Die entzweiten Staaten Europas (aus Lutte de Classe - Klassenkampf von März 2019)

Die entzweiten Staaten Europas
März 2019

Die Europäische Union (EU), die heute (einschließlich Großbritannien) 28 Staaten und mehr als 510 Millionen Einwohner umfasst, wird in der Öffentlichkeit seit ihrer Gründung als Garant für Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand auf dem europäischen Kontinent gepriesen. Aber sie scheint momentan ihren Todeskampf zu kämpfen. In der Tat erschüttern zahlreiche Zentrifugalkräfte ein Europa, dessen Aufbau zunehmend an einen Rückbau erinnert.

Ein langer Kampf um die Hegemonie

Das Entstehen der wichtigsten Nationalstaaten Europas war sowohl die Voraussetzung als auch das Produkt der Entwicklung des Kapitalismus. Doch diese Arena erwies sich schnell als zu eng, um Industriellen und Finanziers ausreichende Gewinne zu garantieren. Das Zeitalter des Imperialismus, das im 19. Jahrhundert begann, war geprägt von der kolonialen Aufteilung der Welt, und - wie Marx sagte - von "offener, direkter, schamloser, brutaler Ausbeutung". Gleichzeitig schröpften die drei Großmächte Großbritannien, Frankreich und Deutschland für ihre jeweiligen Konzerne und Kapitalisten auch den alten Kontinent.

Über viele Jahrzehnte tobte der Kampf zwischen den Bourgeoisien dieser drei Großmächte um die Hegemonie in Europa und eine gewisse Vereinigung Europas zu ihren Gunsten. Dieser Machtkampf fand auf den Wirtschaftsmärkten ebenso statt wie auf den Schlachtfeldern. Im 20. Jahrhundert führte diese Konfrontation zu zwei Weltkriegen, die die Herrschaft der europäischen Mächte beendete. Die Frage der Vorherrschaft auf dem Kontinent hatte (zumindest in Westeuropa) eine neue Antwort gefunden: Die USA waren nicht nur zum Schiedsrichter, sondern auch zum Herrn der Lage geworden.

Die Abkommen von Jalta zwischen dem US-Imperialismus und der sowjetischen Bürokratie übersetzten dieses Kräfteverhältnis in die Sprache der Diplomatie, indem sie Europa in zwei Einflusszonen aufteilten. Ab 1947 verstärkte der Kalte Krieg den Einfluss der Vereinigten Staaten weiter. Unter ihrer Ägide wurde der Grundstein für eine Art europäischen Aufbaus unternommen. Dafür war der Marshallplan eines der Instrumente. Er beinhaltete eine wirtschaftliche Komponente (ein Wiederaufbauprogramm mit Absatzmöglichkeiten für amerikanische Waren, für die die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit zuständig war) und ein politisches Ziel: den sowjetischen Einfluss einzuschränken. Auf militärischem Gebiet wurde er 1949 mit der Gründung der NATO vollendet.

Von der EGKS zum europäischen Binnenmarkt

Für die verschiedenen Bourgeoisien Europas wurde die Schaffung eines Rahmens, der ihnen den Wiederaufbau ihrer Produktionsmittel ermöglichte und ihnen einen Absatzmarkt für ihre Waren schuf, unverzichtbar. Wegen seiner vielfältigen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und seiner ehemaligen Commonwealth-Kolonien war dies für Großbritannien weniger dringlich. Frankreich und Deutschland wurden daher zu den Grundpfeilern der europäischen Gemeinschaft und gründeten 1951 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). In gewisser Weise erkannten sie damit an, was für ein Hindernis die Grenzen, dieses Erbe der Vergangenheit, für die Kapitalisten darstellen - Grenzen, die sogar unter die Erde, bis zu den Eisen- und Kohlelagerstätten reichten. Die anderen Unterzeichner waren Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande.

