Gegen das Chaos des verfaulenden Imperialismus, das Kampfprogamm der Arbeiterklasse

Gegen das Chaos des verfaulenden Imperialismus, das Kampfprogramm der Arbeiterklasse
Dezember 2018

(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2018 verabschiedet)

 

Es besteht ein tiefer, organischer Zusammenhang zwischen den verschiedenen Ereignissen der chaotischen Weltlage, zwischen den Ereignissen in der Wirtschaft, den internationalen Beziehungen und der politischen Entwicklung der imperialistischen Mächte - bis hin zur Unfähigkeit der Menschheit, den ökologischen Folgen ihrer eigenen Tätigkeit die Stirn zu bieten, von der Erderwärmung bis zur Verwandlung der Ozeane in Mülleimer.

Was sich in all diesen vielfältigen Fakten und Ereignissen ausdrückt, ist die derzeitige Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft. Wir sprechen von der aktuellen Krise, denn Krisen haben die kapitalistische Wirtschaft seit ihrer Entstehung regelmäßig begleitet und sind gewissermaßen der übliche Mechanismus, der den Kapitalismus reguliert.

Trotzki sagte im Juni 1921 anlässlich des Dritten Kongresses der Kommunistischen Internationale über die "gewöhnlichen" Krisen des Kapitalismus: "Solange der Kapitalismus nicht von der proletarischen Revolution zerschmettert wurde, wird er immer wieder die gleichen Perioden von Aufschwung und Niedergang, die gleichen zyklischen Bewegungen durchlaufen. Krise und Aufschwung gehören zum Kapitalismus vom Tag seiner Geburt an und werden ihn bis ins Grab begleiten."

Aber er stellte ebenfalls fest: "In den Zeiten der raschen Entwicklung des Kapitalismus sind die Krisen kurz und oberflächlich (....). In den Zeiten des Niedergangs dauern die Krisen lange, und der Aufschwung ist vorübergehend, oberflächlich und basiert auf der Spekulation."

Die grundlegende Entwicklung, das entscheidende Gewicht der Finanzwirtschaft, die "Verwandlung der Aktionäre in soziale Parasiten" (Trotzki, Marxismus in Unserer Zeit, 1939), die Zersetzung der kapitalistischen Wirtschaft gibt es natürlich nicht erst seit heute. Auch die Finanzialisierung der Wirtschaft nicht, obwohl die derzeitige Krise die Schäden, die sie verursacht, in aller Klarheit zeigt.

Diese Feststellung hatte Lenin vor einem Jahrhundert dazu veranlasst, vom Imperialismus als der "senilen Phase" des Kapitalismus zu sprechen, und Trotzki sprach im Übergangsprogramm von "der Agonie des Kapitalismus".

Diese Agonie dauert viel länger, als Lenin und Trotzki erhofft hatten. Aber die Dauer einer Gesellschaftsordnung wird nicht mit den gleichen Maßstäben gemessen wie ein Menschenleben. Die Menschheit hat diese lange Phase des Niedergangs der kapitalistischen Gesellschaftsordnung allein im letzten Jahrhundert mit zwei Weltkriegen bezahlt.

Der Kapitalismus schien nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zeit der Erholung zu erleben. Diese Phase war begrenzt und oberflächlich. Sie dauerte kaum 20 Jahre und war damit deutlich kürzer als die Zeitspanne aufeinanderfolgender Krisen, in der sich der Kapitalismus seit Anfang der 1970er Jahre befindet. Der Zusammenbruch des internationalen Währungssystems 1974 hat eine lange Ära mehr oder weniger heftiger Erschütterungen in der Finanzwelt eröffnet, vor dem Hintergrund einer globalen Stagnation der Produktion und der Massenarbeitslosigkeit, aus der es der kapitalistischen Wirtschaft nicht herauszukommen gelingt.

Was bedeutet das? Der Markt, das heißt die Kaufkraft eines Großteils der Bevölkerung, der einfachen Bevölkerung und der Lohnabhängigen nimmt nicht zu, ja geht sogar zurück. Die Unternehmen können ihren Besitzern und Aktionären somit höhere Gewinne nicht mehr dadurch sichern, dass sie mehr verkaufen.

