Zionismus und Antisemitismus (aus Lutte de Classe - Klassenkampf - März 2005)

Zionismus und Antisemitismus
März 2005

Dieser Text wurde von französischen Revolutionären geschrieben. Frankreich zählt nämlich heute die zahlreichste jüdische Bevölkerung in Europa. Aber seine Folgerungen haben eine allgemeine Tragweite.

Wenn die Befürworter der Politik des Staates Israel diejenigen kritisieren, die die Unterdrückung des palästinensischen Volkes anprangern, so bezeichnen sie diese sehr gerne als Antisemiten. Systematisch werden auch alle diejenigen als Antisemiten und demnach als Rassisten bezeichnet, die die zionistische Orientierung der gesamten Regierungen seit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 kritisieren.

Der Zionismus und seine Varianten, von denen einige sich als sozialistische Strömungen ausgeben, während die anderen offen reaktionär auftreten, war politisch niemals etwas anderes als eine nationalistische Strömung mit dem Ziel, einen jüdischen Staat zu gründen und dann dessen Existenz zu festigen. Heute ist der Zionismus der nationale Ausdruck eines Staates, der die nationalen Bestrebungen des palästinensischen Volkes unterdrückt.

Jede Opposition gegenüber dem Zionismus mit Antisemitismus gleich zu setzen, ist aber ein doppelter Betrug. Gegenüber dem palästinensischen Volk, dem das Recht auf einen eigenen Nationalstaataberkannt wird, aber auch gegenüber den Juden. Denn die zionistische Politik ist nicht die einzig mögliche: Die etwa 50 Jahre, seitdem der Staat Israel besteht, zeigen gerade, dass diese Politik das Recht der Juden auf eine nationale Existenz nur durch einen ständigen Krieg mit den anderen Völkern der Region, durch die Beraubung des palästinensischen Volkes ermöglicht und mittlerweile auch nur noch mittels eines Polizei- und Militärregimes, das allen zur Last fällt.

Dass Sharon, ein General aus dem rechtsextremen Lager heute die zionistische Politik personifiziert, scheint die Lobredner des Zionismus, die immer sehr schnell mit Verleumdungen und Gleichsetzungen zur Hand sind, kaum zu bewegen, und ebensowenig diejenigen, die ihre Argumente ohne den Schatten einer Kritik übernehmen.

Im Oktober 2004 erhielt die französische Regierung einen von ihr in Auftrag gegebenen Bericht zur Bekämpfung des Rassismus und des Antisemitismus. Neben den üblichen Belanglosigkeiten, enthielt dieser Bericht eine Besonderheit: Er empfahl, den Antizionismus dem Antisemitismus gleichzustellen und sonderte den Antisemitismus von den anderen Formen des Rassismus ab. Die Verfasser dieses Berichtes hatten ihre Ideen nicht sehr weit zu suchen. Sie fanden sie bei den Strömungen der rechts stehenden jüdischen Verbände in Frankreich.

Und in der Tat, als der Berichterstatter Rufin erklärte, dass es "einen modernen Antisemitismus gibt, der im Zusammenfluss der antikolonialistischen, globalisierungskritischen, antirassistischen, Drittewelt- und linksradikalen Kämpfe entstanden ist" , dass dieser Antisemitismus, den er als "radikal" bezeichnete, der Ausdruck "einer grünen und globalisierungskritischen Bewegung ist", übernahm er die Idee des Präsidenten des Repräsentativen Rates für die Jüdischen Institutionen in Frankreich (CRIF), Cukierman, der in einer skandalösen Gleichsetzung im Januar 2003 eine "braun-grün-rote Allianz, die einen zum Schaudern bringt", gebrandmarkt hatte.

Was ein Cukierman denkt, wäre eigentlich gleichgültig, wenn die von ihm geleitete Institution, deren repräsentativer Charakter alles in allem den Aussagen zahlreicher jüdischer Verbände zufolge ziemlich schwach ist, nicht alljährlich von zahlreichen Politikern hofiert würde und ihr damit eine Bedeutung verliehen wird, die sie sonst nicht hätte.

Sollte es auch den Anhängern des Zionismus mißfallen, dass man ihre Ansichten nicht akzeptiert, egal ob sie von einem Rufin ausgedrückt werden, der sich gerne fortschrittlich gibt, oder von einem Cukierman, der seine reaktionären Ideen nicht verheimlicht, so bedeutet das doch keineswegs - gleichviel, was sie davon denken -, dass man damit antisemitische Ideen ausdrückt oder dass man ein Komplize derer ist, die diese verbreiten. Zionisten sind hingegen nicht gegen das Gift des Rassismus immun; das bezeugen die Geschichte und die Stellungnahmen dieser Strömung.