Eine Hohe Behörde ohne eigene Machtbefugnisse wurde geschaffen, die das Exekutivorgan der neuen Gemeinschaft sein sollte. Die "Väter Europas" kündigten einen dauerhaften Frieden an. Aber das Hauptziel der Großindustriellen bestand darin, mit Hilfe öffentlicher Subventionen wichtige Wirtschaftsbereiche zu modernisieren, ihre Produktion zu optimieren und die Kosten zu senken. Robert Schuman wies darauf hin, dass die EGKS es Frankreich ermöglichen werde, "weiterhin eine seiner wesentlichen Aufgaben zu erfüllen: nämlich die Entwicklung des afrikanischen Kontinents"; mit anderen Worten, dessen Plünderung. Ein Beweis dafür, dass nationale Ambitionen und Machthunger nur teilweise beiseitegeschoben worden waren.

Der relative Erfolg dieses Experiments führte 1957 zur Unterzeichnung des Vertrags von Rom, mit dem dieselben Staaten die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gründeten. Neben Kohle und Stahl beinhaltete der Vertrag einen Plan für die Atomkraft - ein Wirtschaftsbereich, der hohe Investitionen erforderte, die das Großkapital nicht selber tätigen wollte. Vor allem jedoch beinhaltete er die Aussicht auf eine sehr große Zollunion: Einen Binnenmarkt auf dem ganzen Kontinent ohne Steuern und Zölle, die die Entwicklung der Konzerne und ihr Profitstreben behinderten. Dies war umso notwendiger, als die Entkolonialisierung dazu führte, dass die bisher exklusiv für die europäischen imperialistischen Großmächte reservierten Gebieten in Asien und Afrika sich nun für andere öffneten. Die EWG schuf den Schmelztiegel, durch den das europäische Kapital hoffen konnte, mit den amerikanischen Konzernen konkurrieren zu können.

Ein Feigenblatt für die Rivalitäten zwischen den Großmächten

Dieser gemeinsame Markt kam natürlich nur den mächtigsten Kapitalisten zu Gute. Das Gleiche galt für die Landwirtschaft. Hier war die gemeinsame Agrarpolitik, die mehr als die Hälfte des knappen europäischen Haushalts in Anspruch nahm, nichts anderes als eine riesige Subventionsmaschine für die Konzerne des Agrarbusiness (Saatgut- und Düngemittelindustrie, Nahrungsmittelindustrie, usw.) sowie für die großen Landwirtschaftsbetriebe. Die Subventionen beschleunigten die Konzentration der Höfe zu großen Landwirtschaftsbetrieben, auch in Form von Genossenschaften, sowie die Modernisierung der Produktion. Dadurch eröffneten sich auch für die multinationalen Konzerne der Landmaschinen- und der Chemieindustrie neue Perspektiven.

Das "gemeinsame Haus" mit seinen Institutionen und seiner Bürokratie wurde so attraktiv, dass sich ihm immer mehr Staaten anschlossen, darunter 1973 auch Großbritannien. Sein Beitritt verschob sich aufgrund des Widerstands von de Gaulle um mehrere Jahre, aber die britische Bourgeoisie konnte sich nicht mehr fernhalten, zumal die Wachstumsphase der Nachkriegszeit zu Ende ging.

