Israel-Palästina, zwischen Blutbädern und Siedlungspolitik
Seit dem 30. März nehmen regelmäßig tausende Menschen an Demonstrationen an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel teil, zu denen zahlreiche palästinensische Organisationen aufrufen. Bei jedem dieser Protestmärsche wiederholt sich dasselbe Szenario: Ein Teil der Demonstranten nähert sich der Sicherheitszone und die israelische Armee schießt auf sie, auf unbewaffnete Frauen, Männer und Kinder - und richtet ohne Bedenken ein Blutbad an. Mitte Juni belief sich die Zahl der Opfer auf mehr als 120 Tote und 3.700 Verletzte.
Die Palästinenser demonstrieren, wie sie es übrigens jedes Jahr um diese Zeit tun, um daran zu erinnern, dass der Staat Israel gegründet wurde, indem er hunderttausende Palästinenser vertrieb. 700.000 Palästinenser wurden damals aus ihren Häusern und von ihrem Land vertrieben, zu Flüchtlingen gemacht und dazu verdammt, überall in der Region verstreut in Flüchtlingslagern zu leben.
Die Bewohner des Gazastreifens prangern bei ihren Protesten auch die Blockade an, die sie seit über 10 Jahren ertragen müssen. In dieser küstennahen Enklave - mit einer Länge von 41 km und einer Breite von 6 bis 12 km - leben nahezu zwei Millionen Menschen. Nachdem der israelische Staat hier 2008, 2012 und 2014 drei Kriege geführt und unzählige Zerstörungen verursacht hat, verbietet er den Palästinensern die Einfuhr von zahlreichen lebensnotwendigen Waren vollständig oder zumindest teilweise. Dadurch verhindert er jeglichen ernsthaften Wiederaufbau und verdammt 80 % der Einwohner dazu, von humanitärer Hilfe zu Leben. Selbst die am dringendsten benötigten Medikamente fehlen, Strom gibt es nur wenige Stunden pro Tage und wegen der zerstörten Infrastruktur ist das Leitungswasser in aller Regel nicht trinkbar.
Dass Trump seit seiner Ankunft im Weißen Haus die israelische Regierung offen unterstützt, hat den Zorn der Palästinenser noch gesteigert. Im Dezember 2017 kündigte er an, dass er die amerikanische Botschaft nach Jerusalem verlegen würde, womit er dieser Stadt den Status einer Hauptstadt verliehen hat. Seit 1980 hatten die israelischen Regierungen diese Verlegung der Botschaft gefordert - seit das israelische Parlament 1980 die Annexion des östlichen Teils der Stadt beschlossen hatte, der seit 1967 von Israel besetzt war und deren Bevölkerung in der Mehrzahl Palästinenser sind.
Die Verlegung der Botschaft war eines von Trumps Wahlversprechen. Aber um die Verlogenheit der amerikanischen Diplomaten deutlich zu machen, lohnt es sich daran zu erinnern, dass das Gesetz zur Verlegung der Botschaft bereits 1995 unter Präsident Clinton durch den amerikanischen Kongress verabschiedet worden war, jedoch erst jetzt angewendet wird. Eine Klausel dieses Textes ermöglichte es nämlich, die Anwendung des Gesetzes jeweils für sechs Monate aufzuschieben. Alle Amtsvorgänger von Trump haben seit dreiundzwanzig Jahren regelmäßig den Aufschub des Gesetzes für weitere sechs Monate beschlossen, um ihre arabischen Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten zu schonen.
Der Zionismus im Dienst des Imperialismus
Die in den letzten Wochen von der israelischen Armee verübten Massaker sind nicht neu. Seit seiner Gründung vor 70 Jahren verfolgt der israelische Staat eine Politik des Terrors und der Gewalt - mit der Schützenhilfe und der Komplizenschaft der imperialistischen Großmächte.