Der Kampf zwischen Kapitalisten um den Mehrwert...

Wissenschaft und Technik entwickeln sich trotz aller Hindernisse, die das Privateigentum an Produktionsmitteln und der Wettbewerb zwischen den Monopolen mit sich bringen, weiter. Aber diese Fortschritte verschärfen einen der grundlegenden Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft: der Widerspruch zwischen den unbegrenzten Produktionsmöglichkeiten und den Grenzen des Marktes.

Die Kapitalisten eignen sich den Mehrwert an, geschaffen durch die Ausbeutung der am Produktionsprozess beteiligten Arbeiter. Doch die Gesamtproduktion wächst nicht mehr genug, um den Mehrwert insgesamt sicher und dauerhaft zu steigern.

In einer Wirtschaft, die auf den privaten Profit basiert, bedeutet dies, dass die Kapitalisten umso erbitterter und unbarmherziger untereinander kämpfen: Jeder versucht, sich selber einen möglichst großen Anteil am global geschaffenen Mehrwert zu sichern.

Dieser Krieg zwischen den Kapitalisten, in dem das allgemeine Gesetz gilt, dass die Stärksten die Schwächsten vernichten, lastet wiederum auf der Produktion. Die Einzelinteressen der Kapitalisten stehen nicht nur den kollektiven Interessen der Gesellschaft, sondern auch ihrem Interesse als sozialer Klasse entgegen.

Im Hinblick auf die ausgebeutete Klasse verhalten sich die Kapitalisten wie eine Klasse, die gemeinschaftliche Interessen hat. Aber gleichzeitig ist das Gesetz des Dschungels die Grundlage der Beziehungen zwischen den Kapitalisten. Das sind zwei Seiten derselben Realität.

Dieser dialektische Gegensatz zwischen dem gemeinschaftlichen, allgemeinen Interesse der Kapitalistenklasse und den individuellen Interessen jedes einzelnen Kapitalisten wird durch die Finanzialisierung der Wirtschaft verschärft.

Von allen Einkommensformen der Bourgeoisie nehmen die Einkünfte aus den Finanzmärkten einen immer vorherrschenderen Platz ein. Die Produktion ist für das Großkapital weniger einträglich als die Spekulation. Deshalb investiert das große Kapital immer mehr in die Finanzmärkte und immer weniger in die Produktion.

Mit zunehmender Finanzialisierung verschlingt das Finanzwesen einen immer größeren Teil der insgesamt geschaffenen Gewinne.

Was die Presse "Wachstum" nennt, ist vor allem der Gewinn aus Finanztransaktionen und der Profit der mächtigsten Konzerne, die das Vermögen ihrer Eigentümer und Aktionäre sicherstellen. Seit ihrer imperialistischen Phase hat das Finanzkapital die Kontrolle über die kapitalistische Wirtschaft übernommen. Je mehr die Wirtschaft vom Finanzkapital dominiert wird, desto mehr stört der Finanzsektor alle anderen konkreten Formen der Wirtschaftstätigkeit, auf deren Kosten er lebt.

Dass hinter allen anderen Formen der Wirtschaftstätigkeit das gleiche Kapital und insbesondere um das gleiche große Kapital steht, das das Großbürgertum in seinen Händen konzentriert, ändert nichts daran, dass die gesamte Wirtschaft ihren Tribut an das Finanzkapital zahlen muss. Der Parasitismus des Finanzkapitals zerfrisst die gesamte kapitalistische Wirtschaft von innen heraus.

... vor dem Hintergrund eines gnadenlosen Klassenkrieges gegen die Ausgebeuteten

Der Konkurrenzkampf zwischen den Konzernen um die Aufteilung des gesamtwirtschaftlich produzierten Mehrwerts findet vor dem Hintergrund des Klassenkrieges statt, den die kapitalistische Klasse gegen die Arbeiterklasse führt, um diesen Mehrwert insgesamt zu erhöhen.

Diesen Klassenkrieg bekommen die Arbeitenden einerseits als Ausgebeutete zu spüren: Diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, leiden unter der Verschärfung der Ausbeutung, die anderen unter der Last der Arbeitslosigkeit.