Dieser Markt hat jedoch nicht zu einem supranationalen Kapitalismus geführt, d.h. nicht zu einem vereinigten europäischen Imperialismus. Vor über einem Jahrhundert schlug Karl Kautsky, der führende Theoretiker der deutschen Sozialdemokratie und der Zweiten Internationale (nachdem er den proletarischen Internationalismus bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs aufgegeben hatte), vor, dass am Ende des Weltkonflikts durch eine "Übertragung von Methoden der Konzerne auf die internationale Politik, eine Art Superimperialismus" (Kautsky, Imperalismus und Krieg, 11.9.1914) möglich sei. Er erklärte, dass die Bourgeoisien keine Grenzen kennen, die Herrschaft ihres Kapitals auf den gesamten Planeten ausdehnen und sich schließlich gegen die Ausgebeuteten zusammenschließen und verständigen könnten. Aber sein Verrat führte Kautsky - wie alle Reformisten - dazu, zu leugnen, dass diese Tendenz zur Vergesellschaftung der Produktion, zur Vereinigung unter der Gewaltherrschaft von Profit und Ausbeutung, im Widerspruch zur Konkurrenz zwischen den Konzernen und der Struktur der Staaten stand, mit denen die Bourgeoisie ihre Klassenherrschaft aufrecht erhält. Vor diesem Hintergrund gibt es heute genauso wenig einen Superimperialismus wie damals.

Zwar sind in den Bereichen Luft- und Raumfahrt Strukturen (wie Airbus oder die Europäische Weltraumorganisation) entstanden, durch die Bündelung von Kapital aus den wichtigsten EWG-Staaten. Aber nur deshalb, weil die Kapitalisten nur auf diese Weise hoffen konnten, der Herrschaft von Boeing, der NASA und ähnlichen Konzernen auf der anderen Seite des Atlantiks Widerstand zu leisten.

In den anderen Bereichen, und im Übrigen auch innerhalb dieser transnationalen Strukturen, tobte der Konkurrenzkampf weiter. Die fortschreitende Globalisierung verdeckte jedoch ihr Ausmaß, indem sie diese teilweise auf ein größeres Schlachtfeld verlagerte.

Jeder Staat schützte und unterstützte weiterhin seine eigenen Kapitalisten durch öffentliche Aufträge, spezifische Vorschriften oder Gesetze und Subventionen. So florierten ganze Teile des französischen Kapitalismus (insbesondere die Rüstungsindustrie) im Schatten des Staates oder - was die verstaatlichten Bereiche und den von ihnen abhängigen Betriebe angeht - sogar innerhalb des Staatsapparates.

Diese fast organische Verbindung zwischen diesen Konzernen und ihrem Staatsapparat verhinderte aber nicht die Eroberung von Einflussgebieten auf dem Rest des Kontinents und weit darüber hinaus, auf Kosten ihrer Rivalen. Dies war sogar bis zu einem gewissen Grad die Voraussetzung dafür.

Nach dem Beitritt Griechenlands 1981, dann Portugals und Spaniens 1986, boten das Ende des Sowjetblocks und die Integration der osteuropäischen Staaten in den kapitalistischen Orbit ab den frühen 1990er Jahren diesem Appetit auf unerwartete Weise einen neuen Horizont und erweiterte Möglichkeiten.

Kein Sektor (Landwirtschaft, Industrie, Finanzen, Einzelhandel usw.) blieb von dieser Jagd und den Verlagerungen verschont. Neben der de-facto-Abhängigkeit, in die sich die Regierungen dieser Staaten begaben, boten diese Länder gleich einen dreifachen Vorteil: eine entwickelte Industrie- und Verkehrsinfrastruktur, qualifizierte Arbeitskräfte ... und viel niedrigere Löhne. Aufgrund seiner Position als größter europäischer Macht, seiner zentralen geografischen Lage und seiner früheren Verbindungen zu diesen Gebieten ergatterte der deutsche Imperialismus den Löwenanteil dessen, was historisch gesehen sein wirtschaftliches Einflussgebiet war. Aber der französische Imperialismus, der zum Beispiel mit Renault in Rumänien bereits seit langem präsent ist, kam auch nicht zu kurz. Ähnlich lief es in Griechenland ab, insbesondere mit den Banken.

