Die Globalisierungskritik (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - Dezember 2003)

Die Globalisierungskritik
Dezember 2003

(Dieser Text wurde vom Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2003 verabschiedet)

Die "globalisierungskritische" Strömung mit ihren wagen politischen Abgrenzungen, ihrer rebellischen Ausdrucksweise, die jedoch die Grenzen der bestehenden Ordnung nicht überschreitet, ihren lächerlich utopischen Zielen, die die politischen Machthaber überzeugen wollen, nimmt heute immer mehr Platz im politischen Zeitgeschehen ein, nicht so sehr wegen ihrer eigenen Ausstrahlungskraft, sondern aufgrund des Vertrauensverlustes der linken Parteien, der zum schon viel weiter zurückliegenden Verlust der marxistischen Referenzen hinzukommt.

Diese heterogene Strömung behauptet, den Protest gegen ein Phänomen zu verkörpern, das im Kauderwelsch gewisser Wirtschaftler mit "Globalisierung" bezeichnet wird, ein Ausdruck, der von Politikern und Medien übernommen und verbreitet wurde. Bezeichnete man sich anfänglich als "Globalisierungsgegner", nennt man sich heute lieber "Globalisierungskritiker". Es stimmt, dass der Begriff "Globalisierungsgegner" bedeutet, dass man die Globalisierung bekämpft, was ebenso utopisch wie reaktionär wäre.

In Frankreich präsentiert sich die Organisation Attac als hauptsächlicher Vertreter der globalisierungskritischen Bewegung. Aber zahlreiche anderen Organisationen der so genannten sozialen Bewegung, etwa die "Confédération paysanne" (Bauernbund) von José Bové, bekennen sich zu dieser Strömung.

Für die Globalisierungskritiker ist die Globalisierung, so wie sie sie verstehen und kritisieren, ein verhältnismäßig neues Phänomen, das sich etwa ab der Mitte der siebziger Jahre durchgesetzt hätte und dessen politischer Ausdruck der "Neoliberalismus" von Ronald Reagan und Margaret Thatcher wäre.

Über die Kritik der Politik der "Globalisierungskritiker" hinaus muss man also die Fundiertheit der Analyse der Wirtschaftsentwicklung, auf die sich die Bewegung beruft, sowie die Veränderungen in der Weltwirtschaft des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts hinterfragen.

Die Globalisierung im Sinne der Entwicklung einer Weltwirtschaft und der Internationalisierung der Produktion ist untrennbar mit der kapitalistischen Entwicklung verbunden. Bereits 1848, vor mehr als 150 Jahren, beschrieb das Manifest der Kommunistischen Partei die Globalisierung als eine der Besonderheiten des Kapitalismus: "Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. (..) An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander."

Und Marx war der erste, der diese weitreichende Folgeerscheinung der kapitalistischen Globalisierung untersuchte, wobei er als Beispiel den Zusammenbruch des indischen Textilhandwerks durch die Entwicklung der kapitalistischen Textilindustrie in England anführte.

Die "Globalisierungskritiker" belegen das Wort "Globalisierung" noch mit einer weiteren Bedeutung: Sie bezeichnen damit die Herrschaft der Multinationalen, die ihre Gesetze sogar den Regierungen vorschreiben; den Sieg des Finanzkapitales über das industrielle Kapital; die Tatsache, dass die "südlichen" Länder - so bezeichnet sie das globalisierungskritische Vokabular, um Ausdrücke wie "unterentwickelte" oder "arme" Länder zu vermeiden, da diese als herabsetzend betrachtet werden - durch das Finanzwesen der imperialistischen Länder erstickt werden; die Herrschaft einiger weniger Großmächte, hauptsächlich der USA, über die Wirtschaft und den Rest der Welt.

Auch unter diesem Blickwinkel ist das Phänomen nicht wirklich neu. 1916 definierte Lenin den Imperialismus folgendermaßen: "Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist". Er fügte hinzu: "Monopole, Oligarchie, das Streben nach Herrschaft statt nach Freiheit, die Ausbeutung einer immer größeren Anzahl kleiner oder schwacher Nationen durch ganz wenige reiche oder mächtige Nationen - all das erzeugte jene Merkmale des Imperialismus, die uns veranlassen, ihn als parasitären oder in Fäulnis begriffenen Kapitalismus zu kennzeichnen. Immer plastischer tritt als eine Tendenz des Imperialismus die Bildung des ,Rentnerstaates', des Wucherstaates hervor, dessen Bourgeoisie in steigendem Maße von Kapitalexport und ,Kuponschneiden' lebt."