Und sie leiden unter ihm als Nutzer der öffentlichen Dienste, der Krankenhäuser, Altenheime, Schulen und öffentlicher Verkehrsmittel, deren Zustand sich stetig verschlechtert, weil der Staat ihnen immer mehr Geld entzieht, um damit das Finanzkapital zu versorgen.

Die Finanzialisierung treibt die Anarchie der kapitalistischen Organisation der Wirtschaft auf die Spitze und verschärft den Wettbewerb zwischen kapitalistischen Unternehmen und Nationen.

Wenn der Haufen Knochen nicht größer wird, zerfleischen sich die Hunde umso mehr gegenseitig, und es sind die brutalsten, gerissensten und vor allem mächtigsten unter ihnen, die dabei am besten wegkommen - auf Kosten der kleinsten und schwächsten!

Und diese wirtschaftliche Situation bestimmt letztlich die ganze derzeitige politische Lage auf nationaler und internationaler Ebene.

Zwar unterscheiden sich von Land zu Land die konkreten Bedingungen und politischen Bezeichnungen der Regierungen, doch überall werden arbeiterfeindliche Maßnahmen und eine Sparpolitik durchgesetzt. Die politischen Bezeichnungen ändern sich, aber das Ziel ist überall dasselbe: den Anteil des Großbürgertums am Volkseinkommen zu erhöhen, indem die Lebensbedingungen Arbeiter immer weiter nach unten gedrückt und auch die Einkommen der kleinen und mittleren Bourgeoisie angetastet werden.

Auf internationaler Ebene ist die Krisensituation ein Grund für die wachsende Anwendung protektionistischer Maßnahmen, das heißt Maßnahmen, mit denen die Staaten ihre kapitalistische Klasse gegen ihre ausländischen Konkurrenten zu schützen versucht: Handelskriege der USA gegen China und gegen ganz Europa - und diskreter zwischen den europäischen Staaten, einschließlich derjenigen der EU; Handelskriege aller imperialistischen Mächte gegen ärmere Länder, obwohl Krieg nicht ganz das genaue Wort ist, so einseitig wird er geführt und so ungleich sind die eingesetzten Waffen. Aber was das angeht, sind selbst die zweitrangigen imperialistischen Mächte Europas dem US-Imperialismus nicht gewachsen, nicht zuletzt weil die europäischen Staaten untereinander gespalten sind. Man braucht sich das erbärmliche Gejammere der europäischen Staatschefs darüber anzuhören, wie die USA - einer Dampfwalze gleich - Allen ihren völligen oder teilweisen Boykott gegen den Iran, Russland, ganz zu schweigen von Kuba und so manch anderen Staat aufzwingt.

Diese Handelskriege sind umso komplizierter - umso absurder könnte man sagen, wenn die Absurdität in dieser Frage nicht ein Aspekt des kapitalistischen Systems in seiner Gesamtheit wäre - da die Volkswirtschaften dermaßen voneinander abhängig sind, dass sich viele protektionistische Maßnahmen eines Staates gegen eine gegnerische kapitalistische Nation letztlich auch die eigenen Kapitalisten treffen, deren Kapital in der konkurrierenden Nation arbeitet. Zweifellos ist das der Grund, weshalb ein Trump viel mehr sagt, als er tut. Seine protektionistischen Drohungen sind in vieler Hinsicht mehr verbale Drohungen als Taten. Aber in einer finanzalisierten Weltwirtschaft, in der das Kapital hauptsächlich zu spekulativen Zwecken bewegt wird, haben virtuelle Bedrohungen reale und unvorhersehbare Folgen.

Militärische Konflikte als Ausdruck von Wirtschaftskriegen

Die militärischen Konflikte, die im Moment örtlich begrenzt sind, sind ein direkter oder indirekter Ausdruck der Wirtschaftskriege. Insbesondere im Nahen und Mittleren Osten, wo es vor allem wegen der Ölvorkommen schon immer einen heftigen Konkurrenzkampf zwischen den Großmächten gab, der sich aber in Krisenzeiten noch verschärft. Denjenigen, die heute im syrischen Idlib unter den Bomben sterben, oder die gestern in Mossul oder Aleppo gestorben sind, sterben für diesen Krieg um wirtschaftliche Interessen. Und diesmal konnten die politischen Führer ihnen nicht einmal die Lüge erzählen, dass sie für das Vaterland sterben würden. Opfer dieses Wirtschaftskriegs sind auch diejenigen, die vor den Bomben fliehen und sich dem Flüchtlingsstrom derjenigen anschließen, die versuchen, Elend oder Diktatur zu entkommen.