Die Gründung der Europäischen Union: neue Regeln und Einführung des Euro

Um diesem Markt mehr Stabilität zu verleihen und ihn noch profitabler zu machen, mussten noch die Wettbewerbsregeln festgelegt und eine gemeinsame Währung eingeführt werden, wie bereits im Vertrag von Rom vorgesehen war. In der Tat hatte die Rivalität zwischen den europäischen Mächten und zwischen den Kapitalisten vier Jahrzehnte lang zu heftigen Währungsschwankungen und wiederholten Abwertungen geführt, die auch die Schaffung eines Europäischen Währungssystems im Jahr 1979 nur schwer abmildern konnten. Diese Situation, die durch das Fortbestehen zahlreicher Zölle zwischen den Staaten verschärft wurde, stand zunehmend im Widerspruch zur Notwendigkeit der Konzerne, auf der Ebene des ganzen Kontinents zu produzieren und zu handeln.

Mit dem Maastricht-Vertrag von 1992 wurde daher ein Leitfaden beschlossen, der vorgab, den von den Kapitalisten geführten Wirtschaftskrieg zu regulieren. Die Annahme von Haushaltsregeln für alle Staaten (die berüchtigten "Konvergenzkriterien") erweckte in der Öffentlichkeit den Anschein einer gewissen Gleichbehandlung, während die beherrschende Stellung der Großmächte in Wahrheit beibehalten wurde.

Am 1. Januar 1999 führten elf Länder den Euro zunächst für ihre Finanztransaktionen ein. Von den Großmächten weigerte sich einzig Großbritannien. Es hoffte wahrscheinlich, die Vorteile seiner Integration in den EU-Binnenmarkt mit denen seines Status als weltweiter Finanzplatz und als privilegierter Verbündeter der Vereinigten Staaten zu verbinden. Drei Jahre später kamen Münzen und Banknoten zum Klang der "Ode an die Freude" in Umlauf. Zwischen 2004 und 2007 schlossen sich zehn Länder aus dem (ehemaligen) Sowjetblock diesem Chor an, als sie der EU beitraten.

Aber die Euphorie, die mit der Geburt dieser Währungsunion und der Europäischen Union nach jahrzehntelangen mühsamen Verhandlungen und stummen Machtkämpfen verbunden war, dauerte nur wenige Jahre. Die Finanzkrise von 2008, die den Konkurrenzkampf innerhalb des europäischen Kontinents und mit den Vereinigten Staaten verschärfte, offenbarte die Zerbrechlichkeit des Gebäudes.

Die Europäische Union wird in der Krise von 2008 auf die Probe gestellt

Diese Krise zeigte vor allem, wie sehr die Herrschaftsbeziehungen zwischen den europäischen Staaten, die ein Erbe der vergangenen ungleichen Entwicklung sind, weiterhin unterirdisch funktionieren. Hinter der Maske und Sprache der Diplomatie sind - um es mit Orwell zu sagen - alle gleich, aber einige gleicher.

Mit anderen Worten, die Kapitalisten Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens haben durch ihre Regierungen den Schwächeren ihre Regeln aufgezwungen: Griechenland, Spanien, Portugal und vor allem die den Staaten im Osten Europas, die aufgrund ihrer noch viel weniger entwickelten Wirtschaft sich deren Herrschaft noch weniger widersetzen konnten.

Diese Beziehungen spiegelten sich in der Eurokrise 2010/2011 wider: Die Volkswirtschaften und arbeitende Bevölkerung dieser Staaten wurden so weit in die Knie gezwungen, dass dies die Existenz einer gemeinsamen Währung der neunzehn Länder bedrohte. Durch Spekulationen und die von den Banken auferlegten Zinssätze hatte ein griechischer oder portugiesischer Euro de facto nicht mehr den gleichen Wert wie ein deutscher oder französischer Euro. Die von Lenin im "Imperialismus" erwähnte "ungeheuerliche Herrschaft der Finanzoligarchie" ist kein theoretisches Konstrukt: BIP-Paribas, die Deutsche Bank und einige andere Banken haben ihre ganze Macht innerhalb der europäischen Institutionen behalten - zum Nachteil ihrer Konkurrenten und immer mehr der Staaten selbst.