Diese Politik ist der Kern des zionistischen Projektes an sich. Das Ziel der zionistischen Bewegung hat von Anfang an darin bestanden, die Gründung eines jüdischen Staates gegen den Willen der in Palästina lebenden arabischen Bevölkerung durchzusetzen. Ihr Schlachtruf war: "Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land". Aber die Gründer der Bewegung wussten sehr gut, dass Palästina kein "Land ohne Volk" war. Und von Beginn an versuchten sie, die Schützenhilfe einer imperialistischen Macht zu gewinnen, um ihr Projekt verwirklichen zu können. Die europäischen Staaten befanden sich gerade mitten auf ihren kolonialen Eroberungszügen und die Gründer des Zionismus boten sich als Hilfskraft bei der Kolonialisierung an.
Es war schließlich das Vereinigte Königreich, das sich mit dem Ersten Weltkrieg dazu entschied, sich auf den Zionismus zu stützen und ihm dafür versprach, die Gründung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zu unterstützen. Aber gleichzeitig versprach die britische Führung die Gründung eines arabischen Königreichs in Palästina, um die militärische Unterstützung der arabischen Beduinen-Stämme zu bekommen. Tatsächlich hatten die politischen Führer Großbritanniens natürlich vor, das zwei Mal versprochene Land unter ihrer eigenen Kontrolle zu behalten. 1916 schlossen sie mit Frankreich eine geheime Übereinkunft, das sogenannte Sykes-Picot-Abkommen, in dem sie die Region untereinander aufteilten.
Es ist wichtig, an diese Tatsachen zu erinnern. Denn nur dann kann man verstehen, wie sehr der Imperialismus mit seiner Politik des "Teile und Herrsche" und seiner unterdrückerischen Machtpolitik verantwortlich ist für die heutigen Konflikte - in dieser Region wie auch in vielen anderen.
Heute versuchen die politischen Führer des israelischen Staates (ebenso wie die Mehrheit derjenigen, die seine Politik verteidigen), Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen. Gegen diese skandalöse Gleichsetzung ist es notwendig daran zu erinnern, dass die Mehrzahl der Juden bis zum zweiten Weltkrieg keine Anhänger der zionistischen Bewegung waren - dieser nationalistischen Bewegung, die sich das Ziel setzte, einen jüdischen Staat in dieser armen Region zu gründen, die Palästina Anfang des 20. Jahrhunderts war. Die Juden, die vor der Verfolgung flohen - und dies taten viele insbesondere aus Russland und Osteuropa - versuchten zum allergrößten Teil in die USA zu gelangen. Sehr oft nahm ihr Kampf gegen die Verfolgungen - und auch gegen die Ausbeutung, denn es existierte eine große jüdische Arbeiterklasse in Russland und Polen - auch die Form eines Engagements in den sozialistischen Bewegungen an.
In Verzweiflung gestürzt und in die Arme des Zionismus getrieben wurde ein bedeutender Teil der europäischen Juden erst durch den Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland und die antisemitischen Verfolgungen, denen die damaligen Großmächte gleichgültig zusahen. Ja, sie gingen sogar soweit, ihre Grenzen vor den Juden zu verschließen, die dem Hitler-Regime zu entfliehen versuchten. Und dann kam die massenhafte Deportation der Juden, oft mit tatkräftiger Unterstützung der Polizei der besetzten Staaten, wie es in Frankreich der Fall war, die mit dem grausamen Tod von 6 Millionen Juden endete. Viele Überlebende mussten anschließend in Flüchtlingslagern hausen, weil die Alliierten sich weigerten, all diejenigen aufzunehmen, die nicht in ihr Herkunftsland zurückzukehren wollten.
Der Zynismus der imperialistischen Mächte und ihre Verachtung für die Völker - die jüdischen Bevölkerungsgruppen eingeschlossen - haben es den zionistischen Organisationen ermöglicht, unter den aus Europa geflohenen Juden eine größere Anhängerschaft zu gewinnen. Sie versprachen ihnen einen Staat, der sie beschützen würde, weil es ihr eigener Staat wäre.
Auch siebzig Jahre nach seiner Gründung hat der israelische Staat seinen Einwohnern nicht die versprochene Sicherheit gebracht. Diese sind gezwungen, in permanenter Alarmbereitschaft in einem befestigen Burg zu leben, in ständiger Gefahr eines neuen militärischen Konflikts oder eine neue Welle terroristischer Attentate.