Der chaotische Zustand der Wirtschaft spiegelt sich in den internationalen Beziehungen ebenso wider wie im politischen Leben jeder kapitalistischen Nation.

Aber gleichzeitig gerät die Politik in Konflikt mit der finanzialisierten Wirtschaft, wo sich das Kapital auf der Suche nach einer profitablen Investition mit Lichtgeschwindigkeit von einem Ende des Planeten zum anderen bewegt. Die Grenze zwischen einer Investition in Produktionsmittel und einer reinen kurzfristig spekulativen Investition verschwimmt.

Der Imperialismus hat seine Herrschaft mit Blut und Leiden der Völker durchgesetzt. Die Kolonialherren unterwarfen die Völker einer Plünderung durch das große Kapital. Aber um systematisch und dauerhaft die Kolonien ausnehmen zu können, war der Bau von Straßen, Häfen, Eisenbahnen usw. erforderlich. Die Plünderung durch den finanzialisierten Imperialismus hat nicht einmal diese Nebenprodukte. Die Kapitalbewegungen sind unberechenbarer und chaotischer. Bei Kapital, das sich zu spekulativen Zwecken bewegt, geht es nicht nur um die Spekulation auf Aktien, Währungsschwankungen, landwirtschaftliche Ressourcen wie Holz, Weizen, Mais und Wein oder Bodenschätze wie Eisen, Kupfer und Zink. Sie spekulieren auf Staaten, ihre Zahlungsfähigkeit, auf ganze Länder, die Rentabilität ihrer Volkswirtschaften. Sie stürzen sich plötzlich auf ein Land, kassieren ihre Pfründe und ziehen sich dann schneller zurück, als sie gekommen sind. Und ruinieren das Land dabei.

Eine Regierungskrise, eine politische Entscheidung wie der Brexit (also der Austritt Großbritanniens aus der EU), eine protektionistische Maßnahme von Trump oder die Regierungsbeteiligung der extremen Rechten in Italien, lösen spekulative Erdbeben aus, die die Wirtschaftslage weiter verschärfen. Politisches Chaos spiegelt das wirtschaftliche Chaos wider und umgekehrt.

Die Bourgeoisie selbst fürchtet einen katastrophalen Zusammenbruch der Finanzwelt, den ihre Ökonomen manchmal als systemische Krise bezeichnen.

Es handelt sich hier nicht darum, über diese Möglichkeit zu diskutieren, geschweige denn darüber, wann sie eintreten könnte. Niemand kann dies erahnen, nicht einmal die Herren der Wirtschaft, die in Wahrheit nichts beherrschen.

Die Zeitung "Le Monde" vom 7. September 2018 titelte: "Schwellenländer in Turbulenzen", um darauf hinzuweisen, dass "es noch kein Sturm ist, aber dass die Schwellenländer gefährlich schwanken". Es ist ein Ausdruck für die chaotische und zugleich wechselseitig so abhängige Weltwirtschaft, dass sich derzeit Währungsturbulenzen auf fast identische Weise in den unterschiedlichsten Ländern der Welt ereignen. "Am Mittwoch, den 5. September, fiel die indonesische Rupie auf ihren niedrigsten Stand seit 1998, der Zeit der asiatischen Finanzkrise. Nach der türkischen Lira und dem argentinischen Peso im August haben der südafrikanische Rand, der russische Rubel, der brasilianische Real und der mexikanische Peso in den letzten Tagen sehr gelitten. Die Währungsschwankungen der Schwellenländer nähern sich den Höchstwerten, die in der großen Finanzkrise 2008 erreicht wurden."