So wie die Globalisierungskritiker ihn benutzen, bezieht sich der Ausdruck "Globalisierung" auf eine gewisse Anzahl tatsächlicher Veränderungen, die gewisse Charakterzüge des Kapitalismus im imperialistischen Stadium verstärkt haben, ohne ihn jedoch grundlegend zu verändern. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Zunahme des internationalen Handels, die wesentlich stärker ist als die der Produktion; um die zunehmende Aufhebung der Schutzzollpolitik, die von den einzelnen Staaten angesichts der Bewegungen des Kapitals und der Kapitalanlagen auferlegt wurde; um die Vorherrschaft des Finanzkapitals über das Produktionskapital, die größer ist als jemals zuvor und die das Schmarotzertum des Großkapitals nur noch verschlimmert; um die "Deregulierung" und den "Abbau von Schranken", welche die legalen Hindernisse aufheben, die etwa einer Bank verboten, Versicherungstätigkeiten nachzugehen und umgekehrt, Versicherungen daran hinderten, Banktätigkeiten zu übernehmen und schließlich geht es auch um das Ausmaß der Kapitalkonzentrationen und die Vergrößerung des Einflusses der multinationalen Konzerne auf die Weltwirtschaft. Die grundlegenden Eigenschaften des Kapitalismus, die Lenin beschrieb, wurden durch diese Größenveränderungen jedoch nicht verändert.

Die Erörterung um die Benutzung des Begriffes "Globalisierung" ist keine einfache Vokabularfrage. Der Ausdruck ist so verschwommen, dass man wirklich alles hineinpacken kann. Vor allem aber verbirgt er die Tatsache, dass sich auch diejenigen Charakterzüge der kapitalistischen Weltwirtschaft, die sich in den letzten dreißig Jahren verändert haben, aus der organischen Entwicklung des Kapitalismus selbst entstanden sind. Der Terminus soll als Ansatzpunkt für die angedeutete, wenn nicht offene vertretene, politische Ansicht der globalisierungskritischen Strömung dienen, die behauptet, dass es genügt, zur früheren Funktionsweise der imperialistischen Wirtschaft zurückzukehren, um die gegenwärtige katastrophale Situation zu beheben.

Die gegenwärtige Neigung zur Verminderung der protektionistischen Schranken ist nur in Bezug auf die verschärfte Schutzzollpolitik der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen neu, die während und nach dem zweiten Weltkrieg fortgesetzt worden ist. In den ersten Jahrzehnten der imperialistischen Ära, etwa von 1870 bis 1914, erlebte die Wirtschaft eine erste Phase großflächiger grenzüberschreitender Kapitalbewegungen und außerordentlich starken Aufschwungs des internationalen Handels. Schon damals erstickten die großen Industrie- und Finanzgruppen innerhalb der nationalen Grenzen und stützten sich auf die militärische und diplomatische Macht ihrer Nationalstaaten, um ihre Produktion und ihren Markt zu "globalisieren". Der erste Weltkrieg bedeutete das Ende dieser Phase der "Globalisierung" und stellte den Beginn des Rückzugs auf Schutzzollpolitik, Nationalwährungen und Währungskontrolle dar.

Aber in keiner dieser beiden Epochen des Imperialismus regierten der freie Wettbewerbes und die alleinigen Gesetze des Marktes. Die Aufteilung der Welt durch ein halbes Dutzend imperialistischer Großmächte am Ende des 19. Jahrhunderts war sowohl Ausdruck des internationalen Charakters der imperialistischen Wirtschaft als auch des protektionistischen Charakters der imperialistischen Herrschaft dieser Epoche. Die direkte politische und wirtschaftliche Inbesitznahme von Teilen der Welt durch die Großmächte zielte nicht nur darauf ab, ihre wirtschaftliche Herrschaft über die betroffenen Völker zu bewahren. Darüber hinaus sollte sie ihren Einflussbereich gegen die konkurrierenden kapitalistischen Mächte schützen. Die koloniale Form der imperialistischen Herrschaft war im Wesentlichen protektionistisch. Die USA waren zu jener Zeit mit der Eroberung des amerikanischen Westens beschäftigt, die sich als entscheidender Faktor für die Ausdehnung ihres riesigen Binnenmarktes erwies. Abgesehen davon hielten es die Vereinigten Staaten nicht für notwendig, ihren Einflussbereich durch Kolonialherrschaft zu sichern, außer in einigen wenigen Ausnahmefällen (die Philippinen, Puerto Rico, zu bestimmten Zeitpunkten Mittelamerika). Sie hatten andere, wesentlich wirksamere Mittel: Ihre wirtschaftliche Macht und, bei Bedarf, ihre militärische Macht.