Ohne Scham brachen dieselben Großmächte die Regeln, die sie selber festgelegt und allen Ländern aufdiktiert hatten. Um die Banken und den Finanzsektor und letztlich den Kapitalismus als Ganzes zu retten, überhäuften sie die Finanzmärkte mit unfassbaren Mengen an Kapital, verstaatlichten bei Bedarf lebenswichtige Sektoren ... und verschuldeten sich grenzenlos.

Seit 1957 enthielt der Gründungsvertrag der EWG das Ziel, einen "freien und nicht verzerrten Wettbewerb" innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu schaffen. Aber der Berg an Vorschriften, die über die Jahrzehnte zu Papier gebracht wurden, verschleiert immer weniger das ungeschriebene Gesetz des Stärkeren und den Kampf, bei dem (fast) alle Schläge erlaubt sind.

Der Wirtschaftskrieg, der einst dauerhaft mit Hilfe der Währungsabwertungen geführt wurde, hat sich teilweise auf das Gebiet der Steuern verlagert: Mit attraktiven Steuersätzen versucht man Kapital und Unternehmen aus der ganzen Welt anzuziehen. Bei diesem Dumping, das die nationalen Haushalte austrocknet, hat Irland mit 12,5% den niedrigsten Körperschaftsteuersatz. Nur Bulgarien macht es mit 10% noch "besser". Aber überall sind die von den Kapitalisten tatsächlich gezahlten Steuern noch lächerlicher.

Um mehr Mehrwert zu erzielen und ihre Konkurrenten zu schwächen, haben große Unternehmen eine Politik der Lohnsenkungen und der Präkarisierung verfolgt, die durch die Sparpolitik verschärft wird. Deutschland ist seit zwanzig Jahren Vorreiter, hat Millionen von Lohnabhängigen in "Working Poor" verwandelt, die trotz Arbeit arm sind. Aber es hat damit seine Position als führende Macht des Kontinents und als weltweit führende Exportnation behauptet. Wenn in der EU überhaupt eine gewisse Vereinheitlichung der Arbeiterrechte und Arbeitsbedingungen stattfindet, dann nach unten. Sie überlässt ihren Mitgliedern außerdem eine breite Palette, um diese Entwicklung noch zu verschlimmern.

Viele Unstimmigkeiten in Europa gegenüber dem US-Imperialismus

Die angeborene Schwäche Europas besteht darin, dass es ein Flickenteppich von Staaten bleibt, wobei jeder Staat eine Festung für die jeweilige Bourgeoisie ist, die ihr - ähnlich wie einst die feudalen Burgen - in Krisen- oder Kriegszeiten als Zufluchtsort dienen. Auch wenn es den Kritikern der Brüsseler Institutionen und der Europäischen Kommission, die eine Form der Exekutive darstellen soll, nicht gefällt: Europa verfügt weder über eine Zentralmacht noch über eine gemeinsame Wirtschafts- oder Außenpolitik - und erst recht keine Armee. Ihre Politik wird im Wesentlichen von den Verhandlungen zwischen den verschiedenen Staatschefs bestimmt, die Ausdruck des Machtverhältnisses zwischen den Staaten sind.

Was den Euro betrifft, der den Dollar als internationale Referenz- und Anlagewährung nie verdrängen konnte, so ist er seit der Krise 2008 weiter geschwächt, da die Saugpumpe der Finanzmärkte fast ausschließlich mit diesem Kraftstoff arbeitet. Darüber hinaus würden die europäischen Banken und Staaten ohne die von der amerikanischen Zentralbank gewährten Kredite längst auf dem Trockenen sitzen.