Dies ist nicht das erste Mal, dass es zu solchen Erschütterungen kommt. Allein in den zehn Jahren seit der Finanzsystemkrise 2008 hat es mehrere dieser Art gegeben. Wie kann man darin nicht eine weitere Warnung sehen? Wie kann man sich angesichts der Entwicklung nicht Trotzkis Beschreibung der Weltlage von 1938 in Erinnerung rufen: "Das Wachstum der Arbeitslosigkeit verschärft die Finanzkrise des Staates und untergräbt die erschütterten Währungssysteme. Die Bourgeoisie selbst sieht keinen Ausweg. Unter dem ständigen Druck des kapitalistischen Niedergangs haben die imperialistischen Antagonismen die Grenze erreicht, an der die verschiedenen Konflikte und blutigen Explosionen (Äthiopien, Spanien, Fernost, Mitteleuropa...) unweigerlich zu einem globalen Feuer verschmelzen müssen."

Es ist kein Zufall, dass sich Trotzkis Situationsbeschreibung von 1938 und die heutige Zeit ähneln. Trotz der zeitlichen Distanz und aller Unterschiede der Situationen ähneln sich die Krämpfe des verfaulenden Kapitalismus. Und ebenso ähneln sich die Programme, die die Arbeiterklasse braucht, um diese Lage zu meistern.

Die Notwendigkeit eines Klassenprogramms für die Ausgebeuteten und einer Partei, die es verkörpert

Was auch immer ihre weitere Entwicklung sein mag, so hat die derzeitige Krise der kapitalistischen Wirtschaft die Existenzbedingungen der Arbeiterklasse bereits um mehrere Jahre zurückgeworfen. Durch ihre direkten oder indirekten Folgen hat sie bereits das gesamte gesellschaftliche Leben schädlich beeinflusst, wie in der vorangegangenen großen Krise, die ab 1929 die gesamte Menschheit in die Barbarei des 2.Weltkriegs getrieben hat.

Die gegenwärtige Krise, deren erste Anzeichen in den frühen 1970'er Jahren zu sehen waren, begann nicht mit einem so plötzlichen finanziellen Zusammenbruch wie dem Schwarzen Donnerstag von 1929. Sie erstreckt sich über einen längeren Zeitraum, ist schleichender - allerdings mit der schweren Finanzkrise von 2008 mittendrin - aber ihre Auswirkungen auf die Menschheit drohen ähnlich zu werden.

Die entscheidende Frage der Zeit war: Welche soziale Klasse wird die Gesellschaft leiten? Die Bourgeoisie führt die Gesellschaft in die Katastrophe. Die objektive Situation stellt von neuem akut die Frage der sozialen Revolution. Einer Revolution, die die Macht der Bourgeoisie zerstört und die als Klasse organisierte Arbeiterschaft an die Macht bringt, die dann an der Macht das Großbürgertum enteignen und die Gesellschaft von Grund auf umgestalten wird, indem sie mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln, der Profitwirtschaft und der Konkurrenz Schluss macht.

Die Arbeiterklasse ist die einzige soziale Klasse, die in der Lage ist, diese soziale Revolution zu vollbringen. In der Vergangenheit hat sie sich mehrfach eine Partei geschaffen, deren Ziel es war, die Bourgeoisie zu stürzen.

In Frankreich ist die erste der großen Parteien, die sich dieses Ziel gesetzt hatte - die Sozialistische Partei - seit langem ins Lager der Bourgeoisie übergegangen. Zu Trotzkis Zeiten war sie bereits eine Regierungspartei, jedoch hatte sie noch einen Fuß in der Arbeiterklasse. Dies ist nicht mehr der Fall. Die Sozialistische Partei wurde zu einem Reservoir an Politikern, die der Bourgeoisie und der kapitalistischen Ordnung völlig ergeben sind, bevor sie nun mit Haut und Haaren als größte Partei der bürgerlichen Linken untergeht.

Einige Jahre später ist ihr die Kommunistische Partei (PCF), die einst gegründet wurde, um die Sozialistische Partei nach ihrem Versagen zu ersetzen, auf dem gleichen Weg gefolgt. Der einzige historische Unterschied besteht darin, dass sie zunächst der bürokratischen Kaste der einstigen Sowjetunion diente, um dann der Bourgeoisie zu dienen. Der Verlauf war anders, das Ergebnis jedoch das gleiche.