Der Zionismus: eine nationalistische Strömung...

Der Zionismus trat Ende des 19. Jahrhunderts als Antwort auf den Antisemitismus in Erscheinung, der sich in Ost- und Mitteleuropa entwickelte, wo das feudale System im Verfall war. Aber mit der Dreyfus-Affäre zeigte der Antisemitismus auch Zeichen von Lebenskraft in Frankreich, wo der Kapitalismus seinerseits bereits Zeichen des Verfalls aufwies.

In den Ländern Osteuropas versuchten politische reaktionäre Kräfte durch eine antisemitische, das heißt rassistische Demagogie die zahlreichen Äußerungen der Unzufriedenheit in Pogrome umzuleiten, deren Opfer der kleine jüdische Kaufmann, der jüdische Handwerker oder der jüdische Pfandleiher waren.

So war es auch in den Ländern Mitteleuropas, wo die antisemitischen Bewegungen ihren Ursprung im Ruin von Millionen von Kleinbürgern fanden, denen man die Juden, mit denen sie manchmal in Wettbewerb standen, als Verantwortliche für ihre Lage präsentierte.

Auch in Frankreich stützte sich die antisemitische Bewegung anläßlich der Dreyfus-Affäre auf sozialen Hass. Diese Bewegung wurzelte hier in der Feindseligkeit, die die verbitterte Aristokratie gegenüber den jüdischen Finanzmännern empfand und zum Ausdruck brachte, da diese die Landsitze und den Grundbesitz der Aristokratie aufkauften und die Söhne der Finanzmänner sich in berufliche Laufbahnen eindrangen, die früher den Sprösslingen der Aristokratie vorbehalten waren.

Der Zionismus ist also im kleinen jüdischen Bürgertum von Mitteleuropa zunächst als Reaktion auf die Entwicklung des Antisemitismus entstanden. Aber lange Zeit erhielt er keine wesentliche Hilfe von dem jüdischen Bürgertum, das sich entweder assimiliert hatte oder danach strebte, sich zu assimilieren.

Er hatte zunächst auch keinen Einfluss auf die jüdischen Volksmassen. Er begegnete dort der Opposition der revolutionären Arbeiterbewegung, die den ausgebeuteten jüdischen Massen die Aussicht der sozialen Emanzipation aller Ausgebeuteten eröffnete und die Sackgasse der nationalen Absonderung anprangerte, wohin die zionistische Strömung sie führen wollte. Aus der Intelligenz jüdischen Ursprungs von Rußland und Polen kamen damals einige der glänzendsten Aktivisten der revolutionären Arbeiterbewegung, die sich gegen alle Formen des Nationalismus und für den Internationalismus entschieden hatten. Sie wussten, dass man der sozialen Ordnung, die sich auf die Ausbeutung gründet, ein Ende machen muss, um den Antisemitismus und alle Formen des Rassismus endgültig zu besiegen.

Die zionistische Bewegung als nationalistische Strömung stand auch vor dem Problem, welches Gebiet sie beanspruchen sollte. Alles deutet darauf hin, dass der Nahe Osten anfangs nicht besonders in Frage kam. In einer Welt, die sich die verschiedenen imperialistischen Mächte bereits gänzlich unterworfen und untereinander aufgeteilt hatten, war keine Parzelle "frei". Für eine solche Besiedlung musste zuerst die Zustimmung des jeweiligen Eigentümers, also England, Frankreich, Rußland, Belgien... eingeholt werden.

Die Vorkämpfer des Zionismus verkannten diese Wirklichkeit nicht, und versuchten, England, die damals wichtigste koloniale Macht, davon zu überzeugen, der Schaffung einer nationalen jüdischen Heimstätte zuzustimmen. Nachdem zuerst Uganda oder Argentinien in Betracht gezogen worden waren, fiel die Entscheidung auf Palästina, um dort, wie Theodor Herzl, der Gründer des Zionismus, es ausdrückte, "ein Stück des Walls Europas gegen Asien, einen Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei" zu errichten. Von Anfang an nahm also der Zionismus gegen die Völker des Nahen Ostens Stellung und trat auf als "Wall" der imperialistischen Großmächte, die gerade dabei waren, das Osmanische Reich definitiv auszuschalten. Es konnte eigentlich nicht anders kommen. Da der britische Imperialismus so etwas wie Philanthropie nicht kennt, konnte er eine Maßnahme zugunsten eines Anderen nur akzeptieren, wenn dies seinen eigenen Interessen zugute kam. Der Zionismus machte also seine ersten Schritte unter der schützenden Hand des Imperialismus und trat als dessen Verteidiger oder sogar als dessen Auswuchs auf. Das wurde das unauslöschliche Kennzeichen des Zionismus, der Rahmen, den er nie überschreiten sollte.