Die große kapitalistische Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 hat nach außen hin die Schutzzollpolitik und nach innen den Etatismus - die letzten Waffen der imperialistischen Wirtschaftsordnung gegen die Krise - verstärkt und das bis zu einem nie zuvor erreichten Punkt. Die deutsche Wirtschaft unter der Herrschaft des Nationalsozialismus war das bis zum Äußersten getriebene Beispiel. Während des Krieges jedoch haben alle imperialistischen Mächte den gleichen Weg eingeschlagen. -

Die Schutzzollpolitik und der im Dienst des Großkapitals stehende Etatismus waren vor allem Mittel, eine auf den Krieg gerichtete Wirtschaft zu entwickeln. Sie führten wie von selbst in diese Richtung und folgten ihr während des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit weiter.

Während der Phase des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, in der die Rolle der Nationalstaaten entscheidend war, stellten diese wieder Zollgebühren, Kontingentierungen, tarifliche und technische Hindernisse und Devisenkontrollen gegen die freie Waren- und Kapitalbewegung auf.

In den Nachkriegsjahren setzte die Entkolonisierungsbewegung den ihnen ausschließlich vorbehaltenen Herrschaftsgebiete, welche die Kolonien für die zweitrangigen imperialistischen Mächte darstellten, je nach Kolonialherrschaft mehr oder weniger schnell ein Ende.

Als ein durch den Aufstand der kolonisierten Völker erzwungenes politisches Ereignis ist die Kolonialrevolution selbst - auf wirtschaftlicher Ebene - zu einem der Faktoren der Entwicklung der imperialistischen Wirtschaft geworden, indem sie die zuvor "reservierten" Gebiete mehr oder weniger dem internationalen Wettbewerb geöffnet hat.

Einige Staaten, die aus den Kämpfen für die Befreiung von der Kolonialherrschaft hervorgegangen sind, und insbesondere China, haben versucht, ihre Volkswirtschaft mittels stattlicher Mittel und durch protektionistische Schranken geschützt zu modernisieren. Doch die meisten unabhängig gewordenen Länder befanden sich fortan in derselben Lage wie die lateinamerikanischen Staaten hinsichtlich der USA. Ihre neue rechtliche Unabhängigkeit verbarg nicht nur ihre totale wirtschaftliche Abhängigkeit vom Imperialismus, sondern auch den beschränkten Charakter ihrer Unabhängigkeit.

So wie die USA unmittelbar und militärisch auf Lateinamerika eingewirkt (Guatemala, Dominikanische Republik oder Grenada) oder Militärputsche angestiftet haben (Chile, Argentinien und viele andere), mussten die sekundären imperialistischen Mächte die Art und Weise ändern, in der sie ihre ehemaligen Kolonien beeinflussen.

Was die Beziehungen zwischen den interimperialistischen Mächten betrifft, waren die USA ab Kriegsende in der Lage, sich für die Herabsetzung der Schutzzollpolitik einzusetzen... vor allem jener der anderen imperialistischen Mächte gegenüber den Vereinigten Staaten. Die zu dieser Zeit gegründeten internationalen Institutionen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) oder das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), Vorgänger der Welthandelsorganisation (WTO) sollten als Rahmen für die verschiedenen Verhandlungen dienen, deren Ziel es war, so viele Hindernisse wie möglich zu beseitigen, um den internationalen Handel zu erleichtern. Aber was den einen begünstigte, benachteiligte den anderen. Diese Vereinbarungen, die immer noch beschränkt waren, schritten langsam voran. Die Vereinbarungen von Bretton-Woods haben ein Währungssystem geschaffen, das auf dem Dollar basiert, der selbst, wenigstens im Prinzip, in Gold umtauschbar ist. Sie sollten auch den Handel und bi- bzw. trilaterale Abkommen, die lange Zeit die einzige Form internationalen Handels waren, erleichtern und versuchen, diese Handelswege zu vereinfachen. Der Dollar wurde zum universalen Zahlungsmittel und erleichterte den internationalen Handel, aber gleichzeitig diente er den Interessen der USA, die einzige Macht, die ihre Importe und vor allem ihre riesigen Anleihen bei anderen Ländern, mittels einer selbst fabrizierten Währung finanzieren konnte.