Die Gewerkschaften, die immer weiter in den bürgerlichen Staat integriert wurden, folgten der gleichen Entwicklung.

Trotzki, der 1938 mit der Krise, ihren Folgen und dem sich ankündigenden Weltkrieg konfrontiert war, fasste die Lage in folgenden Worten zusammen: "Die historische Krise der Menschheit ist zurückzuführen auf die Krise der revolutionären Führung." Diese Idee war so grundlegend und wesentlich, dass er auf drei Mal auf verschiedene Arten und Weisen im Übergangsprogramm wiederholt hat.

Seit Trotzkis Tod hat die verheerende Wirkung der kapitalistischen Gesellschaft ihr zerstörerisches Werk fortgesetzt. Die ehemaligen Parteien der Arbeiterklasse sind selbst zu Instrumenten geworden, um die einzige soziale Klasse zu entwaffnen, die die Macht des Großkapitals bedrohen kann, indem sie sogar die Idee des Klassenkampfes selbst ersticken - und insbesondere eines Klassenkampfs, der bewusst von der Arbeiterklasse geführt wird und nur mit dem Sturz der kapitalistischen Ordnung enden kann.

Aber der Klassenkampf ist nicht nur eine Idee, er ist eine Realität, die in den sozialen Beziehungen des Kapitalismus wurzelt und mit der Verschärfung der Krise wieder aufleben wird.

Das wahre Problem besteht heute darin, dieser tiefen Realität des Klassenkampfes einen bewussten politischen Ausdruck zu verleihen. Das ist die grundlegende Aufgabe unserer Zeit, von der alles andere abhängt.

Angesichts der Krise und ihrer Folgen wird die Arbeiterklasse sich wieder aufrichten. Sie muss dies unter dem Banner der sozialen Revolution tun. Hierfür ist es nötig, dass die Arbeiterklasse sich ein Programm und eine Partei schafft, die dieses Programm verkörpert. Trotz all der Zeit, die seitdem verstrichen ist, ist diese Notwendigkeit die gleiche wie zu Trotzkis Zeiten. Deshalb bleibt das Übergangsprogramm weiterhin der beste Leitfaden für revolutionäre kommunistische Aktivisten.

Wir kommen hier nicht auf seine verschiedenen Aspekte zurück; auch nicht auf die Art und Weise, wie man heute das formulieren müsste, was Trotzki die Übergangsforderungen nannte.

Es handelt sich nicht um eine Rezeptsammlung.

Es ist ein Programm für die kämpfende Arbeiterklasse. "Ideen werden zu materieller Gewalt, wenn sie die Massen ergreifen", sagte Marx. Aber die Vorgehensweise revolutionärer kommunistischer Aktivisten besteht sicherlich nicht darin, darauf zu warten, dass dies von selbst geschieht. Ihre Pflicht ist es, sich für dieses Programm einzusetzen. Dafür zu kämpfen, auch wenn es weit weg von der Realität, vom Bewusstsein der Arbeiterklasse scheint.

1938 waren die Freudenfeste der Arbeiter nach den "Errungenschaften" der großen Streiks vom Juni 1936 nicht mehr von Belang. Der Krieg war in China und Äthiopien bereits eine Realität, und die Niederlage der spanischen Revolution kündigte den Zweiten Weltkrieg an! Ein Krieg, der nicht nur alle bisherigen Errungenschaften vernichtete, sondern auch die gesamte Gesellschaft in die Barbarei stürzte.

Heute ist kein Mechanismus am Werk, der wie Mitte der 1930er Jahre die Konfliktlinie vorzeichnet, um die herum die beiden gegnerischen Lager des Weltkriegs aufeinandertreffen würden. Aber die Geschichte wiederholt sich nicht in identischer Weise. Die vielen lokalen Kriege, die nie aufgehört haben, können sich ausbreiten und zu weltweiten Kriegen werden.

Das Bewusstsein der Arbeiterklasse ist weit entfernt von den Notwendigkeiten, die die objektive Situation des Kapitalismus erfordert. Aber um Trotzkis Formulierung zu verwenden, als er 1938 über das Übergangsprogramm sprach: "Der wissenschaftliche Charakter unserer Tätigkeit besteht darin, dass wir unser Programm nicht an konjunkturelle politische Umstände anpassen oder die derzeitige Stimmung der Massen, wie sie heute sind, sondern an die objektive Situation, die sich in der ökonomischen Struktur der Gesellschaftsklassen darstellt."