Diese Situation ist die Folge der Politik der israelischen Führer, die ihren Staat in einem permanenten Kriegszustand mit den arabischen Bevölkerungen aufgebaut haben. Diese Entscheidung hat sie dazu gebracht, der bewaffnete Arm des amerikanischen Imperialismus in der Region zu werden.
Die USA haben die Wahl getroffen, den israelischen Staat vorbehaltslos zu unterstützen. Auf diese Weise verfügten sie über einen Verbündeten, dessen Existenz, ökonomisch wie militärisch, von den USA abhängt. Über einen Verbündeten, der seine Bevölkerung obendrein bis heute bei jedem militärischen Konflikt hinter sich vereinen konnte, indem er sie glauben machte, dass es um ihre Sicherheit und ihr Überlegen ginge und keine andere Politik möglich sei. So konnte der Imperialismus den israelischen Staat in den 1950er wie 1960er Jahren gegen die arabischen Staaten nutzen, in denen sich nationalistische Bewegungen entwickelten, die anti-imperialistische Gefühle zum Ausdruck brachten und die Massen des Mittleren Orients in Aufruhr versetzten. Einige Regime, wie das des ägyptischen Nationalisten Nasser, versuchten sich aus der Umklammerung des Imperialismus zu lösen, indem sie sich auf diese Gefühle in der Bevölkerung stützten. Israel führte in diesem Zusammenhang zwei Kriege gegen Ägypten (1956 anlässlich der französisch-britischen Intervention gegen die Nationalisierung des Suez-Kanals und insbesondere 1967 anlässlich des Sechs-Tages-Krieges). Sie dienten sowohl Israels eigenen Interessen als auch denen des Imperialismus.
Die israelische extreme Rechte an der Macht
Die derzeitige israelische Regierung ist sicher eine der rechtesten, die Israel jemals hatte. Ihr Premierminister Benjamin Netanjahu ist seit 2009 an der Macht. Aber seine Partei, die Likud, hat diesmal nur eine schwache Mehrheit im israelischen Parlament (der Knesset) bekommen und konnte sich daher nur an der Macht halten durch ein Bündnis mit rechtsextremen nationalistischen und religiösen Gruppierung. Auch wenn sie nur eine kleine Minderheit im Parlament ausmachen, besetzen sie Schlüsselpositionen in der Regierung. Avigor Lieberman, der dazu aufgerufen hatte, den israelischen Arabern, "die gegen uns sind, mit der Axt den Kopf abzuhacken" - dieser Liebermann ist seit zwei Jahren Verteidigungsminister. Er spielt also eine entscheidende Rolle in der israelischen Regierung, obwohl seine Partei Jisra'el Beitenu (Unser Heim Israel) bei den letzten Parlamentswahlen kaum mehr als 5 % der Stimmen erhalten hat. Mit etwa demselben Stimmgewicht haben die religiösen Nationalisten der Partei "Jüdisches Heim" ebenfalls wichtige Posten inne, wie das Bildungs-, Justiz- und Landwirtschaftsministerium. Sie sind offene Anhänger der Siedlungspolitik im Westjordanland und fordern, das Westjordanland zu annektieren und ein "Groß-Israel" zu schaffen.
"Eine Regierung der Siedler", so lautet das Urteil nicht wenige politischer Kommentatoren in Israel. Einige bedauern dabei den Kontrast zu der Epoche, in der die Gründerväter Israels den Sozialismus für sich beanspruchten. Es stimmt, dass die gesamte Entwicklung des politischen Lebens durch ein Erstarken der extremen Rechten geprägt war und ist, was viele Israelis zu Recht sehr beunruhigt. Aber um die Gründe für diese Entwicklung zu verstehen, muss man als erstes klarstellen, dass die Politik der Gründer des israelischen Staates nichts Sozialistisches an sich hatte. Denn ihr "Sozialismus", insofern dieses Wort in diesem Zusammenhang überhaupt einen Sinn hat, schloss die arabischen Massen aus. Ihr politischer Jargon war ein Erbe der sozialistischen Bewegungen Osteuropas, die in den jüdischen Bevölkerungsgruppen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr einflussreich waren. Die Entwicklung hingegen, die der israelische Staat, sein politisches System und seine Gesellschaft erlebt hat, bestätigt die marxistische Überzeugung, dass ein Volk, welches ein anderes unterdrückt, selbst nicht frei sein kann.