Die Einführung des gemeinsamen Marktes zwischen einer gewissen Anzahl europäischer Länder, die langen Verhandlungen zwischen den Staaten, um eine Minderung der Zollschranken zu erreichen, der Weg in Richtung einer Einheitswährung - all das sind Elemente der globalen Entwicklung der imperialistischen Wirtschaft, die auf dem europäischen Erdteil Gestalt angenommen haben.

Die von 1971 bis 1973 andauernde Währungskrise war Ausdruck einer echten Wirtschaftskrise, die am Beginn einer langen Periode wirtschaftlicher Stagnation oder nur schwachen Wachstums in der Produktion stand. Die Währungskrise hat die Bewegung in Richtung auf eine Situation beschleunigt, in der die großen Konzerne versuchten, in Gesetze zu fassen, was sie in Wirklichkeit schon lange taten: Investieren, wo sie wollen, wann sie wollen und wie sie wollen.

Im Gegensatz zu den von der globalisierungskritischen Strömung verbreiteten Dummheiten haben die Truste dieses Ziel nicht etwa erreicht, indem sie die Souveränität der Staaten zerschlagen haben. Die Politik der Reduzierung von protektionistischen Hindernissen zwischen den Staaten, ergänzt durch die "Deregulierung", wurde nicht gegen die Staaten und ihre "Souveränität" geführt, sondern von den Staaten selbst, von denen jeder die Interessen seiner eigenen industriellen und finanziellen Konzerne durchsetzen wollte. In der Tat kann sich keine dieser großen Konzerne allein mit dem Inlandsmarkt begnügen.

Die Welthandelsorganisation ist nicht einfach vom Himmel gefallen, um den Staaten ihre Willkür aufzuzwingen, indem sie ihre "Staatshoheit" mit Füßen tritt. Sie ist aus dem gemeinsamen Willen der imperialistischen Staaten entstanden, einen Rahmen zu schaffen, in dem globale Vereinbarungen verhandelt werden können, die, so weit das möglich ist, die widersprüchlichen Interessen ihrer Großunternehmen in Übereinstimmung bringen. Im Gegensatz zu den Behauptungen der "globalisierungskritischen" Mythologie sind es weniger die USA, die ein Schlichtungsorgan benötigen - sie sind mächtig genug, um über den Dschungel des Weltmarkts zu herrschen -, als vielmehr die imperialistischen Mächte zweiten Ranges.

Ebenso wenig bilden die europäischen Institutionen einen übernationalen Staat, der den Nationalstaaten eine für das Großkapital günstige Politik aufzwingt. Diese ergibt sich aus langwierigen, zwischenstaatlich ausgehandelten Vereinbarungen, deren Ziel es ist, dem jeweiligen nationalen Bürgertum eine bessere Stellung auf dem europäischen Markt zu gewährleisten.

Man sieht übrigens, dass die stärksten europäischen Staaten, deren Haushaltsdefizit die Grenze der theoretisch geduldeten 3 % überschreitet, mit dieser Regelung nicht viel am Hut haben, die wohl für die Schwächeren reserviert ist.

Die "Globalisierung" hat die Rolle der Nationalstaaten nicht verringert, sondern hat ihnen zusätzliche Einsatzgebiete für die Wahrung der Interessen ihrer Bourgeoisie geliefert: Internationale Organisationen wie die WTO, der IWF, die Weltbank, ganz zu schweigen von der immer wesentlicheren Rolle, die die Staaten bei der Unterstützung ihrer Kapitalisten auf den Inlandsmärkten spielen (Subventionen, Hilfen, vielfältige Formen öffentlichen oder versteckten Protektionismus, Rüstungspolitik, usw.). Das gilt - auch - für politisch-wirtschaftliche Gruppierungen wie die Europäische Union. Die Staaten der Europäischen Union - und noch nicht alle! - haben sich bereit erklärt, einen Teil ihrer Regalrechte abzugeben, d.h. das Recht, die Notenpresse anzukurbeln. Für die französischen, deutschen, niederländischen, italienischen oder belgischen Konzerne ist es lebensnotwendig geworden, den innereuropäischen Handel nicht mehr durch Währungsschwankungen zu belasten. Daher der Entschluss, den Euro zu schaffen. Aber die Staaten kontrollieren sich weiterhin gegenseitig, damit diese eigennützige "Abgabe der Staatshoheit" ihrer Bourgeoisie keinen Schaden bringt, wobei sie, wenn nötig, auf die von ihnen selbst erlassenen "Gemeinschaftsregelungen" übergehen. In diesem ständigen Gerangel zwischen den Staaten sind weniger diese Regeln, als vielmehr die Kräfteverhältnisse, das heißt die Macht der jeweiligen Wirtschaft aber auch die der Staaten entscheidend.