Aber zu dieser Zeit ließen alle Machenschaften, die zwischen Herzl und den britischen Regierungen stattfanden und die im Jahre 1917 zur Erklärung von Balfour und zur Schaffung einer jüdischen nationalen Heimstätte in Palästina führten, die jüdische Gemeinschaft völlig gleichgültig, da nur eine kleine Minderheit danach strebte, nach Palästina auszuwandern.

In den osteuropäischen Ländern herrschte neben Elend in vielen jüdischen Gemeinschaften ein heftiger und oft todbringender Antisemitismus. Hunderttausende Männer und Frauen verließen ihr Heim und wanderten aus. Zwischen 1881 und 1925 wanderten etwa vier Millionen Juden nach den Vereinigten Staaten, nach Kanada, nach England, nach Deutschland, nach den Niederlanden oder nach Frankreich aus, aber nur wenige - 120.000 - ließen sich in Palästina nieder. Auf der einen Seite die karge und ausgedörrte Erde des Nahen Ostens, auf der anderen die Industrieländer des Westens, wo sich noch dazu bereits zahlreiche Juden angesiedelt hatten: Die Wahl war schnell getroffen, besonders für Auswanderer, die durch die Ideen und die Kämpfe des Sozialismus, deren Vitalität sich in den alten Bastionen des Kapitalismus offenbarte, beeinflusst worden waren. Für die meisten dieser Männer und Frauen, sogar für jene, die zu dieser Zeit nach einem ihnen eigenen kulturellen und politischen Leben strebten, war die nationale Absonderung, die ihnen der Zionismus vorschlug, etwas Fremdes, um so mehr, als sie selbst Opfer einer aus dem Nationalismus entstandenen Absonderung waren oder gewesen waren, die auf ihre Kosten erfolgt war.

In den Ländern Westeuropas, in die sie kamen, waren bereits andere Juden früherer Auswanderungswellen angesiedelt, von denen die Reichsten und am am besten Integrierten die Ankunft dieser unbemittelten Mengen ungern sahen. Bernard Lazard, der aus einer Familie des assimilierten jüdischen Bürgertums stammt und sich später dem Zionismus nähern sollte, sprach von "den Händlern aus Frankfurt, den russischen Wucherern, den polnischen Wirten, den Pflandleihern aus Galizien, den räuberischen, groben und schmutzigen Tataren", die ohne Berechtigung in ein Land kommen, "das nicht ihres ist", in diesem Fall nach Frankreich, um es "abzugrasen". Diese Ansicht teilten zweifellos auch einige Mitglieder der Familie Rothschild, die die Installierung jüdischer Siedler in Palästina finanzierten und damit den Zionismus vorzeitig erfanden. Wie man es sieht, wurden die sozialen und sogar ethnischen Antagonismen, die die jüdischen Gemeinschaften durchquerten, damals keineswegs durch gemeinsame Bindungen oder Ideen und jedenfalls nicht durch jene des Zionismus maskiert.

... mit reaktionären und kolonialistischen Zügen

Es ist heute gang und gäbe, den Zionismus als eine fortschrittliche Bewegung darzustellen, die sich sogar im Kampf gegen den Imperialismus mit Ruhm bedeckte und die materiellen Fortschritt und Demokratie mit sich brachte. Das ist aber sehr weit von der Wirklichkeit enfernt.

Eine Definition, die vom Gründer des Zionismus selbst gefunden wurde, charakterisiert sehr gut seine Bewegung: "Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land". Nicht nur entspricht die Formulierung nicht der Wirklichkeit, sie zeigt auch die tiefe Verachtung der Zionisten gegenüber den Palästinensern, die für sie als Volk nicht existieren.