Während die Politiker und einige Intellektuelle einst die Vorstellung vertraten, dass die europäische Wirtschaft durch ihr Bruttoinlandsprodukt, ihren Platz im Welthandel und ihren Binnenmarkt in der Lage sei, mit den Vereinigten Staaten zu konkurrieren oder sie sogar schlagen zu können, sind die USA mehr denn je in der Lage, ihre Wünsche und die ihrer Konzerne durchzusetzen.

Dies wurde brutal bestätigt, als Trump beschloss, das "abscheuliche Abkommen" von 2015 mit dem Iran zu brechen und das Land mit einem Embargo zu belegen. Dank des Prinzips der Extraterritorialität in den Vereinigten Staaten (einer juristischen Übersetzung der hegemonialen Position seines Imperialismus), kann der Präsident weltweit Unternehmen bestrafen, die gegen die Regeln des Amts zur Kontrolle von Auslandsvermögen (OFAC) verstoßen. Einer nach dem anderen haben sich Peugeot-Citroen, Total, Airbus, die europäische Banken und Fabrikanten aus dem Iran zurückgezogen, um nicht zu riskieren, vom amerikanischen Markt oder gar vom Finanzmarkt selbst ausgeschlossen oder zu hohen Geldstrafen verurteilt zu werden. Bereits 2015 musste BNP-Paribas für seine Geschäfte mit dem Iran, dem Sudan und Libyen eine Geldstrafe von 8 Milliarden Euro zahlen. Im Wirtschaftskrieg bleibt Europa ein Zwerg.

Sowohl rein militärisch als auch nachrichtendienstlich haben die Vereinigten Staaten - insbesondere nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks - nach wie vor ständige Stützpunkte in der EU und privilegierte Verbindungen zu mehreren Ländern beibehalten, die meist als Vasallen und Vorposten gegen Russland in die NATO aufgenommen wurden. Sie sind auch loyale Kunden für die amerikanische Rüstungsindustrie. Im Juni 2018 richtete die Europäische Union einen Europäischen Verteidigungsfonds ein, dessen versteckter Zweck darin bestand, amerikanische und britische Unternehmen von Rüstungsausschreibungen auszuschließen. Aber dies wird keine ernsthafte Wirkung haben, außer vielleicht gegen britische Industrielle.

Auch in der Krise, die seit 2014 die Ukraine verwüstet, zieht nicht Europa die Fäden. Auch die Visegrad-Gruppe, zu der Polen, Ungarn, die Tschechische Republik und die Slowakei gehören, ist ein Symbol für diese Verbindungen zum US-Imperialismus und den Zentrifugalkräften, die sie innerhalb der EU erzeugen und fördern.

Populismus und Nationalismus: die verrotteten Früchte der Vergangenheit und der Zersetzung der kapitalistischen Wirtschaft

Permanente Instabilität und der Kampf um die Aufteilung des Mehrwerts in einem immer weniger kaufkräftigen Markt haben zur Verbreitung "euroskeptischer" und "eurofeindlicher" Ideen und Parteien geführt, die hauptsächlich dem konservativen und zunehmend dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnen sind. Aber teilweise gehören sie auch zur Linken, wie La France Insoumise von Mélenchon in Frankreich oder Podemos in Spanien.

Die fundamentalen politischen Interessen der Bourgeoisie stimmen in der Tat nicht immer hundertprozentig überein mit den Eigeninteressen der Parteien, die sie vertreten oder dies zumindest versuchen. Und nur die Erfahrung kann den einen wie den anderen zeigen, welchen Handlungsspielraum sie haben und wann der Punkt erreicht ist, an dem die Demagogie um Wählerstimmen eine Dynamik in Gang gesetzt hat, die nicht mehr aufzuhalten ist. Das politische Umfeld, das von vielen Beobachtern als "zunehmend vergiftet" eingeschätzt wird, wird damit wiederum zu einem objektiven Faktor der Verschärfung der Krise.