Die Verantwortung der Arbeitspartei
Die Arbeitspartei, die aus diesen zionistisch-sozialistischen Bewegungen hervorgegangen ist, hat lange das gesamte politische Leben dominiert. Ihre Politik hat von Anfang an dazu beigetragen, die religiösen Kräfte zu stärken, da die Religion das Fundament des Zionismus bildet. In Israel ist das Standesamt in den Händen der Rabbiner. Die vorgeblichen Sozialisten haben einen Staat gegründet, in dem die Religion eine ebenso wichtige Rolle spielt wie in vielen theokratischen Staaten - einen Staat, wo weder Scheidungen noch Mischehen anerkannt sind.
Die Siedlungspolitik hat dazu beigetragen, das Gewicht der Rechtsextremen zu verstärken. Laut der größten Organisation der Siedler, dem Jescha-Rat, ist die jüdische Bevölkerung im Westjordanland 2017 um 3,4 % gestiegen. Mittlerweile gibt es 435.000 jüdische Siedler im Westjordanland, hinzu kommen die rund 200.000 Siedler im östlichen Teil Jerusalems. Die Siedlungen, die auf palästinensischem Land errichtet wurden, erhalten vom Staat Israel materielle und militärische Unterstützung. Einige von ihnen haben wahre Städte mit zehntausenden von Einwohnern errichtet. Beschützt von der israelischen Armee können sich die Siedler ungestraft an der schutzlosen palästinensischen Bevölkerung vergreifen. Laut der israelischen Organisation Jesch Din, die sich gegen die Siedlungspolitik stellt, hat sich die Zahl der Angriffe von Siedlern auf Palästinenser zwischen 2006 und 2014 vervierfacht. Insgesamt gab es 2.100 Übergriffe in diesem Zeitraum, sprich 1 Übergriff alle 36 Stunden. Es handelt sich um eine regelrechte Politik des Terrors mit dem Ziel, den palästinensischen Dorfbewohnern den Zugang zu den Wasserquellen und Feldern zu verwehren und so still und heimlich das gesamte Westjordanland zu erobern. Die Mitglieder der Siedlungen sind die aktive und militante Basis der extremen Rechten und geben ihr die Möglichkeit, das gesamte politische Leben zu beeinflussen.
Die derzeitige Regierung treibt die Siedlungspolitik offen voran und ermutigt sie. Doch begonnen hat mit dieser Politik die Arbeitspartei: Sie hat von 1967 an, seit das Westjordanland und der Gazastreifen besetzt wurden, die Gründung der ersten Siedlungen unterstützt.
Nach den Verträgen von Oslo geht die Besiedelung weiter
Jahrelang hat die israelische Regierung behauptet, eine humane Form der Besatzung zu führen. Die Wirklichkeit sah ganz anders aus: Repressionen, Demütigungen, Verhaftungen, auf die jedes Mal die Sprengung der Häuser der Aktivisten folgten, also ihre ganzen Familien obdachlos wurden... All das konnte nur die Empörung und Wut nähren, die 1987 mit der ersten Intifada explodierte, der "Krieg der Steine". Er wurde so genannt, da über Monate hinweg Jugendliche, ja sogar sehr junge Jugendliche, täglich mit israelischen Soldaten zusammenstießen, Steine auf sie warfen und unter ihren Kugeln starben.