Von den Welthandelsbeziehungen, deren Zunahme von den Anhängern der Globalisierung ais Ausdruck zusätzlicher Verbindungen zwischen den Menschen verschiedener Erdteile dargestellt wird, betreffen ein Drittel den Austausch innerhalb ein- und desselben multinationalen Konzerns. Ein weiteres Drittel entspricht dem Austausch zwischen den großen internationalen Konzerngruppen.

So ist die so genannte "totale Öffnung des Weltmarkts" weder wirklich weltweit noch ein Markt. Die weltweit geknüpften kommerziellen und finanziellen Verbindungen lassen ganze Länder Asiens oder Lateinamerikas, ja sogar den gesamten afrikanischen Erdteil, beiseite. Und sogar innerhalb der in den Kreislauf der kapitalistischen Weltwirtschaft integrierten Länder ist die Entwicklung ungleich: Gegenden mit hoher industrieller und finanzieller Konzentration bilden Inseln in Ländern, die ansonsten abseits bleiben. Diese Entwicklung verstärkt noch den Abstand zwischen den entwickelten Ländern und Regionen und denjenigen, in denen das Elend nur noch weiter wächst.

In den siebziger Jahren führte die Notwendigkeit, die aufgrund der Explosion des Erdölpreises angehäuften Dollars "wiederzuverwerten" und die die stagnierende Produktion nicht in der Lage war gewinnbringend zu absorbieren, die großen Bankkonzerne dazu, den Staaten der Dritten Welt in großem Ausmaß Kredite zu gewähren. Dadurch erreichten manche dieser Länder eine Kaufkraft, die sie in den internationalen Handel integrierte. Ihre Export- und vor allem Importrate entwickelte sich oft rascher ais jene der entwickelten Länder.

Die Kommentare priesen damals die Fortschritte der so genannten "Entwicklungsländer". Aber die "Schuldenkrisen", der Bankrott Mexikos, die Asienkrisen, der Verfall mehrerer Länder und ihres Kleinbürgertums, das fürchterliche Zurückfallen ihrer Volksmassen ins Elend - das alles hat die Ungleichheiten dieser "wirtschaftlichen Integration" gezeigt. Die Entwicklung des internationalen Handels ist seit mehreren Jahren auf die wirtschaftliche Verflechtung der großen imperialistischen Regionen zurückzuführen: Die Vereinigten Staaten, Kanada, Westeuropa und Japan.

Die Wirtschaft funktioniert mit surrealistischen Schuldenbergen. Die imperialistischen Staaten selbst, allen voran die USA, stecken bis zum Hals in Schulden. Die Summe der amerikanischen Verschuldung erreicht den unvorstellbaren Wert von 33 000 Milliarden Dollar, mehr als das Dreifache des Bruttoinlandsproduktes des Landes: Drei Mal mehr ais die Summe der im Laufe eines Jahres von der weltweit mächtigsten Wirtschaft hergestellten Güter und Dienstleistungen! Die Staatsschuld selbst, das heißt die Verschuldung des amerikanischen Staats, ist höher ais das Bruttoinlandsprodukt - was bedeutet, dass das Großkapital seinen Zehnt sogar von der Bevölkerung der imperialistischen Länder einfordert, die die Zinsen der Staatsverschuldung über ihre Steuern oder die Verschlechterung der öffentlichen Dienstleistungen und des Lebensniveaus bezahlen muss.

Aber der empörendste Aspekt dieser allgemeinen Wirtschaft der Verschuldung ist zweifellos die Verschuldung der Länder der Dritten Welt: Obwohl sie wesentlich niedriger ist ais jene der reichen Länder, haben allein die Zinsrückzahlungen zu wahren Wucherforderungen geführt, die diese Länder ersticken und ihre arme Bauernschaft und ihre Arbeitnehmer schröpfen.