Letztlich wird die objektive Situation die Notwendigkeit von Forderungen durchsetzen, die auf den Klasseninteressen der Arbeiter basieren. Aber nur, wenn diese Forderungen innerhalb der Arbeiterklasse vertreten werden und den Illusionen entgegengestellt werden, die von der Bourgeoisie und ihren Anwälten unter den Arbeitern verbreitetet werden.

Der einzige Weg, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, besteht darin, Entlassungen zu verbieten und die Arbeit ohne Lohnkürzung unter Allen aufzuteilen. Die Agitation um diese lebenswichtige Frage ist ebenso einfach wie notwendig.

Die Forderung, die Kaufkraft durch eine automatische Koppelung der Löhne und Renten an die Preissteigerung zu sichern, konnte in den letzten Jahrzehnten mit ihrer niedrigen Inflation grundlos erscheinen. Sie kann wieder aktuell werden. (Dies können die türkischen Arbeiter bezeugen, die kürzlich erlebt haben, wir durch den Wertverlust der türkischen Lira im Verhältnis zum Dollar ihre Kaufkraft brutal zusammengeschrumpft ist) Die Rückkehr zur Inflation wird von einigen bürgerlichen Kreisen bereits angekündigt oder sogar herbei gewünscht.

Die Notwendigkeit, Arbeitermilizen zur Verteidigung zu schaffen, schien lange Zeit seht weit weg von der Mentalität und dem Bewusstseinsstand der Arbeiter zu sein. Doch sie kann sehr schnell wieder eine akute Frage für die Arbeiter werden, wenn sie nicht das erleiden wollen, was die Arbeiter in Mussolinis Italien oder Hitlerdeutschland erlitten haben, und zwar schon bevor die faschistische Partei oder die Nazi-Partei an die Macht kam.

Das Erstarken einer aktiven und gewalttätigen extremen Rechten in Deutschland stellt eine unmittelbare Gefahr für Migranten und diejenigen dar, die sich mit ihnen solidarisieren und sie verteidigen. Und es ist eine Bedrohung für alle Arbeiter, für ihre Organisationen, für die wenigen demokratischen Freiheiten, die in den imperialistischen Demokratien noch bestehen. Wenn sie nicht rechtzeitig gestoppt wird, wird sich die Jagd auf Migranten unvermeidlich zur Jagd auf Arbeiter generell entwickeln, egal woher sie stammen.

Die Arbeiter in Deutschland werden - unabhängig von ihrer Herkunft - vielleicht vor die Notwendigkeit gestellt werden, Mittel zur Selbstverteidigung zu schaffen, um sich und ihre Gewerkschaften zu verteidigen, obwohl diese vollständig in das politische System der Bourgeoisie integriert sind.

Die Konzerne siedeln sich ohne Rücksicht auf die Umwelt der Gegend oder dem Leben der dortigen Bewohner an (die Niederlassung des Konzerns La Montagne d'or in Französisch-Guayana ist ein aktuelles Beispiel). Der Staat baut für sie Infrastrukturen (Autobahnen, Flughäfen, Eisenbahnen usw.), deren Nutzen fragwürdig ist. All das und überhaupt viele Entscheidungen, die für die Interessen der Privateigentümer getroffen werden und der Gemeinschaft schaden, treffen zunehmend auf Ablehnung und Widerstand in der Gesellschaft. Manchmal wird diese konkret, äußert sich zum Beispiel in Protesten gegen die Schädlichkeit einer bestimmten Industrieanlage oder eines Infrastrukturprojekts.

Es entstehen Vereine und Organisationen, die diesen Protest organisieren. Ebenso Vereinigungen, die für Transparenz in vielen Bereichen, nicht zuletzt in der Lebensmittelherstellung eintreten.