Die zionistischen Führer haben sich in der Tat nie um die palästinensische Bevölkerung gekümmert, und lange vor der Schaffung des israelischen Staates haben sie alle ihre Kräfte dazu aufgeboten, eine "geschlossene Wirtschaft" zu entwickeln, an der die Palästinenser keinen Anteil haben sollten und in der sie überhaupt keine Rolle zu spielen hatten; kurz gesagt eine Wirtschaft, die vor ihnen "verschlossen" sein sollte, von der sie ausgeschlossen blieben. Und es mag paradox erscheinen, doch es war die zionistische Linke, die diese Politik einleitete. Unter dem Vorwand, die soziale Struktur des jüdischen Volkes zu normalisieren und in Palästina ein landwirtschaftliches und industrielles Proletariat aus einer und derselben Volksgruppe zu schaffen, wurde die arabische Bevölkerung vertrieben und durch Juden ersetzt.

Wenn der Jüdische Nationalfonds, der finanzielle Arm des Zionismus, den arabischen Feudalgrundherren ein Grundstück abkaufte, so war dieser Ankauf dazu bestimmt, die palästinensischen Bauern daraus zu vertreiben und sie dann an jüdische Gesellschaften oder Gemeinschaften zu übergeben. Auch diese Wahl war kennzeichnend für die soziale Natur des Zionismus. Die finanziellen Abmachungen wurden mit Landbesitzern getroffen, deren Mehrzahl im übrigen gar nicht in Palästina, sondern in den Städten Damas, Beirut oder Istanbul wohnten. Der Ankauf der Grundstücke mochte noch so sehr "rechtmäßig" sein, er entzog den palästinensischen Bauern ein Gut, das sie seit Generationen bestellten. Von Anfang an gründete sich die zionistische Expansionspolitik also auf eine totale Enteignung der arabischen Massen, was für diese Verlust und Elend bedeutete.

Die zionistische Linke leugnete heuchlerisch den kolonialen Charakter dieser Politik und zog es vor, den angeblichen jüdischen Sozialismus hervorzuheben, der seit 1908 aus der mehr oder weniger gemeinschaftlichen Organisation von Dörfern, die man Kibbuze nannte, hervorgegangen sei. Nur war aber die Natur der Beziehungen zwischen den Mitgliedern eines Kibbuzes sekundär gegenüber der, die sie mit der palästinensischen Gesellschaft unterhielten. Das hatte auch die zionistische Rechte sehr gut verstanden. So schrieb ein gewisser Jabotinsky, der als der Gründer der politischen Strömung gilt, zu der heute der Likoud, die israelische Rechte, gehört und der in seiner Zeit nicht allein stand - er vertrat den französischen Zionismus im Kongress von Basel im Jahre 1931 - mit klarem Zynismus: "Die Worte, die man verwendet, sind nicht wichtig, denn die Kolonisation trägt in sich ihre eigene, volle und unabwendbare Definition. Jeder Jude und jeder Araber versteht sie. Die Kolonisation kann nur ein einziges Ziel haben. Und dieses Ziel der Kolonisation ist für die palästinensischen Araber unannehmbar. Die Dinge sind eben so und können nicht anders sein. Es ist unmöglich, sie zu ändern. Die Kolonisation kann nur gegen den Willen der palästinensischen Araber durchgeführt werden". Und er fügte hinzu: "Entweder muss der zionistischen Kolonisation ein Ende gesetzt werden oder man muss sie gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung durchführen. Aus diesem Grund kann diese Kolonisation nur unter dem Schutz einer von der örtlichen Bevölkerung unabhängigen Macht oder anders gesagt, unter dem Schutz einer Stahlmauer fortgesetzt werden und sich weiterentwickeln, die die örtliche Bevölkerung nicht durchbrechen kann." Die heutige Mauer ist nicht aus Stahl. Sie ist aus Beton und mit Elektronik ausgerüstet, aber sie existiert jetzt wirklich.

Israel entstand gegen den Willen der palästinensischen Bevölkerung

So groß die Schuld des Zionismus an der Situation im Nahen Osten und an der Beraubung und der Unterdrückung des palästinensischen Volkes sein mag, die Hauptschuld für die Situation liegt jedoch bei den imperialistischen Mächten Europas und später Amerikas. Es waren die Machtübernahme Hitlers, die nazistische Barbarei, der Völkermord an den Juden - ohne die Beteiligung des französischen Staats an den Deportationen zu vergessen -, die hunderttausende Juden davon überzeugten, dass es keinen Platz für sie im alten Europa gab. Und wie könnte man vergessen, dass auch die Staaten, die Hitler nicht überfallen hatte, ihre Türen vor den Juden, die vor der Unterdrückung flohen, verschlossen!