Die rasend schnellen Kapitalbewegungen sind durch die allgemeine Aufhebung der Währungskontrollen, die Deregulierung und den Abbau der Schranken zwischen unterschiedlichen Sektoren des Finanzwesens erleichtert worden. Sie haben zu Spekulationswellen, zu wiederholten Finanzkrisen und vor allem zu riesengroßer Verschwendung der Produktionskräfte geführt, zu Polarisierung der Vermögen, zu Zunahme der Ungleichheiten zwischen sozialen Klassen innerhalb desselben Landes, aber auch zwischen entwickelten und armen Ländern.

Das Finanzkapital drängt zum Abbau der öffentlichen Versorgungsbetriebe. Dadurch zerstört es, was der ganzen Bevölkerung nützlich ist und verwandelt die rentabelsten Sektoren in Spekulationsobjekte. Die protektionistischen Barrieren die so abgebaut wurden, waren vor allem jene der unterentwickelten Staaten. Der von den nationalistischen Führern einer Anzahl - unterentwickelter Länder gehegte Traum, dank einer etatistischen Politik die Entwicklung einer nationalen Industrie zu ermöglichen, wurde vernichtet.

Die Basis der globalisierungskritischen Bewegung ist äußerst heterogen. Sie reicht von denen, die gegen die Beeinträchtigung der Umwelt protestieren oder sich gegen die Benutzung genetisch veränderter Organismen stellen bis hin zu pazifistischen Bewegungen. Sie vermischt reformistische Gewerkschafter, über Ungerechtigkeiten entsetzte Studenten und ihre Existenz verteidigende Bauern.

Zu ihrer Führung gehören angeblich Unpolitische wie José Bové, alte Stalinisten wie Jacques Nikonoff, reaktionäre Führer amerikanischer Gewerkschaften, souveränistische Politiker (Anhänger einer nationalistischen, souveränen Politik) wie Chevènement, Sozialdemokraten, die nach Jahren in der Regierung ihre Unschuld wieder herstellen möchten und auch einige Gruppen, die sich als revolutionäre Kommunisten bezeichnen.

Diese Menge kann sich gezwungenermaßen nur auf einige wenige Schlagworte und Forderungen einigen. Auch wenn diese durchaus gerechtfertigt sind, was jedoch nicht immer der Fall ist, peilen sie nur Ziele an, die auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der ungleichartigen Strömungen basieren, die jedoch in den allerwenigsten Fällen darauf abzielen, den Kapitalismus zu stürzen, sondern ihn lediglich verbessern wollen.

Es handelt sich um eine Bewegung, die man nicht einmal als "reformistisch" im ursprünglichen Sinn des Wortes, nämlich als eine Reihe von aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Ansichten und Forderungen, bezeichnen kann. Erstens hat die Globalisierungskritik keine vergangene oder gegenwärtige Verbindung mit der Arbeiterbewegung. Zweitens, auch wenn es eigentlich darum ging, die Kraft des Proletariats zu kanalisieren, stützten sich die reformistischen Bewegungen doch auf diese Kraft und konnten der Bourgeoisie eine gewisse Anzahl wirklicher Reformen vorschreiben. Dagegen wimmert die globalisierungskritische Strömung, die in der Arbeiterschaft keinerlei Einfluss hat, vor den politischen Vertretern des Großkapitals und bittet sie, die Ziele der Bewegung zu berücksichtigen und etwas weniger auszubeuten, die armen Länder etwas weniger zu plündern oder die internationalen Kapitalbewegungen etwas weniger zu besteuern.

Die globalisierungskritische Strömung mag neu sein, doch die schalen Ansichten, die sie übermittelt, gehören zu denen, die die revolutionäre Arbeiterbewegung schon immer bekämpfen musste.

Kritik an der kapitalistischen Verteilung, nicht aber der kapitalistischen Produktionsverhältnisse etwa ist ein alter Hut der reformistischen Wirtschaftler. Als ob man das eine vom anderen trennen könnte: Die Produktion - die Wahl dessen, was herstellt werden soll, seine Menge, usw. - wird durch den Markt, das heißt eigentlich durch die Verteilung, bestimmt.

Wenn man die Staaten zu Hilfe ruft, um sich gegen die Ungleichheiten und die durch die imperialistische Wirtschaft erzeugten Ungerechtigkeiten zu stellen, maskiert man die Tatsache, dass die Staaten im Dienst des imperialistischen Kapitals stehen.