Dieser Aufschwung im Namen des Kampfes gegen den "Föderalismus" und für die "Souveränität der Völker" war in Mitteleuropa besonders stark, wo der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (an der Macht zwischen 1998 bis 2002 und dann wieder seit 2008) eine Vorreiterrolle einnimmt und ein möglicher Anführer dieser Bewegungen ist. Die europakritischen Parteien erhielten in zehn osteuropäischen Ländern über 20% und in Polen mehr als 30% der Stimmen. Orbán hat den ungarischen Nationalismus zum Grundpfeiler seiner Wirtschaftspolitik gemacht, indem er behauptet, sein Land von der Fremdherrschaft zu befreien. Unter diesem Vorwand presst er die Arbeiterklasse aus.

In Italien kamen die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung bei den Parlamentswahlen im März 2018 an die Macht, die eine Verurteilung des "Europas von Brüssel" in den Mittelpunkt ihrer Demagogie und ihrer Wahlversprechen rückten. Dank des Europawahlkampfs kamen noch die Kritik an Frankreich und Macron hinzu, die einerseits Macron noch in seinem Anspruch bestärkten, angeblich ein fortschrittliches Gesicht gegenüber den Nationalisten und Euroskeptiker zu verkörpern, und andererseits Salvinis Rolle als Verteidiger Nr.1 des italienischen Volkes stärkte.

Die Parteien der extremen Rechten sind überall stark oder werden stärker: insbesondere das "Rassemblement National" Le Pen's in Frankreich, die "Alternative für Deutschland" (AfD), der "Vlaams Belang" in Belgien und die "Partij voor de Vrijheid" (PVV) in den Niederlanden.

Die Staatschefs der Großmächte haben sie diesen reaktionären Aufschwung verstärkt, indem sie in den letzten Jahren beschlossen, ihre Grenzen für Migranten zu schließen, die vor Kriegen und imperialistischem Chaos fliehen, und indem sie einen Teil dieser Drecksarbeit an die Türkei auslagerten. Angela Merkel weigerte sich zunächst, dieser Politik zu folgen; zweifellos ihrer Überzeugungen wegen, aber auch, weil sie einen Arbeitskräftebedarf deutscher Kapitalisten befriedigen konnte. Aber sie hat den politischen Preis dafür bezahlt und muss jetzt auf die Rechtsentwicklung ihrer Wählerschaft eingehen.

Und selbst wenn der Austritt aus der EU oder dem Euro aus den meisten Programmen der "Euroskeptiker" verschwunden ist, bleibt dies eine reale Gefahr, wie die Abstimmung und die schwierige Umsetzung des Brexit in den letzten drei Jahren gezeigt hat. Zum ersten Mal in der Geschichte der europäischen Integration schlug eines ihrer Mitglieder - und nicht das unbedeutendste - die Tür zu. Dieser Ausstieg, der von der britischen Bourgeoisie bekämpft wurde, droht sogar ohne ein Abkommen mit der EU umgesetzt zu werden. Nur eines ist sicher: Die Kapitalisten werden dafür sorgen, dass die Arbeitenden die Rechnung dafür bezahlen. Durch den Dominoeffekt oder als Gegenreaktion könnte der Brexit die Zentrifugalkräfte im Vereinigten Königreich selbst wiederbeleben; hauptsächlich in Irland, aber auch in Schottland.

Die Großmächte der Europäischen Union - angefangen bei Frankreich und Deutschland - sowie die Industrie- und Finanzkonzerne, deren Interessen sie schützen, versuchen zweifellos, diese Situation auszunutzen. Sie werden ihren britischen Konkurrenten keine Geschenke machen. Aber überall werden die Arbeiter die Kosten dieser neuen Phase des wirtschaftlichen und politischen Krieges tragen.

