arbeitsinspektion mit der Durchsetzung zu betrauen. Das „Verbot von Entlassungen“ ist so zu einer inhaltslosen Wahlparole geworden, oder ein bloßer Appell an den Staat der Bourgeoisie.

In den letzten Monaten ist diese Forderung wieder bei diesen Organisationen aufgetaucht. Auch beim „Unbeugsamen Frankreich“ (La France insoumise) Mélenchons, die diese Forderung ihrem Mischmasch an souveränistischen Forderungen hinzufügt. Sie fordert auch einen „strategischen Staat“ zur Wiederbelebung der nationalen Produktion. Arbeitsministerin Pénicaud ging so weit, Mitte März 2020 die Idee eines vorübergehenden Entlassungsverbotes zu erwähnen ... worauf sie sofort entlassen wurde. Die linke Regierung Spaniens erließ durch die Arbeitsministerin Yolanda Díaz, einem Mitglied der Kommunistischen Partei, am 27. März ein entsprechendes Dekret. Dieses trug jedoch nichts dazu bei, die Lawine der Arbeitsplatzvernichtung in Spanien aufzuhalten, und es konnte auch nicht anders sein. Denn nichts wird die gegenwärtige Katastrophe aufhalten können, außer der kollektiven Stärke der Arbeiter und ihres Kampfes, um der Bourgeoisie die Macht zu entreißen.

Bis zu einem gewissen Grad ist die Verteilung der Arbeit auf alle, an sich eine Forderung, die das Gesetz des Profits und die Herrschaft der Bourgeoisie nicht in Frage stellt.

Eine Diskussion zwischen Trotzki, 1938 im mexikanischen Exil, und dem Amerikaner Abraham Plotkin, Leiter der Internationalen Union der Bekleidungsarbeiter, veranschaulicht in welchem Ausmaß die damals von Trotzki angesichts der Arbeitslosigkeit erhobene Forderung nach Aufteilung der Arbeit, ihrer revolutionären Substanz beraubt, und in eine Waffe gegen die Arbeiter verwandelt werden kann.

Plotkin: Unsere Gewerkschaft bemüht sich durch ihre Politik, die totale Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Wir haben die Arbeit unter den Gewerkschaftsmitgliedern unter Beibehaltung des bestehenden Stundenlohns aufgeteilt.

Trotzki: Und welchen Anteil ihres früheren Lohns erhalten die Arbeiter heute?

Plotkin: Etwa 40 %.

Trotzki: Aber das ist ja ungeheuerlich! Sie haben die gleitende Skala der Arbeitszeit, aber behalten den alten Stundenlohn bei, was darauf hinausläuft, dass die Arbeiter die Hauptlast der Arbeitslosigkeit tragen müssen. Indem Sie jedem Arbeiter erlauben, 3/5 seines Lohnes zu opfern, befreien Sie die Bourgeoisie von der Verpflichtung, die Arbeitslosen aus ihren Mitteln zu unterstützen.

Plotkin: Das ist teilweise wahr. Aber was kann man tun?

Trotzki: Das ist nicht „teilweise“, sondern völlig wahr. Der amerikanische Kapitalismus leidet an einem chronischen und unheilbaren Übel. Können Sie Ihre Arbeiter mit der Hoffnung trösten, dass die gegenwärtige Krise nur vorübergehend ist, dass sie bald eine Ära des Wohlstands erleben werden?

Plotkin: Ich persönlich mache mir darüber keine Illusionen. Die meisten von uns verstehen, dass dies eine Phase des Niedergangs ist, die für den amerikanischen Kapitalismus begonnen hat.

Trotzki: Aber das bedeutet, dass Ihre Arbeiter morgen 30 % ihres alten Lohns bekommen, übermorgen 25 % und so weiter. Es stimmt, dass eine vorübergehende Verbesserung möglich und sogar wahrscheinlich ist, aber der allgemeine Trend ist Niedergang, Degradierung und Elend. Bereits im Kommunistischen Manifest hatten Marx und Engels dies vorhergesagt [2].

Die Aufteilung der Arbeit unter allen macht nur Sinn, wenn man die Löhne an die Preise koppelt, um zu verhindern, dass sie durch die Inflation aufgefressen werden. Diese Idee kann für die Revolutionäre und die Arbeiterklasse nur zu einem Hebel werden, wenn sie Teil einer Gesamtheit an Maßnahmen ist, die unter der aktiven Kontrolle der Arbeiter zum einzigen möglichen Ausweg führen – dem Sturz der Bourgeoisie.