Über "die Vermenschlichung des Marktes" Reden zu schwingen oder sogar zu demonstrieren, um zu behaupten, dass "die Welt keine Ware ist", ohne jedoch den freien Wettbewerb und das Privateigentum in Frage zu stellen - im besten Fall handelt es sich um Illusionen, im schlimmsten um absichtliche Täuschung.

Den "Ultraliberalismus" zu kritisieren, auch in einer radikalen Sprache, bedeutet nicht, den Kapitalismus zu kritisieren und noch weniger, dass man ihn auch bekämpft. Im Gegenteil: Es geht darum, die Ansicht zu verbreiten, dass die empörendsten Aspekte der gegenwärtigen Wirtschaft keine unvermeidlichen Folgen des Kapitalismus sind, sondern vielmehr die Auswirkungen einer Politik, die es zu verändern genügt.

Den "Sozialliberalismus" zu kritisieren, wie Attac es tut, heißt, die großen Linksparteien, die in der Regierung zwar die Politik des Bürgertums führen, nicht zu kritisieren, sondern ihnen im Gegenteil, indem man mit Termini und Vokabular spielt, es ihnen zu erleichtern, die arbeitenden Klassen zu betrügen, um an die Macht zurückzukehren - und erneut dieselbe Politik zu führen.

Trotz des zurückhaltenden Charakters ihrer Forderungen versucht die globalisierungskritische Strömung gewolltermaßen nicht, die für ihre Durchsetzung notwendigen Mittel zu erlangen. Sie begnügt sich damit, vorzugeben, die nationalen oder internationalen Mächte von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Sie empfindet es als Heldentat, dass Abgeordnete für Beschlüsse stimmen, die keinerlei Auswirkung haben aber in etwa in die Richtung des einen oder anderen ihrer Schlagworte gehen oder dass Minister hin und wieder an der einen oder anderen Demonstration teilnehmen.

Attac, die wichtigste Organisation, die die globalisierungskritische Strömung in Frankreich vertritt, gibt vor unpolitisch zu sein. Aber in Wirklichkeit ist sie eine politische Partei, mit einer unabsetzbaren Führung, die der eigenen Basis keine Rechenschaft schuldet. Die angeblich apolitische Fassade von Attac verdeckt, wie nah ihre Führung den Parteien der ehemaligen rot-rot-grünen Regierungskoalition steht. Sie vermittelt außerdem eine weitere im Hinblick auf die politischen Interessen der Arbeitnehmer verhängnisvolle Ansicht, nämlich die, dass man auf politische Parteien verzichten kann. Das ist eine belangreiche Täuschung, gerade weil der Arbeiterklasse eine politische Partei fehlt, die ihre historischen Interessen vertritt, d.h. eine Partei, deren grundlegendes Ziel die Zerstörung der kapitalistischen Organisation der Wirtschaft und der Gesellschaft ist.

Manche revolutionäre Aktivisten sind der Meinung, dass man sich an Attac beteiligen muss, da die Organisation in gewissen Jugendkreisen großen Anklang findet. Im Gegensatz zu ihren Behauptungen sind diese Aktivisten aber innerhalb von Attac zur Ohnmacht verurteilt. Zum einen erlauben die antidemokratischen Strukturen von Attac ihrer Führung, jeglichen Protest abzublocken, der nicht ihre Zustimmung hat. Zum Zweiten bildet Attac nicht einmal ein Milieu von Aktivisten. Es bestehen keine wirklichen Kontakte zwischen den Mitgliedern, außer über das Internet, keine regelmäßigen Begegnungen außer einigen sporadischen Versammlungen, die es höchstens erlauben, einige Wirtschaftsstatistiken und eine Handvoll nützlicher Informationen auszutauschen, aber im Dienste einer Politik, die anstatt das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Umsturzes der kapitalistischen Weltordnung zu wecken, die Mitglieder von dieser Erkenntnis fernhält.

Was die spektakulären Ereignisse betrifft, die Großkundgebungen, mit denen sich die Führung von Attac brüstet: Sie sind sporadisch und erlauben also keine regelmäßige Arbeit. Außerdem resultieren sie im Allgemeinen aus den Beiträgen anderer Organisationen, besonders der Gewerkschaften, die Attac stützen, sich jedoch nicht auf diese Organisation beschränken.