In wenig mehr als 2 Jahren, von 1933 bis 1935, siedelten sich so 150.000 Juden in Palästina an, die hauptsächlich aus Deutschland, aber auch aus Polen kamen. Da die Auswanderung sich nach dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte, waren die in Palästina anwesenden Juden 1947 schon 700.000. Viele hatten den Nahen Osten mangels eines anderen Aufnahmelandes gewählt. Zu den Greueltaten des Nationalsozialismus kam die Verachtung der Sieger hinzu und die Grenzen zahlreicher westlicher Länder verschlossen sich vor den Juden. Ihnen verblieb nur eine Hoffnung, eben die, nach Palästina zu ziehen. Aber das war nicht leicht. Noch zwei Jahre nach dem Ende des Konfliktes warteten noch immer mehr als 100.000 Juden auf infame Weise in Sammellagern auf eine unwahrscheinliche Verschiffung, denn England hatte die Anzahl der jüdischen Auswanderer nach Palästina sehr stark eingeschränkt, während die anderen Länder ihnen jedes Asyl verweigerten.

Als dann im Mai 1948 der israelische Staat schließlich ausgerufen wurde, geschah dies gegen den Willen der palästinensischen Bevölkerung. Dies war die bewusste Wahl des Zionismus, ebenso wie er bewusst eine Politik gebrauchte, deren Ziel es war, die arabische Bevölkerung mit Terrormaßnahmen zu vertreiben. Diese Politik, die vor der eigentlichen Gründung des Staates Israel begann, verstärkte sich in den ersten Jahren seiner Existenz. Das oft erwähnte Massaker von 254 arabischen Dorfbewohnern der Ortschaft Deir Yassine war keine isolierte Tat. Es war Teil einer bewussten Strategie, die hunderttausende Palästinenser ins Exil zwang.

Im Gegensatz zu dem, was die Gründungsmythologie des israelischen Staates uns weismachen will, sind die Palästinenser nämlich nicht aus eigenem Ermessen ausgewandert oder nur unter dem Druck der Befehle ihrer Führungskräfte oder derer, die sich als solche ausgaben, sondern sie wurden von der neuen israelischen Armee oder von den paramilitärischen Gruppen, die mit ihr verbunden waren, vertrieben. Vierhundert palästinensische Dörfer und zahlreiche Stadtviertel wurden zerstört, um jede Rückkehr unmöglich zu machen. Und in zahlreichen anderen Dörfern und Stadvierteln erfolgte innerhalb weniger Monate die Wiederbesiedlung mit Juden. Heute nennt man so etwas eine ethnische Säuberung. Ilan Pappé, einer der Vertreter der "neuen israelischen Historiker", einer Strömung, die die Verantwortung der israelischen Regierungen an der Auswanderung der Palästinenser hervorheben will, schreibt: "Im Falle Palästinas hat die ethnische Säuberung nach einem Szenario stattgefunden, das im Plan D vom 10. März 1948 vorgesehen war. Dieser Plan sah die Entarabisierung des Teiles Palästinas vor, der von der Jüdischen Agentur zum Land für den israelischen Staat bestimmt worden war (darin der Teil, der dem israelischen Staat durch die Resolution 181 der UNO-Hauptversammlung zugeteilt worden war, plus die besetzten Gebiete, die zum arabischen Staat gehörten - alles in allem 78% des Mandatsgebiets Palästina). Am Ende wurden 750.000 der 900.000 ansässigen Palästinenser Flüchtlinge".

Ein theokratischer Staat mit rassistischen Grundtendenzen

Somit kann man sagen, dass die derzeitige Politik des israelischen Staates, die die Enteignung der Palästinenser durch einen kontinuierlichen Diebstahl ihres Landes und die Ausdehnung der Kolonisation verfolgt, nicht neu ist. Sie wurde von allen Regierungen angewendet, egal ob sie rechts, links oder, wie heute, Koalitionen aus rechts und links waren. Diese Politik ist eine Konstante des Zionismus, und unter den konkreten Umständen der Entstehung Israels führte sie geradewegs zur schieren Rassendiskrimination.