Diese Revolte brachte die Herrschenden Israels dazu, ihre Haltung gegenüber der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), in der sich die Mehrheit der palästinensischen zusammengeschlossen hatte, zu verändern. Lange Zeit hatten es die israelischen Regierungen abgelehnt, die Palästinenser anzuerkennen - eine Haltung, die der israelische Premierminister Golda Meir 1969 in dem Ausspruch zusammenfasste: "So etwas wie ein palästinensisches Volk gibt es nicht."
Der israelischen Armee gelang es nicht, die erste Intifada in den Griff zu bekommen. Die israelischen Herrscher akzeptierten daher, Verhandlungen mit der PLO und ihrem Anführer Jassir Arafat aufzunehmen. Diese führten 1993 zu den Verträgen von Oslo und zur Etablierung der palästinensischen Autonomiebehörde, also der politischen Amtsgewalt der Palästinenser über das Westjordanland und den Gazastreifen. Die Kader der PLO konnten also eine Verwaltung und eine Polizei aufbauen.
Im Gegenzug erwartete die israelische Regierung von dieser palästinensischen Polizei, dass sie die Ordnung aufrecht erhält. Aber zu keinem Zeitpunkt hatte die israelische Regierung die Absicht so weit zu gehen, die palästinensische Autonomiebehörde als eigenständigen Staat anzuerkennen. Die Siedlungspolitik wurde selbst während dieser Jahre nicht ausgesetzt, in denen die israelischen Diplomaten vorgaben, einen "Friedensprozess" zu beginnen. Im Gegenteil, sie nahm weiter Fahrt auf.
Heute knüpft die Regierung Netanjahu wieder an die Haltung an, die vor 1987 vorherrschend war: Sie lehnt es ab, auch nur so zu tun, als würde sie mit den Palästinenserführern verhandeln. Die Folge ist, dass kein Jahr vergeht, ohne dass es zu neuen Explosionen der Wut kommt, zu neuen Revolten und Demonstrationen.
Die Sackgasse, in der sich die palästinensische und die jüdische Bevölkerung heute befindet, ist die Folge der gesamten Politik, die die israelischen Regierungen seit siebzig Jahren geführt haben: zunächst Regierungen der Arbeitspartei, dann Regierungen der Rechten - übrigens mehrfach mit der Beteiligung von Ministern der Arbeitspartei.
Der Zusammenbruch der nationalistischen palästinensischen Führung
In dem Kampf, der hier stattfindet, sind wir nicht neutral. Wir stehen bedingungslos auf der Seite des palästinensischen Volkes, unabhängig von der Führung, die es sich in diesem Kampf wählt. Wir sind solidarisch mit seinem Kampf, in dem es einen eigenen Staat fordert und das Recht der Flüchtlinge, zurückzukehren und wieder auf dem Land zu leben, von dem sie vertrieben wurden. Wir wissen nicht, welche Form ein solcher Staat annehmen könnte, noch welche Lösungen gefunden werden könnten, um es beiden Völkern zu ermöglichen zusammen zu leben. Eine Sache ist jedoch sicher: Die Tatsache, dass Millionen von Palästinensern seit mehreren Generationen dazu verdammt sind, in Flüchtlingslagern zu hausen, ist inakzeptabel und unentschuldbar.
Wir verurteilen die Schändlichkeit der imperialistischen und israelischen Führer. Doch es ist auch unsere Pflicht aufzudecken, dass die Politik der nationalistischen palästinensischen Führung ebenfalls dazu beigetragen hat, dass die Bevölkerungen sich heute in dieser Sackgasse wiederfinden. Die Palästinenserführer hatten das Ziel, einen palästinensischen Staat im Rahmen der imperialistischen Ordnung zu erreichen und dabei die von den Großmächten erzwungene territoriale Aufteilung zu respektieren. Sie setzten darauf, hierfür die Hilfe der arabischen Staaten zu bekommen. Sie suchten daher das Bündnis mit ihnen und weigerten sich, sie zu bekämpfen.