Es ist gut möglich, dass der Beitritt zu Attac eine Etappe in der persönlichen Entwicklung sein kann, auch wenn das nur für eine geringe Minderheit zutrifft. Doch die Entscheidung, Attac-Aktivist zu werden, bedeutet, sich der Illusionen hinzugeben, dass man etwas tut, während man im besten Fall nichts tut und im schlimmsten die Politik der Organisation rechtfertigt.

Wenn man die Leiter von Attac, ihre Politik und ihre Tätigkeiten von den Tausenden Jugendlichen oder Aktivisten verschiedener Vereine bzw., der Gewerkschaftler trennt, hat die Entwicklung der globalisierungskritischen Strömung keine völlig negative Bedeutung. Angesichts der tief greifenden apolitischen Haltung unserer Zeit und der herrschenden Ablehnung der durch ihre Rolle innerhalb des Staatsapparates des Bürgertums vollständig in Verruf gebrachten ehemaligen Arbeiterparteien kann man sogar behaupten, dass die globalisierungskritische Bewegung zumindest einige positive Gesichtspunkte aufweist. Dass die Schandtaten des Kapitalismus diese Jugendlichen, Gewerkschaftler und Vereinsmitglieder jeglicher Art zur Empörung treiben und das in Großkundgebungen wie in Porto Alegre, Genua oder Saint-Denis zum Ausdruck kommt, ist an sich eine wichtige Reklame für die Kritik an den Missständen dieser Gesellschaft. Die Tatsache, dass die Demonstrationsteilnehmer von einer "anderen Welt" träumen und das auch zum Ausdruck bringen, ist eine andere Sache.

Eine andere Sache wiederum ist das Gefühl einer großen Zahl der Attac-Anhänger, Weltbürger zu sein, ein Gefühl, das durch den internationalen Charakter und die Themen der globalisierungskritischen Großkundgebungen kultiviert wird. Zusätzlich wird es durch den von Attac zur Schau gestellten Willen kultiviert, einer internationale Organisation anzugehören bzw. sie zu entwickeln, selbst wenn dieser internationale Charakter oder die Tatsache, internationale Organismen des Bürgertums anzugreifen, aus der Bewegung noch lange keinen Entwurf einer Internationale machen, genauso wenig wie die Aneinanderreihung von "Souveränisten" Internationalismus bedeutet.

Diese Empörung über die Folgen der Entwicklung der kapitalistischen Welt erklärt, warum viele Jugendliche oder Gewerkschaftler ihre Hoffnungen in der einzigen Strömung ausdrücken, die diese heute zum Ausdruck bringen zu scheint. Das gilt insbesondere für die Gewerkschaftler, da es sich bei Attac weder um eine Partei noch um Revolution handelt.

Die Trotzkisten dürfen also nicht ignorieren, dass diese Gefühle, zumindest teilweise, die Grundlage des Achtungserfolges der globalisierungskritischen Strömung darstellen. Genauso wenig dürfen sie vergessen, dass ein weiterer Grund dieses Erfolgs in der Abwesenheit einer starken kommunistischen Bewegung liegt.

Wir stehen also im Wettbewerb mit der globalisierungskritischen Strömung, genauso wie mit allen reformistischen Bewegungen und besonders der Französischen Kommunistischen Partei (FKP). Das führt uns vor allem dazu, die Grundlagen der meisten ihrer Ansichten politisch zu bekämpfen und die Schranken aufzuzeigen, die diese ihren Ziele und Kämpfen auferlegen. Das schließt jedoch Solidarität mit manchen ihrer Initiativen nicht aus. Es hindert uns auch nicht daran, uns sporadisch in manchen ihrer Kämpfe wieder zu finden bzw. sogar an einigen ihrer Demonstrationen teilzunehmen, so wie wir uns auch an bestimmten Aktionen oder Demonstrationen der FKP, der Gewerkschaften oder Hilfsorganisationen beteiligen oder uns mit ihnen solidarisch erklären. Aber es kommt nicht in Frage, innerhalb dieser ungleichartigen Gemeinschaft verschiedenster Organisationen aktiv zu sein und noch viel weniger wollen wir darin Verantwortung übernehmen.

Die Globalisierungskritik ist gewiss nicht der Ausdruck eines neuen Internationalismus, sondern eine seiner reformistischen Karikaturen, in einer Zeit, in der die Existenz einer wirklichen Arbeiterinternationale, und übrigens auch einer revolutionären Arbeiterpartei, in weiter Vergangenheit zu liegen scheint, während die Schaffung einer solchen Partei und Internationale doch das wichtigste Ziel sein sollte.

20. Oktober 2003