Man hätte erwarten können, dass der Staat Israel, der von kultivierten Menschen gegründet worden war, die in ihrer großen Mehrheit aus einem Europa gekommen waren, aus dem sie selbst hatten fliehen müssen und die Opfer von tödlicher Verachtung und Rassenhass gewesen waren, wenigstens einige banale Ideen anerkennen würde, auf deren Grundsätzen sich viele westliche Nationen gebildet hatten. Zum Beispiel wäre es nichts Außergewöhnliches gewesen, hätte Israel wie viele andere Länder in seiner Verfassung die Rechtsgleichheit der Menschen ungeachtet ihrer Herkunft oder Religion festgeschrieben. Aber das geschah nicht. Nicht nur deshalb, weil sich Israel, um seinen Rabbinern nicht zu missfallen, nie eine Verfassung gegeben hat, sondern auch, weil eine solche Anerkennung den Arabern gleiche Rechte gegeben hätte, was anscheinend keiner der angeblichen Sozialisten, die Israel gründeten und auch keiner ihrer Nachfolger wollte.

Als Rechtfertigung dafür, dass die Juden mehr Rechte haben als andere, appellierte man an die Religion. Es blieb ja auch nicht viel anderes übrig. Zur Rechtfertigung dieser Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden und der Hierarchie der Rechte hatte man nur entweder offenen Rassenhass zur Hand oder eben die Religion. Die Wahl der letzteren wurde seitdem nie wieder in Frage gestellt: sie begründete Israel als einen Staat mit starkem theokratischem Charakter, also unter einer Form, die sich gemäßigter ausgab, als ein offen ausgedrückter Rassenhass.

Zionismus ist kein Schutz gegen Antisemitismus

Es gibt heute in Israel Menschen, die sich der Politik widersetzen, die gegen die Palästinenser geführt wird. Auch sie müssen sich dabei gegen den Vorwurf verteidigen, Antisemiten oder "Anti-Israelis" zu sein. Ein Veteran der israelischen Armee, der es abgelehnt hatte, als Reservist in den besetzten Gebieten zu dienen, schrieb vor kurzem: Die Leute, "die ,das Antisemitismuskonzept' missbrauchen, um gegen die Palästinenser die rassistische Politik der israelischen Regierung zu unterstützen, tun nichts anderes, als das Gedächtnis der Juden, die Opfer des wirklichen Antisemitismus waren, zu beschmutzen" . Dieses Argument könnte man ebenso gegenüber den französischen Zionisten verwenden, die, obwohl sie schnell mit Beschimpfungen bei der Hand sind, nicht einmal den Vorwand auf ihrer Seite haben, in ein blutiges Räderwerk verstrickt zu sein.

Dieser offensichtliche Missbrauch des Begriffs "Antisemitismus" führt nicht nur dazu, das Gedächtnis der Opfer des Antisemitismus zu beschmutzen. Er verwischt auch das Verständnis dessen, was der Antisemitismus war, und hindert, die sozialen Ursachen zu erkennen, die ihm zugrunde lagen. Für die Zionisten hat der Antisemitismus am Ende eine Besonderheit, eine "Einzigartigkeit", die dazu führt, dass man ihn mit keiner anderen Art des Rassenhasses vergleichen kann. Sie haben auch einen besonderen biblischen Begriff für den Terror des Nationalsozialismus gegen die Juden gefunden: die Shoah. Der Begriff des Rassen- oder Völkermordes, obwohl er, deutlicher geht es nicht, die "methodische Zerstörung einer ethnischen Gruppe" (Definition des französischen Wörterbuches Robert) bedeutet, hat in den Augen der Zionisten offensichtlich den Fehler, dass er auch Greueltaten bezeichnet, die andere Völker erlitten haben.

Wenn man denkt, dass der Antisemitismus etwas Besonderes ist und sich von anderen Arten des Rassenhasses unterscheidet, wenn man eine Hierarchie zwischen den verschiedenen Rassendiskriminierungen aufstellt, gelangt man letztendlich dahin, den Hass und die Verachtung hinsichtlich anderer Völker, anderer Gemeinschaften und in diesem Fall den Hass und die Verachtung der Zionisten gegenüber den palästinensischen Arabern zu banalisieren.