Nur die Arbeiterklasse kann dem europäischen Kontinent Zukunft und Einheit bieten

Die Verschärfung des Wirtschaftskriegs hat zu einem Aufschwung nationalistischer Strömungen geführt, wie Europa es seit den 1930er Jahren nicht erlebt hat. Die anhaltende Krise offenbart immer deutlicher die Unfähigkeit der verschiedenen Bourgeoisien in Europa, die Verbindungen mit ihrem Staatsapparat zu lösen und den Kontinent zu vereinen. Die Schaffung eines großen Binnenmarktes, der durch die Zwangsjacke der Nationalstaaten unerlässlich geworden war, hat den Wettbewerb zwischen den Konzernen und zwischen den Banken nicht beseitigt, zumal die größten von ihnen auch im weltweiten Wettbewerb stehen. Sie hat auch das Herrschaftsverhältnis zwischen den Ländern in Europa nicht beendet. Lenin sagte über den Völkerbund, der bereits behauptet hatte, alle Kriege zu beenden und Wohlstand zu fördern, dass er nichts anderes als eine "Räuberhöhle" sei. Diese Charakterisierung trifft auch auf die EU zu.

Marx wies im Manifest darauf hin, dass "zum großen Bedauern der Reaktionäre" die Bourgeoisie "der Industrie ihren nationalen Boden entzogen" habe. Im "Imperialismus" fügte Lenin hinzu, dass der Kapitalismus im Imperialismus "bis dicht an die allseitige Vergesellschaftung der Produktion" heranführe, aber dass dabei "der Druck der wenigen Monopolinhaber auf die übrige Bevölkerung hundertfach schwerer, fühlbarer, unerträglicher" werde.

Seitdem hat die Bourgeoisie reichlich bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, diesen grundlegenden Widerspruch zwischen Organisation von Produktion und Handel in größerem Maßstab einerseits, und andererseits der privaten Aneignung des daraus resultierenden Reichtums, für den die Staaten die besten Garanten sind, zu lösen.

Die gegenwärtigen politischen Spaltungen sind Ausdruck der gegensätzlichen Interessen dieser Bourgeoisien, und es ist unklar, ob der Aufstieg des Nationalismus zu einem tieferen politischen Bruch und einer allgemeinen protektionistischen Abkapselung führen wird. Die Krise kann auch zu einer Gegenreaktion führen und die Flamme des Föderalismus wieder anfachen. Keine Bourgeoisie hat Interesse an der Auflösung des Gemeinsamen Marktes, angefangen beim deutschen und französischen Imperialismus, die nach wie vor die Grundpfeiler des heutigen Europas sind. Aber das ist keine philosophische Option. Die Diskussionen über das mögliche Ende der Eurozone oder die Reorganisation der EU auf der Grundlage eines Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten vor einigen Jahren haben gezeigt, dass das komplizierte Gleichgewicht aufgrund der permanenten Instabilität des Kapitalismus selbst jederzeit ins Wanken geraten kann. Und die ganze Vergangenheit beweist, dass Wirtschaftskriege der Auftakt zu anderen, unendlich verheerenderen Auseinandersetzungen sein können.

Das Problem für Revolutionäre besteht nicht darin, auf ihrem Niveau über "mehr" oder "weniger Europa" zu räsonieren, noch zwischen einer dieser beiden Optionen zu wählen. Denn es handelt sich in beiden Fällen um bürgerliche Lösungen und damit um Sackgassen. Es geht darum, die Perspektive eines revolutionären Auswegs aus dieser angeborenen Unfähigkeit des Kapitalismus, zum Wohle der Menschheit zu arbeiten, aufrecht zu erhalten. Es geht darum, der Arbeiterklasse eine Perspektive zu bieten: Die Fahne des Internationalismus hoch zu halten, die die sozialdemokratischen Reformisten und dann die Stalinisten über Bord geworfen haben. Die Fahne eines Europas und einer Welt ohne Grenzen, ohne nationale Gegensätze, ohne Konkurrenz und Anarchie der Produktion. Und das kann nur durch den revolutionären Sturz der Bourgeoisie erreicht werden.

4. März 2019