Dabei gab es eine Zeit, in der der Kampf der Palästinenser allen Ausgebeuteten des Nahen und Mittleren Ostens hätten Perspektiven eröffnen können. Nach dem Sechs-Tages-Krieg 1967 hatte die Niederlage der arabischen Staaten einen Großteil der Palästinenser davon überzeugt, dass sie nur auf sich selbst zählen könnten und auf ihre eigene Fähigkeit, sich zu organisieren - unabhängig von den bestehenden Regimen. In den Flüchtlingslagern, in denen sie lebten (in Jordanien, im Libanon, in Syrien) schufen sie bewaffnete Milizen. Die palästinensischen Kämpfer, die Fedajin, hatten sich den Respekt der arabischen Bevölkerungen erworben. Viele aus der einfachen Bevölkerung identifizierten sich mit ihrem Kampf. Die palästinensischen Kämpfer hätten die Vorhut eines Kampfes der arabischen Massen gegen den Imperialismus und gegen die Gesamtheit der arabischen Regime bilden können, gegen die herrschenden Klassen dieser Staaten, die ihre Bevölkerungen unterdrückten.
Aber den Wunsch und die Perspektive, einen solchen Kampf zu führen, hatte keine der nationalistischen palästinensischen Organisationen, angefangen bei Arafat. Sie verkörperten das Streben des palästinensischen Kleinbürgertums, das davon träumte, über seinen eigenen Staat zu verfügen, um selber die palästinensischen Arbeiter und die einfache Bevölkerung ausbeuten und unterdrücken zu können. Und für dieses Ziel war in den Augen Arafats die Unterstützung der arabischen Staaten wichtiger als das Los der der arabischen Massen.
Trotz der Politik der Palästinenserführer jedoch stellten die Palästinenser eine Bedrohung für die arabischen Staaten da. Denn allein durch die Tatsache, dass sie kämpften, bestand die Gefahr, dass sich Teile der arabischen Bevölkerungen an ihnen ein Beispiel nehmen könnten. Aus diesem Grund wurden die Palästinenser Opfer wiederholter Repressionen von Seiten der Staaten, deren Unterstützung die PLO suchte: Im September 1970 wurden sie von der jordanischen Armee massakriert, dann durch die syrische Armee im Libanon 1976. Und trotzdem behielt die PLO ihre Politik gegenüber diesen Regimen unverändert bei.
Unfähig die israelische Armee zu besiegen, konnten die Führer der PLO letztlich nichts Anderes durchsetzen als die Bildung der palästinensischen Autonomiebehörde im Jahr 1994. Diese gab ihnen das Recht, bis zu einem gewissen Grad einen Teil des 1967 von Israel besetzten Gebietes zu verwalten. Der Nachfolger Arafats, Mahmud Abbas, hat zwar nicht den offiziellen Titel Staatsoberhaupt erhalten, aber die Errichtung dieser Autonomiebehörde hat es einer Schicht von Palästinensern ermöglicht, sich zu bereichern - angefangen bei den Kadern der Fatah, der Partei Arafats, die damit Gründe fanden, mit der bestehenden Situation zufrieden zu sein.
Die palästinensische und die israelische Gesellschaft haben eine parallele Entwicklung erlebt: Die Zunahme des religiösen Zionismus und des anti-arabischen Rassismus unter den Israelis haben den Einfluss des Islamismus der Hamas unterstützt und genährt. Die Hamas konnte außerdem davon profitieren, dass die Fatah-Regierung immer weiter in Misskredit geriet - so sehr, dass die Hamas schließlich im Gazastreifen dauerhaft an die Macht gelangen konnte. Netanjahu und seine rechtsextremen Minister auf der einen Seite, die Hamas auf der anderen - beide verkörpern jeder auf seine Weise die tragische Sackgasse, in die die nationalistischen Führer ihre Völker jeweils geführt haben.
Und natürlich sind sie grundsätzlich durch den Imperialismus dahin gebracht worden, der die Juden und die Palästinenser gegeneinander aufgehetzt hat, um sich ihre Vorherrschaft in dieser Region zu sichern. Die gegenwärtige Sackgasse zeigt, dass es für beide Völker keine Hoffnung gibt innerhalb des Rahmens, den die imperialistischen Mächte ihnen aufzwingen.
18. Juni 2018