Von dort bis zur Annäherung an die französischen Rechtsextremen ist es nur noch ein Schritt, den einige Vertreter der zionistischen Rechten bereits getan haben. War nicht Cukierman der Ansicht, dass die Beteiligung eines Le Pen am zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl im Jahre 2002 alles in allem einen positiven Aspekt hatte, nämlich den, "den Muslimen zu zeigen, dass sie sich ruhig zu verhalten haben?" Das war nicht nur ein oberflächlicher verbaler Ausrutscher, ebensowenig wie Le Pen verbal ausrutscht, wenn er gelegentlich antisemitische Bemerkungen vor Journalisten macht.

Es handelt sich hier um eine alte reaktionäre Tradition einiger französischer israelitischer Organisationen wie der sehr rechts stehenden Liberalen Union und der rechtsextremen Vaterländischen Union der Israelitischen Franzosen. Seit der Gründung Israels und besonders seitdem die israelische Rechte an die Macht gelangt ist, wurde diese Tradition nur mit dem Schleier des Zionismus verdeckt. Schon in der Vorkriegszeit hatte sich die jüdische extreme Rechte oftmals bemüht, ihr Einverständnis mit der französischen extremen Rechten zu zeigen: Sie hatte sogar die Feuerkreuzler (rechtsextreme Organisation ehemaliger Frontkämpfer in den dreißiger Jahren) dazu eingeladen, anlässlich einer religiösen Gedenkfeier für die während des Krieges 1914-1918 gefallenen Soldaten in die Pariser Synagoge des Sieges einzumarschieren; ein hoher Rabbiner, Jakob Kaplan, nahm an öffentlichen Versammlungen mit denselben Feuerkreuzler teil; unter dem Regime von Vichy unterwarf der Allgemeine Bund der Französischen Israeliten, der Vorgänger des CRIF, sich den Befehlen der Behörden und gab ihnen Zugang zu ihren Karteien, ja sie ging so weit, den Behörden ausländische Juden unter dem Vorwand auszuliefern, dass man damit französische Juden würde retten können: doch nichts half. Die extreme Rechte blieb zutiefst antisemitisch und war stets bereit, die rassistischen Vorurteile des Kleinbürgertums für ihre Interessen auszunutzen.

Und unter diesem Gesichtspunkt haben sich die Dinge bis heute nicht grundlegend geändert. Einige Zionisten mögen die migrantenarbeiterfeindlichen Ansichten eines Le Pen oder anderer Demagogen verlockend finden und sogar ihren Beifall öffentlich demonstrieren. Das wird die rechtsextremen Führer nicht daran hindern, sich des Antisemitismus zu bedienen, wenn sie glauben, dass die antisemitische Demagogie ihnen nützlich sein kann.

Die kapitalistische Gesellschaft ist heute nicht mehr vor ernsten Krisen geschützt als früher. Eine solche Krise kann erneut zu einer sozialen und politischen Situation führen, die eine solche abstoßende Demagogie begünstigt. "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem die widerliche Bestie kroch!" (Zitat aus "Arturo Ui" von Bertolt Brecht)

Die Sackgasse des Zionismus

Für zahlreiche Juden, für die die Agonie des Kapitalismus das Gesicht der Todesslager hatte, stellte der Zionismus vorübergehend eine Hoffnung dar. Er hat aber kein anderes Ergebnis hervorgebracht, als das Fortbestehen einer auf Ausbeutung und Unterdrückung gegründeten Gesellschaft, in der der Rassenhass die palästinensische Bevölkerung der besetzten Gebiete, die israelischen Araber, aber auch die israelischen Juden selbst, insbesondere die Juden aus dem Osten, die den armen Teil der israelischen Bevölkerung bilden, voll trifft.

Andere Wege wären jedoch möglich gewesen. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hatten zahlreiche Juden das politische, soziale und kulturelle Leben mit ihren fortschrittlichen Ideen geprägt. Aus ihren Reihen kamen zahlreiche Revolutionäre, Männer und Frauen, die davon überzeugt waren, dass es unnütz ist, auf Änderungen, die nur sie selbst betreffen, zu hoffen, und dass allein die Vereinigung der Kämpfe aller Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt tiefe und unwiderrufliche Änderungen bewirken kann.