Diese Anliegen ebenso wie die Organisationen, die sie zum Ausdruck bringen, stammen in den meisten Fällen aus dem Kleinbürgertum. In ihren grundsätzlichen Inhalten wie auch ihren Formulierungen tragen sie die Zeichen dieser sozialen Klasse, sind geprägt von ihrer eingeengten und kleinkarierten Sicht auf die Übel der Gesellschaft, ihre Unfähigkeit als Klasse, die Übel an der Wurzel zu packen und den Kapitalismus in Frage zu stellen. Diese Unfähigkeit bringt sie dazu, ihre Forderungen in moralischen Begriffen wie Gut oder Böse zu formulieren. Ihre Perspektive beschränkt sich letztlich auf die utopische und reaktionäre Perspektive, den Kapitalismus besser zu machen, ihn rücksichtsvoller gegenüber Mensch und Natur zu machen. Die von ihr politisch inspirierten Demonstrationen können je nach Mobilisierung zu Teilerfolgen führen und eine Regierung bei bestimmten Themen zurückdrängen. Jedoch können diese Erfolge bestenfalls partiell sein und Sackgassen darstellen, schlimmstenfalls in individualistische, konservative oder reaktionäre Bahnen gelenkt. Die "Politische Ökologie" mit ihren Abenteuern und Sackgassen veranschaulicht die tiefverwurzelte Unfähigkeit einer ganzen sozialen Klasse, auf der Höhe der allgemeinen Probleme der Menschheit zu sein und sich ihrer Herausforderung zu stellen, sei es in Bezug auf den Klimawandel oder der Zerstörung der Meere und der Atmosphäre.

Nur die Arbeiterklasse in all ihrer Vielfalt kann die kraftlose Idee der Transparenz in eine echte Kontrolle über die Fakten und Handlungen der Kapitalistenklasse verwandeln - und zwar, indem sie den Kampf für die Forderungen, die sich aus ihren Klasseninteressen ergeben, konsequent bis zum Ende führt. Sie ist die einzige soziale Kraft, die im Herz der Produktion, des Transports und der Verteilung der materiellen Güter steht. Durch die Vielzahl an lohnabhängig Beschäftigten in den Banken und Versicherungskonzernen ist sie im Herzen des Finanzwesens präsent. Nur sie kann die Kapitalistenklasse wirklich kontrolliere - nämlich dort, wo ihre wirtschaftliche Macht liegt. Die Kontrolle der kapitalistischen Unternehmen durch die Arbeiter ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Enteignung der Großbourgeoisie.

Auch wenn die Aufhebung des Geschäftsgeheimnisses und die Kontrolle der Produktion und der Banken durch die Ausgebeuteten heute weit entfernt scheint, so ergibt sie sich doch zwangsläufig aus der Logik von Forderungen wie die Aufteilung der Arbeit unter Allen oder die Koppelung der Löhne und Renten an den Preisanstieg. Denn nur durch die Kontrolle werden diese Forderungen sinnvoll und möglich. Deshalb müssen diese Forderungen formuliert und zum Kampfprogramm der Arbeiterklasse gemacht werden, denn - um mit Trotzkis Worten zu sprechen - selbst wenn dieses Programm nicht dem derzeitigen Bewusstseinsstand der Arbeiter entspricht, so entspricht es den objektiven Notwendigkeiten.

Es versteht sich von selbst, dass revolutionäre kommunistische Aktivisten konkrete Formulierungen finden müssen, die die Forderungen verständlich machen. Die Aktivisten müssen von den aktuellen, politischen oder betrieblichen Problemen der Arbeiter ausgehen, doch sie müssen dabei auch vorausschauend die zukünftigen Mobilisierungen der Arbeiterklasse vorbereiten.

Revolutionäre kommunistische Aktivisten müssen lernen, sich aller aktuellen Ereignisse zu bedienen, aller konkreten Erscheinungsformen der Schäden, die der verfaulende Kapitalismus anrichtet. Aber dabei dürfen sie nicht bei Teillösungen stehen bleiben und noch weniger Sackgassen vorschlagen.

Der einzige Leitfaden hierbei kann die tiefe Überzeugung sein, dass nur das Proletariat die Macht der Bourgeoisie stürzen und der menschlichen Gesellschaft ersparen kann, sich rückwärts zu entwickeln und langsam oder brutal in der Barbarei zu versinken.

14. September 2018