So kann diese Forderung auch nur in diesem Sinne ihre ganze Kraft und Aktualität entfalten, die es den Arbeitenden ermöglicht, wiederstand zu leisten und zum Gegenangriff überzugehen.

Eine Frage von Leben oder Tod

Im Erfurter Programm (1892) erklärte Kautsky, dass die Reservearmee der Arbeitslosen für die Kapitalisten unbezahlbar ist, weil sie es ihnen erlaubt, „die Arbeitenden in Schach zu halten“. Er fügte hinzu: „Aber was bedeutet Arbeitslosigkeit? Es bedeutet nicht nur Elend für die Betroffenen, nicht nur zunehmende Unterjochung und Ausbeutung für die Arbeitenden, sondern auch Existenzunsicherheit für die gesamte Arbeiterklasse.“ Die gegenwärtige Explosion der Arbeitslosigkeit lässt diese Unsicherheit sogar in den imperialistischen Großmächten wieder aufleben, indem sie alle „sozialen Stoßdämpfer“ bedroht, die bisher einige der dramatischsten Folgen des Funktionierens der kapitalistischen Wirtschaft abgemildert haben. Keine Kategorie der Arbeitenden kann sich aufgrund ihres Tätigkeitsbereichs, ihres Status oder ihrer Qualifikation sicher oder geschützt fühlen, wie die Gewerkschaftsbürokratie sie immer wieder glauben gemacht hat. Da es nicht zu einem kämpferischen Aufwallen kommt, wird die Arbeiterklasse erleben, wie sich ihre Bedingungen an die ihrer größten und ärmsten Fraktionen in Asien, Afrika oder Amerika angleichen.

In den reichen Ländern warten Dutzende Millionen Arbeiter und Arbeiterfamilien auf menschenwürdige Wohnungen und eine Verbesserung der Verkehrsinfrastrukturen. Gleichzeitig werden Brücken und Autobahnen so wenig instandgehalten, so dass sie wegen fehlender Investitionen zusammenbrechen. Es mangelt an Krankenhäusern und an Personal, um sie zu betreiben, an Einrichtungen, um ältere Menschen in Würde aufzunehmen und zu begleiten, an Kindergärten, Schulen, Universitätsplätzen usw. Und gerade in dieser Gesellschaft, in der es unzählig viele zu befriedigende Bedürfnisse gibt, ist die Massenarbeitslosigkeit nicht nur nie verschwunden, sondern verschlimmert sich sogar, während die Großbourgeoisie in ihrem Fett erstickt! Diese einfache Aufzählung reicht aus, um den Kapitalismus zu verurteilen, und rechtfertigt den Kampf der Revolutionäre für den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft, die sie von dieser parasitären Klasse und dem Profit befreit, der alle Organe der Gesellschaft vergiftet.

Darüber hinaus geht die Herrschaft der Bourgeoisie mit der Ausplünderung des gesamten Planeten einher, und die gegenwärtige Phase der Krise des Kapitalismus spiegelt sich bereits in der Herrschaft von Chaos und Elend wider. In Indien, Brasilien wie sin zahlenreichen afrikanischen Staaten bedroht der Hunger die Mehrheit der Bevölkerung, die weder eine Arbeit noch ein geringstes Einkommen hat. Diese Situation kann den Nährboden für Aufstände und Revolutionen von morgen bilden, vorausgesetzt, dass es den Arbeitern gelingt, sich ihrer gemeinsamen Interessen und Stärke bewusst zu werden, ihren Weg zum Klassenkampf, und zu revolutionären kommunistischen Ideen zurückzufinden. Es liegt an den Aktivisten und Organisationen, die sich auf diese Perspektive berufen, sich einzusetzen, um ihnen dabei zu helfen.

Andernfalls werden andere gesellschaftliche Kräfte, andere politische Strömungen, die der Arbeiterklasse und allen Ausgebeuteten feindlich gesinnt sind, sich durchsetzen.

Mit den Worten von Marx: Die Armee des Proletariats, so zerstreut und gespalten die Kräfte der Arbeiterklasse heute auf der ganzen Welt auch sind, ist die einzige, die die Menschheit aus der Barbarei herausführen kann, in die sie der Kapitalismus heute unaufhaltsam hineinstürzt.  

7. September 2020

 

[1]   Thomas Koch, Joël Massol, « Le chômage partiel en Allemagne : le “remède miracle” dans la crise ? », Allemagne d’aujourd’hui, 2014/4 (no 210).       

[2]   Léon Trotsky, Une discussion avec Plotkin 29 septembre 1938, Œuvres, volume 18, Paris, Institut Léon Trotsky, 1984.