Die Greuel, die durch den dekadenten Imperialismus in Europa verursacht wurden, haben dazu geführt, dass hunderttausende Juden nur im Nahen Osten ein Asyl gefunden haben. Es war normal, dass diese Menschen nach einem ihnen eigenen Staat strebten. Aber dieser Staat hätte auf einer anderen Basis gegründet werden können, als auf der Beraubung eines ganzen Volkes. Er hätte im Gegenteil das brüderliche Zusammenleben mit dem palästinensischen Volk anstreben können. Die Einwanderung einer entschlossenen, gebildeten und sehr kultivierten Bevölkerung hätte ein positiver Beitrag für die ganze Region sein können. Aber es hätte einer systematischen Politik bedurft, um die Bedenken und auch die zunächst unvermeidlichen Feindseligkeiten gegenüber den Neuankömmlingen zu überwinden. Die unterdrückten Volksklassen, die von ihrer eigenen privilegierten, mehr oder weniger feudalen, Schicht beraubten waren, hätten in den neu Ankommenden Verbündete finden müssen, die ihnen dabei helfen konnten, sich zu befreien und ihr Schicksal zu verbessern.

Aber sie haben nur Unterdrücker gefunden. Und aus dieser grundlegenden Orientierung des Zionismus ergeben sich viele andere Folgen. Da der israelische Staat es abgelehnt hatte, aus den ausgebeuteten, arabischen Klassen seine Verbündeten zu machen, ist er ein Instrument der imperialistischen Mächte geworden.

Er war das Instrument des französischen und englischen Imperialismus, als diese im Jahre 1956 Ägypten dafür bestrafen wollten, den Sueskanal verstaatlicht zu haben. Er ist später das Instrument und der treueste Untertan des amerikanischen Imperialismus in einer für diesen strategisch sehr wichtigen Region geworden. Das konnte nur den Hass der arabischen Massen gegenüber Israel erhöhen. Damit begann der Teufelskreis, der seit fünfzig Jahren jede Möglichkeit eines gegenseitigen Verstehens zwischen den zwei Völkern ausschließt.

Zu Beginn genoss Israel eine weitverbreitete Sympathie. Es wurde als der Staat der Überlebenden des Völkermordes angesehen, als ein kleines mutiges Land, das sich gegen die wiederholten Angriffe von arabischen feudalen Grundbesitzern verteidigen mußte. Dieses Bild existiert heute nicht mehr. Nach zwei Intifadas wird es heute durch ein anderes ersetzt: das eines grausamen, brutalen, rassistischen und kolonialistischen Staates, dessen Verteidiger die Torah in einer Hand und ein Gewehr in der anderen schwingen.

Dieser durch viele Widersprüche zerrissene Staat konnte nie der friedlichen Zufluchtsort werden, den viele jüdische Opfer des Antisemitismus in Israel finden wollten. Man kann nicht isoliert von anderen Völkern eine brüderliche und egalitäre Gesellschaft, ohne Unterdrückung und Ausbeutung, errichten, und ganz bestimmt nicht gegen den Willen anderer Völker. Deshalb muss die Politik des israelischen Staates ausführlich kritisiert und bekämpft werden. Und insbesondere jene Politik, die er mit Gewalt gegen die Palästinenser führt, die wie jedes Volk Anspruch auf ihre eigene nationale Existenz haben.

Die Anerkennung des Rechtes der Palästinenser, ihren eigenen Staat zu haben und über sich selbst verfügen zu können, ist um so wichtiger, als es ohne diese Anerkennung in Zukunft unmöglich sein wird, die nationalen Gegensätze aufzuheben und zwischen Israelis und Palästinensern gemeinsame Ziele für gemeinsame Kämpfe zu finden. Es gibt heute keine andere Lösung mehr für die Völker als einen Kampf, der darauf abzielt, das weltweite imperialistische System umzustürzen, seine absurden Grenzen, die Überreste früherer Epochen sind, niederzureißen und eine rationelle Wirtschaft auf weltweiter Ebene aufzubauen.

Wenn die Zionisten, - sie glauben, damit ein endgültiges Argument gefunden zu haben - sagen, dass die Kritik am Zionismus das Existenzrecht Israels als jüdischer Staat in Frage stellt, dann haben sie wenigstens in diesem einen Punkt recht. Die konsequentesten Antizionisten kämpfen dafür, dass alle Menschen, die in Israel leben, dieselben Rechte bekommen, ungeachtet ihrer Herkunft oder Religion. Und welche Bedeutung hat es dann noch, ob Israel noch ein jüdischer Staat ist oder nicht mehr, vorausgesetzt, dass er auf alle achtet, die in ihm leben.

Werden dadurch die Antizionisten zu Antisemiten? Keineswegs! Aber sie werden zumindest zu Antirassisten. Wäre es nur in Opposition zu der Politik, die die zionistische Strömung betreibt.

16. Februar 2005